Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Zehntes Kapitel.

Dicht geschart umgaben die Bauern den Erzähler. Er war ein alter Mann, weißes, langes Haar umflatterte das braune Gesicht mit den tiefen Krähenfüßen an den Augen. Für seine Jahre erschien er ungewöhnlich kräftig und es zeigte sich, während er redete, daß er den Mund noch voll weißer Zähne hatte. Wams und Hosen waren vielfach geflickt und das Wetter hatte ihre ursprüngliche Farbe ungleichmäßig ausgezogen. Über dem Rücken hing ihm ein Dudelsack. Es war derselbe Spielmann, der vor etlichen Monaten den Stiefsohn des Konz Hart als Führer gemietet hatte. Der Knabe war ihm entlaufen. Der Atem der Freiheit, der durch die Welt wehte, hatte auch den Buben berührt. Er schämte sich, daß er mithalf, das Mitleid zu betrügen, indem er für einen Blinden bettelte, der vortrefflich sehen konnte. Er war zur Schwarzen Schar gelaufen und trommelte lustig dem Fähnlein Simon Neuffers voran. Um den Spieß zu führen, war er noch nicht stark genug.

Benz Frank, der Dudelsackpfeifer, war als Briefbote Würzburgs an das evangelische Heer des Odenwalds und Neckars gekommen und hatte dasselbe bei Miltenberg getroffen, bis wohin es inzwischen von Amorbach vorgerückt war. Die Stadt Würzburg hatte sich empört und mahnte die Bauern zu eilendem Zuzuge.

Die Aufforderung trug die Unterschriften Hans 418 Bermeter und Georg Grünewald. Der erstere war ein Vetter des Ratsherrn Bermeter zu Rothenburg, ein großer Künstler auf der Pfeife und der Laute, als lustiger Geselle und vortrefflicher Sprecher bekannt und angesehen. Georg Grünewald, gewöhnlich Meister Till genannt, entstammte ebenfalls einem alten Hause und war ein geschätzter Maler und Bildschnitzer. Diese beiden hatten, wie Benz Frank erzählte, die Revolution in der Stadt erhoben und sie waren nicht die einzigen Künstler, die in der großen Bewegung mit Herz und Hand auf seiten der Unterdrückten standen. Aus ihren Freudengelagen waren die Flammen aufgeschlagen, so daß sich der Bischof Konrad von Thüngen von dem Marienberge kaum noch herunter in die Stadt wagte.

Der Spielmann war weit im Lande Franken, dessen Herzog sich der Bischof von Würzburg nannte, umhergekommen, und, wie er seinen Zuhörern zu berichten wußte, überall waren die Bauern und Bürger aufgestanden, legten die Klöster und Schlösser nieder und wälzten, in einen furchtbaren Strom zusammenfließend, der sich das Fränkische Heer nannte, seine empörten Wogen gegen die Bischofsstadt. »Auf nach Würzburg!«, rief die schwarze Hofmännin und schüttelte drohend die Faust gen Osten. Die Bauern, die den Erzähler wiederholt mit stürmischen Zurufen unterbrochen hatten, stimmten in den Ruf des unglücklichen Weibes ein und sich fortpflanzend durchbrauste er das ganze Lager. Benz Frank nahm seiner Dudelsack her und entlockte ihm einen Marsch in quiekenden, schnarrenden Tönen. Dann fiel er in einen Tanz und alles drehte sich, Bauern und Dirnen, und sprang und stampfte und stieß in den aufwirbelnden Staub seine gellenden Jauchzer.

Götz von Berlichingen kam eben mit Wendel Hipler aus dem Rate, wo das Schreiben aus Würzburg verlesen worden und Götz nochmals vergebens auf seinen früheren Vorschlag zurückgekommen war, dem Truchseß von Waldburg im offenen Felde entgegenzutreten. 419 »Loset, sie toben als wie die wilden Bestien,« sprach er zu seinem Begleiter, wie er das Lärmen vernahm. »Sie sind nicht anders zu bändigen als mit der Schärfe. Was hat's geholfen, daß ich ihnen zu Amorbach wegen ihres Wortbruchs ins Gewissen geredet habe? Haben sie nicht auch hier in Miltenberg wieder geplündert?«

»Leider, und obendarein meines eigenen Freundes, des Friedrich Weigand Haus,« gab Wendel Hipler mit einem Seufzer zu. »Sie wissen nicht, wieviel er schon lange zur Befreiung der armen Leute beigetragen hat. Offen hervorgetreten ist er freilich nimmer, denn er ist ein schwächlicher Mann und besitzt nicht die Gabe der Rede. Aber mit der Feder, die in seiner Hand ist wie ein flammend Schwert. Er ist der klarste Verstand und wenn einer, so ist er's, der weiß, was dem Reich not tut. Zahllos sind die fliegenden Blätter, die er seit Jahren hat ausgehen lassen in das Volk, und sie haben allerwärts entzündet. Weil er auf meine Bitte zu einer Beratung nach Amorbach kam, vermeinten die Leute, daß er zu der Deklaration mitgeholfen habe, und haben es ihn in ihrer Weise entgelten lassen.«

» Ja, in ihrer Weise,« rief Götz bitter. »Und die Weise wird fortdauern bis ans End'.«

»Ich hab' ein besser Vertrauen,« erwiderte der Kanzler.

»Um der großen Aufgabe willen, zu der Ihr uns Eure eiserne Faust geboten habt, lasset Euch durch die Gärung nicht irren. Wer Großes will, darf das Unrecht, so ihm widerfährt, nicht nach Quent und Lot abwägen. Ich kenne einen, dessen Wahlspruch lautet: keine Krone ohne Kreuz! Das gemarterte und gekreuzigte Volk ist auferstanden.«

Es war auferstanden. Wie ein Steppenbrand, von einem Punkte ausgehend, mit feurigen Armen nach allen Seiten weiter und weiter um sich greift, so hatte sich die Revolution von den Quellen des Neckars und der Donau und vom Main an bis zum Harz im Norden und den 420 julischen Alpen im Süden ausgebreitet, und seine Vorhut stand vom Oberrhein bis zum Niederrhein. Ein gewaltiges Wogen, hervorgegangen aus dem gemeinsamen Martyrium und in geistige Einheit zusammengefaßt durch die zwölf Artikel! Und allerwärts ward er vollstreckt, der Artikelbrief, an Klöstern und Abteien, an Burgen und Schlössern und widerspenstigen Städten. Da krachten, barsten, stürzten die Mauern und der Himmel war allerwärts rot von den leckenden Flammen. Da ward auch das Schloß gestürmt, in dem die Wiege des stolzen Kaisergeschlechts der Hohenstaufen gestanden, und leuchtete als eine Riesenfackel der Volksfreiheit weit in die Lande hinaus.

»Eine schreckliche Auferstehung! Furchtbare Ostern!« murmelte Götz von Berlichingen. Zu der geistigen Höhe des Kanzlers sich zu erheben, war er unfähig. Der Junker in ihm konnte es nicht verwinden, daß die Bauern so wenig Federlesens mit ihm machten.

Und so ritt er dann am nächsten Morgen in einer Stimmung, die wenig dem wunderherrlichen Maientage entsprach, an der Spitze des Bauernheeres gen Würzburg. Mit ihm ritten seine Waffenbrüder Max Stumpf von Schweinsberg und der Graf Georg von Wertheim, der in Miltenberg dem Bunde beigetreten war, demselben Geschütz und Munition zugeführt und sich hatte verpflichten müssen, wie es fortan jedem Edelmann geschah, mit dem hellen Haufen zu ziehen. Götz verhielt sich wortkarg. Das Rauschen und Flattern der Fahnen in der balsamischen Maienluft, das lustige Dröhnen und Tönen der Trommeln und Pfeifen, das fröhliche Gröhlen und Singen und die Jauchzer der Bauern erheiterten sein Gemüt nicht. Wie anders war es sonst gewesen, wann er am schönen Morgen mit seinen Knechten zu einer seiner vielen Privatfehden ausgezogen war oder im grünen Busch gelegen, um dem Feinde Geißeln und Güter abzufangen! Es mochte ihn die Ahnung bedrücken, daß er eine Aufgabe übernommen, ja aus 421 junkerlichen Eigennutz zu ihr sich gedrängt hatte, der er nicht gewachsen war. Aber klar machte er es sich nicht.

Dem Einflusse Hiplers auf Jörg Metzler, Hans Reyter und andere Hauptleute war es zu danken, daß der helle Haufen auf dieser Kriegsfahrt Klöster und Burgställe verschonte und, wo ihm nicht freiwillig, wie es in den meisten Städtlein geschah, die nötige Zehrung geboten wurde, diese aus dem gemeinen Säckel von dem Beutemeister Eisenhut bar bezahlt wurde. Freilich konnte nicht verhindert werden, daß sich auch jetzt noch dann und wann Streifpartien von dem großen Heerhaufen absonderten und auf eigene Faust plünderten und brannten und die Junker, die nicht zum Bund schwören wollten, gefangen einbrachten. Die Brandruinen von Klöstern und festen Häusern aber, auf die der helle Haufen bei seinem Vormarsche stieß, waren die Spuren, die die Schwarze Schar im strengen Vollzug der zwölf Artikel auf ihrem Zuge nach Franken zurückgelassen hatte. Sie mahnten den Ritter mit der eisernen Hand daran, daß er vor Würzburg der Begegnung mit Florian Geyer nicht würde ausweichen können. Seine Laune wurde dadurch nicht besser. Aber auch in dem hellen Haufen regte sich eine Mißstimmung gegen Florian Geyer. Denn er hatte die neun mainzischen Städte auf dem Odenwalde und Tauberbischofsheim bereits auf den Artikelbrief eidlich verpflichtet, als das Heer Georg Metzlers, das auf ihre Bundesgenossenschaft ein näheres, gleichsam geographisches Anrecht zu haben vermeinte, nachkam. Der helle Haufe zwang sie, in den evangelischen Bund des Odenwalds und Neckars überzutreten und nochmals zu schwören. Da gab es viel Hader und Streit und es gelang Wendel Hipler nicht, die Wunde des Splitters auszuheilen, den Florian Geyer den Odenwäldlern in das Fleisch ihrer Eitelkeit gestoßen hatte. Solche Wunden schwären übel.

Wie der helle Haufen von Bischofsheim an der Tauber 422 heraufkam, erhob die Vorhut, die das Dorf Höchberg erreicht hatte, ein lautes Jauchzen und feuerte ihre Büchsen ab. Vor ihr, kaum eine Viertelstunde entfernt, lag im Goldglanz der sinkenden Sonne der Marienberg mit dem bischöflichen Schlosse. In vier Stockwerken erhob sich der stolze Bau, der sein großes längliches Rechteck von Osten nach Westen hinstreckte. Vier- und fünfeckige Türme mit verschiedenartig gestalteten Kuppelaufsätzen bildeten die Kanten, und in der Mitte des Schlosses erhob sich rund und schlank und die anderen Türme überragend, der freistehende Bergfried, in dessen verjüngtem Aufsatz hoch droben der Schloßwächter seine Wohnung hatte. Von dem Bergfried flatterte das Banner des Bistums, das im blauen Felde ein schräg schwebendes, von Rot und Silber quadriertes Fähnlein an der goldenen Lanze zeigte. An die westliche Schmalseite des Schlosses fügte sich, durch ein Turmtor mit ihm verbunden, die etwas niedriger liegende Vorburg mit den Wohnungen für das Gesinde und die reisigen Knechte, den Ställen und Fruchtböden. Den Main und die Stadt auf dessen rechtem Ufer, denen das Schloß seine östliche Giebelseite zukehrte, verbarg der Marienberg den Blicken der Bauern. Seine im Süden steil abfallende Flanke krönte die gezahnte Umfassungsmauer, die wie eine Fortsetzung des Felsens erschien. Eine breite Schlucht, die Kuhbachschlucht, sondert den Marienberg von dem St. Nikolausberge, zu dem von Süden her der große Guttenburger Wald heraufdringt. Durch diese Schlucht lief der Weg von dem Dorfe Höchberg zur Vorstadt von Würzburg, die zwischen dem Marienberge und dem linken Ufer des Mains sich entlang zwängt.

Auf diesem Wege wanderte einsam ein Weib. Es war die schwarze Hofmännin. Ungehindert gelangte sie in die hauptsächlich von Fischern und Häckern oder Weinbauern bewohnte Vorstadt. Die Wache des festen Tores saß bei Kannen und Würfelbechern und achtete ihrer 423 nicht. Es waren arme Handwerker, die für ihren Dienst von der Stadt entlohnt wurden, und es war Sonntag. Der Sonntag belebte auch die lange Burkharder Straße, die vom Tore unter dem Chor der Kirche gleichen Namens hindurchläuft. Es fiel wohl manch neugieriger oder verwunderter Blick auf die große, schwarze Gestalt, die mit gleichmäßigen Schritten, ohne Hast, ihren Weg verfolgte; jedoch ließ man sie unbehelligt gehen und sie selbst schaute nicht rechts, nicht links. Jenseits der kurzen, breiten Straße, die zur Mainbrücke führt, wandte sie sich links, die krumme Zeller Gasse aufwärts. Das Tor an ihrem oberen Ende war geschlossen. Ein Mann in Krebs und Eisenhut stand, auf seinen Spieß gelehnt, davor; seine Kameraden saßen auf dem Bänklein vor der Wachtstube. Jener rief ihr die Fragen entgegen, wohin sie wolle, wer sie sei?

»Hat der Thes ein Glück,« scherzte ein Graukopf, der auf der Bank saß. »Was ein feiner Fisch ihm ins Netz gegangen ist!«

»Laß' sie 'naus!« rief ein anderer. »Siehst doch, daß ihr Liebster im Schloß droben sie auf die Nacht erwartet.«

Alle lachten. Thes Mertz, der Fischer, aber sagt: »Ich laß' Dich nit durch. Es hat vom Schloß gar so viel Kundschafter in der Stadt, und Du bist auch eine.«

»Wenn ich eine wär', würd' ich mich gar fein ausweisen können, oder einen andern Weg zum Schloß gewußt haben,« versetzte die Hofmännin, die ruhig dastand und des Spottes der andern nicht geachtet hatte. »Ich bin am Neckar daheim und wollt' mich draußen auf dem Tell bloß einmal umschauen, dieweil ich den Ort von altersher kenne. Auf dem Schloß hab' ich nichts zu schaffen. Oder doch, wenn sie mich halt nur einließen.«

»Was dann? Was willst?« fragten die anderen, standen von der Bank auf und umringten sie.

»Künden wollt' ich ihnen, daß ihr letztes Stündlein nah' ist,« entgegnete sie aufwallend. »Denn die Rächer 424 von Weinsberg sind da, die vom Odenwald und Neckar.«

»Der Götz? Der Metzler? Wirklich?« riefen die Männer erregt.

»Sie schlagen just ihr Lager zu Höchberg; ich kam mit ihnen,« berichtete sie. »Gott sucht die Sünden der Väter heim bis ins vierte und fünfte Glied, und ich will draußen auf dem Tell ein letztes Mal beten, daß sein schwerster Fluch auf die da droben falle und sie zermalme. Kein Ritterschwert und kein Krummstab hält die Rache länger auf. Gott will es!«

Der Graukopf, der seines Zeichens ein Böttcher war, gab Mathäus Mertz einen Wink und rief, während dieser die Hofmännin durch das Pförtlein im Tor hinaus ließ: »Lauf einer und künd's in der Stadt, daß der Götz da ist. Heiliger St. Kilian!«

»Ist die unheimlich,« äußerte der Fischer zu seinen Kameraden. »Mir dünkt, sie weiß einen Zauber, den sie gegen das Schloß brauchen will.« Er schlug ein Kreuz.

Sich umschauend stand die schwarze Hofmännin auf dem Tell, wie die sanfte Erhebung des Bodens auf der nördlichen Breitseite des Schlosses genannt wurde. Hätte sie etwas von der Kriegskunst verstanden, so würden ihr die Bastionen, Laufgräben, Pallisaden und die durch Türme geschützte Ringmauer dahinter gesagt haben, daß es wohl gar harte Arbeit kosten dürfte, »Unsere lieben Frauen Burg« selbst von dieser noch am zugänglichsten Seite zu erobern. Es war in der Tat eine der festesten Zwingburgen und als eine solche hatte sie den Bischöfen seit Jahrhunderten gegen das durch seinen Weinbau schon früh zu Reichtum gelangte Würzburg und Ostfranken gedient. Von Liebe und Vertrauen war zwischen beiden Teilen kaum je die Rede gewesen und der Ehrgeiz und die Habsucht des Krummstabes hatte die Kriegsfackel nur selten erlöschen lassen. Doch hatte die aufstrebende Bürgerschaft sich die Schädel stets vergebens an den Mauern des Schlosses eingerannt, das aus jedem Sturm nur fester hervorgegangen war. 425

Die schwarze Hofmännin prüfte jedoch das Schloß, von dem der Turmknopf des Bergfried allein noch in der Sonne glänzte, nur mit einem flüchtigen Blick. Sie schaute nach etwas anderem aus. Dort war es, etwas zur Rechten, gegen das Schottenkloster zu, was sie suchte. Mit langen, langsamen Schritten ging sie dorthin und starrte auf die Stelle vor ihren Füßen mit einem Gesicht, aus dem alles Blut entwichen war. Ja, hier war es gewesen, hier hatten die Flammen des Scheiterhaufens den Geliebten, den göttlichen Jüngling verzehrt. Erst aber hatte er Zeuge sein müssen, wie seine beiden Unglücksgefährten, die mit ihm gefangen gelegen, durch das Schwert hingerichtet wurden. Tag für Tag war sie zum Schlosse hinaufgegangen und hatte vor dem Tor gelegen wie ein Hund und gewinselt, daß man sie nur ein einziges Mal den Geliebten sehen lasse. Immer aber war die »Metze des Paukers« von den Kriegsknechten mit rohem Spott fortgejagt worden. Erst auf seinem letzten Gange hatte sie ihn wiedergesehen, allein auch jetzt nur aus der Ferne; sein goldlockig Haupt hatte am Brandpfahl den Ring der Reisigen überragt, hinter dem sie stand. Seine blauen Augen hatten sie herausgefunden und ihr zugelächelt in den aufprasselnden Flammen. Das schreckliche Bild hatte immer vor ihr gestanden; aber jetzt, an Ort und Stelle, ward es ihr in jedem Zuge zur gräßlichen Gegenwart, alle Schmerzen zerfleischten wie damals ihre Brust und mit einem gellenden Schrei warf sie sich auf den Boden und küßte ihn. Ihre Glieder zuckten.

Tränen lösten endlich den Krampf. Sie setzte sich mühsam aufrecht und weinte laut, in das Schluchzen der Nachtigallen aus der Ferne. Allmählich wurde auch ihr Weinen leiser, sanfter. Sie stützte die Arme auf die angezogenen Knie und barg das Gesicht in den Händen. Und aus der augenblicklichen Stille und Leere der Erschöpfung tauchten Zug um Zug, Bild um Bild die Erinnerungen an ihre Liebe zu Hans Böheim auf, Sie 426 durchlebte sie wieder Stunde um Stunde in allen Schauern und Wonnen die einzig glückliche, ach, so kurze Zeit ihres langen elenden Daseins. Spannen die Erinnerungen in einem Traum der Seligen sich fort?

Es fröstelte sie. Sie hob den Kopf. Es tagte. Sie langte nach ihrem Stabe und erhob sich mit seiner Hilfe mühsam vom Boden. Ihre alten Glieder waren steif. Breit und klar floß in der Tiefe der Main. Eine lange, steinerne Brücke, die mit Bildsäulen von Heiligen geschmückt und in der Mitte durch ein eisernes Tor geschlossen war, führte zur Stadt hinüber. Schlanke, gothische Türme und byzantische Kuppeln ragten zwischen den Dächern in den lichter und lichter sich gestaltenden Himmel. Um das Schottenkloster strichen pfeifend die Schwalben.

Als die Greisin sich dem Schlosse zuwendete, streifte die Morgensonne die oberste Reihe der viereckigen Fenster, die Turmknaufe glänzten wie Gold. Auf der Mauer hinter dem lichten Zaun, wie die Pallisaden genannt wurden, schritten Wachtposten hin und her. Die blutleeren Lippen der schwarzen Hofmännin krümmten sich verächtlich. Sie stieß ihren Wanderstecken auf der Stelle, wo der Scheiterhaufen errichtet gewesen, mit aller Kraft in den Boden. Hier hatte ihre lange Pilgerfahrt des Elends begonnen, hier endete sie. Unstreitig hatten ihre Erzählungen von Hans Böheim, seinen Lehren und seinem Ende nicht wenig dazu beigetragen, das Feuer zu entfachen, das jetzt auch den Marienberg umzüngelte. Der Bischof und seine Klerisei konnten dem Strafgericht Gottes nicht entrinnen. Sie hatte es Gott abgerungen, endlich, endlich! Ihre Lebensaufgabe war erfüllt und ein Sehnen nach der Wiedervereinigung mit dem Geliebten im Jenseits dehnte ihr Herz. Sie würde ihm die Botschaft bringen, daß er gerächt sei. Ihren Stab als ein Malzeichen auf der Richtstätte zurücklassend, entfernte sie sich nach dem Schottenanger zu. –

Wendel Hipler hatte das Heer nur bis 427 Tauberbischofsheim begleitet, von wo er nach Heilbronn zurückging. Hier sollte die Reform des Reiches vorberaten werden, während die Waffen der Bauern es frei machten; hier nach dem Siege der Volkssache die endgültig beschließende Nationalversammlung zusammentreten. Heilbronn bot dazu einen vortrefflichen Mittelpunkt. Wendel Hipler hatte sich zu Amorbach darüber mit Hans Barle und dem Mainzer Keller Weigand, seinem Freunde, verständigt. Schon von Amorbach aus hatte er an die um Würzburg sich sammelnden Haufen geschrieben, daß sie zu diesem Kongreß Abgeordnete nach Heilbronn schicken möchten, und auch an alle Haufen in Oberschwaben, Elsaß und Franken Botschaft in diesem Sinne gesandt. Er hatte auch Dr. Max Eberhard dazu eingeladen, indem er sich auf den Brief Florian Geyers an diesen berief. Im Falken, seinem gewöhnlichen Absteigequartier, wann er von dem nahen Wimpfen zu den Gerichtstagen nach Heilbronn kam, würde er ihn treffen.

Für Max Eberhard war die Einladung eine Erlösung aus seiner erzwungenen Untätigkeit. Obgleich seine Aussicht in die Zukunft bei seinen geringen Mitteln die düsterste war, so bereute er dennoch keinen Augenblick, die Hand der schönen Gabriele, die ihn auf des Lebens Höhen geführt hätte, verschmäht zu haben. Die Liebe zu Else entschädigte ihn tausendfach; sie blühte und duftete fort in aller Bedrängnis und sie fand unvermutet eine Bundesgenossin, als er, von dem Ritter von Menzingen zurückgewiesen, Else nur noch in der Kirche sehen und ihr bei dem Verlassen derselben vielleicht einen Gruß zuflüstern konnte. Diese Bundesgenossin war das Fräulein von Badell. Elses Erscheinung hatte ihr Herz gewonnen und sie wußte so ziemlich Bescheid, wie die Dinge standen. Fama bläst die Posaune, aber der Klatsch hat hundert zischelnde Zungen. Sie zischelten auch in dem vorwiegend männlichen Kreise, der in dem Hause des Fräuleins von Badell verkehrte. 428 Der Bruch des jungen Eberhard mit seinem Vater, die plötzliche Entfremdung zwischen jenem und Stephan von Menzingen hatte ja auch für die Männer der Bewegung ein Interesse und die weibliche Beratungsgabe des Fräuleins fand leicht die Frau heraus, die hinter diesen Geschehnissen verborgen war. Das ernste Wesen des jungen Doktors sagte ihr zu und sie hatte ihm nur den einen Vorwurf zu machen, daß er das Leben viel zu schwer nahm. Aber dem war wohl abzuhelfen und da Frau Margarethe von Menzingen und ihre Tochter ihr keinen Besuch machen zu wollen schienen, so ging sie, kurz entschlossen, wie sie war, zu ihnen.

Dem Geschmack der Frau von Menzingen mochte das derbe, humoristische Wesen des Fräuleins kaum entsprechen; sie hatte aber, als diese nach ungefähr einer Stunde sich entfernte, das wohltuende Gefühl, als ob ein kräftiger, frischer Windstoß die drückend schwüle Luft, in der sie und Else atmeten, zerblasen hätte. Des Fräuleins lebhaft sich aussprechende Weise, die jedes Ding bei rechtem Namen nannte, machte Frau von Menzingen nach langer Zeit wieder einmal lächeln und Else schlug der Jugend silberhelles Lachen auf, von dem sie kaum noch wußte, daß es in ihrer Kehle wohnte.

Als an demselben Abend Dr. Karlstadt, der jetzt in der Stadt frei umgehen und predigen konnte, wie ihn der Geist trieb, Fräulein von Badell zufällig besuchte, sagte sie unter anderem zu ihm: »Gott, Doktor, was predigt Ihr immer wider die Tyrannen von Fürsten, Herren und Pfaffen? Es gibt noch andere Tyrannen, die viel scheußlicher sind. Das sind die Männer, so die Freiheit im Mund führen und zu Haus Weiber und Kinder unterdrücken. Denen solltet Ihr ins Gewissen reden, und ihren Weibern, daß sie die Tyrannei verdienen, weil sie sich solche gefallen lassen.«

Der Ritter von Menzingen hatte sich ihrer Gunst nie sonderlich zu erfreuen gehabt, sein Wesen war ihr zu »brastig«, wie sie sich ausdrückte. Sein Undank gegen 429 Max Eberhard stieß ihn vollends aus ihrer Gnade und sie gelobte sich, daß Else und Max trotz Herrn Stephan ein Paar werden sollten. Der Rat mochte vor ihm zittern, sie fürchtete weder ihn noch einen anderen Mann. Sie nahm die Liebenden in ihren Schutz und ihr Haus am Burgtor ward ihnen zu einem Eiland stillen Glückes in der ringsum tosenden See der politischen Leidenschaften.

Noch war der Innere Rat im Amte, allein der Atem wollte ihm schier ausgehen, so stark umklammerten ihn die Arme des Ausschusses. Denn er hatte diesem seine Rechnungsbücher vorlegen müssen und die Prüfung derselben eine so heillose Unordnung ergeben, daß niemand darin sich zurechtzufinden vermochte. Auch befanden sich in dem Schatze nur achttausend Gulden bar, da doch deren achtzigtausend vorhanden sein sollten. Erasmus von Muslor und die drei Steurer, wie die Ratsmitglieder hießen, die das Finanzwesen unter sich hatten, mußten sich darob unter Eid von dem Ausschusse so hart verhören lassen, daß sie schier das Licht der Freiheit nicht wieder zu erblicken glaubten.

Da erschienen am Dienstag vor dem Osterfest zwei Bevollmächtigte des Reichsstatthalters Ferdinand von Österreich in Rothenburg, und der Rat faßte wieder Mut. Sie sollten zwischen diesem und dem Ausschusse vermitteln, damit die feste Stadt und ihre waffentüchtige Bürgerschaft der »guten Sache« erhalten blieben. Tags darauf berief der Anschlag der großen Glocke die Gemeinde nach St. Jakob zur Versammlung. Der Ausschuß hatte sich erboten, in Gegenwart des Inneren Rates und der beiden kaiserlichen Gesandten, Graf Ruprecht von Manderscheid und Friedrich von Lidwach, über die von ihm geprüften Beschwerden und Forderungen der Bürgerschaft zu berichten. Als Stephan von Menzingen das Empor der Kirche betrat, war es in seinen Mienen klärlich zu lesen, daß er sich des Sieges gewiß fühlte, und er schoß unter seinen breiten schweren 430 Augenlidern einen Blick auf die Mitglieder des Rates, als ob sie auf der Armensünderbank säßen. Es war auch kaum anders; denn sein Bericht war eine schwere Anklage. Er sprach zunächst davon, wie ihre Voreltern seit mehr denn hundert Jahren mit Steuern und Lasten überbürdet worden seien, daher eine Änderung zum Besten der Gemeinde getroffen werden müßte. Das Übel hätte aber zum großen Teil seine Wurzel in der schlechten Stadthaushaltung, und schonungslos kennzeichnete er die Liederlichkeit, mit der die drei Steurer ihres Amtes gewaltet, und die Leichtfertigkeit, der sich der Innere Rat schuldig gemacht, indem er die nur in Bausch und Bogen aufgestellten Rechnungen als richtig anerkannt habe. Solches wäre nimmer geschehen, wenn in den Räten nicht nur die Geschlechter vertreten wären, sondern auch die niederen Bürger. Der Ausschuß fordere daher von allen Dingen die Wiederherstellung und Erweiterung der Stadtverfassung von 1455.

Die weiteren Beschlüsse des Ausschusses, die er vortrug, betrafen hauptsächlich die Verbesserung des Rechtsverfahrens, Verminderung der Steuern und bessere Ordnung des öffentlichen Rechnungswesens. Es sollten ferner die Besoldung der öffentlichen Ämter vermindert, die Gewerbeordnung verbessert werden. Ein anderer Artikel betraf die Reformation der Geistlichen. Alle geistlichen Personen, welche in der Stadt Pfründen besitzen, sollten gleich anderen Bürgern den Bürgereid leisten und alle Lasten tragen. Alten, verlebten Priestern sollten aus dem Stadtsäckel jährlich fünfzig Gulden bis zu ihrem Tode gezahlt werden, so sie die Reformation anerkennen, die Pfründe aber an die Stadt fallen. Alle jüngeren Priester von gesundem Leib sollten ein Handwerk lernen und sich verehelichen. Wenn sie dieses täten, so bliebe ihnen zu ihrer Unterstützung die Pfründe auf ein oder zwei Jahr ungeschmälert. Fügten sie sich nicht, so würden sie sofort eingezogen. Die 431 Bürger endlich sollten von ihren Gütern keinen Zehnten mehr an die Geistlichkeit entrichten.

Als Stephan von Menzingen schwieg, bestieg der kaiserliche Rat Friedrich von Lidwach die Kanzel. Auch er glaubte, zu der Gemeinde reden zu sollen; aber es geriet übel. Schon am Tage zuvor hatte er die Mitglieder des Ausschusses trocken und stolz angeherrscht und verlangt, daß man dem Rate seine vormalige Gewalt wiedergebe.

So goß er auch jetzt nur Öl ins Feuer, indem er die Gemeinde aufrührerisch schalt und ihr unter Androhung schwerer Strafe befahl, von der Empörung abzustehen. Da schwoll das Murren, das sich bei seinen Worten anfangs in der Kirche hatte vernehmen lassen, zu einem großen Getümmel an. Eine Stimme rief, man habe den Teufel nach den Kommissarien geschickt. Andere wollten noch mehr Beschwerden abgestellt wissen, und ein Bürger schrie dem Ausschusse zu: »Meine Meinung ist, man soll den Kommissarien die Köpfe abschlagen, so werden wir ihrer am ersten los.«

Graf Manderscheid, der Beisitzer des kaiserlichen Kammergerichts war, eilte auf den Predigtstuhl, um den Sturm zu beschwören. »Nichts von Vergleich«, scholl es aus der Gemeinde zu ihm herauf. »Unser Recht wollen wir, könnt Ihr's uns nit schaffen, so mag Euch der Teufel holen.« Es war Kilian Etschlichs knarrende Stimme, die es rief. Stephan von Menzingen erklärte fest: »Nur wenn der Rat die Artikel unverändert annimmt, wird der Ausschuß die Sache den Kommissarien zum gütlichen Vergleich anheimstellen.« Da gingen die kaiserlichen Boten zu den Sitzen des Inneren Rates und rieten diesem nun selbst zur Annahme. Nur über die geistlichen Güter könnten sie nichts entscheiden: diese müßten bis zum nächsten Reichstage in Ruhe bleiben.

»Ich sagte es den Herren schon gestern,« sprach Konrad Eberhard mit zornbleichem Gesicht, »daß der Ausschuß alle Konzessionen dem Rate mit Gewalt 432 abgezwungen hat. Jetzt habet Ihr einen neuen Beweis dafür.« Erasmus von Muslor legte ihm beschwichtigend die wohlgepflegte Hand auf den Arm. Der Innere Rat fügte sich und gab dem Gesandten Vollmacht, den Vertrag in eine angemessene Form zu bringen. Ausgenommen wurde von der Annahme der Artikel über die geistlichen Güter. Mit Mühe gab der Ausschuß in diesem Punkte nach. Es wurde zugleich bestimmt, daß beide Teile die neue Ordnung halten und alle vorhergegangenen Beleidigungen ab und tot sein sollten.

Als die Gemeinde die Kirche verließ, erhob sich hinter einem Pfeiler des Seitenschiffes der blinde Mönch, der dort als stummer Zuhörer gesessen hatte. Im Hinausgehen traf Valentin Ickelsamer auf ihn und fragte ihn, was er von den Verhandlungen denke? Der Blinde erkannte ihn an der Stimme und antwortete: »Ein halber Sieg ist kein Sieg. Ich gebe keine taube Nuß für den Vertrag. Der Ausschuß muß vorwärts, oder er wird unter die Füße getreten, sei es von den Ehrbaren, sei es von der bäuerlichen Partei. Kein Teil ist zufrieden, ich hab's aus den Stimmen der Leute herausgehört, wie sie aus der Kirche gingen.«

Der Bürgermeister von Muslor lud die kaiserlichen Räte ein, das Werk auf der Herren-Trinkstube mit einem Becher Weins zu begießen. Er lud auch Stephan von Menzingen dazu ein; der aber dankte kurz. Indem trat Kilian Etschlich heran. »Ich möcht' die gnädigen Herren nur fragen, wie's jetzt mit dem Recht soll sein, daß einer erstritten hat und kann's doch nicht kriegen,« sprach er; »soll das jetzt auch ab und tot sein?«

Stephan von Menzingen ergriff sogleich das Wort: »Meister Etschlich hat vor fünfzehn oder mehr Jahren mit Hilfe des Kammergerichts eine Geldforderung an die Trüb von den Geschlechtern erstritten, ein Rat aber bis zur Stund' den Spruch nicht exekutiert.«

Das klang in den Ohren der Gesandten, die zu dem Frieden, den sie soeben gestiftet hatten, sich Glück 433 wünschten, gar übel. Diejenigen vom Inneren Rate, welche noch zugegen waren, tauschten verlegene Blicke. Der Beisitzer des kaiserlichen Kammergerichts, Graf Rudolf von Manderscheid, aber antwortete: »Bewahre, Meister, Forderungen wie die Eurige, die bereits rechtskräftig geworden sind, werden durch den soeben geschlossenen Vergleich nicht berührt. Der Rat wird Euch itzo gewiß gern zu Eurem Gelde verhelfen.«

»Man muß das Eisen schmieden, so lange es noch warm ist,« äußerte Herr Stephan spöttisch. »Doch halten wir die Herren nicht länger von den Bechern zurück!«

Er verbeugte sich förmlich und ging mit Etschlich davon,

Den Herren aber wollte auf der Trinkstube der Wein nicht recht munden, so köstlich er war. Erasmus von Muslor versprach zwar, die Trüb zur Zahlung ihrer Schuld an Etschlich anzuhalten; aber der soeben vereinbarte Frieden hatte seine Achillesferse gezeigt. Das Verhalten des Ritters ließ keinen Zweifel daran zu, daß er seine Feindschaft gegen den Rat nicht begraben würde. Graf Manderscheid sprach seine Wahrnehmung offen aus. »Wir sind vergebens hier gewesen,« schloß er, »wenn es nicht gelingt, den Span zwischen ihm und Euch, Ihr Herren, aus der Welt zu schaffen.« Auf seinen und Friedrich von Lidwachs Vorschlag kam man überein, den kaiserlichen Räten die Entscheidung des alten Rechtsstreites zu überlassen, falls auch der Ausschuß darein willige, und Georg von Bermeter übernahm es, diesen dazu zu bestimmen.

Es gelang ihm, und am Samstag vor dem Feste trat das Schiedsgericht zusammen, in dem der Innere Rat und der Ausschuß durch fünf Mitglieder vertreten waren.

Stephan von Menzingen, dem seine Freunde im Ausschusse versprachen, ihm bei dieser Gelegenheit ein Erkleckliches für seine Mühewaltungen um das Wohl 434 der Bürgerschaft herauszuschlagen, trug seinen Handel mit der Stadt vor. Er beanspruchte 4600 Gulden Entschädigung, die durch den ihm erwachsenen Schaden, als er flüchten mußte, teils durch Unkosten usw. begründete. Der Rat lehnte die Forderung ab, da Menzingen durchaus gegen seine Bürgerpflicht gehandelt habe und verlangte dagegen 336 Gulden für rückständige Steuern, Exekutionskosten und dergleichen. Die kaiserlichen Boten entschieden, daß jede Klage aufzuhören habe, die Forderungen getilgt, die Schmähungen erloschen seien und jeder Teil seine Kosten zu tragen habe. Da beide Parteien dem Grafen Ruprecht mit Handschlag gelobt hatten, seinem Ausspruch sich fügen zu wollen, so ward der Vertrag bis auf die Siegelung fertig.

»Das soll Euch der Teufel danken,« rief Stephan von Menzingen wütend über die Enttäuschung, ging nach Hause und verweigerte das Siegel des Ausschusses. Er gab erst nach, als der Rektor Bessenmayer ihn aufsuchte und ihm vorstellte, daß die Mehrheit im Ausschusse dem Vergleiche günstig wäre und er seinem Einflusse auf jenen großen Abbruch tun würde, wenn er bei seiner Weigerung verharrte.

Am Ostermontage verließen die kaiserlichen Botschafter die Stadt, froh, mit heiler Haut davon zu kommen. Denn weil sie die Forderung der Gemeinde in bezug auf die Geistlichkeit und deren Güter abgelehnt, hatte das Volk selbst die Reformation in die Hand genommen. Erhitzt durch die leidenschaftlichen Predigten des blinden Mönches und Karlstadts, warf es mit Steinen nach den Priestern, lief in die Kirchen, zerriß die Meßtücher und zerstörte die Heiligenbilder. Auch in St. Jakob wollte es solchen Unfug verüben; allein die anwesenden Bürger setzten sich zur Wehr und trieben die Bilderstürmer mit ihren gezückten Messern in die Flucht. Der Rat ließ die Kirchen schließen, so daß an den Feiertagen nur in St. Jakob, 435 wo Dr. Deutschlin predigte, Gottesdienst gehalten wurde. Nun aber bewaffneten sich die Weiber mit Gabeln, Spießen und Stangen und drohten, die Klöster und Priesterhäuser zu stürmen.

Als Max Eberhard dem Fräulein von Badell davon erzählte, sagte sie lachend:

»Es geschieht den Mannsleuten recht, daß die Weiber sie lehren, an ein ernst Ding nicht einen halben Willen zu setzen.« Die Geistlichen aber, eingeschüchtert durch die Aufregung in der Stadt und durch die Bedrohung ihrer Güter außerhalb Rothenburgs von seiten der Bauern, fürchteten das Schlimmste. Die Weltpriester und Ordensgeistlichen begehrten zuerst vom Ausschusse, Bürger zu werden, und Menzingen nahm ihnen den Bürgereid ab, wobei sie ausdrücklich schwören mußten, daß sie allen bürgerlichen Lasten sich unterwerfen wollten, als Torhüten, an den Verschanzungen arbeiten, in das Feld rücken usw. Dann erboten sich die Dominikanerinnen und die Grauen Schwestern, sämtliche Schuldbriefe und ihr ganzes Besitztum an die Gemeinde von Rothenburg zu übergeben unter der Bedingung, daß den Schwestern, die im Kloster bleiben wollten, eine ziemliche Notdurft gereicht werde, den andern aber, die sich zu verheiraten gedächten, ein angemessenes Heiratsgut zuteil werde. Auch sie wurden in das Stadtrecht aufgenommen, und sechs Schwestern leisteten für alle den Bürgereid.

Darüber lief von dem Markgrafen Kasimir ein Schreiben ein. Auch in seinen Landen griff der Aufstand der Bauern mit jedem Tage weiter um sich, und er bot Rothenburg ein Schutz- und Trutzbündnis an. Der Rat ging darauf ein, und der Ausschuß billigte die Antwort. »Denn,« sagte Stephan von Menzingen, »wird der Markgraf angegriffen, so ist es immer noch Zeit, ihm eine Ratsbotschaft zu senden, welche die verlangte Hilfe abschlägt, weil Rothenburg selbst in Not 436 stecke. Verweigert man sie aber sogleich, so wird die Stadt auch von dem Markgrafen verlassen werden, wenn sie zuerst in Not gerät.« Auch ging ein Beschluß durch, daß fortan niemand mehr aus der Stadt dem Bauernhaufen zulaufen sollte.

Die Erbitterung der radikalen Partei, daß die Stadt auf diese Weise um ihrer besonderen Interessen willen von der allgemeinen Sache sich trennte, war groß. Ritter Stephan benutzte sie, um einen entscheidenden Schlag gegen den Inneren Rat zu führen. Er veranlaßte, daß der Ausschuß um neun Mitglieder von der radikalen Partei vermehrt wurde, unter denen auf seinen Vorschlag der Kürschner Lorenz Diem, der Metzler Fritz Dalk und Melchior Mader, der Schuster, gewählt wurden. Dann drang er darauf, daß ohne Verzug zur Erneuerung des Inneren Rates geschritten würde. Zwar hatte die von dem Äußeren Rat zu vollziehende Wahl, sowie die Verteilung der Ämter bisher stets am ersten Mai stattgefunden. Aber warum auf diesen Tag warten, der überdies nahe bevorstand, zumal unter den von Rat und Ausschuß angenommenen Forderungen der Gemeinde die Wiederherstellung und Erweiterung der alten Stadtverfassung oben an stand und der Ausschuß längst mit dem Äußeren Rate zu einer Körperschaft verschmolzen war?

So trat dieselbe denn in dem großen Rathaussaale, in dem das Blutgericht gehegt wurde, nach altem Herkommen zusammen. Es war eine heiße Wahlschlacht, alle Leidenschaften waren entflammt. Aber der Ausgang entsprach nicht den Hoffnungen der Bewegungsmänner. Sieben Mitglieder des Inneren Rates wurden nicht wieder gewählt und ihrer Ämter entkleidet, darunter Konrad Eberhard und Georg Hörner. Auch Erasmus von Muslor und Hieronymus Hassel gelangten nicht wieder in den Inneren Rat, wurden jedoch durch Ämter entschädigt. Bitter wurde Stephan von Menzingen enttäuscht. Er hatte nichts Geringeres 437 erwartet, als auf den Stuhl des ersten Bürgermeisters erhoben zu werden, mußte sich aber an dem Amte eines der drei Steuerer genügen lassen. Zum ersten Bürgermeister wurde Georg Bermeter erkoren, und wie dieser so gehörten die Neugewählten fast sämtlich der gemäßigten Partei an, Denn das Vermögen der Bürger bestand hauptsächlich aus Fruchtfeldern und Weinbergen und aus den Gülten, Zinsen und Gefällen, welche auf den Bauerngütern ruhten. Da die Bauern aber diese Abgaben abgetan wissen wollten, ja, viele sie schon am 1. April nicht mehr entrichtet hatten, so sahen sich die Bürger vom Ruin bedroht, zumal die geistlichen Güter nicht groß genug waren, um sie für ihre Verluste zu entschädigen. Sie schlossen sich daher an die Partei der Alten an. Die Freiheit wollten sie wohl, aber sie wollten auch das Recht, die Hörigen und Bauern nach wie vor für sich ausbeuten zu dürfen. Es blieb daher die Machtfrage auch nach den Neuwahlen zwischen den Alten und den Neuen in der Schwebe. Ein wirtschaftlicher Abgrund trennte sie und der Ausschuß wußte ihn nicht zu überbrücken, es sei denn durch eine Gewalttat.

Die Wahlen dauerten bis zum Abend. Als Stephan von Menzingen heimkam, lasen Frau und Tochter in seinen erregten Mienen, seinen blutunterlaufenen Augen die Niederlage seines Ehrgeizes. Seit dem Bruche mit Max war er stets in einer so gereizten Stimmung, daß jede Frage der Seinigen seine üble Laune noch verschlechterte. Sie wagten deshalb auch jetzt nicht, ihn über den Ausfall der Wahlen zu befragen. In banger Vorahnung hatten sie Fassung in dem »Buche der Bücher« gesucht. Else beugte sich über dasselbe und die reichen braunen Locken verschleierten ihr feines Gesicht. Frau Margarethe hatte zuhörend die Hände im Schoße gefaltet. Bei dem Eintritte ihres Vaters verstummte Else.

»Was leset Ihr?« fragte er, nachdem er eine Weile 438 schweigend hin- und hergegangen war.

»Die Leidensgeschichte des Herrn,« antwortete die Gattin leise.

»Wohl, wohl. Wer ihnen das Heil bringt, den kreuzigen sie!« rief er und warf sich in den hochgelehnten Sorgenstuhl.

Else schaute ihn mit weitgeöffneten Augen an, aber er wurde dessen nicht gewahr. »Lies weiter«, befahl er rauh.

Das Mädchen gehorchte. »Sie griffen ihn aber und führten ihn und brachten ihn in des Hohenpriesters Haus. Petrus aber folgte von ferne. Da zündeten sie ein Feuer an mitten im Palast und setzten sich zusammen, und Petrus setzte sich unter sie. Da sahe ihn eine Magd sitzen bei dem Lichte und sahe eben auf ihn und sprach zu ihm: Dieser war auch mit ihm. Er aber verleugnete ihn und sprach: Weib, ich kenne ihn nicht. Und über eine kleine Weile sah ihn ein anderer und sprach: Du bist auch deren einer. Petrus aber sprach: Mensch, ich bin es nicht. Und über eine Weile, bei einer Stunde, bekräftigte es ein anderer und sprach: Wahrlich, dieser war auch mit ihm, denn er ist ein Galiläer. Petrus aber sprach: Mensch, ich weiß nicht, was Du sagest. Und alsobald, da er noch redete, krähte der Hahn. Und der Herr wandte sich und sah Petrum an. Und Petrus gedachte an des Herrn Wort, das er zu ihm gesagt hatte: Ehe denn der Hahn krähet, wirst Du mich dreimal verleugnen. Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.«

Elses weiche Stimme erlosch in Tränen. Die Mutter hatte ihr Gesicht mit den Händen verhüllt. Ihr Gatte aber rief mit Bitterkeit: »Und dann führten sie ihn hinaus und geißelten ihn. Wohl, wohl, ich kenne das, es ist die Art des Pöbels zu allen Zeiten. – Gebt mir Wein, mich dürstet!«

Am siebenten des Maien, demselben Sonntage, an welchen die schwarze Hofmännin ihren schmerzlichen 439 Erinnerungen auf der Richtstätte Hans Böheims nachhing, nahm Max in dem Hause des Fräuleins von Badell Abschied von Else. Das Fräulein hatte ihm ein Darlehen für die Reise aufgezwungen und er es nehmen müssen, wenn er sie nicht ernstlich böse machen wollte. »Wozu hab' ich den schnöden Mammon?« sagte sie. »Daß ich mit ihm die gute Sache unterstütze, ist doch alles, was ich für sie tun kann, da ich, leider Gottes! ein Weib bin.« Ohne ihren Beistand hätte Max auch kaum gewußt, wie er nach Heilbronn kommen sollte. Beklemmten Herzens wegen der nahen Trennung gingen die Liebenden zwischen den Blumenbeeten des Gartens, der hinter dem Hause des Fräuleins von Badell an der Stadtmauer lag. Sie hielten einander fest bei den Händen und sprachen mehr durch schmerzlich zärtliche Blicke als durch Worte. Gefühl war alles. Die Sonne warf schräge Strahlen in das Gezweig der Kirschen-, Birn- und Apfelbäume. Der Flieder duftete, Meisen, Ammern und Finken erfüllten mit süßem Wohllaut die Luft.

»Morgen um diese Zeit, wie wirst Du dann so weit sein?« sprach Else leise, indem sie stehen blieb. Sie wollte Max das Herz nicht noch schwerer machen, allein der Schmerz durchbrach den letzten Damm ihrer Selbstbeherrschung. Sie umschlang seinen Hals, und heiße Tränen stürzten aus ihren Augen. Er drückte ihre zarte Gestalt fest an sich, und die Lippen beider verschmolzen wie für die Ewigkeit. Dann legte Else ihre Stirn gegen seine Brust, und er streichelte sanft ihr weiches Haar. »Ich werde Dir fleißig schreiben, und Fräulein von Badell wird Dir meine Briefe an Dich übergeben,« versuchte er sie zu trösten. »Wir sehen uns hoffentlich bald wieder, Geliebte.«

»Und dann?« fragte sie, indem sie den Kopf hob, mit einem Seufzer und blickte ihm trübe in die Augen. »Der Vater wird Dir seinen Undank gegen Dich nie verzeihen und – ich will und darf ihn nicht anklagen, 440 ich verstehe ihn nicht. Ach, wie schrecklich ist diese Zeit, daß sie Väter und Söhne, Eltern und Kinder von einander reißt und sie feindlich einander gegenüber stellt! Auch unser Glück wird sie wie so vieles andere mit ihrem ehernen Fuß zertreten.«

»Wie, ist das mein mutiges Mädchen?« fragte er mit zärtlichem Vorwurf und führte sie zu einer Bank, welche von Gebüsch gegen die Sonne verschattet wurde.

»Verzeihe mir, Geliebter,« bat sie und trocknete die Tränen mit dem Tüchlein, das sie aus der Gürteltasche zog. »Es erleichtert das Herz, daß ich einmal klagen darf. Ich darf es ja sonst nicht, um der Mutter willen, die selbst so schwer leidet und mit den schwärzesten Ahnungen in die Zukunft schaut. Aber glaube nicht, daß die Mutter schwach ist; sie leidet nicht um ihretwillen, sondern um uns, um den Vater.«

»Ich verehre Deine Mutter, als ob sie die meinige wäre, zumal ich die meinige kaum gekannt habe,« sagte Max und legte seinen rechten Arm um Elsens Hüften. »Aber glaube mir, sie sieht zu schwarz in die Zukunft. Diese Stürme, die jetzt toben, müssen sich ja eines Tages legen. Es ist mit ihnen wie mit den Frühlingsstürmen.«

Else aber schüttelte das umlockte Haupt. »Ich habe es auch geglaubt,« seufzte sie, »damals als Du zuerst in unser Haus kamst; aber ich glaube es nicht mehr. Seit jener fürchterlichen Bluttat in Weinsberg ist mein Glaube dahin. O, Max, daß die erhabene Sache der Freiheit durch eine solche Tat befleckt worden ist.«

»Ich gestehe Dir, daß auch ich erschreckt und empört war, als die Kunde davon hierherkam,« gab Max zu. »Aber dann erinnerte ich mich an die unsäglichen Leiden der armen Leute und ich erinnerte mich, daß wir, ihre Herren, nie etwas getan haben, um den Keim des Menschlichen in ihnen zu pflegen und zu entwickeln. Ich gedachte der entsetzlichen Greuel, der 441 Ströme von Blut und der Brände, mit denen das Christentum seinen Siegesweg geschändet hat. Keine Idee, und sei sie die erhabenste, wird so fleckenlos, so rein zur Wirklichkeit, wie wir sie uns in unserem Geiste denken. Die Kämpfer für dieselbe sind eben Menschen und darum von menschlichen Leidenschaften nicht frei. Und, mein holdes Lieb, das Werk, an dem mitzuarbeiten ich berufen bin, hat ja den Zweck, die trübe Gärung zu klären, die Leidenschaften durch das Gesetz zu zügeln, die Freiheit aller festzustellen und zu befestigen für alle Zeit. Damit, Geliebte, werden auch die Hindernisse fallen, die Dein Vater unserer Vereinigung entgegenstellt, und auf dieser Grundlage der allgemeinen Freiheit der Bau unseres Glückes sich erheben.«

Er redete mit solcher Wärme und Überzeugung, daß Elses Liebe gern zu seiner Anschauung sich bekehrte. Vertrauensvoll schmiegte sie sich an seine Brust und die Hoffnung entfaltete wieder ihre farbigen Schwingen. Beide vergaßen nicht die Trennung, aber dieselbe ließ sie das Glück des ihnen noch gegönnten Beisammenseins um so voller auskosten.

Elses Namen tönte durch den Garten. Ihre Mutter rief ihn. Es war Zeit zum Heimgang. In eine letzte Umarmung, in einen letzten Kuß preßten die Liebenden all ihr Gefühl. Dann riß Else sich los, im Enteilen noch einen letzten Blick, einen letzten Gruß mit ihrer weißen Hand dem Geliebten sendend.

»Auf Wiedersehen, geliebtes Leben,« rief er ihr mit gepreßter Stimme nach.

Vor Tau und Tag war er auf dem Wege nach Heilbronn. Er erreichte es ohne Fährlichkeiten, wenngleich häufig aufgehalten. Denn in allen Dörfern, durch die er kam, wurde er einem scharfen Ausfragen unterworfen über das Wer, Woher, Wohin? Der Anblick des weiten, an Wein und Korn reichen Tales, in dem Heilbronn liegt, verscheuchte die düsteren Bilder so 442 mancher Brandruinen wie der der Weibertreu, als er, gleich hinter Weinsberg links abbiegend, nun zwischen goldig flimmernden Rebenhügeln gegen die Stadt hinunterritt. Wendel Hipler erwartete ihn bereits in der Herberge zum Falken, wo ihn Max unter Papieren vergraben fand. Es war die erste Begegnung beider in ihrem Leben. Prüfend schauten sie einander in die Augen und dann reichten sie sich gleichzeitig die Rechte und ein kräftiger Händedruck bezeugte ihr gegenseitiges Vertrauen.

»So, wie Ihr da vor mir steht, habe ich mir, nicht Eure Züge, wohl aber den inneren Menschen, der aus ihnen spricht und den ich ja schon aus Euren Briefen an Florian Geyer und aus Eurer Antwort auf meine Einladung kenne, vorgestellt,« sprach der Kanzler mit Wärme und nötigte Max, sich zu ihm zu setzen, worauf er fortfuhr: »Und nun, lieber Doktor, erzählet mir, wie die Dinge in Rothenburg ausschauen. Der Menzingen hat mich schon seit einiger Zeit ohne Nachrichten gelassen.«

Max Eberhard berichtete so unparteiisch wie möglich über die Vorgänge in seiner Heimatstadt. Hipler, der ihm aufmerksam zuhörte, äußerte, als er schwieg, mit einem Seufzer: »Es ist ein Unglück, daß der Blick dieser freien Städte nicht über ihre Ringmauern hinausgeht. Sie gleichen den Austern in der Schale. Die ganze Welt draußen mag zugrunde gehen, wenn nur ihr eigenes Ich unbeschädigt erhalten bleibt. Aber wir wollen ihre Schalen aufbrechen; sie müssen sich in das Ganze einfügen. Nur so kann der unseligen Zerstückelung des Reiches durch den Egoismus ein Ende gemacht werden.«

»Verzeihet mir die Bemerkung, Herr Kanzler,« äußerte Max. »Habet Ihr der Zerstückelung nicht selbst einen Vorschub geleistet, indem Ihr den Götz von Berlichingen zum obersten Hauptmann der Odenwäldler und Neckarthaler wählen ließet, während die Wahl 443 Florian Geyers die damals zu Weinsberg versammelten Heerhaufen der Bauern zusammengekittet haben würde?«

»Scheinbar habet Ihr recht«, nickte Hipler ihm zu. »Aber es brauchte eines Mannes, der den Feinden Vertrauen einflößt und sich einer gewissen Beliebtheit bei den Bauern erfreut. Diesen Anforderungen entsprach der Götz. Persönlich schätze ich keinen Mann höher als den Ritter Florian, und auch ein bewährter Kriegsmann ist er. Allein die Bauern kennen ihn nicht und bei ihrem Hasse gegen den Adel würden sie ihn nicht als obersten Hauptmann angenommen haben. Ich durfte es wagen, den Götz ihm vorzuziehen, weil ich gewiß weiß, daß Geyer der Sache der Freiheit seine Person bereitwillig unterordnet. Um der Freiheit willen wird er selbst seine moralische Geringschätzung des Ritters mit der eisernen Hand schweigen heißen. Darin bin ich mit ihm einverstanden, daß in dem neuen Reiche, das wir aufrichten wollen, die Standesunterschiede aufhören müssen. Aber man darf ihnen nicht mit Gewalt ein Ende machen; man muß sie allmählich absterben lassen.«

»Und wie wolltet Ihr dies zuwege bringen?« fragte Max gespannt.

»Ich will's Euch andeuten,« erwiderte Wendel Hipler mit einem leisen Lächeln. »Denn ich bin sicher, daß Ihr mich alsdann um so nachdrücklicher bei den Beratungen über die neue Reichsordnung, die morgen ihren Anfang nehmen sollen, unterstützen werdet. Die bei Würzburg jetzt lagernden ostfränkischen Haufen haben zu diesem Behufe zwei Abgeordnete geschickt, Bauern zwar, aber mit großer Erfahrung und mit einem ungewöhnlichen Verstande begabt. Es bewahrheitet sich auch hier wieder, daß in Zeiten großer Bewegung sich stets die geeigneten bedeutenden Männer heranbilden. Nun wohl; den Neckar vertritt Hans Berle von hier, ein feiner politischer Kopf. Aus dem schwäbischen 444 Oberlande sind keine Abgeordneten eingetroffen. Sie können keinen Mann entbehren, wie sie schreiben, da der Truchseß von Waldburg sich gegen sie zu wenden scheine. Sie haben es aber nicht bei einer Entschuldigung bewenden lassen, sondern allerlei Vorschläge für die neue Reichsordnung eingesandt. Die fränkischen Haufen haben dasselbe getan. Schauet diesen Haufen Schriften! Es ist manches Brauchbare darunter. Ich werde sie morgen vorlegen und darüber berichten. Das beste ist unstreitig ein auf die zwölf Artikel gestützter Entwurf meines Freundes Weigand, des Amtskeller von Miltenberg. Doch das Reden trocknet die Kehle aus. Entschuldigt mich einen Augenblick.«

Einen Glockenzug oder eine andere Vorrichtung, um einen dienstbaren Geist herbeizulocken, gab es in der Stube nicht, wie solche damals überhaupt in den Zimmern der Gasthöfe fehlten. Die Zimmer dienten nur zur Nachtruhe. Wendel Hipler machte sich daher selbst auf die Suche nach einem Aufwärter. Es dauerte eine ziemliche Weile, bis er einen solchen fand, und wieder verfloß eine geraume Zeit, bis derselbe, mürrisch, in seiner anderweitigen Arbeit gestört worden zu sein, Wein und Becher brachte. Wendel Hipler erzählte unterdessen seinem jungen Freunde von Weigand, seiner schriftstellerischen Tätigkeit für die Bewegung und seiner geistigen Bedeutung. Nachdem er dann die Becher mit einem guten Neckarwein gefüllt, mit Max angestoßen und beide getrunken hatten, nahm er wieder das Wort in folgender Weise:

»Um also auf unseren Gegenstand zurückzukommen! Aus welchen Quellen strömt die große Macht der Geistlichkeit, der Fürsten und des Adels, wenn nicht aus ihren Einkünften aus den indirekten Steuern, den Zöllen, Geleiten und der Gerichtsherrschaft. Wohlan, diese Quellen hören im neugeordneten Reiche zu fließen auf. Es wird keine Zölle und Geleite mehr geben, noch Umgeld, außer den Zöllen, welche 445 erforderlich sind, um Brücken, Wege und Stege zu unterhalten. Alle Straßen werden frei sein. Dazu soll fortan alles weltliche Recht, das bisher im Reiche gebraucht wurde, ab und tot sein und das göttliche und natürliche Recht allein gelten, damit der arme Mann so viel Zugang zum Recht habe, als der Oberste und Reichste. Nach diesem Rechte sind auch alle Städte und Gemeinden zu reformieren und alle Bodenzinse ablösbar. Erwäget Ihr dieses alles Punkt für Punkt, so werdet Ihr mir zugeben, daß damit die Prälaten zu einfachen Predigern, die Fürsten und Herren zu größeren oder kleineren Grundbesitzern, die Patrizier zu einfachen Bürgern werden, und zwar alle unter einem Haupte, dem Kaiser, dem keine andere Steuer als alle zehn Jahre einmal die Kaisersteuer entrichtet wird. Das neue Reich wird nur aus lauter Freien und Gleichen bestehen.«

»Das ist in der Tat unbestreitbar«, rief Max lebhaft.

»Ihr merket schon, daß ich den römischen Juristen, die Ihr ja nicht sonderlich liebt, obgleich Ihr auch einer seid, dabei an den Kragen gehe«, fuhr Hipler fort. »Eine Reform des Rechts und der Gerichte, so wie deren Verfahren ist ohne dem nicht denkbar. Daher verlange ich, daß kein Doktor des römischen Rechts zu einem Gericht oder in eines Fürsten Rat zugelassen werde. Es soll überhaupt an jeder Universität nur drei Doktoren des Rechts geben, um sie vorkommenden Falles zu Rate ziehen zu können. Dasselbe ist von den Geistlichen zu fordern. Kein Geweihter, hohen oder niederen Standes, darf in des Reiches Rat sitzen oder als anderer Fürsten und Gemeinden Rat gebraucht werden; keiner kann ein weltliches Amt bekleiden.«

»Dazu sage ich von ganzem Herzen Ja und Amen«, sprach Max mit glänzenden Augen.

»Nun aber die Fundamente! Alle Geweihten hohen und niederen Standes und Namens werden reformiert 446 und erhalten ziemliche Notdurft; ihre Güter fallen zu gemeinem Nutzen. Auch alle weltlichen Herren werden reformiert, damit der arme Mann nicht über christliche Freiheit beschwert werde. Gleiches, schleuniges Recht, ich wiederhole es, dem Höchsten wie dem Geringsten. Gegen ein ehrlich Einkommen sollen Fürsten und Edle die Armen schützen und sich brüderlich halten, und damit sie fürder nit schaden können, sind alle Bündnisse der Fürsten, Herren und Städte aufzuheben. Überall nur Schirm und Schutz des Kaisers. Der Adel soll aber von jedem geistlichen Lehensverbande frei sein. Und wie es nur einen Schutz und Schirm geben darf, so auch nur eine Münze von festgestelltem Gehalte und gleiches Maß und Gewicht im ganzen Reiche.«

Er feuchtete die Lippen durch einen Schluck aus seinem Becher an, worauf er fortfuhr: »Schlimmer noch als die meisterlose Gewalt der Großen ist der Wucher; er darf die Seele des neuen Reichs nicht vergiften. Den großen Handlungshäusern, den Fugger, Welser und wie sie sonst noch heißen mögen, muß ein fester Riegel vorgestoßen werden, daß sie nicht wie bisher allein oder mit anderen verbunden durch ihre großen Geldmittel auf einzelne Handelsartikel ein Monopol sich erwerben, um dieselben für ungeheure Wucherpreise wieder zu verkaufen. – Doch, wo bin ich hingeraten? Ich wollte Euch dartun, durch welche Anordnungen es bewerkstelligt werden könnte, daß Geistlichkeit, Fürsten und Adel in der Gemeinfreiheit von Land und Stadt unschädlich aufgehen und habe so ziemlich alle Punkte berührt, die in einer Ordnung und Reformation zu Nutz und Frommen und Wohlfahrt des Deutschen Reiches zu erledigen wären.« Er suchte unter den Papieren auf dem Tische etliche Bogen hervor, die mit seiner großen und festen Handschrift bedeckt waren, und reichte sie Max Eberhard mit den Worten: »Ich habe meinen Entwurf zu Papier gebracht. 447 So Ihr Euch noch des näheren und in der Ordnung mit demselben vertraut machen möchtet, steht er Euch zu Diensten.«

Der junge Doktor nahm das Schriftstück mit warmem Dank entgegen. Seine ganze Ideenwelt war durch das Gehörte in die größte Aufregung versetzt. Mit aufrichtiger Bewunderung blickte er auf den Kanzler. Dieser ergriff noch einmal das Wort und sagte: »Ich hatte bei der Durchführung des Entwurfes, falls er gebilligt werden sollte, auf den Beistand eines edlen Fürsten gehofft. Aber er, der Edle und Weise, der ein Vater aller Evangelischen war, weilt nicht mehr unter den Lebenden. Ich meine den Kurfürsten Herzog Friedrich von Sachsen. Er ist am fünften dieses Monats des Todes erblichen.«

»Das ist allerdings ein schwerer Verlust für die protestantische Sache«, bemerkte Max teilnahmsvoll. »Aber Herr Hipler«, fuhr er fort, indem er die zu einer Rolle gestalteten Papiere in die Höhe hob, »in diesem Zeichen werden wir siegen.«

»Ich hoffe es zu unserer gerechten Sache«, erwiderte Hipler mit einem wohlwollenden Lächeln über das schöne Feuer seines jungen Freundes und reichte ihm zum Abschiede die Hand.

Nachdem beide am nächsten Morgen das Frühmahl gemeinschaftlich in der Gaststube eingenommen hatten, begaben sie sich nach dem Rathause, einem spätgothischen Bauwerke, zu welchem von dem Marktplatze eine hohe Doppeltreppe hinaufführt. Der Kastellan empfing sie auf dem großen Flur, dessen Balkendecke hölzerne Pfeiler trugen, und wies sie in den Sitzungssaal zur Rechten, welchen der Stadtrat für ihre Beratungen bestimmt hatte. Es war dasselbe Zimmer, in welchem Götz von Berlichingen vor fünf Jahren den wohlweisen Rat mit Ohrfeigen von seiner eisernen Hand bedrohte, die »Kopfweh, Zahnweh und alles Weh der Erden aus dem Grunde kurieren«. 448 Unmittelbar nach jenen kamen die beiden Bauernräte, Peter Locher aus Külsheim und Hans Schickner aus Weißlensburg. Es waren kräftig gebaute Männer mit groben, aber charaktervollen Zügen und von bedachtsamem, sicherem Wesen. Max konnte sich überzeugen, daß ihre Finger steif, ihre Hände hart wie Eisen waren. Langsam schlossen sie sich um die seinige, wie in einem vorsichtig prüfenden Drucke. Hans Berle folgte den beiden mit einer höflichen Entschuldigung, sich verspätet zu haben. Wendel Hipler führte den Vorsitz.

Max hatte noch bis tief in die Nacht hinein dessen Verfassungsentwurf, der den Beratungen zugrunde gelegt wurde, studiert. Je tiefer er sich in denselben hinein las und dachte, je höher stieg seine Achtung vor dem scharfen politischen Verstande des Verfassers, seinem weiten Blick, der Größe oder, wie man es heute heißt, der Genialität seiner Gedanken und der Klugheit, mit welcher die gegen Klerus, Herren und Adel gerichtete Spitze des Entwurfes verborgen war.

 


 


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