Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Zweites Kapitel.

Eine Abteilung der Schwarzen Schar zog mit einem Trommelschläger an der Spitze durch die Gassen von Würzburg. Auf allen Plätzen machte sie Halt, die Trommel wurde gerührt und der Rottenführer verlas vor dem zusammenlaufenden Volke mit weithin vernehmbarer Stimme einen Befehl der obersten Hauptleute und Räte der Bauern. Aller Unfug auf den Gassen und jeder Auflauf wurde streng untersagt; wer fortan sich unterstünde, die innere Ruhe zu stören und Meuterei unter den christlichen Brüdern zu machen, der sollte an den Galgen gehenkt werden. Es wurden auch sogleich deren drei auf dem Fischmarkt, dem Judenplatz und hinter dem Dome errichtet. Da sah man wohlhabende Bürger und selbst Geistliche mit Hand anlegen, während die Menge murrend dabei stand und die Gassenbuben und Lehrlinge gellend auf ihren Fingern pfiffen.

Diese Maßregel war auf den Antrag Florian Geyers ergriffen worden, der ferner veranlaßte, daß etliche Fähnlein aus Heidingsfeld in die Stadt und in die Höfe der Dominikaner, welche entflohen waren, gelegt wurden. Ihnen beigegeben wurde ein ehemaliger Augustinermönch namens Ambrosius, der ihnen täglich früh um vier Uhr im Dome eine Predigt über die Psalmen Davids hielt; ein anderer Geistlicher sang ihnen deutsch die Messe. Der Kirchner des Doms mußte am frühen 472 Morgen bei allen geistlichen Höfen umherlaufen und die Einlieger wecken. Bruder Ambrosius, dessen bürgerlicher Name Friedrich Süß lautete, war des Klosterwesens überdrüssig geworden, nachdem er in Schmalkalden die Tonsur erhalten und drei Jahre im Augustinerkloster zu Würzburg gelebt hatte. Seitdem versah er in Waldmannshofen die Pfarre als Laienpriester und hatte ein Weib genommen. Obwohl in den Schriften der Alten und der Humanisten tüchtig beschlagen und ein Geistlicher, war er dennoch ein bescheidener Mann, sinnigen Gemüts, der Lehre Karlstadts zugeneigt, und verstand es, zum Herzen zu reden.

Inzwischen war die Antwort der Besatzung vom Schlosse herabgelangt und ward auf der Kapitelstube verlesen. Der Domprobst, Markgraf Friedrich, schrieb, daß er und die Besatzung des Frauenberges nach wie vor bereit wären, die zwölf Artikel zu beschwören und in den evangelischen Bruderbund einzutreten; das Schloß aber übergeben, würden und könnten sie nicht, ob man ihnen auch Gut und Leben zusichere.

»Loset, wie der Bischof sie gesteift hat,« rief des langen Lienharts tiefe Stimme.

»Es ist die Sprache eines ehrlichen Mannes,« ergriff Götz das Wort und drang wieder darauf, daß man das Erbieten des Domprobstes annehme. Der Schwur auf die zwölf Artikel sei ebenso gut, als ob sie das Schloß zu eigenen Händen hätte . . .

»Ei, Herr Götz, seid Ihr aus der Pfaffen Feind ihr Freund geworden, daß Ihr ihrem Eid' traut?« höhnte der Brettheimer Metzler.

»Und der Adel hält nit mal seinen Herren die beschworene Lehnspflicht, was haben wir geringen Leute von ihm zu erwarten?« sagte der Schreiner Hans Schnabel aus Bildhausen. »Unterhandeln und dann hinterrücks dreinschlagen! Hätt' der Helfensteiner als ein Biedermann an uns sich erwiesen, er lebte heute noch.« 473

»Und hier sind die Folgen der verruchten Mordtat,« rief Götz von Berlichingen und zog ein bedrucktes Blatt aus seinem Wams hervor.

»Tod und Teufel,« fuhr der lange Lienhart mit funkelnden Augen auf. »Braucht das Wort noch mal und ich stopf' es Euch mit meinem Schwert in die Fresse zurück!«

»Ruhe, lasset den Götz reden,« ermahnten die Pfarrer unter den Räten, und Götz, der den langen Lienhart wie verwundert angeblickt hatte, fuhr fort: »Die Folge ist, daß auch Luther, der es doch gut mit den Bauern gemeint, jetzt sich von ihnen gewend't hat. Er rufet in diesem Blatte die Herren auf, wider die mordischen und räuberischen Rotten der Bauern, wie er's überschreibt. Die Bauern hätten das Evangelium nur zum Schein vorgewendet und sich durch den Aufruhr rechtlos gemacht. ›Darumb (las er) soll sie zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, und gedenken, daß nichts Giftigeres, Schädlicheres, Teuflerisches sein kann, denn ein aufrührerischer Mensch. Gleich wie man einen tollen Hund totschlagen muß!‹ Wenn die Obrigkeit sogleich zur Gewalt greifen wolle, so sei sie im vollen Rechte. Diejenigen, welche zaudern, machten sich selbst der Begünstigung schuldig. ›Darumb (so las Götz wieder), darumb, liebe Herren, loset hie, rettet hie, helft hie, erbarmet Euch der armen Leut, steche, schlage, würge sie, wer da kann. Bleibst Du darüber tot, wohl Dir, seligeren Tod kannst Du nimmermehr überkommen.‹ – Also lasset uns nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen und nehmen wir die Bedingungen des Domprobstes an.«

»Im Gegenteil, Ihr Brüder, da heißt's erst recht aufgeschaut,« bemerkte Hans Pezhold, der Schultheiß von Ochsenfurt, während Florian Geyer die Hand nach dem gedruckten Blatte ausstreckte. »Er hat viel Zeit gebraucht, um seinen Ärger über die Tat zu Weinsberg zum Sieden zu bringen.« äußerte er, und der Pfarrer Leonhard Denner, der ihm über die Schulter nach dem 474 Datum geblickt hatte, setzte hinzu: »Vom sechsten Mai! Wie ist mir denn, war tags zuvor nicht Sachsens Kurfürst, der weise Friedrich, gestorben, der seinen mächtigen Schild über unseren Glauben hielt?«

»Und das Blut unserer Brüder, das der Helfenstein während dem Stillstand und der Truchseß Jörg an der Donau vergoß, wider alles Kriegsrecht vergoß, galt das dem Luther nichts?« zischte Leonhard Metzler. »War's etwan Wasser?«

»Nix da, der Marienberg muß unser sein!« rief Jakob Köhl.

Götz blickte in lauter finstere und drohende Gesichter und erkannte zu spät, daß er sich in dem Mittel, die Bauern einzuschüchtern, vergriffen hatte. Der Pfarrer Bubenleben rief: »Schreibet dem Probst, daß er den Marienberg auf Gnad und Ungnad übergeben muß. Wir wollen keinen Vertrag.«

»Das Schloß muß zerrissen und zerschmissen werden, und das sag' ich, der Hans Kolbenschlag!« So rief der oberste Hauptmann des Tauberhaufens und schlug mit der Faust dröhnend auf seine breite Brust.

»Wie? Was? So lauteten Euere Anträge neulich nicht, Bubenleben,« hielt Götz mit feuerrotem Gesicht diesem entgegen.

Georg Metzler kam ihm zu Hilfe. »Es sind die Würzburger, die heut' aus ihm reden. Was, wollet Ihr vor der Tauber es etwa nit wahr haben, daß der Bermeter, der Grünewald, der Leminger, der Wirzberger und wie sie alle heißen mögen, täglich in Euer Lager gekommen sind und auch mit dem Köhl und dem Pezhold verhandelt haben? Wir kennen die Noten, nach denen Ihr blaset.«

»Und wir werden sie Dir in die Ohren blasen, daß Dir das Trommelfell platzt,« rief Jakob Köhl. »Die Würzburger sind unsere Brüder und sie haben recht, wenn sie das Schloß zerstoßen wollen.«

»Aber so nehmet doch Vernunft an«, beschwor Götz 475 die Widersacher. »Es wär' doch zum Erbarmen, wenn Ihr einem Fürsten, der sich so hoch und viel erboten hat, nicht ein einziges Haus lassen wollet.«

Da erhoben viele ein Lachen und von Florian Geyers Stirn schwand die dunkle Wolke des Nachdenkens, die sie bisher verhüllt hatte. Mannhaft ergriff er das Wort. »Um darein zu wohnen, braucht's nur ein Haus mit einer einzigen Tür. Der Bauer hat auch nit mehr denn eine. Ich begreif's, daß den Würzburgern der Marienberg ein Dorn im Aug' ist. Sie haben in unseren Freiheitsbund geschworen, wie unzählige andere Gemeinden auch. Wohin aber kämen wir, wenn wir, um dem einen Bruder zu Willen zu sein, das Wohl der anderen aus den Augen setzten und das Gesamtwohl schädigten? Für unser aller Freiheit haben wir zum Schwert gegriffen und sie muß unsere Richtschnur sein. Um wirklich frei zu werden, bleibt uns noch so viel zu tun übrig, daß wir die kostbare Zeit nicht mit der Belagerung des Marienberges verlieren dürfen. Rasch entschlossen müssen wir handeln, oder die Feinde kommen uns zuvor. Meine Sprache neulich hat die Gesandten nur gefügiger machen sollen und in diesem Sinne habe ich auch die Anträge des Pfarrers von Mergentheim aufgefaßt. Daß es vergeblich war, hat uns die Antwort des Probstes gelehrt, die heut verlesen worden. Mir geht aus dem Schreiben klärlich hervor, daß sie alles zu gewinnen hoffen, wenn sie Zeit gewinnen. Darum wollen sie uns hier festnageln. Unser großes Heer soll hier so gut wie müßig liegen, soll dem Kampfe unserer Brüder um die Freiheit entzogen werden, um den Feinden das Spiel zu erleichtern, und wir tappen blindlings in die uns gestellte Falle. Wer im Kampfe für die Freiheit auch nur einen Augenblick verzieht, der ist schon halb besiegt. Vorwärts! muß unsere Losung sein. Vorwärts! Dran! Dran!«

Der lange Lienhart wiederholte mit seinem Baß den Schlachtruf der anstürmenden Lanzknechte und 476 sämtliche Hauptleute fielen ein, indem sie an ihre Schwerter oder mit den Fäusten auf den Tisch schlugen.

»Also dran, stürmen wir den Marienberg,« rief der Pfarrer Bubenleben.

»Also vorwärts,« rief Florian Geyer ihm entgegen. »Vorwärts auf Bamberg, zwingen wir auch dort den Bischof, die zwölf Artikel anzunehmen, und verbrüdern wir uns mit Nürnberg, wie wir es bereits in Weinsberg beschlossen haben.«

»Und unterdessen wirft sich der Domprobst Friederich racheschnaubend auf die Stadt,« unterbrach ihn der Mergentheimer Pfarrer.

Florian Geyer ließ den Einwand zunächst unbeachtet. Er fuhr fort: »Diese Bewegung zwingt den Truchseß Jörg, seinen bluttriefenden Zug nach dem schwäbischen Oberland aufzugeben. Wir, durch die Bamberger und Nürnberger verstärkt, schlagen ihn sicher. Unsere Brüder im Oberland, in Württemberg, am Rhein, auf dem Schwarzwald, in Thüringen bekommen Luft und schöpfen frischen Mut. Die Macht des Schwäbischen Bundes ist gebrochen, bevor sie sich auswachsen konnte. Die Fürsten lähmt vollends der Schreck, denn jetzt kommt nach den Bischöfen die Reihe an sie. Der Marienberg fällt von selbst in unsere Hände und die Würzburger mögen ihn dann meinethalben zerreißen. Die Marienburg ist stark durch ihre Mauern, nicht durch ihre Besatzung. Um vor ihrer Rache, falls der Domprobst seinen Eid brechen sollte, Würzburg zu schützen, genügt es vollkommen, wenn wir zu seiner Beobachtung einen Teil unseres Heeres zurücklassen. Aus allen diesen Gründen bin auch ich der Meinung, daß wir die Bedingungen des Domprobstes annehmen. Wir müssen vorwärts.«

»Aber wir haben unseren Brüdern von Würzburg das Wort gegeben, daß wir den Frauenberg zerstören wollten,« wandte Jakob Köhl eigensinnig ein. »Wir kommen ohne dieses nit aus.« 477

»Was kann es denn auch verschlagen, ob wir ein Bissel früher oder später auf Bamberg ziehen?« meinte der Pfarrer Bubenleben. »Stürmen wir geschwind erst das Schloß. Das wird auch dem Bamberger einen gar heilsamen Schrecken einjagen.«

»Ja, stürmen wir erst das Schloß,« fielen ihm die Tauberthaler und Hauptleute des Frankengaues zu. »Dran, dran!«

Götz hieb mit seiner linken Eisenfaust zornig auf den Tisch, der lange Lienhart brach in ein grimmes Hohnlachen aus. Das Blut Florian Geyers durchbrach die Schleusen seiner Selbstbeherrschung, und er rief: »Ihr seid wie die Weiber. Immer kommen sie auf ihr erstes Wort zurück, ob man ihnen auch Stunden lang Vernunft predigt. Wenn Ihr auch nur etwas vom Krieg verstündet, so würdet Ihr den Vertrag nicht hindern. Euch aber scheint mehr an der Gunst der Würzburger und an dem Schlemmerleben in diesem Capua zu liegen, als an der evangelischen Freiheit. Wenn's recht zuginge, sollte kein Pfaff in diesem Rat sitzen.«

Dagegen schrie der Pfarrer Bubenleben mit rotem Kopf: »Und ich sage Dir, Bruder Geyer, man soll keinem Edelmann in diesen Sachen trauen. Wir ziehen nit von hier, es sei denn zuvor das Schloß übergeben.«

»Freilich, Du gewinnst's mit Singen und Beten,« versetzte Florian Geyer mit flammenden Augen. »Aber ich sage Dir, Bubenleben, hätte ich Deinen schwanken Sinn und derer aus dem Taubertal und dem Frankengau anfänglich gewußt, bei Gott, Ihr hättet meinetwegen all' erstochen werden können, ehe denn, daß ich zu Euch gekommen wäre. Solches ist des Teufels Bruderschaft, aber nit dem Evangelium gemäß.«

Die Leidenschaften waren entfesselt und beide Parteien tobten gegen einander. Einige Hauptleute rissen sogar ihre Klingen aus den Scheiden. Der lange Lienhart dröhnte, man müsse den Dickschädeln über die Köpfe hauen, damit der Verstand hinein könnte. Götz 478 haderte mit Köhl, der bisher seinem Einfluß nicht ungeneigt sich gezeigt hatte. Der hagere Pfarrer Denner fuhr in alle Gruppen, um Ruhe und Frieden zu stiften. Es traute ihm jedoch niemand. Florian Geyers Hitze verflog vor der Leidenschaft der Gegner. Die Arme über der breiten Brust gekreuzt, schaute er eine Weile stumm auf das Getümmel; dann versuchte er, zu einer letzten Vorstellung sich Gehör zu schaffen. Sowie die Odenwälder, Rothenburger und Ansbacher an seiner straff sich aufrichtenden Gestalt merkten, daß er reden wollte, ließen sie vom Zank ab und riefen: »Ruhe, höret den Florian!«

»Brüder,« sprach er, »was uns bisher stark gemacht hat, war unsere Einigkeit gegenüber unseren Bedrückern. Unsere Zwietracht schaffet ihnen ein leichtes Spiel. Wollet Ihr durchaus das Schloß stürmen, obgleich es dess' nit braucht, ei, wie denn? Wo ist die Bresche, durch die Ihr eindringen könntet, oder wollet Ihr die Mauern mit Euren Köpfen einstoßen? Unsere Geschütze auf dem Klasberg sind zu schwach dazu, auch fehlt's uns an Pulver und Büchsensteinen. Die droben sind mit alle dem gut versehen. So Ihr dennoch auf Euerm Kopf besteht, alle Vorteile daran gebt, die uns ein schneller Weiterzug bringen würde, und die Feindseligkeiten eröffnet, Würzburg wäre ein Trümmerhaufen, ehe denn wir uns verschafft hätten, was uns fehlt.«

»Höret ihn, denn, bei Gott, er hat recht,« mahnte Götz eindringlich, und der lange Lienhart fügte hinzu: »Freilich hat er recht, denn er ist der einzige unter uns, der den Krieg versteht; der Bruder Götz weiß das am besten!«

Auch Georg Metzler von Ballenberg wollte reden; Jakob Köhl schnitt ihm jedoch das Wort ab und sagte: »Erst müssen wir schlüssig werden, ob wir das Anerbieten vom Domprobst Friedrich annehmen oder abweisen.« 479

»Abweisen! Abweisen!« riefen die Freunde der Würzburger, und so geschah es.

»Bruder Köhl,« höhnte der lange Lienhart, »Dein Schwert ist wohl ein Hexenbesen, sonst wüßt' ich nit, wie Du ins Schloß gelangen willst.«

Florian Geyer kaute in herbem Verdruß an seinem Schnurrbart. Götz von Berlichingen kam zu ihm. Er hatte bisher eine Annäherung an den Ritter vermieden, dem er bei Möckmühl sich hatte ergeben müssen, zumal er wußte, daß Florian Geyer um seinetwillen zu Weinsberg von den Odenwälderern sich geschieden hatte. Jetzt reichte er diesem die gesunde Rechte und sagte: »Als wie die Frösche wollen sie in dem Sumpf der Knechtschaft wieder untertauchen, aus dem sie eben die Köpfe erhoben haben; 's ist ihnen nit anders wohl. Ich wasch' meine Hände in Unschuld.«

Herr Florian berührte seine Hand nur flüchtig. Für ihn war und blieb Götz der Ritter des Faustrechts. Wenn sie auch jetzt über die zu ergreifenden Maßregeln mit einander übereinstimmten, so blieb doch die Kluft zwischen ihnen bestehen. Florian Geyer blieb dem Plane Wendel Hiplers abgeneigt: es war neuer Wein in alte Schläuche gefüllt und mußte darin verderben. Hatte man die Macht, den Staat neu zu ordnen und sollte derselbe ein Staat von Gemeinfreien werden, warum den Unterschied der Stände nicht von vornherein beseitigen und den Adel gleich abtun? Und nun war durch den eben gefaßten Beschluß diese Macht nach seiner Überzeugung bedenklich gefährdet! Aber er ließ seinen bitteren Verdruß nicht Herr über seinen Kopf werden; auch jetzt stand ihm die gemeinsame Sache höher als sein Ich und er antwortete daher:

»Nein, Herr von Berlichingen, Ihr dürfet es nicht gehen lassen, wie es will, itzt erst recht nicht. Im Gegenteil, wir müssen doppelt acht haben, daß der Teufel nicht das Spiel gewinnt.«

Götz wandte sich mit einem Kopfschütteln von ihm. 480

Er begriff es nicht, daß der Mann, dem die Bauern die Burg verbrannt und den ihre Kurzsichtigkeit eben niedergestimmt hatte, ihre Sache nicht aufgeben wollte. Schon stand er in Begriff, die Kapitelstube zu verlassen, als er wieder Florian Geyers Stimme vernahm. Er blieb und horchte. Florian Geyer stellte den Hauptleuten und Räten vor, daß sie stärkere Mittel als diejenigen, die sie besäßen, anwenden müßten, um den Marienberg einzunehmen, wenn ihnen der Beschluß, den sie soeben gefaßt hätten, nicht zum Unheil gedeihen sollte; der Ausschuß der Stadt Rothenburg hätte der Bauernschaft zu Haltenbergstedten gelobt, ihr nach allem Vermögen beizustehen, wenn sie in Not geriete. Jetzt sei der Augenblick da, die Stadt um ihr Versprechen zu mahnen und schwere Stücke, Pulver und Steine von ihr zu fordern.

Dieser Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. »Aber schonet des Papiers,« bemerkte Leonhard Metzler. »Eine geschriebene Anfrag' kriegt auch nur eine geschriebene Antwort. Auf Papier läßt sich alles schreiben und ich kenne die Bürgerschaft von Rothenburg. So Ihr was erlangen wollet: das Messer an die Kehle.«

»Gut, wir wollen Boten schicken,« sprach Köhl. »Doch anjetzo die Antwort an den Domprobst! Wir wollen's ihm bündig schreiben, daß er das Schloß übergeben muß.«

Götz erbot sich, das Schreiben zu bestellen und sie waren es zufrieden. Nachmittags ritt Graf Georg von Wertheim mit demselben in Begleitung zweier Edelleute von Hochberg hinauf. Vor dem Schlosse stieg er ab, ging allein bis an den lichten Zaun und rief hinein, daß er mit dem Adel unterhandeln wolle. Sogleich stiegen der Domprobst, Sebastian von Rotenhahn, Graf Wolf von Kastell, des Bischofs Bruder, Eustachius von Thüngen und Silvester von Schaumburg zu ihm hinaus. Ritter und Chorherren füllten Kopf an Kopf die Mauer. 481 Während Markgraf Friedrich, eine Erscheinung, welcher der Panzer gemäßer als das Priesterkleid gewesen wäre, den Brief empfing und las, fragten die anderen den Grafen Wertheim, wie er denn zu den Bauern komme, daß er für sie unterhandeln wolle?

»Nu, Ihr Herren, ich habe zu den Bauern gelobt und bin der Besatzung Feind,« erwiderte er.

Da lachten jene: »Haben wir doch keinen Fehdebrief von Dir gesehen.«

»Wie?« rief des Grafen Schwager, Wolf von Kastell, und hielt sich den Bauch vor Lachen, »Du willst mein Feind sein und ich soll Dir Deine Schwester gefreiet haben, wie reimet sich das zusammen?«

Sie waren überhaupt gar fröhlichen Gemütes, denn sie hatten von Bischof Konrad gute Nachricht erhalten. Von dem Schwäbischen Bunde sei ihm zu wissen getan, wie der Aufstand in Oberschwaben teils gestraft, teils vertragen worden und wie der Truchseß im Anzug auf Württemberg sei und dann auch der Pfalz, Mainz und Würzburg zu Hilfe kommen wolle. Sie möchten die Bauern nur noch eine kleine Weile durch Unterhandlungen hinhalten. So hatte der Bischof ihnen von Heidelberg geschrieben, und Georg von Wertheim mußte ihnen erst versichern, daß er keineswegs scherze, damit sie ihre Heiterkeit etwas dämpften.

»Nein, Ihr Herren,« beteuerte er, »wie der Henneberger und andere, so bin auch ich mit meiner Herrschaft ganz ernstlich in den evangelischen Bund getreten. Mein Fähnlein ist im Bauernheer am fürtrefflichsten gerüstet und ich führe die besten Geschütze mit mir, wohlversehen mit Pulver und Steinen, Ihr tätet wohl, das Schloß zu übergeben, alsdann will ich Euch Leib und Gut sichern. Die Bauern sind ganz des Teufels; Ihr habt ihr Ultimatum.«

Da erwiderte der Domprobst Friedrich: »Ein teurer Eid bindet uns, das Schloß mit Gefahr unseres Lebens zu verteidigen. Es kann nit anders sein.« Eingedenk der 482 ihm mitgeteilten Beobachtung, die der Dechant von Guttenberg auf der Kapitalstube des Neumünsters gemacht hatte, fuhr er wie überlegend fort: »Jedennoch soll es uns auf ein gut Stück Geld nicht ankommen, so dieses die Bauern versöhnen und sie zum Abzug bewegen könnte.«

»Geld? Geld?« rief der Graf von Wertheim höchlich überrascht.

Der Brandenburger nickte und fuhr leise fort, während seine Begleiter den Grafen enger umringten: »Das Licht und das Gold schlüpfen durch die kleinste Ritze. Ihr habt Euch dem Odenwälder Heer verbündet? Wohlan, auch Bischof Konrad soll unter Anerkennung der zwölf Artikel bis zur nächsten Reichsreformation in dessen Bund treten. Ich mache mich anheischig, seinen Hauptleuten 3000 Gulden und jedem Knecht einen halben Monatssold zu zahlen, wenn sie sich verpflichten, den Bischof, mich und die Besatzung gegen alle Feinde, die zu Heidingsfeld und anderwärts liegen, falls sie den Vertrag nicht gelten lassen wollen, zu verteidigen. Ihr sollt es schriftlich haben, so Ihr es verlanget, Graf von Wertheim.«

»Hm,« erwiderte dieser nach einigem Bedenken, »das Ding leuchtet mir ein. Es hat einen Stil, bei dem man es wohl fassen könnte.« Er tauschte ein verständnisvolles Lächeln mit dem Domprobste aus und schloß dann: »Lasset's mich schwarz auf weiß haben.«

Friedrich von Brandenburg lud ihn zu diesem Behufe in das Schloß. Er lehnte es jedoch mit dem Bemerken ab, daß es Verdacht erwecken könnte; er wollte draußen warten. Während nun in der Kanzlei des Bischofs Geheimschreiber die Urkunde ausfertigte, erwiesen sich die Zurückgebliebenen dem Grafen von Wertheim als gar traute Gesellen. Sie ließen ihn die Befestigungswerke in Augenschein nehmen und Sebastian von Rotenhahn selbst erklärte ihm die Verstärkungen, die er vorgenommen, wie er den Lusthain auf der Ostseite des 483 Schlosses niedergelegt und in Verhaue verwandelt hätte, so daß die Geschütze nun frei die Stadt bestreichen könnten und wie auf der Schütt eine neue Schanze aufgeworfen und trefflich montiert sei. Silvester von Schaumburg scherzte, wie er jüngst in Würzburg gewesen, hätte er die Herren Bauern höflich eingeladen, heraufzukommen. »Sie haben zwar gesunde Zähne, aber sie werden sie sich an dieser Kruste wohl ausbeißen,« fügte er lachend hinzu, und der Schwager des Grafen Wertheim äußerte: »Wie ich vernehme, haben sie in der Stadt drei Galgen errichtet, aber sie henken niemand daran. So wie dieser Rummel vergeht, und das wird über ein Kleines geschehen, henken wir sie an allen Bäumen.«

»Große Hoffnungen laufen auf kurzen Beinen,« wiegte der von Wertheim zweifelnd den Kopf. »Und Du weißt, daß die Nürnberger keinen henken, sie hätten ihn denn. Verdient haben sie es freilich und, bei meinem Schutzpatron, viel Schlimmeres noch!«

»Sie haben mir mein Bergschloß Stollberg und auch Kastell, wohin mein Weib von dort mit den Kindern geflohen war, in Asche gelegt,« rief Graf Wolf mit finsterm Gesicht.

»Leider, ich weiß ja,« wollte ihn sein Schwager unterbrechen. Der aber fuhr fort: »Aber sie sollen's am lebendigen Leibe spüren, wie Feuer brennt!«

Es mochte keiner mehr scherzen. Alle schwiegen mit verdüsterten Mienen.

Bald darauf brachte der Domprobst die Urkunde und Georg von Wertheim ritt mit seinen zwei Begleitern nach Hochberg hinunter.

Im Bankettsaal aber, dessen Wände Meister Grünewald einst mit der Hochzeit zu Kana und anderen Schildereien geschmückt hatte, entwickelte sich ein gewaltig Pokulieren. Der Domprobst hatte des Bischofs Hofmeister von Rotenhahn bewogen, die goldenen Quellen im Schloßkeller zu erschließen, um die 484 verheißungsvollen Nachrichten von Heidelberg und die soeben ausgestreute Saat der Zwietracht unter den Bauernheeren reichlich zu befruchten. Da saßen sie an den langen Tischen, Ritter und Chorherren in buntem Gemisch und taten um die Wette tiefe Trunke. Die Winzer im Weinberge des Herrn blieben hinter den Schwertmännern nicht zurück. Der wilde Zeisolf von Rosenberg aber machte allen den Efeukranz streitig, selbst den Domherren Hans von Lichtenstein, Martin von Wiesentau und Weiprecht von Grumbach, deren Gesichter gleich einem feurigen Dreigestirn glühten. Der rote Zeisolf und der fette Junker von Finsterlohr waren keine Lehnsleute des Bischofs, aber sie waren beide auf den Marienberg gekommen, um mit den Bauern, denen sie zu Haltenbergstedten Frieden hatten geloben müssen, desto bälder Abrechnung zu halten. Während der eine durch sein Trinken die Bewunderung der Tafelrunde erregte, verursachte Philipp von Finsterlohr deren wieherndes Gelächter durch seine saftigen Zoten.

Einer aber berührte den Becher nur selten einmal, auch sprach er kein Wort. Hohlwangig, mit großen, nachdenklichen Augen saß er in seiner Barfüßerkutte unter den Zechenden. Das war der geschickte Feuerwerker, der weit und breit als Schwarzkünstler verrufen war. Auch des Domherrn Grumbach Vettern von Rimpar, Hans und Wilhelm, nahmen nur einen mäßigen Anteil an den Freuden des Bacchus, Da sie bei dem Bistum zu Lehen gingen, hatten sie sich auf dem Marienberge einfinden müssen. Sie hätten wohl gern das Beispiel des Grafen von Henneberg nachgeahmt, allein dazu war ihre Macht zu gering, und Wilhelm von Grumbach mochte wohl die Hoffnung, die Hand Adelgundes von Thüngen zu gewinnen, noch nicht ganz aufgegeben haben. Schön war das Fräulein durchaus nicht, dafür die Muhme des Bischofs. Dagegen hatte die Natur Wilhelm von Grumbach derart ausgestattet, daß er vor weiblichen Augen wohl bestehen konnte. Er war 485 breit in den Schultern und schmal in den Hüften. Von Gesicht ähnelt er seiner Schwester Barbara und sein Haar war rötlich blond wie das ihrige. Seine blauen Augen aber waren von einem stählernen Glanze und wie er sie beobachtend auf Adam von Thüngen richtete, der neben Zeisolf saß, blitzte es aus ihnen wie die Spitze eines Dolches. Sein Gesicht, dessen Oberlippe der erste Bart noch schwach beschattete, wandte sich dabei verbindlich seinem Nachbar zu, scheinbar dessen Worten lauschend, und es enthüllten sich seine blendend weißen, starken aber spitzen Zähne.

In dem engen Verkehr, den das Zusammenleben auf dem Marienberge bedingte, war ihm die Hoffnung, mit Adam von Thüngen in ein verwandtschaftliches Verhältnis zu treten, mehr und mehr entschwunden. Die rauschenden Vergnügungen der Fastnacht hatten den Hochmut, der in Adams Charakter den schärfsten Zug bildete, etwas gedämpft. Jetzt machte er sich um so mehr geltend und er ließ es Wilhelm von Grumbach merken, daß er in ihm nur den nichts bedeutenden jüngeren Bruder eines Vasallen seines bischöflichen Vetters sah. Ja, er zeigte ihm geflissentlich die kalte Schulter, seitdem Wilhelm von Grumbach in den kriegerischen Übungen, mit denen man sich auf dem Schlosse die Zeit vertrieb, sowohl im Lanzenwerfen nach dem Türkenkopfe wie im Armbrustschießen als der unstreitig gewandtere und geschicktere von beiden sich erwies. Wilhelm von Grumbach knirschte innerlich. Sein älterer Bruder Hans war von Natur wortkarg und, gewöhnt, zu Hause bei jedem Wetter dem Waidwerk obzuliegen, langweilte er sich in der Ruhe auf dem Marienberge sträflich. Plötzlich hob er den schweren Kopf von der Betrachtung des goldenen Blutes in seinem Becher lauschend auf. Sein feines Jägerohr vernahm durch den Lärm des Bacchanals die Worte: »–eitel Teufelswerk treiben sie und insonderheit ist's der Erzteufel, der zu Mühlhausen regieret und nichts denn Raub, 486 Mord und Blutvergießen anricht, wie denn Christus, Johann. 8, von ihm sagt, daß er sei ein Mörder von Anbeginn.«

»Wer denn?« fragte Hans vom Grumbach seinen Nachbarn Matern von Westenberg, der sich aus innerer Hitze das Wams aufgenestelt hatte.

»Der Thomas Münzer, das Scheusal, ist gemeint,« schnaufte jener. »Aber loset, loset!«

Der Domdechant von Guttenberg hatte sich erhoben und las etwas vor. Es war Luthers wütige Schrift gegen die Bauern. Stiller und stiller ward's im Saal und selbst diejenigen lauschten, die sie bereits kannten. Der Domdechant konnte jedoch die Vorlesung nicht beenden; denn als er zu den Worten kam: »Solch' wunderliche Zeiten sind jetzt, daß ein Fürst den Himmel mit Blutvergießen besser verdienen kann, denn andere mit Beten . . .« da unterbrach ihn der Domherr von Wiesentau mit bereits schwerer Zunge: »Was Beten? Der Kerl ist selbst ein verfluchter Ketzer und hat den ganzen Rummel angefangen.«

»Wir werden schon zerschmeißen, würgen und stechen, daß es eine Art hat,« rief Graf Wolf von Kastell. »Dazu braucht er uns nicht erst zu hetzen.«

»Vernehmt noch, was für Belohnung uns der meineidige Mönch dafür verheißt,« überbot der Domdechant die lärmenden Zurufe und verlas den Schluß der Schrift: »Bleibst Du darüber tot, wohl Dir, seligeren Tod kannst Du nimmer überkommen. Denn Du stirbst im Gehorsam göttlichen Worts und Befehls und im Dienst der Liebe, Deinen Nächsten zu retten aus der Hölle und des Teufels Banden.«

»Meinen Hals zum Pfand, daß der stinkende Ketzer damit sich bloß den Rücken hat decken wollen, wenn der Schwäbische Bund ihn etwan als Hauptursächer des Aufruhrs an die Ohren kriegen sollte.« So lautete die Weisheit Kaspars von Reinstein.

Der Domprobst nahm Luther gegen diese 487 Unterstellung in Schutz. »Nein, furchtsam ist er nicht,« äußerte er. Er versucht's halt mit allen Parteien, die ihm dienlich sein könnten. So zuerst mit dem Franz von Sickingen und Hutten, dann mit den Bauern und jetzt sind wir an der Reihe, nachdem der Kurfürst Friedrich von Sachsen das Zeitliche gesegnet hat.«

»Der das Haupt aller Ketzer war,« schaltete des Bischofs Bruder, Eustachius von Thüngen, giftig ein.

»Wir sollen für ihn die Reformation durchdrücken und ihm die Ehre lassen,« fügte der Domprobst noch hinzu.

»Kutte bleibt Kutte,« rief Zeisolf mit seiner gewöhnlichen Rücksichtslosigkeit. »Gönnen wir ihm den Knochen, uns das Fleisch.«

»Auf denn zum fröhlichen Jagen,« fiel sein Freund ein.

»Zum Teufel mit der Hasenjagd, ich pürsch' auf ander Wild,« rief Wolf von Kastell verächtlich.

»Auf die Rädelsführer, hussa!« schrie Adam von Thüngen.

»Insonderheit diejenigen, welche ein Schandfleck ihrer Geburt und unseres Standes sind,« ergänzte der Graf von Kastell.

Adam von Thüngen richtete seine hochmütigen Augen herausfordernd auf Wilhelm von Grumbach und rief: »Den höchsten Galgen für Florian Geyer!«

»Hussa! hussa!« fielen fast alle ein und Philipp von Finsterlohr ahmte das Geheul der Meute nach.

»Seid Ihr denn schon alle besoffen?« rief Hans von Grumbach von Wein und Zorn rot, schleuderte seinen Becher zu Boden und trat mit dem Fuß darauf.

Sein jüngerer Bruder brachte für den Gatten seiner Schwester kein Wort vor. Unbewegt saß er in dem wüsten Lärm, den Blick Adams mit einem Lächeln aushalten, bei dem seine spitzen Wolfszähne blinkten. Die schlanken Finger seiner Rechten umspannten langsam den Dolchgriff. 488

Plötzlich rief jemand: »Loset, es donnert!«

Nur der Barfüßermönch schien es gehört zu haben und er ging aus dem Saale, während die anderen zu den Fenstern eilten. Es war aber von einer Wetterwolke nichts am Himmel wahrzunehmen, und man kehrte zu den Bechern zurück. Der wilde Zeisolf forderte Adam von Thüngen auf eine Kanne heraus, die etwa drei Maß enthalten mochte. Während das Duell ausgefochten wurde, an dem sich viele durch Wetten und den gleichen Tieftrunk beteiligten, kehrte der Barfüßer zurück.

»Da ist der Blitz,« sagte er trocken und ließ eine eiserne Kugel vor dem Domprobst auf den Tisch fallen. »Eine Feldschlange von Klasberg hat ihn ausgespuckt. Ein paar Dachziegel sind zerschlagen, weiter nichts.«

»Und Du sollst der Schlange den Kopf zertreten,« lallte der Domherr von Lichtenstein, ließ das weinschwere Haupt auf die Brust sinken und begann zu schnarchen.

Die Ritter und Junker betrachteten neugierig die Kugel und wogen sie in den Händen. Silvester von Schaumburg warf sie in die Höhe und fing sie wieder auf: »Und mit solch Kinderbällen wollen sie das Schloß einwerfen,« spottete er.

Simon Neuffer hatte die Feldschlange gerichtet und abgefeuert. Es war ein Probeschuß. Florian Geyer übte auf dem Nikolausberge eine aus seinen Schwarzen erlesene Mannschaft in der Bedienung und im Richten der Geschütze, und er fuhr darin fort, bis es dunkel wurde. Die Zeit drängte; denn er war noch am Vormittage zum Gesandten an Rothenburg gewählt worden und ihm in gleicher Eigenschaft der Schultheiß von Ochsenfurt, Hans Pezold, beigesellt, um die Stadt endgültig in den evangelischen Bund zu bringen und schweres Geschütz und Munition zu fordern. Der Pfarrer Denner als Schreiber, der lange Lienhart und Sebastian Raab aus Gebsattel, ein Steinmetz, waren 489 zu ihren Begleitern erkoren, sämtlich Gegner des längeren Verziehens vor dem Marienberg. Die Wahl der obersten Hauptleute und Räte war daher eine sehr kluge, wenn sie nur die schleunigste Ausführung des Auftrages bezweckte.

Noch dampften am nächsten Morgen die Nebel über dem breithinfließenden Main und verschleierten leise das junge Grün der Rebenufer, als die Gesandtschaft von Heidingsfeld aufbrach und die Lehne hinanritt. Zu ihrer Rechten schaute sie auf das Wipfelmeer des weit sich hinstreckenden Guttenberger Waldes, durch welchen der Weg von Würzburg nach Lauda an der Tauber sich wand. Die Wintersaaten auf der Hochebene standen vorzüglich; mit dem Sommergetreide sah es übel aus. Die Felder waren spärlich und spät bestellt worden. Es fehlte an Händen; anstatt des Pfluges führten sie das Schwert. Hier und dort wurde das Versäumte von Beurlaubten nachgeholt. Als die Sonne über den bewaldeten Kuppen der Hochebene sich erhob, lag das Dorf Giebelstadt vor den Reitern. Das feste Haus der Zobel war unversehrt. Denn Fritz Zobel hatte nicht versäumt, von Jakob Köhl in Ochsenfurt einen Sicherheitsschein sich zu erwirken. Die Unterhaltung der Reiter verstummte. Die Dorfgasse, durch die sie ritten, war wie ausgestorben.

Und jetzt verhielt Florian Geyer seinen Rappen. Seine ernsten Augen hafteten auf der Wiege seiner Geburt, auf der verwüsteten Stätte seines jungen ehelichen Glückes. Dachlos standen die vom Rauch geschwärzten Türme, deren einer geborsten war. Von dem Wohnhause ragten noch ein paar verkohlte Dachsparren in die sonnige Luft. Von den zerhauenen Torflügeln lag der eine am Boden, der andere hing noch schief an der Angel. Hellebarden und Kugeln hatten das Wappenschild über dem Tor verstümmelt und durch dieses blickte das Auge im Hofe auf Schutt und Trümmer. 490

Die Begleiter Florian Geyers hatten wie er ihre Rosse gezügelt. In schweigender Teilnahme ruhten ihre Augen auf ihm. Der Pfarrer Denner glaubte ihn trösten zu sollen und er sprach wie Elias zu Hiob: »Siehe, selig ist der Mensch, den Gott strafet, darum weigere Dich der Züchtigung des Allmächtigen nicht. Denn er verletzet und verbindet, er zerschmeißet und seine Hand heilet. Aus sechs Trübsalen wird er Dich erretten und in der siebenten wird dich kein Übel rühren.«

Florian wandte sich langsam zu ihm und erwiderte: »Du irrst, Pfarrer; ich hadere nicht. Mein festes Haus mußte fallen, wie alle Burgen fallen müssen, damit der Bauer sein Haupt erheben und die Frucht seines Fleißes selbst genießen kann. Die Ruinen aber werden ihn an die überwundene Knechtschaft erinnern und noch seine spätesten Nachkommen lehren, wie wir zur Wehr zu greifen, wann die Tyrannei versuchen sollte, ihm wieder den Fuß auf den Nacken zu setzen.«

Damit schlug er einen scharfen Trab an und die anderen folgten seinem Beispiele. Eine dicke Staubwolke wirbelte hinter ihnen auf. 491



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