Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Sechstes Kapitel.

Die Herren auf dem Marienberge saßen beim Frühmahl, nicht in rosiger Laune. Die Kartaunen fuhren fort, an den Mauern zu rütteln, und keine Nachricht von Heidelberg, keine Aussicht auf Entsatz! Schon mußte man den Kühen und Pferden das Wasser verkürzen. Auch die Hoffnung, daß der Abzug des Evangelischen Heeres, den der Wächter des Bergfrieds erspäht, eine Folge des Zerwürfnisses unter den Bauernführern sei, ergab sich als trügerisch. Adam von Thüngen hatte sich mit Zeisolf von Rosenberg und noch einigen Rittern und Knechten noch selbigen Tages auf Kundschaft begeben, war aber von dem Dorfe Hochberg aus mit so gutgezielten Büchsenschüssen empfangen worden, daß er sein Heil hinter sich suchen mußte. Die Würzburger hatten das Dorf wenige Stunden nach dem Abzuge besetzt, und der wackere Viertelsmeister und Wirt zu der Schleyen, Balthasar Würzberger, befehligte sie.

Die Unterhaltung schlich wie eine Almosen heischende Bettlerin an der Morgentafel um. Selbst Philipp von Finsterlohr hatte seinen Humor eingebüßt. Ein Knecht überbrachte dem Domprobst Friedrich ein Papier, das an dem Bolzen einer Armbrust befestigt war. Er hatte es im nördlichen Schloßhofe gefunden. Die abgespannten und verdrossenen Mienen der Herren belebten sich. »Es ist ein Manifest der Hauptleute, verordneten 556 Räte und der Versammlung der Landschaft von Franken unter ihrem und der Stadt Würzburg Siegel,« erklärte der Domprobst Friedrich, nachdem er das Blatt auseinandergerollt hatte.

»Werfet den Wisch ins Feuer! Was kümmert uns das Blaffen der Dorfköter?« rief Graf Wolf von Kastell.

»Es gehet auch uns an,« erwiderte der Domprobst. »Denn es ist gerichtet an alle Kurfürsten, Fürsten, Grafen, Freiherren, Ritter, Knechte, Amtleute, Schultheißen, Bürgermeister, Räte, Dorfmeister und Gemeinden.

»Uff,« machte Philipp von Finsterlohr, und der Hofmeister und Doktor der Rechte, Sebastian von Rotenhahn, bemerkte: »Das gehet ja schier an die ganze deutsche Nation, als ob ein Reichstag einberufen würde.«

»Lasset uns hören,« sprach der Domprobst und Markgraf von Brandenburg und las: »Kund und offenbar ist es, wie bisher die Gewerbsmänner, die Kaufleute und wer sonst auf den Straßen zog, vielfältig beschädigt worden, wie ihnen Hände und Füße abgehauen und die Ohren abgeschnitten wurden, wie man sie niederstach oder einkerkerte, plünderte und in den Block legte; daß ferner der arme gemeine Mann mit unerträglichen Beschwerden, Frondiensten, Schatzungen, Auflagen und anderen Belästigungen unterdrückt und dermaßen geschunden wurde, daß der mehrere Teil des Landvolkes mit seinen Kindern in die bitterste Armut geraten ist –«

Unter den Rittern und Junkern war ein Murren entstanden, das lauter und lauter wurde. Jetzt brach es in wütiges Geschrei und Fluchen aus über die Frechheit der Bauern. Sie fühlten sich bis ins Innerste getroffen und wollten nichts weiter hören. »Ins Feuer! Ins Feuer damit!« schrien sie. Die geistlichen Herren aber schwiegen und warfen einander Blicke zu, in denen sich ein geheime Schadenfreude verriet. Der Domprobst, dessen Stirn ebenfalls der Zorn rötete, ließ den Sturm 557 eine Weile toben; dann gebot er mit einem Zeichen der Hand Stille und las weiter:

. . . »daß endlich, was das Beschwerlichste ist – etliche geistliche und weltliche Obrigkeiten sich unterstanden haben, ihren Untertanen das heilige Evangelium und das Wort Gottes, das eine Speise ihrer Seelen ist, zu entziehen, falsche Lehren wider die heilige Schrift öffentlich zu beschützen, die rechtschaffenen, christlichen Lehrer aber zu verjagen, sie in das Gefängnis zu werfen und ihr Blut auf eine tyrannische Weise zu vergießen.«

»Quatsch!« rief der Domdechant Guttenberg dazwischen,

Der Markgraf Friedrich fuhr fort: »Um nun diese unerträglichen Beschwerden abzutun und solchem verderblichen Fürnehmen zu begegnen, und weil man Gott, dem Allmächtigen, mehr gehorsam sein muß als den Menschen, so haben wir uns in dem Namen Gottes zur Erhaltung des heiligen Evangeliums und zur Handhabung des Friedens und des Rechtes in eine freundliche und brüderliche Vereinigung zusammengetan und verbunden. Wir wollen nichts anderes beschützen und durchsetzen, als was das Wort Gottes gebietet, und nichts abtun, als was ihm zuwider ist. Daran wollen wir festhalten, so weit sich unser Leib, unsere Ehre und unser Vermögen erstreckt. Dabei sind wir auch gesonnen, alle schädlichen Schlösser und Raubhäuser, daraus den Gewerbsleuten und den Gemeinden so viel Nachteil und Schaden begegnet ist, sämtlich auszureuten, wie wir es auch mit des Allmächtigen Hilfe bereits zur Zeit getan haben, um dadurch den gemeinen Frieden auf Straßen und Wässern zu fördern. Deshalb bitten wir Euch untertänig und freundlich, uns in diesem christlichen Unternehmen Hilfe und Beistand zu tun und uns weder mit der Tat noch auf andere Weise aufzuhalten.«

Der Domprobst legte das Blatt still aus der Hand. Alle schwiegen, wie erdrückt von der Wucht der 558 angeführten Tatsachen und in einem unheimlichen Bangen vor dem Richter, vor den sie das Manifest in so kräftiger Sprache stellte. Scheu vermied jeder den Blick des andern. Nur die Unschuld erträgt das Auge der Wahrheit. Hans von Grumbach brümmelte in seinen Becher: »Die Fänge kenn' ich, sie sind des Geyers«.

Er irrte darin auch nicht, Florian Geyer hatte darauf gedrungen, daß den unerhörten Grausamkeiten gegenüber, mit denen Fürsten und Feldherren ihre Siege schändeten, das Gewebe von Vorwürfen, Verdächtigungen, Anklagen, Lügen und Verleumdungen, mit welchen die Feinde unermüdlich die Bauernschaft umspannen, vor dem Angesicht der ganzen Nation zerrissen würde. Sie sollte hauptsächlich wissen, daß die Erhebung in Waffen gegen die Obrigkeit weder eigenmächtig, gewalttätig und frech, noch unchristlich sei, wie sie fortwährend gescholten wurde, sondern im Gegenteil auf die heilige Schrift und die Apostel sich stützte; daß die Bauern ihr Menschenrecht kraft des Christentums, das durch spätere menschliche Satzungen gefälscht und unterdrückt worden sei, forderten. Der Gedanke war Florian Geyers, die Feder des Bruders Ambrosius.

An demselben Tag, an dem die Bauernschaft ihr Manifest an die ganze deutsche Nation gleich einem Heroldsrufe ergehen ließ, folgte der oberste Hauptmann des Tauberhaufens, Hans Kolbenschlag aus Mergentheim, mit 5000 Mann dem evangelischen Heere nach Krautheim. Früher schon war Gregor von Burgbernheim mit seinem Fähnlein gegen den Markgrafen Kasimir nach Windsheim aufgebrochen, während der lange Lienhart mit den Rothenburgern nach Endsee ging und dort das Lager schlug, um den gegen seine eigenen Untertanen mit Schwert und Feuer wütenden Markgrafen von der Seite zu fassen. Gleichzeitig bewegte sich der Bildhauser Haufen in nördlicher Richtung, um von Melchrichstadt aus in Verbindung mit der Bürgerschaft von Meiningen dem Grafen von Henneberg und dem Landgrafen von 559 Hessen die Stirn zu bieten. Der knorrig zähe Johannes Schnabel war just der rechte Mann für den Henneberger.

Als Kolbenschlag nach Krautheim kam, fand er daselbst anstatt des Evangelischen Heeres einen Befehl von dessen oberstem Feldhauptmann vor, ohne Zeitverlust über Öhringen auf Neckarsulm zu ziehen. Er verwunderte sich freilich, warum ihm dieser weite und beschwerliche Umweg über das Hohenlohesche Städtlein vorgeschrieben wurde; allein er gehorchte und brach mit wegkundigen Führern auf, nachdem Mann und Roß sich gestärkt und verruht hatten. In der Nacht kam er an Öhringen vorüber; von Götz von Berlichingen und Jörg Metzler keine Spur. Plötzlich sah er in dem Tal zu seinen Füßen unzählige Wachtfeuer aufleuchten. Es war aber nicht, wie die vorsichtig ausgesandten Kundschafter berichteten, der Ritter mit der eisernen Hand, sondern der Truchseß, der vor Neckarsulm lag. Nach den weit verbreiteten Biwachtfeuern zu urteilen, war dessen Macht zu überlegen, um einen Angriff mit Erfolg wagen zu dürfen, und Hans Kolbenschlag zog sich auf Öhringen zurück. Der Truchseß von Waldburg hatte aber in unbegreiflicher Nachlässigkeit sein Heer weit und breit zerstreut und Kolbenschlag würde ihn in den Neckar geworfen haben, wenn er auf ihn niedergestoßen wäre.

Erschöpft von dem langen beschwerlichen Marsche und ausgehungert langte der Tauberhaufen bei Sonnenaufgang wieder von Öhringen an. Von dem Evangelischen Heere keine Spur. Die Stadt hielt ihre Tore verschlossen, Lärmschüsse der Vorposten störten die Bauern von ihren Frühstückskesseln auf. Von Westen wälzte sich eine ungeheure Staubwolke, aus der Waffen hervorblitzten, heran. An den Fahnen, die dann und wann aus der Staubwolke auftauchten, erkannte Hans Kolbenschlag, der wieder zu Pferde gestiegen und zu den Vorposten geritten war, daß es das Evangelische Heer war. Aber alle Ordnung desselben war in ein unbeschreibliches Gewirr und Gewühl von Bewaffneten 560 zu Fuß und zu Pferde, von Kanonen, Pulverkarren, Rüst- und Gepäckwagen aufgelöst. Es war wie ein Heer auf dem Rückzuge nach verlorener Schlacht und fast auf die Hälfte zusammengeschmolzen.

Hans Kolbenschlag fand kaum die Sprache, als jetzt Wendel Hipler und Jörg Metzler an ihn heransprengten, und ersterer, wie von einem Alpdruck befreit, ausrief: »Dem Himmel sei Dank, daß Ihr endlich da seid!« Jörg Metzler aber lachte, als hätte er den Verstand verloren, wie Kolbenschlag von seinem nächtlichen Marsch berichtete. »Und wir lagen derweil in Adolzfurt«, ächzte der Kanzler. »Aber um Gotteswillen, was hattet Ihr denn dort abseits zu tun?« fragte der Hauptmann des Tauberhaufens, und sah sie verständnislos an. »Hätten wir uns nicht verfehlt, würden wir den Truchseß aufs Haupt geschlagen haben. Oder seid Ihr etwan von ihm geschlagen worden? Aber er steht ruhig bei Neckarsulm. Und wo steckt der Götz?«

»Frag' ihn selber! Der Teufel läßt sich nit am Schwanz festhalten«, antwortete der sonst so gelassene Metzler erregt, und Wendel Hipler sagte mit einiger Hast: »Ich muß in die Stadt; schaffet Ihr derweilen ein wenig Ordnung.« Er galoppierte davon.

Kolbenschlag erfuhr dann, indem er jenem mit Metzler folgte, daß das Evangelische Heer zu Neckarsulm gestanden, aber auf die Kunde von dem Nahen des Truchseß mit großer Hast die Stadt geräumt hätte, nachdem es deren Besatzung verstärkt und ihr einen Teil seiner Geschütze zurückgelassen. »Warum wir nit geraden Weges auf Öhringen zurückgingen?« fuhr Metzler mit finsterem Gesicht fort. »Reim's Dir selber zusammen! Der Götz wollt' Euch nicht begegnen; es hätt' ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn wie wir diese Nacht zu Adolzfurt lagen, da hat er sich mit etlichen vertrauten Gesellen aus dem Staub' gemacht.«

Der andere griff seinem Pferde so jäh in den Zügel, daß es, so schwerfällig es war, hoch sich aufbäumte. 561 »Ja, Bruder, das Ding schaut einem Verrat so ähnlich wie ein Ei dem anderen«, rief Jörg Metzler grimmig. »Dem Hipler drückt's schier das Herz ab. Denn er hat den Götz zu uns gebracht und sich und unserer Sache wunder was von ihm versprochen. Krach, da liegt der Hafen in Scherben.«

»Fürwahr, den Einhänder hat die Hölle ausgespuckt, um uns zu verderben«, rief Kolbenschlag, der inzwischen seinen Gaul beruhigt hatte.

»Und es geschieht uns recht«, bemerkte Metzler trübselig. »Denn es hat einer schon dazumalen in Weinsberg vor dem Götz und dem Bund mit den Edelleuten eindringlich gewarnt. Aber wir haben ihn nit damals, nit später hören wollen, niemals.«

»Du meinst den Geyer von Geyersberg?«

»Just den mein' ich. – Wie es nun in der Frühe ruchbar wurd', daß der Götz uns im Stich gelassen habe, da gab's nur einen Schrei: Verrat! Die Neckarthaler rissen die Fahnen von den Stangen und verstoben bis auf wenige in alle Winde, als ob der Truchseß sie schon beim Schopf hätte. Auch der Hans Flux wurd' alle.«

Wie sie von ihren Gäulen stiegen, fand Wendel Hipler wieder bei ihnen sich ein. Die wackeren Bürger von Öhringen hatten selbst ihn nicht eingelassen, obgleich sie ihm es zu danken hatten, daß die Grafen von Hohenlohe ihnen manches Zugeständnis hatten machen müssen. Anstatt ihm das Tor zu öffnen, war der Schultheiß auf der Mauer erschienen und hatte ihm mitgeteilt, daß sie von dem Grafen keinen Befehl erhalten hätten, die Besatzung zu verstärken und die Stadt mit Lebensmitteln zu versorgen. Unter solchen Umständen könnten sie dem Truchseß keinen Widerstand tun und hätte ihre Stadt von ihm das Schlimmste zu gewärtigen, wenn sie die Bauern bei sich aufnähmen.

»Der eine ist halt wie der andere«, fügte Metzler dem Bericht des Kanzlers hinzu. »Auch die Grafen von Löwenstein und der von Wertheim haben unsere 562 Aufmahnung nicht befolgt. Nichts als Ausflüchte und doch haben sie alle auf den Artikelbrief dem Evangelischen Heer die Bruderschaft gelobt.«

»Wir wissen jetzt wenigstens, woran wir sind«, raffte Hipler sich auf. »Eilen wir, nach Krautheim zurückzukommen.'

Jörg Metzler machte sich mit Hans Kolbenschlag daran, unter dem Rest des Evangelischen Heeres wieder einige Ordnung herzustellen; dann brach man auf. Kolbenschlag mit seinen Franken bildete die Nachhut. Noch waren sie nicht weit gezogen, so tauchten hinter ihnen die Reisigen des Truchseß auf. Der bergige Charakter der Landschaft mit den schmalen, gewundenen Flußtälern dünkte den Bündischen jedoch nicht geheuer, zumal bei der entschlossenen Haltung des Fränkischen Fußvolkes. Sie ließen von der Verfolgung ab. Den Bauern strömten unterwegs aus allen Dörfern frische Kampflustige zu, auch fanden viele von den Flüchtlingen, die inzwischen den Schrecken über Götzes Verrat überwunden hatten, sich wieder ein. Wendel Hipler gewann die Schnellkraft seines Wesens wieder und kaum in Krautheim angelangt, so liefen seine Boten in das obere Taubertal und nach Würzburg um schleunigsten Zuzug. Als Sammelplatz wurde aber das nördlicher an der Tauber gelegene Städtchen Königshofen bestimmt und dorthin brach auch Wendel Hipler auf, weil der Truchseß durch seine Bewegung von Neckarsulm auf Möckmühl die Absicht verriet, dem Bauernheer in die rechte Seite zu fallen und es von Würzburg abzudrängen.

Inzwischen hatte die Versammlung zu Würzburg ihrem Manifest an die deutsche Nation ein Rundschreiben an alle Gemeinden in Stadt und Land Ostfrankens folgen lassen, worin sie dieselben aufforderte, allen zur Zeit bestehenden Obrigkeiten, wes Namens sie seien, unverbrüchlichen Gehorsam zu leisten. Hinzugefügt war, daß sie durch ihre Hauptleute nicht nur bei jeder Widersetzlichkeit der Gemeindemitglieder gegen die Obrigkeit, 563 sondern auch gegen diese selbst bei jeder Nachlässigkeit in bezug auf die Strafvollstreckungen unnachsichtlich einschreiten würde. Es war dieses dieselbe Erklärung, die ihre Gesandten schon in Rothenburg abgegeben hatten. Indem sie aber jetzt den gleichen Gehorsam von ganz Ostfranken forderte, stellte sie sich den Fürsten und Herren als die oberste Staatsgewalt gegenüber und sie tat es kraft des uralten Rechtes der Gemeinfreien, welche der Ursprung und der Inbegriff aller Rechte in Deutschland waren. Ein Antrag des Schultheißen von Ochsenfurt wurde Veranlassung, daß die Versammlung entschieden als die Vertreterin der Gemeinfreien der fränkischen Landschaft sich auftat. Pezold erinnerte sich des Tischgesprächs im Hause Stephan von Menzingen und er beantragte, nicht nur die mit ihnen verbrüderten Landgemeinden und Städte, sondern diejenigen von ganz Franken, Bamberg und Nürnberg mit eingeschlossen, zu einem Landtage zu berufen.

»Das wäre aber des Dinges nur ein Teil«, warf der Stadtschreiber von Würzburg ein, der mit Ehrenfried Kumpf die Stadt in der Versammlung vertrat, sobald der allgemeine Beifall, mit dem Pezolds Antrag aufgenommen worden, verrauscht war. »Auf einen Landtag gehören auch der Adel und die Geistlichkeit.«

»Das Tischtuch ist zwischen uns und den Römlingen für alle Zeit zerschnitten«, rief der hagere Denner von Leuzenbrunn, der in dem Ausschuß selten anders erschien, als im Harnisch über dem Pfarrock und das Schwert an der Hüfte. »Sollen wir uns etwan den Schlüssen, so sie auf dem Landtage wieder den neuen Glauben durchsetzen, fügen? Nie und nimmer!«

»Und gar der Bischof Konrad! Er soll wohl auf dem Landtag sitzen?« fragte höhnisch der Pfarrer Bubenleben.

Darauf der Stadtschreiber: »Laden wir die adligen Herren Ostfrankens, die Grafen von Hohenlohe, von Henneberg, von Wertheim, den Markgrafen Kasimir, 564 und wir müssen sie laden, wollen wir ihnen nicht einen Rechtsgrund geben, die Schlüsse des Landtages anzufechten; dann dürfen wir allerdings auch den Bischof von Würzburg nicht übergehen.«

Die geistlichen Herren erhoben dagegen heftige Einsprache. Ehrenfried Kumpf schnellte empor und suchte beredt das Widersinnige einer solchen Einladung darzutun. Er rief mit jugendlicher Hitze: »Nein! Nein! Nein! Der Bischof und das Kapitel gehören nit in das Spiel!«

Florian Geyer gewahrte mit Sorgen, welch bedenkliche Wendung die Angelegenheit zu nehmen drohte. Er argwöhnte mit Recht, daß aus dem Stadtschreiber die Würzburger Geschlechter sprächen und er warnte daher, ihm Gehör zu geben. »Ein Finger ist dem Schelmen leicht gegeben, aber er hält Euch bei der Hand fest«, äußerte er. »Die weltlichen und geistlichen Herren haben ihre Gewalt usurpiert, indem sie die Gemeinfreiheit vernichteten, die wir wieder aufrichten wollen, und wir werden es. Gott sei es geklagt, daß wir ihnen durch unsere Untätigkeit Zeit ließen, sich wieder aufzuraffen. Jetzt stehen sie stark gerüstet rings an den Grenzen. Wie wollet Ihr sie zwingen, daß sie die Schlüsse des Landtages annehmen, selbst wenn sie sich zu demselben einfänden? Vermögen wir nicht, ihnen die Faust in den Nacken zu drücken, so ist der Landtag ein Kinderspott. Auch ich hoffe wie Ihr unerschütterlich auf den Sieg unserer gerechten Sache. Ja, wir werden siegen; in wenigen Tagen wird das Schwert entschieden haben. Einstweilen genügt es, um unsere Macht zu stärken, daß wir nur die Städte und Landgemeinden Ostfrankens zu einem Tag berufen. Wahre Gemeinfreiheit kann nit bestehen mit bevorrechteten Ständen in ihr. Sie sind in ihrem Leib ein ewig schwärend Gift.«

Seine Vorstellungen machten einen sichtlichen Eindruck. Der Pfarrer Bubenleben aber zerstörte ihn, 565 indem er, den Geistlichen herauskehrend, sprach: »Es ist keiner unter uns, der nicht gleich dem Bruder Geyer von dem Siege unserer Waffen überzeugt wäre. Noch stehet unsere Macht unerschüttert da und wird es bleiben. Christenpflicht aber ist es, das Blutvergießen zu verhindern, wenn es in unserer Macht steht. Der Landtag gewährt uns das Mittel dazu. Berufen wir ihn nach dem Vorschlage des Stadtschreibers, so werden wir, ohne uns etwas zu vergeben noch zu verlieren, allen Streit zwischen uns und den Herren gütlich und friedlich schlichten. Eile tut not.«

Florian Geyer vermochte nicht durchzudringen und er entfernte sich mit dem bitteren Gefühl, daß seine tiefere Erkenntnis wieder einmal an dem stumpfen Verstande und hinterhaltigen Gedanken gescheitert sei. Es wurde festgestellt, daß der Landtag in Schweinfurt stattfinden und bereits am 1. Juni eröffnet werden sollte. Die Einladungen ergingen nach dem Vorschlage des Stadtschreibers, der es trotz des hartnäckigen Widerstandes des Altbürgermeisters Kumpf durchsetzte, daß dem Bischof Konrad die Einladung zu besonderer Ehrung durch zwei Gesandte überbracht würde. Der eine davon war der junge Spelt. Sie mußten aber unverrichteter Sache umkehren, denn der Landgraf Ludwig von der Pfalz, der im Begriff stand, seine Streitmacht mit der des Truchseß von Waldburg zu vereinigen, verlegte ihnen den Weg. In Würzburg tobte das Volk mit Furie durch die Gassen, als des Bischofs Einladung ruchbar wurde. Die Krämer schlossen hastig ihre Läden. Einigen Herren von den Geschlechtern, die der erhitzten Menge begegneten, wurde übel mitgespielt. Auf dem Grünen Markt bei der schönen gotischen Marienkirche verbrannte sie unter Gejohl eine aus Stroh und Lumpen zusammengeflickte Puppe, welche den Bischof Konrad darstellte. Dann zog sie vor das Rathaus und warf die Fenster ein. Bürgermeister und Rat hielten sich versteckt und kamen erst wieder hervor, als 566 das Volk, des Lärmens müde, in die Schänken sich verlaufen hatte.

Der oberste Hauptmann der Schwarzen Schar sollte mit Jakob Köhl und noch Zweien als Vertreter des Fränkischen Heeres zum Landtag reiten. Er weigerte sich; es sei des Schlagens, nicht des Tagens Zeit. Gegen den Bruder Ambrosius, der sein ganzes Vertrauen besaß, äußerte er, als dieser ihm zuredete: »Fliegen meine Bolzen über das Ziel hinaus, so ist das kein großer Schaden, fallen sie aber vor dem Ziel matt zu Boden, so treff' ich es immer. Warum schicken sie nicht den Bubenleben oder einen anderen, der wie er die Weisheit mit Löffeln gefressen hat?«

»Weil sie einen Mann wollen, dessen Rede ebenso schlagfertig wie sein Schwert ist, und der selbst dem Feind Achtung abnötigt«, antwortete Bruder Ambrosius.

Auch dieses Mal ordnete sich Florian Geyer der Gesamtheit unter. Er gestand aber dem Bruder Ambrosius, daß er es schweren Herzens tue. »Ging's in die Schlacht, ich wäre fröhlichen Sinnes«, sagte er, als er am letzten Maitage zum Ritt nach Schweinfurt seinen Rappen bestieg.

Die Bürgerschaft der freien Reichsstadt am Main hatte alle Türme mit Fahnen geschmückt, und auf dem Turm der alten Johanniskirche flatterte ihr Wappen: der schwarze Adler im silbernen Felde. Zinkenisten bliesen über den Toren die einreitenden Gesandten an. Es waren ihrer jedoch kaum zwanzig, denen die Stadt am nächsten Morgen in dem Saale des alten Rathauses den Ehrenwein kredenzte. Die kleine Zahl verlor sich gleichsam in dem weiten, dämmerigen Raume. Die Mehrzahl der Abgeordneten hatten die Bauernheere vor Würzburg, Bamberg, in Oberfranken und aus dem Aischgrunde geschickt. Unter den Städten waren außer Würzburg und Rothenburg nur einige Oberfrankens vertreten, und die hohen adeligen Herren hatten auf die Einladung gar nicht einmal geantwortet; nur der 567 Markgraf Kasimir hatte geschrieben, daß er kommen würde, wenn es seine Zeit gestattete. Rothenburg hatte Ritter Stephan von Menzingen gesendet, ihm jedoch den Bauernfeind Hieronymus Hassel als Gegengewicht angehängt.

»Die Kalendermacher müssen Regen angesagt haben, daß die Laubfrösche nit die Köpfe aus dem Pfuhl herausstecken.« So begrüßte Herr Stephan, auf die Städter anspielend, Florian Geyer. Ihn in eine der tiefen Fensternischen ziehend, fuhr er fort: »Wer hat nun Recht behalten? Ihr sehet, daß auf die Städte kein Verlaß ist. Ich habe auf meine eigene Hand an den Markgrafen Kasimir geschrieben; er ist einem Bündnis mit der fränkischen Bauernschaft nicht abgeneigt. Er will ja auch hierher kommen, wie Ihr hörtet.«

»Ja, weil ihn der Gregor und der lange Lienhart wie ein Krebs zwischen ihre Scheeren zu nehmen drohen«, erwiderte Florian Geyer spöttisch.

In der Tat hatte er vor ihnen ohne Säumen den Rückzug angetreten und schon anderen Tages erfuhren die Abgeordneten, daß er der Versammlung zu Würzburg die Versicherung seiner wohlwollenden Gesinnung und seiner Geneigtheit, mit ihr zu einer Verständigung, ja zu einem Bündnis zu gelangen, übermittelt habe. Zugleich rief diese die Hauptleute in das Lager zurück. Daraufhin 1öste die mißlungene Tagsatzung sich auf, nachdem sie Stephan von Menzingen und Florian Geyer beauftragt hatte, den Frieden mit dem Markgrafen zu vereinbaren. Um dessen sicheres Geleit abzuwarten, begaben sich beide nach Rothenburg, wo sie dem markgräflichen Hauptquartier näher als in Schweinfurt waren.

Die nach Würzburg zurückkehrenden Gesandten – es war am Freitag vor dem Pfingstfeste – sahen den westlichen Horizont vor sich von einer großen Feuersbrunst gerötet. Auch die Rothenburger, die, wie Gregor, zurückberufen worden, um nach Königshofen zu ziehen, 568 gewahrten den unheimlichen Gleisch am Himmel. Eine bange Ahnung trieb den langen Lienhart und Leonhard Metzler zur Eile und sie zogen stark für und für die Tauber abwärts. 569



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