Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Achtes Kapitel.

Der Tauwind schnob von West und Süd und die Wolken ballten sich am Horizont. Es mochte acht haben, wen es anging, gleichviel ob mit Güte oder Gewalt; auch wußten die Herren in Rothenburg, daß des Kaisers Bruder, Erzherzog Ferdinand von Österreich, von den Welsungen zu Augsburg ein Darlehen aufgenommen und den Truchseß Georg von Waldburg beauftragt hatte, Kriegsvolk zu werben, um die habsburgische Besitzung am Oberrhein und in Württemberg zu schützen. Aber Rothenburg trug des nicht Sorge. Gabriel Langenberger erschien nicht wieder vor dem gestrengen Herrn Bürgermeister, obgleich die Bauern fortfuhren, in seinem Wirtshause an den Markttagen zu ratschlagen; er war fortan taub auf beiden Ohren. Die Entrüstung und Hitze der Bürgerschaft aber über den Schimpf, so die Junker von Rosenberg und Finsterlohr der Stadt angetan, war den Herren ein Beweis dafür. wie fest ihr Regiment stand, und der Altbürgermeister mußte sich wegen seiner Schwarzseherei manchen Spott gefallen lassen. In keinem Winter zuvor hatte es zu Rothenburg eine solche Fülle von Lustbarkeiten gegeben wie in diesem. Die Hochzeit Sabines von Muslor mit dem obersten Stadthauptmann Albrecht von Adelsheim, die zu Ostern stattfinden sollte, bot den Geschlechtern den willkommenen Vorwand, einander in 154 Festlichkeiten zu überbieten. Die Braut war jedoch mehr dem Namen als der Tat nach deren Königin. Das Zepter führte ihre schöne Freundin, welche die Rechte ihrer Jugend und ihrer Reize mit einem Feuer, ja mit einer Unersättlichkeit geltend machte, die Sabinen an ihr neu waren. Wenn diese nach Ruhe seufzte, dann lachte die schöne Gabriele, es sei Zeit genug, sich auszuruhen, wann die Jugend verrauscht sei. Sabine erriet sie und fügte sich. Je toller die Lust um sie strudelte und schäumte, um so wohler schien es der schönen Gabriele zu sein.

Zu Frau von Menzingen und Else drang von den rauschenden Vergnügungen der Geschlechter nur spärliche Kunde. Frau von Menzingen hielt es nicht für angemessen, in der Welt zu erscheinen, wie man heute sich ausdrückt, so lange nicht die Ehre ihres Gatten öffentlich wieder hergestellt war. Die Familie der Pröll starb mit ihr aus; sie hatte keine Verwandten in der Stadt und ihre freundschaftlichen Beziehungen zu einigen Familien aus ihren Mädchenjahren und der ersten Zeit ihrer Ehe hatten sich durch ihre Entfernung von Rothenburg unter so peinlichen Umständen gelöst. Ihr damals fast krankhaftes Zartgefühl hatte sie gehindert, ihren Bekannten von Reinsburg aus sich in Erinnerung zu bringen. Sie hatte gewartet, daß diese ihr zuerst Beweise einer unveränderten Gesinnung gäben, aber die Frau des Flüchtlings war von ihnen vergessen worden. Um so weniger fühlte sie sich daher jetzt veranlaßt, die ehemals Befreundeten aufzusuchen. Sie verließ mit Else ihre Wohnung kaum zu einem anderen Zwecke, als um Dr. Deutschlin oder den Kommentur Christian in St. Jakob predigen zu hören. Letzterer wurde von ihr bevorzugt, weil er mit seiner Männlichkeit eine ihr wohltuende Milde verband, während der vollblütige Dr. Johannes ihr zu erregt und stürmisch war. Der patrizischen Jugend, die sich nach beendigtem Gottesdienst an den Kirchentüren aufzuhalten pflegte, um die fromme 155 Weiblichkeit zu mustern, entging indessen Elses Erscheinung nicht. Die jungen Herren wetteiferten miteinander, ihr das Weihwasser in St. Jakob zu bieten. Man sprach von ihr in der Stadt, und ihre prächtigen braunen Locken, auf denen ein goldener Duft zu ruhen schien, gaben Veranlassung, sie die Schönhaarige zu nennen, da man ihren Taufnahmen nicht wußte. Auch Gabriele Neureuter erfuhr von ihr.

Else fühlte sich in ihrer jungfräulichen Herbigkeit von dieser Aufmerksamkeit der städtischen Junker eher verletzt als geschmeichelt. Nach Zerstreuungen außer dem Hause begehrte auch sie nicht. Ihre Tage in Rothenburg waren auch ohnedies völlig ausgefüllt. »Natürlich«, ironisierte sie der Vater, der dieses nicht gelten lassen wollte, »sich putzen, die Laute spielen und in Geschichtenbüchern lesen, lassen einem Fräulein keine freie Stunde übrig.« Aber Else war durchaus nicht putzsüchtig, des Lautenspiels war sie nicht kundig und das einzige Buch, das sie abends zur Hand nahm, um daraus ihrer Mutter und den jüngeren Geschwistern, denn sie hatte deren, vorzulesen, war die Bibel. Sie war nicht nur die Tochter ihrer Mutter, sondern unter dem widrigen Geschick in der Einsamkeit von Reinsburg schon früh zu deren Freundin herangewachsen. Wie sie ihr in der Wirtschaft, deren schwersten Teil sie auf ihre jugendlichen Schultern nahm, und in der Pflege und Erziehung ihrer jüngeren Geschwister getreulich beistand, so teilte sie ihren Kummer um den abwesenden Gatten und Vater. Und dieser Kummer wollte auch jetzt den Busen der Mutter nicht freigeben. Denn es konnte auf die Dauer ihrer Wahrnehmung nicht entgehen, daß Zeit und Erfahrungen den hochmütigen Sinn ihres Gatten nicht gemildert hatten, und daß er das damalige Verfahren des Rates immer noch als eine schwere Kränkung seiner Ehre empfand.

Unter solchen Umständen wollten ihre Hoffnungen auf einen gütlichen Vergleich zwischen ihm und den Herren 156 von Rothenburg nicht erstarken. Da war ihr denn der Ernst und Eifer, mit denen Doktor Max Eberhard sich der Sache des Ritters annahm und zunächst auf Grund der ihm von letzterem mitgeteilten Akten und Handschreiben eine Revision des Prozesses bei dem Reichskammergericht zu veranlassen suchte, ein großer Trost. Sein Wesen flößte ihr Vertrauen ein und er wurde von ihr und Else freundlich empfangen, so oft er sich einfand. Er aber hatte nicht gezögert, von der Einladung des Ritters Gebrauch zu machen und wurde ein häufiger Gast in dessen Hause. Die im Unglück gereifte Milde der Frau von Menzingen und der schönlockigen Else ernstes Wesen, dem durchaus nichts Säuerliches beigemischt war, taten ihm wohl wie ein kühler Abendwind nach heißem Tage. Der mutter- und geschwisterlos Aufgewachsene empfand zum ersten Male den besänftigenden und befreienden Einfluß edler Frauen. Er fühlte sich nicht mehr wie seit seiner Rückkehr aus Welschland durch seine Ideen sowohl als durch die Sitten der jungen Patrizier vereinsamt. Frau Margarethe und Else hörten ihm aufmerksam und gern zu, wenn er von den in Italien empfangenen Eindrücken und den herrlichen Kunstwerken sprach, die er dort geschaut hatte. Sie kannten sattsam das harte Los der armen Leute und teilten seine Hoffnung auf deren Erlösung. Er sah es im besonderen an dem Aufleuchten von Elses dunkelblauen Augen. Es überflutete ihn vollends wie ein sonniger Strom, als er eines Abends die Antwort des Ritters Florian auf seinen Brief vorlesen konnte. Ohne jeden Wortschmuck, markig und klar, schrieb Florian Geyer, daß der neue Wein nicht in die alten Schläuche gegossen werden dürfte, ansonst er verdürbe. Nur aus einem wahrhaft freien Gemeindewesen könnte das Wohl des Volkes erwachsen. Wie geschrieben stehe, daß der Mann Vater und Mutter verlassen solle, um dem Weibe seiner Wahl zu folgen, desgleichen müßte Max seiner Überzeugung getreue Gefolgschaft leisten und vor keinem 157 Opfer zurückscheuen. Nicht durch Worte, sondern durch die Tat würde die Welt überwunden.

Dieser Brief kam zur rechten Zeit, um Max in dem Kampfe mit dem Vater zu stählen. Der Unwillen desselben, weil Max seinen ehrgeizigen, auf das Vermögen Gabrielens gebauten Entwürfen sich nicht fügen wollte, war noch mehr dadurch geschürt worden, daß der Sohn die Verteidigung Stephans von Menzingen übernommen hatte. Nach seiner Ansicht war von diesem ersten Prozesse für Max weder Vorteil noch Ehre zu erwarten; der Prozeß konnte nicht gewonnen werden. Der Aufenthalt im Vaterhause wurde für Max immer unerquicklicher. In der Gesellschaft Elses und ihrer Mutter vergaß er es.

In dem Briefe hatte sich eine Einlage befunden, welche von einer anderen Hand als der Florian Geyers überschrieben war. Sie war für Stephan von Menzingen bestimmt. »Von Wendel Hipler«, sagte Max, als er ihm das Schreiben überreichte.

»Und er schreibt mir von der Burg des Ritters Geyer von Geyersberg«, rief Herr Stephan, den Brief hastig öffnend. »Das ist ein gutes Zeichen. Auch der Ritter lag mit seinem Fähnlein vor Hohentübingen und ich bin überzeugt, daß die Sache damals nicht zum äußersten gekommen wäre, wenn er oberster Feldhauptmann gewesen und nicht dieser listige, herzlose und grausame Truchseß von Waldburg. Der war freilich der rechte Mann, um den Edelstein Württemberg für Habsburg zu gewinnen, gleichviel auf welche Weise. Wohl, wohl, aber der Herzog Ulrich lebt noch.« Er sah wieder in den Brief und äußerte dann: »A, er hat den Prozeß der armen Leute gegen die Grafen von Hohenlohe gewonnen. Und auch er weist mich mit dem meinigen an Euch, lieber Doktor. Das ist für mich die gewichtigste Empfehlung; denn erstens steht sicher Herr Florian dahinter und zweitens sind ihm die Doktores der römischen Rechte ein Graus, wie er mir in Heilbronn 158 gestand, wo er von Euch noch nichts zu wissen schien, Doktor. Diese Doktores sind es, schalt er damals, die das Reich mit dem römischen Rechte zu Tode kurieren. Nichts für ungut, lieber Doktor!«

»Ich widerspreche Herrn Hipler mit nichten«, versicherte Max. »Das römische Recht ist der Schwamm in unserem Hause. Wie die Faust aufs Auge, so paßt es auf unsere deutschen Verhältnisse. Das römische Recht hat unsere Dorfgemeinden um ihr Eigentumsrecht an Grund und Boden und um ihre Freiheit gebracht. Es hat den Freien zum Hörigen und den Hörigen zum Sklaven heruntergedrückt. Wenn Junker und Landesherren, gleichviel ob weltlich oder geistlich, sich jeden Übergriff, jede Unterdrückung erlauben, worauf stützen sie sich, als auf das römische Recht? Es hat den Eigennutz und die Selbstsucht großgezogen und heiligt sie, denn sie sind sein Grundgesetz; auf ihnen baut es sich auf.«

»Mag sein, werter Doktor«, sprach der Ritter gleichmütig. »Allein wie die Welt nun einmal ist, so sind es nicht die schönen und großen Ideen, sondern der Eigennutz, der sie regiert. Frei ist nur, wer Macht hat, denn er hat Recht. Darum sage ich: Macht! Macht! Macht! Das ist die Wünschelrute, die alle Schätze hebt.«

Seine Gattin betrachtete ihn mit bangen Blicken. Sie war nicht die Vertraute seines Kopfes. Er aber war in rosiger Laune und ließ Wein bringen, um auf das Wohl Wendel Hiplers und Florian Geyers zu trinken. Er ersuchte Max, ihn dem letzteren bestens zu empfehlen, wann er wieder nach Giebelstadt schriebe. Dann sagte er, die Becher nochmals füllend: »Ich würde meine Behauptung von vorhin Lügen strafen, lieber Doktor, so ich über dem Wohle jener vortrefflichen Männer unser eigenes vergäße. Ich bin auch ein wenig Zeichendeuter und so bringe ich diesen Trunk Euch, lieber Doktor, mit dem Wunsche zu, daß die glücklichen 159 Aspekten, welche ich für unsere Sache in den Sternen lese, sich, und zwar bald, erfüllen mögen!«

Jedenfalls hatte er, seitdem er in Rothenburg war, keine Zeit verloren, um seine Sache zu fördern. Er war sogleich mit den Männern, die an der Spitze der reformatorischen Bewegung standen, in Verbindung getreten, indem er sich durch den Altbürgermeister bei dem Fräulein von Badell hatte einführen lassen, deren Haus am Burgtor ihnen zum Stelldichein diente. War dieser Verkehr schwerlich dazu angetan, ihn bei Rat und Geschlechtern in guten Geruch zu bringen, desto mehr gereichte er ihm bei der Bürgerschaft zur Empfehlung. Auch benahm er sich gegen diese in leutseliger Weise, und die stolze Haltung, die er dem Patriziat gegenüber behauptete, galt ihr als ein Beweis, daß er sich in seinem Gewissen von den Anschuldigungen, die auf ihm ruhten, rein wußte. Es war ihm keiner zu gering, und wann ihn sein Weg über den Hauptmarkt führte, so blieb er bei den Krambuden am Rathause stehen und unterhielt sich mit den Händlern und den Leuten, die sich dort zusammenfanden. Es fehlte hier gewöhnlich nicht an Müßiggängern; denn man erfuhr hier immer das Neueste aus der Stadt. Auch sorgten die Meister, mit denen er nächtens im Hause Kilian Etschlichs über die öffentlichen Angelegenheiten beriet, dafür, daß sein Ansehen in der Stadt wuchs.

Eines Tages beschenkte er Else mit einem kostbaren Gewandstoff aus venetianischer Seide. Es stand ein Geschlechter-Tanz bevor und er wollte bei dieser Gelegenheit die Tochter in die Welt einführen. Es dünkte ihn an der Zeit, aus der bisherigen Zurückhaltung herauszutreten, sollte diese nicht von den Patriziern falsch gedeutet werden. Die Kostspieligkeit des Stoffes machte Frau von Menzingen betroffen. Denn sie wußte nur zu gut, daß die Vermögenslage ihres Gatten eine so große Ausgabe nicht gestattete, und legte sich und den Kindern manche Einschränkung 160 auf, um sein Verlangen nach einer feinen Tafel befriedigen zu können, Er gehörte zu den Männern, die für ihre eigene Person sich jeden Wunsch erfüllen, und seine Gattin war geneigt, seinen Hang zum Luxus mit den Entbehrungen zu entschuldigen, die er im Dienste des Herzogs Ulrich nach dessen Sturz hatte ertragen müssen. Da nachträgliche Vorstellungen die Sache nicht mehr zu ändern vermocht hätten, so schwieg sie über die großen Kosten, in die er sich um Elses willen gestürzt hatte; auch wollte sie der Tochter die Mädchenfreude nicht verderben, mit der diese den prächtigen Stoff in der vollen Tagesbeleuchtung flimmern ließ. Else selbst aber faltete ihn bald wieder zusammen und legte ihn mit den Worten beiseite: »Das ist viel zu kostbar für mich. Darin könnte eine Grafentochter zu Hofe gehen.«

»Und warum Du nicht?« fragte der Vater mit einem Stirnrunzeln. »Die Menzingen sind ein turnierfähiges Geschlecht und wer weiß, ob der Tag nicht näher zur Hand ist als Du ahnst, der Dich an einen Fürstenhof führt.«

Else sah ihn mit weitgeöffneten Augen an, schüttelte in stummem Widerspruch die Locken und trug den Gewandstoff hinweg.

»Ihr solltet nicht versuchen, das Kind ehrgeizig zu machen«, stellte die Mutter dem Ritter vor. »Fürstengunst, was hat sie Euch eingetragen, mein Gemahl? Der eine hat es stillschweigend geschehen lassen, daß Ihr ihm Euren guten Leumund opfertet, der andere hat Euch mit in seinen Untergang gerissen. Der Sinn unseres Kindes ist schlicht und ernst, Glanz würde es nicht glücklich machen.«

»Laß' Else ihn nur erst kennen lernen«, versetzte Herr Stephan. »Ihre Geburt weist sie in höhere Kreise als derjenige ist, welchen dieser Adel von Elle, Scheffel und Kelter bildet. Adelig wollen sie sein, es ist zum Lachen.« 161

»Und dennoch wähltet Ihr aus diesem Kreise Eure eigene Gattin«, betonte sie.

»Wohl, wohl!« rief er verdrießlich. »Der Mann hebt die Frau zu sich empor, oder er zieht sie zu sich herunter. Doch sorge Dich nicht um die Zukunft, sondern nur, daß Else ihrem Stande gemäß auf dem Tanzhause erscheint.«

Frau von Menzingen schwieg bekümmert.

Während sie und Else in dem stillen Frauengemach mit den Vorbereitungen zum Feste sich beschäftigten, erhielt die schöne Gabriele aus dem Kloster, in dem sie erzogen worden, von der ehrwürdigen Schwester Lamperta ein Brieflein, worin sie um ihren Besuch gebeten wurde. Schwester Lamperta unterwies die Klosterschülerinnen in den weiblichen Handarbeiten, unter denen für die vornehmen Fräulein die Kunst des Stickens obenan stand. Damit der Geist dabei nicht müßig blieb, so ließ sie unterdessen die Schülerinnen abwechselnd aus dem »Leben der Heiligen« vorlesen, oder sie öffnete das Schatzkästlein ihrer eigenen Erfahrungen und erzählte von dem Leben des Adels, von Turnieren und Hoffestlichkeiten und lehrte, wie edle Fräulein sich dabei zu benehmen hätten. Sie war auch die Lehrmeisterin Gabrieles und Sabines gewesen, und die Kissen, Decken und Deckchen, mit denen in dem gemeinsamen Zimmer der beiden Mädchen alle Sessel, Betpult, Tische und Tischchen belegt waren, legten rühmliches Zeugnis von der dort erworbenen Kunstfertigkeit ab, aus goldenen, silbernen und farbigen Fäden auf Tuch, Seide und Sammet zierliche Gebilde herzustellen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, so rührte jedoch die Mehrzahl dieser Arbeiten von der fleißigen Nadel Sabines her. Ihre Freundin verfügte nicht über die dazu erforderliche Geduld, wie ihr Handarbeiten überhaupt zuwider waren. Sie zog es vor, in einem der geschnitzten, weichen Sessel zu liegen und träumerisch die Gestalten 162 und Muster der Teppiche, welche die Wände verhängten, oder die goldenen, silbernen und kristallenen Gefäße und Majoliken, welche die Gesimse schmückten, zu betrachten. Wovon träumte sie? Trotzdem und obgleich weder ein fleißiges noch artiges Kind, war sie der Liebling der frommen Schwester Lamperta gewesen und war es noch. Vielleicht weil sie in Gabrieles Wesen wie in ihrer verheißenden Schönheit den Stoff erkannt hatte, aus dem sich das Muster einer Edeldame formen ließ. Sie hatte deshalb auch nicht die Bemühungen ihrer frommen Mitschwestern unterstützt, welche nach dem Tode von Gabrieles Eltern den Goldfisch für den Klosterteich zu gewinnen trachteten, während der damalige Rat darauf bestand, das Vermögen der Stadt und den Geschlechtern zu erhalten.

Warum Schwester Lamperta ihren ehemaligen Zögling am folgenden Tage zwischen 10 und 11 Uhr zu sprechen wünschte, war in dem Brieflein nicht angegeben. Es war nicht das erste Mal, daß Gabriele einen solchen Zettel erhielt, denn die fromme Schwester hörte sie gern von der Welt draußen erzählen. Die Pförtnerin des Klosters wies Gabriele nach dem Garten, welcher auf drei Seiten von einer gewölbten Halle umschlossen war, die vierte Seite nach dem Tale bildete die Stadtmauer. Schwester Lamperta lustwandelte nicht einsam in dem Kreuzgange. Ein Mann in dunklem Mantel und schmucklosem Barett ging ihr zur Seite. Beide kehrten Gabriele den Rücken. Die Dominikanerin vernahm das Rascheln der weiblichen Gewänder auf den Steinfliesen zuerst. »Ach, da bist Du ja endlich, mein süßes Kind«, rief sie erfreut, indem sie sich umsah, und watschelte dem Mädchen entgegen. Denn wie den Frommen alles, so war der ehrwürdigen Schwester Lamperta das Klosterleben zum besten gediehen. Sie war vortrefflich genährt und das runde Gesicht, das dem Besuch aus den weißen Binden unter schwarzem 163 Schleier entgegenglänzte, strafte die reichlich vierzig Jahre ihres Daseins Lügen. Es war noch ganz glatt und schimmerte so weiß und rosig, als ob es nur eben mit Wachsfarben angestrichen wäre. Die Hand, die sie schon von ferne aus dem weiten Ärmel ihrer Kutte dem Mädchen entgegenstreckte und von dieser pflichtschuldigst geküßt wurde, hatte an Stelle der Knöchel lauter Grübchen. »Nein, wie reizend Du wieder aussiehst«, fuhr sie fort und überflog mit kleinen entzückten Augen den schönen Besuch.

Unterdessen hatte sich auch ihr Begleiter dem letzteren zugewandt und Gabriele erkannte überrascht den Junker Zeisolf von Rosenberg. Diese Überraschung währte jedoch nur einen kurzen Augenblick; denn sie erinnerte sich, daß der Junker ein Neffe der Schwester Lamperta war und daß dort, wo der nördliche Flügel des Kreuzganges an die Stadtmauer stieß, in dieser ein Pförtlein sich befand – um den Klosterleuten den weiten Umweg durch die Stadttore zu ihren Weinbergen im Taubertal zu ersparen. Ein etwas ironisches Lächeln züngelte um den stolzen Mund Gabrieles, wie sie dem Gruße des Junkers dankte, der mit mehr Anstand sich verneigte, als seine untersetzte Gestalt vermuten ließ.

»Du kommst gerade zur rechten Zeit, um mir beizustehen«, nahm Schwester Lamperta wieder das Wort. »Ich mußte diesem bösen Menschen eine Strafpredigt halten. Du wirst Dich meines Neffen noch aus der Zeit erinnern, in der Du als kleiner Wildfang im Kloster umherflattertest. Aber setzen wir uns, Kindchen!« Sie setzte sich auf eine der dunkelbraunen Eichenbänke, die in dem Kreuzgange standen, und Gabriele folgte ihrer Einladung. »Er ist ein hartgesottener Sünder, man glaubt es kaum«, spann die ehrwürdige Schwester ihren Faden weiter, indem sie ihre Äuglein wie mit der Zärtlichkeit einer schwachen Mutter auf den Junker richtete. »Ich habe ihm zugeredet, daß er die Buße an 164 den Rat zahle; aber er will nicht. Hilf mir, ihm zureden.«

»Ich?« fragte das Mädchen mit kühlem Befremden.

»Es wäre ein christlich Werk; denn er stirbt auf Haltenbergstedten vor Langeweile und Sehnsucht«, seufzte lachend die Nonne.

Die schöne Gabriele zuckte gleichmütig mit den Schultern. Zeisolf von Rosenberg starrte sie aus seinen etwas wässerigen Augen an und zwirbelte an seinem roten Bart, der ihm über den Mund hing. Seine Muhme aber rief noch heiterer: »Die Mutter Gottes sei gepriesen, daß ich nie schön war, Ich würde sonst so grausam sein, wie Du, meine holde Blume.«

»Das schöne Fräulein darf nicht glauben, daß ich eigensinnig bin«, räusperte sich der Junker. »Ich habe meine guten Gründe.«

»Über die mir ein Urteil nicht zusteht«, lehnte Gabriele seinen Versuch einer Rechtfertigung ab.

»Nein, aber die edle Jungfrau verkennt mich.«

»Da ich Euch nicht kenne, Herr von Rosenberg, so kann ich Euch auch nicht verkennen«, antwortete Gabriele kalt.

»Ihr tut's dennoch«, murrte er.

»Ihr braucht auf mich keine Rücksicht zu nehmen, Kinder, fechtet Euren Strauß nur aus«, bemerkte die Nonne gemütlich. »Ich hab's gern, wenn die Jugend sich neckt.« Gabrieles befremdeter Blick glitt an ihrer unschuldsvollen Seele ab. »Also, sie verkennt Dich, Neffe? – Aber war das nicht Schwester Beate, die den Kopf aus dem Refektorium hereinsteckte?« Damit erhob sie sich, watschelte nach dem Refektorium, dessen Tür sie öffnete und hineinsprach, wie es schien. »Ich komme gleich wieder«, rief sie laut zurück und verschwand.

Gabriele, die ihr mit den Augen gefolgt war, krauste die feinen schwarzen Brauen. »Worin also verkenne ich Euch?« fragte sie gedehnt. 165

»Darin, daß Ihr das Recht und die Macht Eurer Schönheit über mich mißkennt!« rief Zeisolf von Rosenberg aufflammend.

Die schwarzen Augen Gabrieles öffneten sich weit. Jener fuhr leidenschaftlich fort: »Das ist die Wahrheit. Ich erinnerte mich Eurer wohl noch aus den Klosterjahren. Aber dann sah ich Euch am Dreikönigstag und wie Ihr über den Markt rittet. Sturm und Hagel, seid Ihr eine Schönheit!« Er schlug sich mit der Faust so stark auf die Brust, daß der Harnisch, den er unter dem Mantel trug, dumpf erdröhnte.

Es flog wie Feuerschein über Gabrieles Gesicht. Dann lachte sie leise auf und spottete, indem sie sich erhob: »Um Eure Beichte zu hören, ward ich also herbeschieden?«

Er war betreten; aber er rief, seine Verlegenheit brutalisierend: »Nun ja, zum Teufel, ich mußte es Euch sagen, daß Eure Schönheit es mir angetan hat.«

Sie zog stumm die Schultern in die Höhe und wollte sich entfernen. Er streckte die Hand aus, um sie daran zu hindern. Ein eisig stolzer Blick ließ ihn davon abstehen. »Höret mich an!« rief er. »Ihr müsset mich hören, schöne Gabriele; denn beim Satan, ich bin rasend in Euch verliebt!«

»Könnt Ihr's nicht noch lauter herausschreien, so daß es das ganze Kloster hört?« fragte sie und ihre weiße Stirn faltete sich zornig unter der Pelzverbrämung ihres Sammetbaretts.

»Was schiert's mich?« rief er etwas weniger laut. »Meinetwegen mag es die ganze Welt wissen –«

»Daß Ihr ein Narr seid«, zischte es von ihren Lippen wie ein Pfeil durch die Luft.

Er prallte zurück. Gleich darauf aber sagte er: »Im Gegenteil, ich war nie vernünftiger als jetzt. Bei meinem Schutzpatron – um Eure allerliebsten kleinen Ohren nicht wieder mit seiner höllischen Majestät zu 166 beleidigen – bei meinem Schutzpatron, ich lieb' Euch, schöne Gabriele.«

Nun schien er sie zu belustigen. Denn sie spottete: »Das muß ein sonderbarer Heiliger sein, der den wilden Junker von Rosenberg in Schutz nimmt!«

Es schmeichelte ihm sichtlich die Bezeichnung, die sie ihm gab. Er faßte die beiden Feuerflammen seines Bartes zusammen und ließ sie durch die Hand gleiten, während seine Augen heiß auf ihr ruhten, und er murmelte: »Ich glaube wahrhaftig, es ist keine alte Mär, daß der Teufel zuweilen die Gestalt eines schönen Weibes annehme, um uns toll zu machen.«

»So schlaget ein Kreuz, wenn Ihr es noch nicht verlernt habt, und der Spuk verschwindet«, höhnte sie abermals.

»Daß ich der Narr wäre, den Ihr mich scheltet«, rief er mit dumpfer Leidenschaft. »Solch schönen Teufel halt' ich fest, und halt' ich ihn einmal, so weiß ich auch, daß er sich aus meinen Armen nicht wieder fortwünschet.«

»Wenn Ihr ihn haltet«, rief sie mit einem herausfordernden Blick. »Aber lassen wir ihn und die Heiligen! Beide schätzen Eure Schwüre nicht schwerer denn eine Flaumfeder, und so tue auch ich.«

Sie wollte gehen. Er aber vertrat ihr den Weg und schnaufte: »Wenn Ihr meinen Worten nicht traut, so will ich Euch durch die Tat beweisen, daß ich Euch liebe. Was verlanget Ihr? Fordert, ich gehorche! Soll ich die verdammte Stadt an allen vier Ecken mit Feuer anstoßen und mitsamt dem Rat verbrennen?«

»Wie?« rief sie verächtlich, »seid Ihr so zag, daß ich Euch zum Vorwand dienen soll, Euch zu rächen?«

»Wenn das ein anderer Mund als der Eurige gesagt hätte, Hölle und Teufel«, polterte er und seine Hand umkrampfte den Griff seines Schwertes. »Ihr habet wohl keine Feinde?«

»Und wenn, was dann? Wer hätte keinen?« 167

»So nennt ihn, wer es auch sei, und er lebt nicht mehr!«

Die Augen der schönen Gabriele flammten unheimlich auf. Aber sie blieb stumm.

»Den Namen!« drängte er.

»Genug!« rief sie mit einer gebieterischen Bewegung ihrer Hand. »Lasset Euch von Eurer Muhme, der Schwester Lamperta, unterweisen, wie man um Frauenliebe wirbt.«

Sie rauschte davon und der wilde Zeisolf starrte ihr wie an der Stelle eingewurzelt nach. Gleich darauf kam Schwester Lamperta aus dem Refektorium zurück und tat verwundert, als sie Gabriele nicht mehr fand. »Schon fort?« fragte sie. »Aber Du hast sie gewonnen?«

Der Ritter ließ die beiden Zacken seines roten Bartes langsam durch beide Fäuste gleiten. Dann sagte er mit dumpfem Groll: »Aber ich werde sie gewinnen, bei allen Teufeln!«

Die fromme Schwester schlug ein Kreuz. »Die heilige Jungfrau verzeihe Dir Dein greuliches Fluchen, Neffe. Du bist also Deiner Sache gewiß? Gott sei gelobt! Aber es ist auch die höchste Zeit, daß Du Dein wüstes Wesen abtust, und das Geld kannst Du wahrlich auch brauchen. So erzähle doch!«

Sie ließ sich neugierig auf der Bank nieder. Er betrachtete sie mit spöttischen Blicken, indem er seinen Schnurrbart in die Höhe drehte und sagte: »Sicher, wenn Ihr mir helfet, fromme Muhme. Denn sie sagte, daß ich mich von Euch unterweisen lassen sollte, wie man um Frauenliebe wirbt.« Er grinste höhnisch.

»Sagte sie das?« fragte Schwester Lamperta gedehnt. Nach kurzem Nachsinnen fügte sie hinzu: »Aber sie hat recht. In Herzensangelegenheiten seid Ihr Männer ja alle Tölpel. Ich kann mir vorstellen, wie Du um die verwöhnte Schöne geworben haben wirst, etwa wie ein Strauchritter um den vollen Beutel eines Kaufmannes. Gut, ich will Dir helfen, denn ich bin überzeugt, daß 168 der Himmel Euch für einander bestimmt hat. Ach, wann werdet Ihr wilden Junker endlich einmal lernen, Euch in die Zeit schicken und zu Hofe gehen, anstatt in den Stauden zu liegen, wie Dein sauberer Vetter, der Kunz von Rosenberg, der Pappenheim, der Thomas von Absberg und wer seine Freunde sonst noch sein mögen. Du, Neffe, brauchtest dann auch nicht Dich heimlich hier einzuschleichen, sondern könntest offen werben, wozu Du morgen auf dem Geschlechtertanz die beste Gelegenheit hättest.«

Der Neffe hatte sie mit zunehmender Ungeduld angehört. »Ich zähle auf Euren Beistand«, sagte er jetzt. »Wenn Eure Frömmigkeit und meine Sündhaftigkeit einen Bund schließen, dann müßte es ja mit dem Teufel zugehen, wenn ich die schöne Gabriele nicht eroberte.«

Die ehrwürdige Schwester schlug entsetzt ihre fetten, weißen Hände zusammen. Er aber zog eine von ihnen fast gewaltsam an seine Lippen. »Ist das ein schrecklicher Mensch!« ächzte sie. »Mögen die Heiligen sich Deiner erbarmen!«

»Amen, fromme Muhme«, lachte er und entfernte sich durch das Pförtchen in der Stadtmauer. Vor demselben leitete ein Pfad, zum teil durch dichtes Gebüsch, steil zur Tauber hinab und auf einem schwanken Stege über dieselbe zur Fuchsmühle. In den Erlen bei derselben wartete ein Reitknecht mit dem Pferde des Junkers. Einem Bettler, der eben des Weges kam, spie Zeisolf von Rosenberg in den demütig abgezogenen Hut. Das war ein Almosen. Der Bettler drohte den talabwärts Reitenden wütend mit der Faust nach, und in den Mühlen, vor deren Türen er heischte, und in der Stadt droben erzählte er, daß er den Teufel in Gestalt des rotbärtigen Junkers von Rosenberg aus dem Kloster der Dominikanerinnen hätte ausfahren sehen.

Die schöne Gabriele verließ das Kloster so eilig, als befürchtete sie, verfolgt zu werden. Erst in der Durchfahrt der Klingengasse unter dem Orgelchor von St. Jakob 169 mäßigte sie ihre Schritte. Daheim erzählte sie Sabine mit einem ausgelassenen Lachen von der Liebeserklärung des wilden Zeisolf und daß er die Stadt anzünden wollte, um ihr die Aufrichtigkeit seiner Leidenschaft zu erhärten. Von seinem Anerbieten, ihre Feinde zu töten, schwieg sie. »Nicht wahr, Schatz, ich habe Ursache, eitel zu sein?« so schloß sie mit einem neuen Auflachen und warf einen Blick in den venezianischen Spiegel mit silbernem Rahmen, hinter dem Pfauenfedern hervorstaken. »Ich will mich daher morgen auch so schön machen, als ich nur kann.«

»Für alle Welt sich putzen, das heißt bloß für sich selbst sich putzen; ich wollte, ich hätte jemand, für den es sich der Mühe lohnte«, seufzte die blonde Braut des Ritters von Adelsheim.

Ihre Freundin aber tat nach ihren Worten.

Das Tanzhaus der Geschlechter, in welchem das Fest stattfand, lag auf der Herrengasse, dem Rathaus schräg gegenüber. Dort hatte vordem das alte Rathaus gestanden, das abgebrannt war. Von ihm rührte noch das dicke Mauerwerk des Erdgeschosses mit den drei Eingängen her. Die Stockwerke darüber waren nur leicht aufgeführt und das Dach zierten zwei goldene Kugeln, die Siegesbeute eines Auszuges der Rothenburger gegen das Schloß Archshofen. Das Erdgeschoß wurde von den Fleischbänken eingenommen, und die Metzger waren bei einer Strafe von fünf Pfund Heller oder zehn Gulden gehalten, ihre Ware nirgend anderwärts als hier feilzubieten, gleich wie die Bäcker die ihrige in dem Brothause auf dem Plätzlein hinter dem Rathause und der Herren-Trinkstube. Unmittelbar über den Fleischbänken lag der große Tanzsaal. Er war zum Feste mit Tannengewinden und Bannern geschmückt und die Bänke, die rings an den Wänden sich hinzogen, waren mit roten Kissen belegt.. Eine schmale Galerie im Hintergrunde des Saales war schon lange vor der dritten Nachmittagsstunde, um welche der Tanz 170 beginnen sollte, von Zuschauern eingenommen. Die minder Glücklichen ballten sich auf der Herrengasse zusammen, um wenigstens die Patrizier ankommen zu sehen. Still und feierlich ging es dabei nicht zu. Die Schaulust war groß und die Mittelfranken sind alles andere, nur keine Murrköpfe.

Kaspar Etschlich war es dank seiner breiten Schultern gelungen, für sich und Hans, der ihm nur mit innerem Widerstreben gefolgt war, einen Platz auf der Galerie zu erobern und sich sachte bis an die Brüstung durchzudrängen. Sein Humor kam ihm dabei wohl zustatten. Wie Thomas Zweifel, der Chronist von Rothenburg, die Geschichte der Stadt kannte, so eingeweiht erschien Kaspar in die geheime Chronik der Ehrbaren. Er verriet es in den Glossen, die er laut zu einzelnen Persönlichkeiten machte, wenn sie, nachdem sie aus Mänteln und Kapuzen sich geschält hatten, den Saal betraten. Seine nächste Umgebung lachte darüber zuweilen so laut und ausgelassen, daß es unten im Saale bemerkt wurde. »Ja, gucket nur«, sagte Kaspar. »Sonst schaut Ihr auf uns herab; heut sind wir die obersten und Ihr müsset vor uns Komödie spielen.«

Plötzlich stieß er Hans an und flüsterte, indem er ihm mit den Augen ein Zeichen nach der Saaltüre machte: »Schau den stattlichen Herrn in geripptem schwarzem Sammet mit der dicken weißen Halskrause, auf der sein Kopf wie der des Täufers auf der Schüssel liegt! Das ist der Ritter von Menzingen, Du weißt schon.« Hans folgte dem Winke, jedoch war es nicht Stephan von Menzingen, auf dem seine Blicke ruhen blieben, sondern Else, die mit züchtig gesenkten Lidern ihrer Mutter zur Seite schritt. Eine Perlenschnur, die auf der feingewölbten Stirn von einem Saphir zusammengehalten wurde, umschlang das reiche, kastanienbraune Haar, das in gewundenen Locken die blütenweißen Schultern küßte. Die Perlen schimmerten wie Tau vor Sonnenaufgang, und gleich der ersten Morgenröte 171 umfloß mit Silber durchwirkte Seide die mittelgroße ebenmäßige Mädchengestalt, die sich mit einer natürlichen Würde bewegte. In ihren Mienen malte sich einige Befangenheit, die jedoch sogleich verschwand, als Max Eberhard sich ihr näherte und ihr die Hand bot.

»Gelt, das ist ein feiner Faden, das Jüngferlein«, raunte Kaspar dem Freunde zu, der Else mit sinnendem Auge verfolgte, während der Saal sich nun rasch füllte. »Hast Du den Frauenkopf am Chor von St. Jakob gesehen?« flüsterte Hans.

»Nu freilich«, bejahte Kaspar. »Er soll ein Fräulein vorstellen, das den Chor auf ihre Kosten hat errichten lassen. Die Bürgerschaft hat den Dom ganz allein von ihrem Geld aufgebaut.«

»Sie ist längst vermodert, aber ihr Bild zeigt noch heute jedem, wie sie hat ausgeschaut«, sagte Hans und fügte seufzend hinzu: »Wer doch auch so was machen könnte, daß das Schöne, was einer schaut, nimmer vergeht.«

Kaspar schielte ihn von der Seite an: er aber bemerkte es nicht. Traurigen Blickes schaute er ins Weite. Da huben die Stadtmusikanten mit aller Gewalt zu trompeten, zu pfeifen und zu pauken an. Das oberste Stadthaupt mit den Seinen betrat den Saal; die Platzmeister in roter Tracht und weißen Ärmeln eilten herbei, um sie zu den vorbehaltenen Plätzen zu geleiten. Das Antlitz Lautners flammte feuerrot auf. Wie eine Fürstin und als ob der goldene Blätterkranz, der ihr frei wallendes Haar schmückte, eine Krone gewesen wäre, so empfing Gabriele die Grüße der heranschwärmenden Junker. Gelber Atlas umknisterte die üppig schlanken Glieder und funkelndes Geschmeide zierte Ohren und Hals. Am Saum und an den Handgelenken war das Gewand mit farbiger Seide gestickt. Blaues Atlasband mit flatternden Schleifen unterschnürte zweimal die gepufften Ärmel, deren Schlitze ebenfalls blau unterfüttert waren. Ein Mäntelchen, das 172 nur bis zu den Ellenbogen reichte, bedeckte noch die nackten Schultern. Nachher beim Tanze warf sie es ab, wie auch die jungen Herren ihre Schauben.

Wie sie flüchtig Umschau im Saale hielt, traf ihr Auge auf Else von Menzingen. Sie wußte nicht, wer der Lockenkopf war, aber sie erriet es aus den Schilderungen, die ihr von dem Mädchen gemacht worden, und ihre dunkelroten Lippen verzogen sich ein wenig geringschätzig. Nach ihrem Urteil verdiente Else das warme Lob der jungen Patrizier nicht.

Mittlerweile hatten die Spielleute ihre früheren Instrumente mit Geigen, Flöten und Lauten vertauscht, deren weiche Klänge jetzt zum Reigen einluden. Der Junker Hermann von Hornburg entführte die schöne Gabriele. Einer seiner Vorfahren hatte das Franziskanerkloster am Burgtore, dem Hause des Fräuleins von Badell gegenüber, gestiftet, um sich die ewige Seligkeit zu sichern; Junker Hermann trachtete nur nach der irdischen, und säete seinen wilden Hafer mit vollen Händen. Sein blasses, nicht häßliches Gesicht verriet den Wüstling, sein Anzug den Gecken. Die phantastische Tracht der Lanzknechte begann Mode zu werden und er führte sie in Rothenburg ein. Seine Kleidung war rot, weiß und grün, und an den Armen, den Hüften und Knien von Schlitzen durchbrochen. Selbst seine Schuhe, die man wegen ihrer breiten Abrundung vorn Kuhfüße oder Bärentatzen nannte, waren über den Zehen gepufft und geschlitzt, und ebenso das schief auf dem rechten Ohre sitzende feuerrote Barett mit langer weißer Schwungfeder.

Wie Gabriele ihm folgte, war es, als ob ihr Fuß stocken wollte. Sie sah Max, den sie in seiner schwarzen schlichten Advokatentracht bisher nicht bemerkt hatte, das Schönhaar an der Hand zum Reigen führen. Max, der Bußprediger, tanzte! Gabriele hätte hohnlachen mögen. Aber sie konnte nicht. Jetzt wußte sie, warum er sie verschmäht, warum er sich 173 seit dem Dreikönigstage nicht mehr im Hause des Bürgermeisters hatte blicken lassen. Gekränkte Eitelkeit, gedemütigter Stolz erhielten jetzt ihren schärfsten Stachel durch die Eifersucht. Sie schritt im Reigen dahin und hörte nichts von dem, was ihr Partner sprach.

Hans ließ kein Auge von ihr. Gleich einer bunt glitzernden Schlange wand sich bei dem Girren und Klingen der Lauten, Violen und Flöten der Reigen im Saale. Der erregte Staub lag wie ein dünner Schleier über ihm. Zwei Platzmeister führten ihn an und wie sie vortanzten, so mußte jedes Paar nachtanzen. Sie aber bemühten sich, Ehre einzulegen, indem sie den Reigen nicht nur neu ersonnene und kunstvolle Figuren und Verschlingungen, sondern auch gar lustige und kühne Sprünge machen ließen, daran denn die Zuschauenden ihre laute Freude hatten. Die derbe Zeit steckte dem Schicklichen sehr weite Grenzen. Else hatte dergleichen in ihrer ländlichen Einsamkeit nie gesehen und daß ihr darob nicht froh zu Mute war, verrieten die Blicke, die sie zuweilen ihrer Mutter zuwarf. Auch machten sie und Max die kecken Sprünge nicht mit. Plötzlich blieben die beiden Vortänzer stehen und umarmten und küßten einander mit übertriebener Zärtlichkeit. Unter Kichern und Lachen, das von dem Gewieher der alten Herren übertäubt wurde, folgten die Paare dem Beispiele. Else schlug das Herz vor Schrecken bis in den Hals hinauf, und auch Max klopfte das Herz stärker. Aber die Roheit empörte ihn und er zog die eisig kalt gewordene Hand des Mädchens an seine Lippen. Sie dankte ihm mit einem Blicke, der ihm süßer dünkte, als wenn er unter solchen Umständen ihren zarten Mund geküßt hätte.

Der Reigen löste sich auf. Die älteren Männer zog es zu dem Kredenztisch, der in einem Nebengemach aufgestellt war. Im Saale wirrte und schwirrte es kichernd, lachend, schwatzend durcheinander, und 174 zerbrach man sich die Köpfe darüber, wer die Platzmeister zu der Kußtour bestochen hätte. Denn dergleichen Bestechungen kamen nicht eben selten vor. War es der Junker Hermann von Hornburg gewesen, wie man allgemein vermutete, so hatte er seine Absicht bei der schönen Gabriele nicht erreicht. Hans hatte gesehen, wie sie den Kopf schnell weggebogen, so daß seine lüsternen Lippen nur ihr schwarzes Gelock gestreift hatten.

Kaspar, der seinerseits Hans verstohlen beobachtet hatte, drückte diesem den Ellenbogen in die Weiche und sagte: »Laß uns gehen, Hänselin! Es tut Dir hier halt nimmer gut.« Hans fuhr verwirrt wie aus einem Traum auf. Er machte keine Einwendungen. Nur einen Blick warf er noch auf das schwarz umflutete Haupt mit dem goldenen Kranze, dem leuchtend sich hebenden Nacken, und folgte dem Freund die steile Hinterstiege hinunter auf die Gasse. Hier stand der blinde Mönch und sprach zu den Leuten, die vor dem Tanzhause versammelt waren. Lässig im Arm ruhte ihm der Stab, mit dem er sich durch die Straßen fühlte. Eines anderen Führers bedurfte er nicht, denn er war ein Rothenburger Kind und erst im Kloster erblindet. Er hatte die Kapuze seiner schwarzen, mit einem Strick gegürteten Kutte von dem mächtigen Schädel zurückgeschlagen. Hans und Kaspar hörten ihn in seiner Rede fortfahren: »– und Ihr törichten Leute letzet Euch an dem Getön der Flöten und Geigen, dabei die Herren über all Eure Beschwernis hinwegtanzen! Die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden muß ihr sein; so aber ein Hungernder ein Brot stiehlt, muß er henken. Mit satten Bäuchen predigen sie Entbehrung; ihr Ohr aber ist taub für alle Lehr' und Vermahnung. Hilf Gott!«

»Wahre Deine Zunge, Mönch, das ist Aufruhr!« rief hier eine harte und scharfe Stimme. Der Warner war 175 Konrad Eberhard, der von Hause kommend, unbemerkt herangetreten war.

»Der Herr Bürgermeister,« murmelten die Leute betroffen.

Der Barfüßler aber versetzte uneingeschüchtert: »So es Aufruhr ist, mögen die Herren die Ursache wegtun, daraus er kommen muß.«

Herr Konrad warf dem Mönch, vergessend, daß er blind war, einen durchbohrenden Blick zu und drohte: »Die Worte sollen Dir unvergessen bleiben. Ich werde sie Dir eines Tages ins Gedächtnis zurückrufen.« Damit ging er nach dem Tanzhause.

Hans Schmid durchpflügte mit den knochigen Fingern seinen Bart, der ihm bis tief auf die Brust reichte und sprach: »Wir alle müssen eines Tages Rechenschaft ablegen, Bürgermeister; dann wird es sich ausweisen, für wen es geschrieben steht: Mene tekel upharsin, d. h. gewogen und zu leicht befunden. – Arbeitet, auf daß Ihr nicht in Anfechtung fallet! Gott mit Euch!« Er wandte sich seinem Kloster am Burgtore zu, wo er im Sinne Karlstadts die Mönche zu bestimmen suchte, daß sie ihre Kutten auszögen und ein Handwerk erlernten.

Kaspar forderte seinen Freund auf, mit ihm in den Bären oder in den Roten Hahnen zu kommen. »Der Wein machet das Herz wieder fröhlich und Dir tut's gar not,« sagte er. Hans aber lehnte es ab; er sehnte sich danach, allein zu sein. »Ich wollte, daß all' das Reden erst ein End' hätte,« seufzte er, als er auf dem Markte von Kaspar sich trennte.

Der zweite Bürgermeister war unterdessen in den Tanzsaal getreten. Sein Erscheinen erregte manche Verwunderung; denn es war bekannt, daß er kein Freund öffentlicher Lustbarkeiten war. Sein Zusammenstoß mit dem Mönche ließ seine starren Züge noch starrer erscheinen. »Welch ein Wunder begibt sich? Ihr hier?« redete die schöne Gabriele ihn an, 176 die eben vom Tanze zurücktrat. »Doch, ich kann es mir erklären.«

»Ich suche von Muslor,« gab er nicht gerade freundlich zur Antwort.

»Das ist freilich auch eine Erklärung,« lachte sie. »Ihr findet ihn, wo die Becher klingen. Aber ich glaubte, Ihr kämet, um fröhlich mit den Fröhlichen zu sein. Habet Ihr doch Ursache dazu, Herr Mundwalt.«

»Ich verstehe Dich nicht, Kind, was soll's?«

»Man darf Euch doch Glück wünschen?« fragte sie mit einem neckischen Blick.

»Wozu denn? Ich wünsche nur eines, wie Du weißt.«

Sie beachtete den Nachsatz nicht, obwohl sie ihn verstand, sondern sagte, die Stimme sinken lassend, um nicht von anderen gehört zu werden: »Nun, mir scheint, daß wir außer Sabinens Hochzeit zu Ostern noch eine zweite feiern werden. Oder soll es vorläufig noch geheim bleiben?« Ihre Blicke wiesen ihn nach der Stelle, wo Max mit Else, die neben ihrer Mutter saß, sich unterhielt.

»Wer ist das?« fragte er rauh.

»Wie, Herr Mundwalt, Ihr kenntet das Fräulein von Menzingen nicht?«

Er sah nochmals hin; dann sagte er kalt: »Er ist leider der Anwalt ihres Vaters.«

»Und sein eigener Anwalt bei dem Herzen seiner Tochter. Was gilt es, diesen Prozeß gewinnt er sicher.« Ihre verführerischen Lippen krümmten sich höhnisch.

»Unsinn, Kind, Unsinn!« wehrte er ihre Behauptung ab, indem seine starken Brauen sich zusammenzogen.

Gabriele zuckte mit den vollen nackten Schultern. Ein Tänzer näherte sich ihr und Konrad Eberhard begab sich in die Zechstube. Auch Stephan von Menzingen saß hier in lebhafter Unterhaltung mit dem Ratsherrn Georg von Bermeter und Thomas Zweifel, dem Stadtschreiber. Herr Konrad winkte dem Bürgermeister und beide traten in eine Ecke, wo sie leise 177 und angelegentlich mit einander redeten. »Hol' der Teufel die ewigen Staatsgeschäfte,« schnob der Ratsherr von Seyboth, »morgen ist auch ein Tag.«

»Für Kopfweh,« fügte der kleine Herr von Schrag mit seiner hohen Stimme hinzu und es entstand ein allgemeines Lachen.

»Nun, ist das Ei gelegt?« fragte der wohlbeleibte Herr von Winterbach, als die beiden Bürgermeister wieder an den Tisch kamen, und seinen Becher erhebend, fuhr er fort: »Ich bring's Euch, Herr Konrad. Ihr schauet darein, als ob Ihr der Stärkung bedürfet.«

Dieser tat ihm mit erzwungener Freundlichkeit Bescheid. »Gelegt ist's längst und das Junge will ausschlüpfen,« sagte er.

»Ich verwette meinen besten Durst, daß es eine Ente ist,« rief ein Herr von Buchau, dem auf Wangen und Nase die dunklen Rosen des Weins blühten.

»Es ist kein Geheimnis, Ihr Herren,« sprach Erasmus von Muslor. »Vom Bundestags-Ausschuß in Ulm ist soeben ein Schreiben heruntergelangt, Herzog Ulrich ist vom Hohentwiel ausgezogen und denket wohl, Württemberg wieder einzunehmen.«

Die Überraschung der Herren war groß und sie tat in einem Gewirr von Ausrufungen und Fragen sich kund. Stephan von Menzingen war aufs höchste betroffen, allein seine Mienen verrieten nichts davon und mit kühlem Stolze ließ er den Blick von sich abgleiten, den Konrad Eberhard auf ihn richtete. »Das gibt ein fröhlicheres Jagen, als das auf Endsee, zu dem uns der Schultheiß zum Beschluß der Fastnacht geladen hat,« meinten einige, und andere riefen: »Halali! Halali!« wozu Herr von Winterbach mit dem Munde den Ton des Jagdhornes nachahmte. Die vollen Lippen des Ritters von Menzingen verzogen sich verächtlich. Um es zu verbergen, erhob er seinen Becher und trank.

Im Saale wiegten sich die Paare. Else konnte sich mit Gabriele an Schönheit nicht messen. Allein die 178 taufrische Jugend und Neuheit ihrer Erscheinung behaupteten ihr Recht, und sie wurde von den Junkern derart ausgezeichnet, daß Gabriele in ihr auch eine gesellschaftliche Nebenbuhlerin erkennen mußte. Sie gab sich den Anschein, Else zu übersehen, heimlich aber schoß sie manch feindseligen Blick auf das junge Mädchen, welchem die Platzmeister wiederholt junge Herren zuführten, die um die Ehre eines Vortanzes mit ihr warben. So verstohlen waren diese Blicke freilich nicht, daß Else nicht manchen davon aufgefangen hätte. Jedoch war es nicht das ihr unverständliche böse Flammen der schwarzen Augen, weshalb sie trotz ihres Erfolges weit hinweg sich wünschte. Die Ungebundenheit und mehr noch die losen und lockeren Reden ihrer Tänzer verletzten sie. Es war eine wüste Welt, und sie empfand ein Grauen vor ihr. Wenn Max mit ihr tanzte, atmete sie auf. An seiner Hand, von seinem Arm umschlungen, fühlte sie sich geborgen, es schmolz der Ernst in dem feinen Antlitz, das aus der Lockenfülle zu ihm aufschaute, und in ihren blauen tiefen Augen lag ihre ganze Seele. 179



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