Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Zweites Kapitel.

Dem rauhen Tage war ein milderer, wenn auch nicht klarer Morgen gefolgt. Schleierartig wie um das Antlitz einer Schönen, so umwoben die Nebel die Mauern und Türme der freien Reichsstadt Rothenburg, die hoch über dem Taubertal thronte. Natur und Kunst vereinigten sich, die Stadt zu festigen. Im Mittag und Abend von der Tauber umflossen, gürteten sie gewaltig dicke Mauern mit etwa dreißig Türmen und verbanden sie mit der Burg der längst verflossenen Grafen von Rothenburg. Diese umfangreiche, von dem zyklopischen Pharamundsturm beherrschte Burg trotzte auf der jäh nach allen Seiten abfallenden Felsenzunge, welche die mittelfränkische Hochebene gen Westen in das liebliche Taubertal mit seinen zahlreichen Mühlen, dem Topplerschlößchen und dem gotischen Wallfahrtskirchlein Unserer lieben Frau von Kobolzell vorstreckte, Auf Seite der Hochebene, im Norden und Süden, verstärkten ein breiter und tiefer Graben und starke Doppeltore, innerhalb deren die Zugbrücken lagen, die dicken Stadtmauern. Eine zweite Reihe getürmter Tore erhob sich weiter rückwärts in dem ehemaligen Zuge der älteren Stadtmauer, hinter der das eigentliche Herz von Rothenburg schlug. Denn hier lagen um das doppeltgestirnte Rathaus, dessen schlanker Turm alle anderen hoch überragte, die stattlichen, meistens mit einem hohen 24 spitzen Giebel gekrönten Steinhäuser der Rothenburger Patrizier oder Geschlechter. Verstärkt wurde noch der Schutz der Stadt durch den sogenannten Bauerngraben, der, im Osten an der Tauber beginnend, das Gebiet von Rothenburg auf zwanzig Stunden hin umgab. Dahinter starrte eine undurchdringliche Dornhecke und an den Durchlässen für die Landstraße ragten starke Türme, die mit guten Büchsen bewehrt waren.

Noch war der Siegfried nicht geboren, der dieser Brunhilde den Gürtel gelöst hätte. Dagegen hatte Rothenburgs waffentüchtige Bürger- und Bauernschaft in den zahlreichen Fehden mit dem habgierigen Landadel manche Burg gebrochen und vollends kurzen Prozeß mit jenen Edelleuten gemacht, die im Steigbügel lebten und den Straßenraub für ein adelig Gewerbe erachteten. Der düstere Faulturm in der südöstlichen Ringmauer war manchem Sporenträger zur unheimlichen Herberge geworden. Unter den Raben, die ihn umflatterten, mochten noch einige Patriarchen leben, die von den Ulmen vor dem Galgentor, jetzt das würzburgische geheißen, ihr schauerliches Gekrächze erhoben hatten, als auf dem Rappen dort, dem Rabenstein, im Jahre 1441 dem ritterlichen Straßenräuber Wilhelm v. Elm samt seinen adeligen Spießgesellen die Köpfe vor die Füße gelegt wurden. Ihr Raubnest, das nahe bei Giebelstadt gelegene Schloß Ingolstadt, hatten die Rothenburger erobert und zerstört.

Der Wormser Landfrieden, den noch der unlängst verstorbene Kaiser Maximilian aufgerichtet, hatte dem Unwesen mächtig gesteuert, wenn es ihm auch nicht gelungen war, dem wüsten Fehde-, Faust- und Raubrecht ein völliges Ende zu machen. Es gab noch immer adelige Schnapphähne, und der harte Druck, den die Herren in den Burgen, Klöstern und Städten auf ihre Untertanen ausübten, Leibeigenschaft und Zunftzwang, schafften, daß die Landstraßen nicht leer wurden von friedlosen Leuten. Bedenklicher jedoch als diese 25 öffentliche Unsicherheit war für die freien Reichsstädte die aufschwellende Gewalt der Fürsten. Aus diesen Gründen hielt denn auch Rothenburg, an dessen Grenzen der brandenburgische Markgraf Kasimir von Ansbach-Bayreuth, die Grafen von Hohenlohe und der Bischof von Würzburg horsteten, seine Mauern, Wehr und Waffen in gutem Stand, Wächter auf den Türmen und Wachen an den Toren. Außerdem ritt der Weinschreier, so genannt, weil ihm tags das Ausrufen des zu verkaufenden Weines oblag, nächtens von Tor zu Tor und erstattete dem obersten Hauptmann, der über die in sechs Wachen geteilte Bürgerschaft gesetzt war, Bericht. Man lebte in einem Frieden voll Mißtrauen.

Heute, als am Dreikönigstage, waren sämtliche Torwachen verstärkt, um fleißig acht zu haben, daß unter den Scharen von Bettlern, den fahrenden Leuten aller Art und den Bauern aus den Dörfern weit und breit, die schon mit dem frühesten Morgen zur Stadt strömten, kein verdächtiges Gesindel sich einschleiche. Nach dem Volkskalender begann erst mit Heiligedreikönig das neue Jahr. Der sechste Januar beschloß die mit der Wintersonnenwende anhebenden heiligen zwölf Nächte, in denen einst die heidnischen Götter ihren Umzug durch die deutschen Gaue gehalten hatten. Die Kirche hatte zwar die Götter in böse Geister verwandeln, aber nicht die Erinnerungen an jene im Volke vernichten können. Es verehrte gläubig die drei Könige aus dem Morgenlande, die nach Bethlehem zogen; aber immer noch hörte es in den zwölf Nächten Wodan mit seiner wilden Jagd durch die Lüfte tosen. Noch immer schritt Perechta, die leuchtende Göttermutter, obgleich von den christlichen Priestern ins Grausige entstellt, im weißen Linnengewande durch die Dörfer und sah nach, ob die Mägde den Winterflachs sauber aufgesponnen hatten, belohnte die fleißigen und strafte die trägen. Der altheidnischen Göttermutter, der Urquelle alles Lebens, galt das Opfer der Familienhäupter, die 26 in der Dreikönigsnacht mit Kohlenpfannen, darauf sie heilige Kräuter streuten, durch Stuben und Ställe räucherten, um die bösen Geister zu verscheuchen. Der Winter mit seinen Arbeiten und Leiden war überstanden und mit den heiligen drei Königen zogen das Licht, die Freude, der Frühling ein.

Zu Ehren der heiligen drei Könige flatterte denn auch von der zierlichen Galerie des Rathausturms das Stadtbanner. Es war schräge rot und weiß gestreift und wies im Herzschilde eine rote Burg mit zwei Türmen. In den engen Gassen und auf den Plätzen der inneren Stadt wimmelte es wie in einem Ameisenhaufen. Vom Stadtadel bemerkte man nur wenige darunter. Sie waren sogleich erkennbar, denn die streng überwachte Kleiderordnung unterschied sie auch äußerlich von der bürgerlichen Klasse und dem Landvolk, deren Frauen und Töchter durch die grellfarbenen Röcke und Mieder aus der eintönig dunkeln Menge hervorleuchteten. Unter dem »mühselig Volk der Bauern«, das sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ, um sein erbärmliches Los auf ein paar Stunden wenigstens zu vergessen, trugen die Männer des Rothenburger Gebietes als Festzier das Schwert an der Hüfte. Das Geläute der Glocken rief zunächst nach den Kapellen und Kirchen, deren die Stadt für ihre 6000 Seelen allzuviele besaß. Der Hauptstrom aber zog sich nach dem Münster von St. Jakob, einem Schmuckstück des gotischen Stiles, das nördlich vom Rathause die zierlich durchbrochenen Steinpyramiden seiner beiden schlanken Türme in den Nebel bohrte. Denn dort predigte Doktor Johann Deutschlin trotz dem Rate, welcher der Reformation nichts weniger als hold war, den neuen Glauben.

Nur fünf Jahre war es her, seit er, damals noch im römischen Glauben wurzelnd, durch die Macht seiner Beredtsamkeit die Bevölkerung Rothenburgs derartig gegen die Juden erregt hatte, daß deren Häuser und die Synagoge gestürmt und geplündert und die Kinder 27 Israels aus der Stadt vertrieben wurden. Die Synagoge hatte er zu einer Kapelle der heiligen Jungfrau geweiht, die er heute ein Grasmaidlein schalt. Im gleichen Sinne mit ihm wirkten Kaspar Christian, der Kommentur des Deutschordens, der auch in Rothenburg, nahe dem Münster, ein Haus besaß, sowie der blinde Franziskanermönch Hans Schmid, genannt der Fuchs.

Die drei Schiffe des Münsters vermochten die Menge nicht zu fassen, welche den unerschrockenen Reformator hören wollte. Auch auf dem Kirchhofe, der damals noch nicht vor das Rödertor im Osten verlegt war, standen die Menschen dicht beisammen zwischen den Gräbern und Leichensteinen. Letzteres deutete, wie die sichtliche Spannung in den Mienen, darauf hin, daß etwas Außerordentliches im Werke sein mußte. So war es auch. Denn Doktor Deutschlin segnete, nachdem er vor dem in Kerzenglanz strahlenden Hauptaltar die Messe in deutscher Sprache gelesen, den Ehebund eines katholisch geweihten Geistlichen ein. Der Deutsch-Ordenspriester Melchior verheiratete sich mit der Schwester des blinden Mönchs.

Nun erbrauste die Orgel und auf den Türmen begannen die sechs abgestimmten Glocken ein harmonisches Geläute. Die bedeutsame Tat war vollbracht. Die Leute auf dem Friedhofe gerieten in Bewegung und drängten dem Menschenstrom entgegen, der langsam dem Südportal entquoll, das von einer Menge Bettler, von Lahmen, Blinden, Bresthaften und Elenden jeglicher Art umlagert war. Während Bekannte einander suchten und fanden und die Herauskommenden von den draußen Wartenden neugierig befragt wurden, stand unter den letzteren einer wie träumend da und schien das erregte Stimmengewirr nicht zu vernehmen. Der Traum aber mochte kein heiterer sein; denn seine blauen Augen schauten schwermütig in sich hinein. Es war ein junger Mensch, auf dessen kurzer Oberlippe das erste Bärtchen flaumte. Dickes 28 Blondhaar, das im Nacken rund verschnitten war, quoll unter seiner schmucklosen Filzkappe hervor. Ein dunkelblauer Rock von grobem Tuch reichte ihm bis gegen die Knie und darunter trug er graue Strumpfhosen, die in ungeschwärzten Halbstiefeln endigten. Das auf dem Rücken faltige Wams wurde von einem ledernen Gürtel zusammengehalten, an dem eine Tasche und ein auffallend langer Korbdegen hingen. Der Rat hatte gut, gegen solch lange Klingen zu eifern und deren Maß vorzuschreiben, seine Strafmandate waren ohnmächtig gegen den Brauch, der unter den Handwerksgesellen herrschte. Der junge blonde Mensch war seines Zeichens ein Goldschmied. Ein derber Schlag auf die Achsel entriß ihn seinem Sinnen und eine lustige Stimme rief: »Endlich! Hab' schon gemeint, daß Du wieder der Himmel weiß wo steckst.« Den blonden Gesellen, der sich mit aufblitzenden Augen umwandte, lachte das breite Gesicht des Tuchscherers Kaspar Etschlich an, der an seiner freien Hand eine schmucke Dirne hielt, zu der er fortfuhr: »Schau, Käthelein, das ist mein bester Freund auf der Welt, der Hans Lautner, von dem ich Dir schon erzählt hab'.«

»O«, machte Käthe Neuffer, die unterdessen Lautner mit ihren klaren nußbraunen Augen gemustert hatte, und es klang nicht wie eine Enttäuschung. Das längliche, wohlgebildete Gesicht Lautners, seine ebenmäßige, beinahe feine Gestalt, die jedoch nicht schwächlich erschien, mochten einem Mädchen im Vergleich mit den derben Zügen und dem untersetzten Wuchse Kaspar Etschlichs wohl gefallen. Auch hatte sie für den Humor, der in seinen dunkeln Augen zwinkerte, sicher weniger Empfänglichkeit als für den schwermütigen Geist, der auf der weißen Stirn des um mehrere Jahre jüngeren Goldschmieds wohnte. Diesem fiel es nicht schwer, zu erraten, wer seine Begleiterin war, hatte Kaspar ihm doch seit der Rothenburger Kirchweih im Monat Juni wiederholt von seiner hübschen Base in Ohrenbach 29 erzählt. Hans Lautner fand, daß er nicht zu viel von ihr gesagt hatte. Gefällig kleidete ihre kernig biegsame Gestalt der rote faltenreiche Rock sowie die dunkelblaue Jacke, welche, den runden bräunlichen Hals freilassend, die breitgewölbte Brust und die vollen Arme eng umschloß. Ein blaues Seidenband, der einzige Schmuck, den der Kastengeist jener Zeit außer einem silbernen Fingerreif den Landmädchen erlaubte, hielt über der klugen breiten Stirn das lichtbraune Haar zusammen, das in zwei dicken Zöpfen herabfiel.

Kaspar stieß den Freund mit pfiffiger Miene an, als ob er sagen wollte: »Gelt, sie ist des Anschauens schon wert!«, und heller schimmerte das gesunde Jugendblut durch Käthes volle bräunliche Wangen.

Eine Frage, die auf ihren dunkelroten Lippen schwebte, blieb unausgesprochen, weil in diesem Augenblick die Musik sich vernehmen ließ, welche den Hochzeitszug aus der Kirche führte. Eben war auch die Sonne der Nebel Herrin geworden und Jubelrufe begrüßten den seltsamen Zug, dem voraus die Spielleute lustig in ihre Schalmeien, Pfeifen und Zinken bliesen. Fürwahr ein seltsamer Zug; denn die schlicht gekleidete Braut in Myrthenkranz und weißem Schleier wurde von dem Bräutigam im Priesterrocke geführt, über dem er den weißen Mantel mit schwarzem Kreuz der Herren vom deutschen Orden trug. In der gleichen Tracht erschien auch der Kommentur des Ordens, Kaspar Christian, neben dem würdevollen Rektor der Lateinschule, dem Magister Wilhelm Bessenmayer, der für die Festtafel ein schwungvolles Carmen in der Sprache der alten Römer gefertigt hatte. Unmittelbar hinter dem Brautpaare führte der Altbürgermeister und Pfleger des Gotteskastens von St. Jakob, Herr Ehrenfried Kumpf, das Fräulein von Badell, in deren Haus unmittelbar am Burgtor die Hochzeit gefeiert werden sollte. Das reiche Fräulein stand in mittlerem Alter, und man merkte es ihrem klugen Gesicht an, wie 30 zufrieden sie mit diesem Ehebunde war, welcher der alten Kirche offen den Fehdehandschuh hinwarf. Munter plauderte sie mit ihrem Begleiter, zu dem sie hinaufsehen mußte; denn er war ein großer, etwas hagerer Mann, in der Mitte der Vierzig ungefähr, dessen dunkle Augen mit dem Glanz und der Lebhaftigkeit der Jugend um sich schauten. Er wurde auf seinem Wege gegrüßt, und Fräulein von Badell nickte jedesmal freundlich mit, wenn er mit einer kordialen Handbewegung oder einem Nicken seines Kopfes dankte. Ehrenfried Kumpf war bei der Bürgerschaft sehr beliebt, sowohl wegen seiner zuweilen etwas derben Wahrheitsliebe, die keinen Unterschied des Standes kannte, hauptsächlich aber als ein offener Freund der Reformation. Das waren denn freilich Eigenschaften, die ihn den Geschlechtern, die alle Ratsstellen ausschließlich aus ihrer Mitte besetzten, zuweilen recht unbequem machten. Hätte das Wahlrecht bei der Bürgerschaft gelegen, er wäre nach Ablauf seiner Amtszeit wohl immer wieder zum regierenden Bürgermeister erkoren worden.

Ihm zunächst schritt, aus mächtigen Augen schauend und mit dem lebhaft geröteten Gesicht des sanguinischen Eiferers, die stattliche Gestalt des Doktor Deutschlin. An der Hand führte er den blinden Bruder der Braut, der sich sonst ohne Leitung und nur mit Hilfe eines langen Stabes, der ihm heute müßig im Arm ruhte, so sicher durch die Straßen tastete, als ob er sehend gewesen wäre. Er hatte den großen, markigen Kopf, dessen Tonsur zu einer leuchtenden Glatze geworden, etwas in den Nacken gebogen und verriet schon dadurch, daß seine starrenden Augen der Sehkraft entbehrten. Ein dichter Bart floß bis auf die Kutte herab, die mit einem weißen Strick gegürtet war. Seine nur mit Sandalen bekleideten Füße waren rot von der Kälte. Es folgten Paul Ickelsamers gelehrter Bruder Valentin, der lateinische Schulmeister, wie er genannt wurde, und Meister Philipp, der Tuchscherer, an die sich noch 31 einige angesehene Bürger mit ihren festlich geputzten Frauen schlossen.

Kaspar Etschlich nannte seiner hübschen Base die Namen der Hochzeitsgäste mit mancher lustigen Bemerkung, die ihr Lachen erregte. Er war ein Rothenburger Kind, während Böckingen bei Heilbronn die Heimat seines Freundes war. Beide hatten sich um die letzte Osterzeit auf der Wanderschaft kennen gelernt. Hans Lautner hatte eben seine Lehrjahre zu Heilbronn beendigt und war nach dem kunstreichen Nürnberg gepilgert, Kaspar Etschlich von Ulm, wo er zuletzt gearbeitet, auf dem Heimwege nach Rothenburg begriffen gewesen. So hatten ihre Wege sich gekreuzt und Kaspars Schilderungen seiner malerischen Vaterstadt Hans verlockt, ihn nach Rothenburg zu begleiten. Der junge Goldschmied war dann auch so glücklich gewesen, hier in Christof Ellwanger einen ebenso geschickten wie gutherzigen Meister zu finden, während Kaspar bei seinem Vater, dessen einziges Kind er war, in Arbeit trat.

Käthe Neuffer hatte ihrem Vetter schließlich nur noch zerstreut zugehört und wandte sich jetzt plötzlich mit der Frage an Hans, warum er auf der letzten Kirmeß mit seinem Freunde sich nicht hätte blicken lassen?

»Weil er sich gern wie ein Schuhu mit seiner Pfeifen irgendwo verkriecht, wann's einen freien Tag gibt und ein vernünftiger Mensch lustig ist«, antwortete Kaspar an des Freundes Stelle.

»Ja, bist du denn ein Spielmann?« verwunderte Käthe sich. »Ich hab' gemeint, daß du ein Goldschmied bist.«

»O, der versteht sich auf viele Sachen«, kam der Vetter abermals Hans zuvor. »So gut zum Tanz aufspielen wie er, könnt's selbst unser Stadtpfeifer nicht, aber im Tanzen bin ich ihm über.«

»Aber so laß doch Deinen Freund reden«, rief Käthe ungeduldig und krauste die leicht über der stumpfen Nase ineinander fließenden Brauen.

»Aber er sagt's Dir nimmer, wo er gesteckt hat«, 32 schnitt Kaspar wieder, um das Mädchen zu necken, dem blonden Gesellen das Wort ab. »Im Schlingenbach hat er gesteckt. Das ist nämlich ein grausam wüst Holz, mußt du wissen, allwo die verwunschenen Seelen unserer Ehrbaren spuken. Soll so gar klein nit sein, die fürnehme Gesellschaft dort. Die hat der Hänselin durch sein Spiel auf der Pfeife erlösen wollen.«

Käthe drohte dem Vetter mit der Faust. Hans lachte ein wenig und sagte: »Von wegen mir könnten sie bis zum jüngsten Tag spuken, ich würd' darum nicht den kleinen Finger rühren. Was sollt ich auf der Kirmeß? Ich kann nicht tanzen.«

Simons Schwester sah ihn mit ihren schimmernden Braunaugen ganz erstaunt an, erwiderte jedoch nichts. Denn der Menschenstrom, in dem sie langsam mitgeschwommen waren, staute und preßte sich jetzt in der Enge zwischen der östlichen Langseite des Rathauses und der Herren-Trinkstube, hinter deren Rückseite sich der Hochzeitszug durch die Georgengasse auf den Hauptmarkt geschwungen hatte. In der Langseite des Rathauses befand sich unter einem schmalen Vordache eine Reihe von Verkaufsbuden. Der schöne Renaissancebau aus körnigem Taubersandstein, mit weit ausladenden Vorstufen und der Laube mit offenem Altan darüber, der heute die Marktseite des Rathauses ziert, ward erst ein halbes Jahrhundert später aufgeführt. Die Herren-Trinkstube mit der Fronwage im Erdgeschoß erhielt durch viele Steinbilder auf kunstvollen Tragsteinen und durch ein zierliches Ecktürmchen ein schmuckes Äußere. Auf der Marktseite befanden sich zwei Uhren, von denen die eine die Zeit, die andere die Länge des Tages und der Nacht angab. Aus den Fenstern darüber, sowie aus denen aller Häuser schauten Neugierige auf den Marktplatz, durch dessen Gewühl der Hochzeitszug mit seiner Musik sich bewegte und eben um die Stirn des Rathauses in die breite, zum Burgtor führende Herrengasse bog. Käthes Augen musterten die 33 Zuschauer an den offenen Fenstern und jetzt rief sie, mit ihrem braunen Zeigefinger auf die Fenster der Herren-Trinkstube deutend:

»Schaut den Stieglitz!« Sie lachte ausgelassen.

Hans und Kaspar folgten der Weisung und der letztere rief: »A, unsere liebwerten Nachbarn, die Junker von Finsterlohr und von Rosenberg!«

»Der Rosenberg?« fragte Hans Lautner hastig, indem ihm das Blut in die Wangen schoß. »Welcher ist's?«

»Der mit der Stubbennase, dem der rote Bart in zwei langen Zacken vom Maul und Kinn auf den langen grünen Wappenrock hängt«, antwortete Kaspar.

»Brr«, machte Käthe, »mit dem möcht' ich nichts zu schaffen haben. Hat ein Gesicht wie ein Bullenbeißer.«

Hans hatte die Lippen fest zusammengepreßt und verwandte kein Auge von ihm, während sein Freund fortfuhr: »Der neben ihm, mit dem schwammigen Gesicht, der Stieglitz mit dem Wald von bunten Federn auf dem Kopf und dem Rock halb rot, halb blau, und von den Ärmeln ist der eine rot, der andere blau und gelb gestreift, das ist sein geschworener Freund, der Philipp von Finsterlohr auf Laudenbach. Junker von Leuteschinder sollten sie eigentlich alle beide heißen.«

»Kommt weiter,« stieß Hans mit finsterer Miene heftig heraus.

»Ist auch Zeit; denn ich lechze nach einem Trunk wie ein ausgetrockneter Sumpf nach Regen,« sagte Kaspar. »Wir machen nach dem Bären, wo der Simon gewiß schon auf uns wartet.«

Es schob sich aber plötzlich ein Hindernis in ihren Weg. Denn aus der schmalen Hafnergasse tauchten reich gekleidete Reiter hervor, von denen die vordersten ihre Pferde rücksichtslos rechts und links herumwarfen, um den folgenden Bahn durch das Gewühl zu schaffen. Die zornigen Zurufe, das Geschrei und Flüchten der plötzlich Bedrängten, unter denen es nicht an Frauen und Kindern fehlte, erregten nur die Heiterkeit der 34 übermütigen Stadtjunker, die von einem Spazierritt zurückkamen. Die Unverschämtheit der Junker lockte aus Hans Lautners blauen Augen ein zornig sprühendes Feuer und seine Hand fuhr nach dem Schwertgriff. Wie er aber die Klinge entblößen wollte, überflog eine glühende Röte sein Gesicht und er stand wie angewurzelt. Hinter den rücksichtslosen Vorreitern erschienen zwei Amazonen auf reichgeschirrten Rossen. Die eine ließ sich in lässiger Haltung von einem milchweißen Zelter mit langer Mähne tragen, während ihre Augen unter einem blauen Sammethut mit wallenden Federn teilnahmslos über die Menge glitten, Ein Netz von Goldfäden und Perlen fesselte ihr blondes Haar. Die andere wiegte ihre schlanke, von einem grünen Kleide umflossene Gestalt anmutig stolz auf dem Sattelkissen eines ungeduldigen Rappen. Ihre Wangen waren von der frischen Luft gerötet und ihre großen schwarzen Augen strahlten. Schwarz wie die Augen war das Haar, das gleich schimmernden Schlangen in zwei Flechten bis auf den Rücken des Pferdes hinabzüngelte. Ein breiter Hut von dunkelrotem Samt mit goldenen Schnüren und Quasten und krausen weißen Straußfedern beschattete das schöne lebensvolle Gesicht.

»Ist die aber sauber!« rief Käthe bewundernd aus.

»Darum heißt sie auch die schöne Gabriele,« antwortete Kaspar trocken.

Hans blieb stumm. Käthe schielte nach ihm und die roten Schlängelein ihres Mundes krümmten sich schalkhaft, wobei sich in ihren vollen Wangen zwei Grübchen bildeten. Hans starrte mit glänzenden Augen auf die Reiter, die unbekümmert um alles Schreien, Drohen und Fluchen ihren Weg quer über den Marktplatz nach der Herrengasse nahmen. »Da könnte einem schier der beste Durst alle werden«, brummte Kaspar ihnen nach. Käthe stieß Hans an, der lang ausatmete, und schweigend folgten beide dem Tuchscherer nach dem südlichen Schmalende des Hauptmarktes, wo es nach der tiefer 35 liegenden Burggasse, der ältesten Straße Rothenburgs, hinabging. Käthe blickte verstohlen auf Hans, der den Kopf geneigt hatte und in dessen Mienen ein trübes, fast schmerzliches Sinnen sich ausprägte. »Ach«, seufzte sie, »wer doch nur ein ganz klein bissel so sauber ausschaute, wie die schöne Gabriele! – Nu, es ist halt, wie es ist,« fuhr sie sich bescheidend fort. »Was ich aber fragen möchte. Hat's bei Dir in Schwaben auch so schöne Maidlein?«

Er hatte kaum auf sie gehört. Jetzt warf er den Kopf auf. »Nein«, versetzte er kurz und bestimmt. Fügte dann aber etwas verlegen hinzu: »das heißt, ich weiß nit; ich hab' halt nach den Madlen daheim nit ausgeschaut.«

»O Du, geh',« lachte sie lustig auf.

»Es ist schon so,« versicherte er schlicht. »Ich kann es mir aber nit vorstellen, daß es auf der Welt eine geben sollte, wo schöner ist als sie.« Seine Augen leuchteten.

Wieder lachte auf Käthens frischen Lippen der Schalk. »Da ist's gar übel mit Dir bestellt,« meinte sie mit verstelltem Mitleid.

Er runzelte die Stirn.

Sie waren mittlerweile die anfangs steil sich senkende Gasse etwa bis zur Mitte hinunter gegangen, wo sie breiter wurde. Hier stand der Bär, welcher in seiner Höhle Mann und Roß gastlich aufnahm. Das Haus zählte nur zwei Stockwerke. Der Flur, in dessen Hintergrund eine Treppe nach oben führte, war mit Steinplatten ausgelegt. Daneben zur Linken lag die Schenkstube, welche aus drei Fenstern auf die Gasse schaute. Freiliegende dicke Balken, die von Alter, Staub und Ruß fast schwarz waren, trugen die niedrige Decke des großen Raumes, in welchen die runden, in Blei gefaßten Scheiben von dickem, grünlichem Glase eine nur kümmerliche Helle dringen ließen. In der von Seiten- und Hinterwand gebildeten Ecke befand sich der 36 Schankverschlag, der mit der Küche in Verbindung stand. Hausflur und Stube waren dicht mit langen Tischen und Bänken bestellt.

Beide Räume waren schon mit Gästen angefüllt, meistens Bauern mit den Ihrigen, dazwischen verwandte oder befreundete Bürger, und ein lautes Stimmgewirr, ein Klappern und Klopfen mit Kannendeckeln und Bechern scholl Kaspar Etschlich und seinen beiden Begleitern entgegen. Nach Simon Neuffer sahen sie sich im Flur vergebens um. Als sie von der Türschwelle aus die große Trinkstube überblickten, deren matte Helle von Wein- und Speisedünsten geschwängert war, kam der Wirt, der zwischen dem Verschlage, in welchem die wohlbeleibte Wirtin des Zapfens wartete, und den Tischen hin- und herschoß, auf sie zu.

Von einem Wirte, wie man sich einen solchen gewöhnlich vorstellt, besaß Gabriel Langenberger nichts. Er hatte weder das seine Küche empfehlende Bäuchlein, noch die seine Getränke rühmende Kupfernase. Sein Gesicht war von einer kränklichen, käsigen Farbe und mit einer langausgezogenen Nase geschmückt; er hatte eine schmale, eingefallene Brust und einen langen Hals, und seine kleinen Augen bewegten sich, auch während er mit dem ihm bekannten Kaspar Etschlich sprach, in steter Unruhe, als ob sie suchten, wo nach ihm geklopft würde, was oft genug geschah. Nach seiner Küche schien dagegen wenig Begehr zu sein, höchstens wurde einmal ein Kraut, selbstverständlich mit Wurst, bestellt. Die meisten Landleute hatten sich ihren Mundvorrat mitgebracht, dieser bloß ein Stück Schwarzbrot oder ein Gebäck, jener dazu Käse oder Speck, Rettige, Nüsse. Die nackte Tischplatte diente als Teller und die Abfälle wurden auf den Fußboden geworfen. Ein Messer trug jeder in einer Scheide am Gürtel.

Gabriel Langenberger wies die drei jungen Leute nach einem Tische in der Nähe des letzten Fensters. Dort saß der Dorfmeister in eifrigem Gespräch mit zwei 37 anderen Bauern, von denen der ältere Käthe vertraulich begrüßte. Es war Jörg Buchwalder aus Ottenhofen im Aischgrunde, ein behäbiger Mann mit bereits ergrauendem Haar. Der zweite, mit Simon Neuffer etwa von gleichem Alter, war der Weinbauer Leonhard Metzler aus dem südwestlich von Rothenburg gelegenen Dorfe Brettheim. Er betrachtete unter seinen überhängenden Brauen mißtrauisch die beiden jungen Burschen und nickte kaum merklich mit dem Kopfe, als er erfuhr, wer sie wären. Simon aber reichte dem Freunde seines Vetters die Hand und sagte: »Setzet Euch daher, für zwei redliche Gesellen ist Platz bei uns.«

»Ihr waret also im Münster?« hob Jörg Buchwalder aus Ottenhofen das Gespräch an. »Das war gescheit; müssen wir auf den Dörfern uns doch mit der Schlampe begnügen, die uns der Pfaff Sonntags in den Trog schüttet. So hat der Doktor den Ordensmann wirklich getraut und es ist keine Einsprach' nit geschehen?«

Er hatte diese Worte vorzugsweise an Lautner gerichtet, der ihm mit Kaspar gegenübersaß, während Käthe an seine Seite sich gesetzt hatte. Hans schien seine Teilnahme zu erregen. Der junge Goldschmied konnte ihm jedoch keine Auskunft geben, da die Kirche bereits so voll gewesen, daß er nicht mehr hatte hinein können. Statt seiner berichtete Käthe mit großer Lebhaftigkeit. Sie hatte genau acht gegeben. »Und von dem Gelübde hat er geredet, daß die Geistlichen nicht heiraten dürften. Das ist eine Gotteslästerung, hat er gesagt, denn es ist wider die Natur, da doch Gott das Weib dem Mann zur Gesellin geschaffen hat. Die Ehelosigkeit der Geistlichen, hat er gesagt, ist die Verführung zu Buhlerei, Ehebruch und allen Lastern. Und von den heiligen drei Königen hat er erzählt, wie die Geschenke, die sie dem Jesuskindlein dargebracht haben, von den Pfaffen sind zu Kirchenopfern, Viehsteuer und Zehnten gemacht worden, und daß die keiner zu geben verpflichtet ist.« 38

»Das Wort lob' ich mir; das soll wahr werden«, rief Leonhard Metzler aus Brettheim mit einer ingrimmigen Freude.

»Ja«, bemerkte Jörg Buchwalder, »der Damm, wo die Pfaffheit aufgericht't hat, hält nicht mehr dicht, überall sickert's durch. Und das Loch gar, was der Luther gerissen hat! Die Herren werden es nimmermehr zustopfen.«

Gabriel Langenberger brachte für Kaspar eine Kanne Wein und zwei hölzerne Becher, und der Dorfmeister bestellte für Käthe ein Kraut und eine Halbe Würzwein, hinzufügend: »Heut' langt's noch. Übers Jahr haben sie uns auch wohl den letzten Heller abgepreßt, und der Teufel ist Zahlmeister.«

»Ne, Dorfmeister, mit dem bleibt mir vom Leib,« hüstelte Langenberger und schlug ein Kreuz. Die anderen lachten.

Kaspar Etschlich hatte unterdessen Hans und sich eingeschenkt. Jetzt rief er ausspuckend, nachdem er gekostet hatte: »Ist das ein Säuerling! Höre, Langenberger, ich wollte, daß Du ein Amt hättest! Dann wüßte jeder, was Du wert bist.«

»Wie so denn?« fragte der Wirt mit umherflatternden Augen.

»Ei, ist Dir unser fränkisch Sprichwort nicht bekannt und bist doch im Wildbad da unten ans Licht der Welt gekrochen?« versetzte Kaspar. »Ist ein gut und wahr Sprüchlein, lose: Es ist kein Amt so klein, es ist henkenswert.«

»Bist Du aber spaßig!« meckerte Langenberger und entwischte nach dem Schankverschlag.

Die anderen lachten, Jörg Buchwalder aber machte ein ernstes Gesicht und warnte den kecken Burschen: »Wer eine lose Zunge hat, dem fällt sie gar leicht vor die Füße. Weißt Du denn nicht, daß jeder Bürger bei seinem Eid gehalten ist, es dem Rat anzuzeigen, so er Übeles von der Obrigkeit sprechen hört?« 39

Kaspar entgegnete jedoch gleichmütig: »Wenn die Bürger dem nachleben wollten, dann hätten sie alle Füße voll zu tun. Von wegen solcher Kleinigkeit setzt der Langenberger seine Kundschaft nicht aufs Spiel, so wenig ich ihm trau'. Er lebt ja von den Bürgern, und die Geschlechter machen ihnen wenig Lust, ihnen gefällig zu sein. Haben just auf dem Markt ein sauber Stücklein von ihnen mit angeschaut.«

»Ach ja, wie die übermütig sind, das ist nit zu sagen,« rief Käthe, die in Erwartung des Krautes ein Stück Weißbrot, ein Klöpfel, das Kaspar ihr verehrt, aus der Tasche gezogen hatte und daran knusperte. Sie erzählte von den Reitern.

Simon und seine Freunde machten finstere Gesichter. Hans schaute in seinen Becher.

»Nu, ist's nicht eine große Ehre für uns, von den fürnehmen Pferden zertreten zu werden?« rief Kaspar mit einem scharfen Lachen.

»Du mußt über alles Deinen Spaß haben«, zürnte Käthe. »Dein Freund hat gleich nach dem Schwert gegriffen.«

»Ließ es aber doch weislich stecken,« neckte sie der Vetter und warf dabei einen verschmitzten Blick auf Hans, der seinen Becher zum Munde führte, um seine Verlegenheit zu verbergen. »Wozu soll ich mir graue Haare vor der Zeit wachsen lassen?«

Der Wirt brachte Kraut und Würzwein und entfernte sich eilig, als scheute er die Scherze des jungen Tuchscherers. Käthe ließ es sich schmecken, der alte Buchwalder sah nachdenklich auf ihre Schüssel, strich sich über die gefurchte Stirn und flüsterte: »Es ist eine gar schlechte und kostspielige Zeit worden. Wie ich ein Knab' noch war, dazumalen hat man bei uns Bauern ganz anders gessen als jetzund. Und erst zu meines Vaters Jugend! Da waren jeden Tag Fleisch und Speisen im Überfluß, und auf den Kirmessen, den Hochzeiten und Taufen da barsten die Tische von allem, was 40 sie tragen mußten. Da suff man Wein als ob's Wasser war, da fraß man in sich und nahm mit, so viel einer wollte. Denn da war Reichtum und Überfluß. Jetzt ist die Nahrung selbst der Vermögenden unter uns fast viel schlechter, als vordem die der Taglöhner und Knechte.«

»Um so wüster schlemmen und prassen die Herrenleute,« rief Leonhard Metzler, der Weinbauer, mit gerunzelter Stirn. »Und wir, die wir uns für sie schaben und schinden müssen, haben kaum das Leben. Mancher muß froh sein, wenn er täglich ein Stück trocken Brot hat, und mancher ist's schon, wenn er es nur am Sonntag hat. Fleisch? Wer kann's noch erschwingen, seitdem der Rat die Klauensteuer aufgelegt hat. Und dazu jetzt die Bed, die Getränkesteuer, die uns Weinbauern samt und sonders zugrunde richtet! Der Etschlich schimpft auf dem Langenberger seinen Säuerling, übers Jahr wird er ihn mit Gold aufwiegen müssen.«

»Was hilft es uns,« grollte Simon Neuffer, »daß wir unsere Schriften von alten Zeiten haben, wo alles ist aufgeschrieben, was wir zu leisten schuldig sind an Steuern, Zinsen und Fronden? Es achtet's keiner, weder die weltlichen noch die geistlichen Herren. Wollen wir klagen wegen der ungerechten Beschwerden, wo finden wir Gerechtigkeit? Denn diejenigen, so wir verklagen, sind zugleich unsere Richter. Und jetzt das neue Recht, das ist vollends des Teufels! Außer den Advokaten kennt sich keiner darin aus, und die machen Schwarz aus Weiß und Weiß aus Schwarz. Aus Recht wird Unrecht und uns kostet's Haus und Hof.«

»Die Last wird allzu schwer!« seufzte Jörg Buchwalder, und der Dorfmeister rief mit blitzenden Augen: »Darum müssen wir ein Fürsehen haben, lieben Freunde, ehe daß sie uns auch das letzte Tröpflein Mark aus den Knochen pressen. Meines Meinens bedeutete der Stern mit dem feurigen Schweif, wo im August zu sehen war, nicht bloß ein gut Weinjahr, was ja eingetroffen ist. Er stellet wohl den Besen für, der 41 die Raupennester der Ritter und Pfaffen, die Klöster und Burgen ins Feuer kehren wird.«

»Ein Besen, aber keine Hand, die ihn führt,« sagte Buchwalder mit gedämpfter Stimme. »Wir werden zugrund gehen, wie schon vor etlichen Jahren ist geweissagt worden: Wer im 1523sten Jahr nicht stirbt, 1524 nicht in Wasser verdirbt und 1525 nicht wird erschlagen, der darf wohl von Wundern sagen.«

Hans Lautner, der bisher mit schweigender Aufmerksamkeit zugehört hatte, schöpfte tief Atem und sagte mit höher geröteten Wangen: »Mit Verlaub, wenn ich ein Wörtlein reden darf: Meine Ahne hat zwei Ringe um den Mond geschaut, und in dem Mond stand ein Kreuz. Das bedeutet, sagt sie, daß über ein kleines das Kreuz von uns genommen werden wird. Denn, sagt sie, die Zeit ist nahe, wo die Welt erneuert und die Gottlosen mit dem Schwerte von der Erde getan werden sollen.«

»So ist's recht,« rief der Dorfmeister, ergriff seinen Holzbecher und leerte ihn auf einen Zug.

Jörg Buchwalder schüttelte den ergrauenden Kopf und meinte bedächtig: »Wer nur daran glauben könnte!«

»Das könnet Ihr gewiß,« versetzte Hans eifrig. »Die Ahne versteht mehr als andere Frauen, und daheim weiß jeder, daß allemal eintrifft, was sie vorhersagt.«

»Und wer ist Deine Ahne?« fragte Käthe neugierig.

»Das ist die schwarze Hofmännin zu Böckingen bei Heilbronn.«

In diesem Augenblicke betrat ein Bauer die Schenkstube, der sich unter der Tür bücken mußte, so groß war er, und der Dorfmeister rief: »Der lange Lienhart!« Dieser stand überreichlich gemessene sechs Fuß hoch in seinen Bundschuhen und ein topfartiger Filzhut, den zwei Hahnenfedern schmückten, setzte seiner Länge noch ein Bedeutendes zu. Unter dem schmalen Hutrande streckte sich eine schlecht verheilte Narbe bis zur Nasenwurzel hervor und setzte sich auf der rechten Wange fort. Die Nase krümmte sich wie ein 42 Geierschnabel zwischen dunklen runden Augen und unter ihr sträubte sich ein starker Schnurrbart. Ein kurz gehaltener Vollbart umschloß Wangen und Kinn. Diese Abweichung von der Bauernsitte erklärte sich daraus, daß der lange Lienhart manche Reise als Lanzknecht getan, bevor er in seinem nahen Heimatdorfe Schwarzenbronn von seiner Kriegsbeute einen Hof erstanden hatte. Er war nicht nur groß, sondern auch starkknochig und seinem Gliederbau entsprach das mächtige Schwert an seiner Hüfte. Mit ihm kam ein etwa vierzigjähriger Mann in bürgerlicher Tracht, dessen bartloses Gesicht mit hervorstehenden Backenknochen einen Ausdruck von Verbissenheit hatte. Er war ohne Wehr. Der lange Lienhart aus Schwarzenbronn mußte wohl unter den Bauern ein bekannter und beliebter Mann sein. Denn er wurde bald hier, bald dort an die Tische gerufen und der Becher ihm entgegengehalten. Er tat jedem Bescheid und seine Äußerungen erregten jedesmal ein Lachen. Unter solchen Umständen dauerte es eine Weile, bis er zu dem Tische gelangte, an dem der Dorfmeister von Ohrenbach mit seinen Freunden saß.

»Sind lauter gute Freunde,« bemerkte Simon, ihm die Händ schüttelnd. »Aber Du kommst halt spät.«

»Dafür hab' auch ich einen guten Freund mitgebracht, den Fritz Büttner aus Mergentheim,« erwiderte der lange Lienhart, sich niederlassend, und stampfte mit dem ihm zunächst stehenden Becher auf den Tisch, um den Wirt herbeizurufen.

»Was Euch anliegt, das liegt auch mir an,« sagte Fritz Büttner bedeutsam. Simon hieß ihn willkommen und Metzler und Buchwalder nickten ihm zu.

»Und jetzt, was schafft Ihr, lieben Freunde?« fragte der lange Lienhart, die Beine weit von sich streckend, nachdem der Wirt eine Kanne Wein und zwei Becher gebracht hatte. »Wir können wohl ungescheut reden, machen doch die Leut' einen Mordlärm, daß die Toten davon aufwachen könnten.« 43

»Wir sprachen davon,« erklärte Leonhard Metzler, »daß allerwärts Zeichen am Himmel geschehen, die darauf weisen, daß eine große Änderung kommen wird. Ihr habt wohl auch davon gehört, daß am Rhein am lichten Mittag ein groß Getümmel und Krachen von Waffen in der Luft wie von einer Feldschlacht ist vernommen worden?«

»Dran! Dran!« rief der lange Lienhart, der eine tiefe, starke Stimme hatte. »Mich lüstet's längst, mein altes Eisen wieder einmal zu lüpfen. Wem meint Ihr, daß es gelten soll? Den Pfaffen und Junkern allein? Das wär' gefehlt. Die schlimmsten, das sind die Deutschordensherren, deren Hochmeister zu Mergentheim sitzt wie eine Spinne, die ihr Netz übers ganze Reich gesponnen hat. Die sind Pfaffen und Ritter zugleich und drücken ihre Untertanen doppelt.«

»Ja, das sind die schlimmsten«, bekräftigte Fritz Büttner. »Darum sagen wir Deutschherrischen auch: Unterm Krummstab ist gut wohnen. Daß sich Gott erbarm'!«

»Loset«, fiel der lange Lienhart ein. »Statt der Heiden spießen sie Hasen, gebratene Kapaunen, Rebhühner, Enten.

Kleider aus, Kleider an,
Essen, trinkenf schlafen gan,
Ist die Arbeit, so die deutschen Herren han.«

»Nu, ist das nicht Mühsal genug für so einen schwarzen Kreuzträger?« spöttelte Kaspar und seine Base lachte. Fritz Büttner warf ihr einen unfreundlichen Blick zu und knirschte, den eben ergriffenen Becher so stark wieder hinstellend, daß der Wein auf den Tisch floß: »Verwichenen Juni haben sie mir mit ihren Pferden, Hunden und Jägerburschen ein Kornfeld in Grund und Boden gestampft. Und nicht bloß mir allein. Aber wir müssen es leiden, sind wir doch hörige Leute. Unsere Frucht- und Krautäcker achten sie als Äsung für ihr Wild, das sie über die Maßen 44 hegen, und greift einer zum Knüppel oder gar zum Handrohr, um es zu scheuchen: in den Turm mit ihm und da mag er verfaulen!«

Lautner erblaßte, so daß Käthe ihn erschreckt fragte, was ihm fehle? Seine Brust wogte, er wollte sprechen; allein Kaspar kam ihm zuvor. Des Mädchens achtete er nicht.

»Da machen's die Deutschherren ja noch gnädig,« rief ihr Vetter. »Als ich auf meiner Wanderschaft zu Frankfurt am Main mich verhielt, da beschickte ein Herr von Eppstein den Rat um den Scharfrichter. Ein Bäuerlein sollt' er ihm köpfen, das in seinem Bach was weniges gekrebst hatte. Der Rat schlug's ab, aber die Ehrbaren einer anderen Stadt waren so freundlich, und das Gelüsten seiner schwangeren Frau kostete dem Bäuerlein den Kopf!«

Käthe schrie entsetzt auf und aus den Kehlen der anderen drang ein gurgelnder Laut. Der lange Lienhart aus Schwarzenbronn aber schlug mit der Faust auf den Tisch, so daß es dröhnte, die Becher tanzten und die Leute an den nächsten Tischen sich nach ihm umwandten. »Gelt,« rief er mit einem grimmigen Lachen, »es geht doch nirgends so lustig zu, als wie in dieser Welt. Loset!« Und er wiederholte mit seiner mächtigen Stimme die soeben vernommene Geschichte. Es war allmählich ganz still in der Stube geworden. Jetzt erhob sich ein unbeschreibliches Getöse. Gabriel Langenberger schoß auf Lienhart zu und schalt ihn, daß er den Leuten den Wein verderbe. »Soll's auch,« schnob Lienhart ihn an.

»Ich muß fort!« sagte Hans mit einer Stimme, welche seine Aufregung nicht frei herausließ, und stand auf. »Ich bin zwar kein Bauer, aber mein Blut ist Bauernblut wie das Eure, und Eure Sach' ist auch die meinige; zählt auf mich!« Er reichte den Männern die Hand.

Der lange Lienhart hielt ihn zurück. »Erst tu Bescheid!« rief er und füllte die Becher. Sie stießen alle 45 miteinander an, auch Käthe, deren Augen den jungen Gesellen zu bleiben baten. Sie schmollte, als er dessen nicht achtete und ihr Vetter sah sie verstohlen an und preßte die Lippen zusammen.

»Ein sauber jung Blut!« äußerte Jörg Buchwalder. »Aber es steht in seinen Augen, daß was schwer auf ihm liegt.« Er blickte fragend auf Kaspar.

Dieser nickte. »Das kommt davon, wenn der Bauer Hunger hat. Da ging sein Vater nachts von Böckingen, wo er daheim ist, ins Württembergische und schoß einen Hirschen. Sie griffen ihn und der Waldvogt ließ ihn in eine Hirschhaut nähen und die Rüden auf ihn hetzen. Der Waldvogt und viele adlige Herren und ihre Weibsbilder schauten zu, wie er im Zwinger zerrissen wurde. War das ein Gaudi! Dem Hans seine Mutter kam darob zwei Monate zu früh mit ihm in die Wochen und es kostete ihr das Leben.«

Seine Zuhörer blickten starr vor Entsetzen. Käthe schlug grausend die Hände vor das Gesicht.

»Das Messer sitzt uns allen an der Kehle,« sagte Simon Neuffer mit wogender Brust. »Lassen wir uns abschlachten wie die Hämmel?«

»So frag' auch ich,« stimmte Leonhard Metzler bei und machte den anderen ein Zeichen, daß sie näher rückten. Leise fuhr er fort: »Es ist mir Botschaft kommen von meinem Vetter Jörg. Ihr wißt, der das Wirtshaus hat zu Ballenberg ob Krautheim. Der Bote liegt noch in meinem Haus und wartet auf Antwort. Auf dem ganzen Odenwald ist eine große Unruhe unter den armen Leuten, wie uns die Herren nennen. Auch anderwärts regt sich's und summt als wie unter den Bienen, ehe daß sie schwärmen. Es ist halt als ob sich der Bundschuh regen wollte.«

»Mord und Tod! Heben wir also den Tanz an,« rief der lange Lienhart, indem er seinen Baß so viel wie möglich dämpfte.

»Wehr und Waffen hätten wir ja,« fügte der 46 Dorfmeister hinzu.

»Die haben wir Deutschherrischen nicht,« zischelte Fritz Büttner aus Mergentheim. »Aber Dreschflegel und Sensen tun's auch.«

»Das wär' gefehlt,« warnte Buchwalder. »Wir allein zwingen's nicht.«

»Aber Ihr höret doch, wie's aller Orten ausschaut?« rief Leonhard Metzler ungeduldig, und Fritz Büttner sagte, indem er die geballte Faust auf den Tisch drückte: »Ich getrau mir halt, mit den Freunden daheim ein Spiel anzufahn, daß die Gesichter der Ritter darob weiß werden sollen, wie ihre Mäntel.«

»Und ich steh' für Ohrenbach,« sagte Simon Neuffer. »Ziehe also ein jeder seine Freunde herzu.«

Sie verabredeten, wann sie sich mit ihren Freunden im Bären zusammenfinden wollten.

»Und Du?« fragte Käthe ihren Vetter, der schweigend dabei saß.

»Wann der Tanz anhebt, ich tanz mit Dir,« scherzte er.

Sie machte mit ihrer rechten Schulter eine Bewegung, als ob sie ihn von sich wegschieben wollte.

»Schlagt's Patent um,« rief der lange Lienhart und stampfte mit seinem leeren Krug auf den Tisch, als ob er die Werbetrommel rührte. »Noch eine Maß, Wirtshaus,« dröhnte er mit seiner tiefen Stimme den herzuschießenden Gabriel Langenberger an. 47



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