Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Sechstes Kapitel.

Stephan von Menzingen hatte dem lateinischen Schulmeister, wie Valentin Ickelsamer in der Stadt häufiger als bei seinem Namen genannt wurde, die Bewirtung der bäuerlichen Gesandten im Roten Hahnen überlassen. Es verdroß seinen Hochmut nicht wenig, daß die Bauern sich mit dem Ausschusse auf gleichen Fuß stellten und gemeinsam mit diesem nicht nur ihre eigenen Angelegenheiten, sondern auch die der Stadt ordnen wollten. Auch entging es ihm nicht, daß die oberen Zünfte, welche die wohlhabende Bürgerschaft umfaßten, wie entschieden sie auch zur kirchlichen Reformpartei unter Führung des Altbürgermeisters, Deutschlins und Christians standen, durch das entschiedene Auftreten der Bauern und deren Bündnis mit den Handwerkern, seinen Gegnern zugedrängt wurden. Und er mußte gute Miene zum bösen Spiel machen, wenn er das Fundament seiner Macht nicht zerstören wollte! Als schärfsten Splitter an dem Fleisch seines Stolzes empfand er es aber, obgleich er es sich nicht gestehen mochte, daß die Bauernführer Denner und Mölkner bei den Verhandlungen auf dem Rathause eine geistige Begabung an den Tag gelegt hatten, die der seinigen mindestens gleich war, während sie aus ihrer Herzenswärme für die Sache der Bauern und ihrer ehrlichen Überzeugung eine Beredsamkeit schöpften, an welche die seinige nicht heranreichte. 330

In dieser Stimmung ward ihm zu Hause ein Anblick, der ihn vollends aus allem Gleichgewicht warf. Else und Max saßen dicht nebeneinander, als er in die Wohnstube trat. Seine Tochter hatte sich an den Geliebten geschmiegt, ihm die Hand auf die rechte Schulter gelegt und schaute, den kleinen, reich und zierlich umlockten Kopf an seinen linken Arm drückend, in einen Brief hinein, den er laut vorlas. Die Mutter saß an einem der Fenster; eine Handarbeit, mit der sie beschäftigt gewesen, hatte sie in den Schoß sinken lassen, um ungestört zuzuhören. Max hatte den Brief am Morgen erhalten. Er war von Florian Geyer, der ihm schon seit Wochen eine Antwort schuldig geblieben. Florian Geyer schrieb ihm, im Begriff, wie er sich ausdrückte, zu Pferde zu steigen. Denn der Augenblick sei nun da, das Schwert zu entblößen und die Scheide wegzuwerfen. »Ich lade Euch nicht ein, an meiner Seite in den Kampf zu ziehen,« hieß es in dem Briefe weiter, »denn mich dünkt, daß Ihr kein Schwertmann seid. Aber Eure Kenntnis des Rechts ist auch eine Waffe, die wir gar sehr gebrauchen, zumal ich aus Euren Briefen entnommen habe, daß Ihr wisset, was not tut. Es ist daher an Euch, mitzuschaffen an der neuen Verfassung des Reiches, damit sie in Kraft tritt, alsbald das Schwert die Feudalwirtschaft des Adels und der Kirche gestürzt hat. Wendel Hipler wird Euch berufen, wann es Zeit ist.«

Der Eintritt Stephans von Menzingen unterbrach den Vorleser. Else fuhr mit einem leisen Schrei in die Höhe und ihr feines Gesicht ward von Purpur überflammt. Die Mutter war einen Augenblick wie gelähmt auf ihrem Sitze. Verlegen erhob sich Max, »Ich störe, wie ich sehe,« sagte Herr Stephan mit schneidender Ironie.

»Es ist ein Brief von Florian Geyer, den ich vorlas,« erklärte Max, sich fassend, und hielt denselben dem Ritter hin, der ihn mit einer kurzen Handbewegung abwies, während seine Augen in aufbrennendem Zorn auf 331 die Tochter sahen, welche den Kopf senkte. Auch Frau von Menzingen hatte sich inzwischen gefaßt, sie erhob sich und sagte, indem sie mit der Hand den Arm ihres Gatten berührte: »Ich bitte Dich, Stephan, lasse die Kinder nicht entgelten, was allein meine Schuld ist. Komm, ich will es Dir erklären!«

Er sah sie mit einem bösen Blick an, indem er ihre Hand von sich schüttelte. »Ich bedarf keiner Erklärung, ich sehe,« grollte er. Max aber rief: »Nein, ich allein bin zu tadeln, Herr Stephan, daß ich nicht sogleich vor Euch hintrat und, so ungünstig auch die Umstände für mich lagen, Euch um die Hand der Geliebten bat. Verzeiht es!«

»In der Tat,« begann jener, brach ab und strich sich über die spitz zulaufende Stirn, auf der die Zornader angeschwollen war.

»Vater!« flehte Else ängstlich. Er beachtete es nicht, sondern fuhr zu Max Eberhard fort: »Es ist wahr, Herr Doktor, ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet; darauf aber war ich nicht vorbereitet, daß Ihr Euch hinter meinem Rücken bezahlt machen würdet.«

»Herr von Menzingen,« fuhr Max auf. Else faßte jedoch seine Hand und ihr bittender Blick dämpfte seine Hitze. »Nochmals vergebt mir. Konnte ich Euch einen Dienst leisten, bei meiner Ehre, ich dachte an keinen Lohn. Und welcher Dienst wäre auch groß genug, um ein Kleinod aufzuwiegen, wie das Herz Eurer Tochter? Nun ist es mein, mir geschenkt in freier Zuneigung, und ich bitte Euch inständig, gebet uns des Vaters Segen zu dem der Mutter.«

Diese trat wieder zu dem Gatten, während Else mit flehenden Augen und gefalteten Händen zu ihm aufschaute und sprach bewegt: »Erhalte Dir die treue und feste Stütze, die Du an ihm hast. Du weißt es selbst am besten, Stephan, was ein solcher Mann in dieser schrecklichen Zeit wert ist. Du kannst ihn nicht von Dir stoßen, nicht nein sagen wollen.« 332

»O, Vater! Vater!« rief Else mit Tränen in den seelenvollen Augen.

»Dennoch muß ich nein sagen,« erwiderte der Ritter. »Wir leben nicht in der Zeit der Idyllen und bukolischen Gedichte. Diese Liebe ist ein Torheit. Je unruhiger die Zeit ist, je fester müssen die Grundmauern sein, auf die ich das Glück meines Kindes stelle. Ihr wie ich, Herr Doktor, wir sind beide ohne Vermögen. Es wäre unverantwortlich von mir, wenn ich zulassen wollte, daß meine Tochter in vergeblichen Hoffnungen welkte. Nein, Herr Doktor, dazu ward meine Tochter nicht geboren.«

»Aber ich will ja gern warten, liebster, bester Vater,« bat Else mit ihrer weichesten Stimme. Max aber rief mit wogender Brust: »Ihr höret es, Herr von Menzingen, Else liebt mich. Ihr dürfet ihrem und meinem Glücke nicht entgegenstehen. Ihr setzet Eure ganze Kraft, ja vielleicht das Leben ein, um die Unterdrückten zu befreien, wie könntet Ihr da Eurem eigenen Kinde zum Tyrannen werden, es dem Mann verweigern wollen, den ihr Herz gewählt hat?«

Das Weiße in den Augen des Ritters wurde von Blut unterlaufen. »Wenn ich ein Träumer wäre wie Ihr,« rief er, von den Worten des jungen Eberhard getroffen, mit mühsamer Selbstbeherrschung. »Der verdient die Freiheit nicht, der nicht zu gehorchen versteht. Was Ihr Freiheit nennt, ist das Nachgeben den Gelüsten der Willkür, ist Schwäche eines verzärtelten Herzens. Ich muß bei meiner Weigerung bleiben und Else wird ihre Pflichten gegen ihren Vater erfüllen. Schicket mir Eure Sportelrechnung, Herr Doktor, ich werde sie begleichen.«

Max zuckte empor. Frau von Menzingen taumelte fast auf den nächsten Stuhl. Else aber schrie auf und umschlang den Hals des Geliebten mit beiden Armen: »Nein, ich lasse ihn nicht! Ich lasse nicht von Dir, Geliebter!« Max preßte die zarte Gestalt an sich. »Nein, mein holdes Leben,« rief er von Schmerz 333 durchschüttert. »Mein Herz ist Dein für alle Zeit. Die Grausamkeit Deines Vaters kann uns trennen, aber nicht die Liebe aus meiner Brust reißen. Gehen muß ich jetzt wohl!«

Herr Stephan war an ein Fenster getreten, hatte die Arme über der Brust verschlungen und sah finster auf den Marktplatz hinunter. Max bedeckte den Mund der Geliebten mit unzähligen Küssen, nahm ihren Lockenkopf zwischen seine Hände und küßte sie auf die in Tränen schwimmenden Augen, auf die reine, weiße Stirn. Mit Gewalt riß er sich los, ergriff und küßte die Hand der weinenden Mutter und eilte fort. »Lebe wohl, Geliebte!« Er rief es noch unter der Tür.

»Max!« schrie Else verzweifelt auf. »Mutter!« und sie stürzte vor dieser nieder und barg, leidenschaftlich weinend, ihr Gesicht in deren Schoß.

Ritter Stephan schaute noch eine Minute lang zum Fenster hinaus, dann strich er seinen Schnurrbart in die Höhe und wandte sich. Er wollte etwas sagen, wie seine Augen jedoch denen der Gattin begegneten, schwieg er, so traurig vorwurfsvoll waren sie auf ihn gerichtet. Er ging.

Dr. Max Eberhard schickte seine Kostenrechnung nicht. Statt dessen gelangte aus Neusitz ein Schreiben an den Ausschuß, worin die Bauern erklärten, daß sie ihre ganze Sache diesem anheimstellten. Er möchte es sich nicht befremden lassen, daß sie einstweilen weiter rückten. Denn ihre Brüder in den benachbarten Herrschaften bedürften ihres Rates und ihrer Vermittelung. Abweisen könnten sie dieselben nicht, hofften aber die Angelegenheiten in wenigen Tagen zu endigen.

Schon waren sie von Neusitz aufgebrochen und auf das linke Ufer der Tauber übergegangen. Hätte Kaspar sie ziehen sehen, dann würde er unter den Bauern der Junker von Rosenberg und Finsterlohr den Lorenz Knobloch als einen ihrer Hauptleute haben 334 stolzieren sehen. Durch Taten hatte er sich ihnen nicht empfehlen können, es sei denn durch seine erstaunliche Trinkhaftigkeit. Sein Mundwerk hatte ihm das Vertrauen der junkerlichen Hintersassen gewonnen, deren dürftige Bekleidung und ausgemergelte Gestalten noch von den Leiden ihrer Leibeigenschaft zeugten. Wie ein Mühlrad das Wasser zu Schaum schlägt und umherspritzt, so wußte Knobloch zu reden, zu prahlen, zu schmeicheln, aufzuregen, den Durst nach Rache an den Junkern zu reizen. Diese Unglücklichen, in denen die Edelleute das Menschentum frech geschändet hatten, drängten ungeduldig nach dem Vorbach, der sich bei dem Frauenkloster Schäftersheim, unterhalb dem weingesegneten Städtchen Weikersheim, in die Tauber ergießt. An den Bergen, zwischen denen der Vorbach sich hinwindet, klebten die Burgställe von Haltenbergstetten und Laudenbach.

In geringer Entfernung von dem Burghause des wilden Zeisolf, am Vorbach weiter aufwärts, liegt das Kirchdorf Oberstetten. Hier hatte der Rat von Rothenburg große Getreidevorräte lagern. Die Bauern legten sogleich die Hand darauf und der Beutemeister Fritz Mölkner ließ es den Hohenloheschen Bauern des nahen Amtes Schrotzberg, die kauflustig herbeiströmten, ausmessen. Über dem Handel trafen Abgesandte des Ausschusses daselbst ein. Es kamen Valentin Ickelsamer, Hans Leupold der Beck, Kilian Etschlich, dazu Hieronymus Offner und Christian Hainz, welch' beide vordem in dem Äußeren Rate gesessen hatten. Diese letzteren, den Geschlechtern angehörig, mußten mit stillem Ingrimm zusehen, wie das städtische Getreide verkauft wurde; hindern konnten sie es nicht. Wie Ickelsamer den Hauptleuten eröffnete, hatten die Abgesandten den Auftrag, die Bauern eidlich zu verpflichten, daß sie gegen die Entscheidung des Ausschusses nicht weiter sich setzten, sondern sie als unabweisbar anerkennen wollten. 335

»Darüber läßt sich ja reden«, meinte Leonhard Metzler. »Nur müssen die Herren sich halt die Müh' nit verdrießen lassen, mit uns zu reisen, derweilen wir weiter ziehen! Wir haben halt Eile.«

»Freilich«, bestätigte der lange Lienhart, »und mag derweilen der Pfarrer Denner verhandeln. Nur das möcht' ich noch fragen: Wenn wir uns auch itzo mit dem Ausschuß und der Gemein von Rothenburg vergleichen, luget, der Rat wird es uns nit vergessen, und auch die benachbarten Herren nit, deren arme Leut' zu uns getreten sind, daß wir sie durch unseren Aufruhr gezwungen haben zur Gerechtigkeit gegen uns. So müssen wir der Straf durch einen Rat immer gewärtig sein. Wie wollet Ihr uns davor behüten? Denket daran, Pfarrer Denner!«

Damit schwang er sich auf seinen Eisenschimmel und ritt zu dem Haufen der Rosenberger und Laudenbacher, welche, die Vorhut bildend, schon ungeduldig des Zeichens zum Aufbruche harrten.

»Vorwärts, Ihr Brüder«, rief er ihnen zu, »vorwärts! Aber horchet, lebendig müssen wir ihn haben, lebendig, den greulichen Mordbrenner! Was wollen wir mit einem toten Hund?«

»Braten wollen wir ihn bei lebendigem Leib, den Hund!« scholl es ihm wild aus dem Haufen entgegen, der sich in Bewegung setzte, den langen Lienhart an der Spitze.

Knobloch gesellte sich zu ihm. Mit einer Kopfbewegung auf die nachfolgende Schar deutend, fragte er: »Vermeinst Du, daß die mit ihren Sensen, Forken, Stachelkolben und rostigen Spießen die Burg erstürmen werden?«

»Warum nit?« fragte der lange Lienhart mit großer Ruhe und setzte mit einem Seitenblick auf ihn hinzu: »Leichter ist's freilich, Humpen zu stürzen und Mädel zu küssen. Die Hauptsache ist, daß sie den Fuchs in 336 seinem Bau umstellen, bis daß die anderen nachkommen.«

Links auf der Höhe tauchten aus den Büschen die grauen Mauern von Haltenbergstetten auf. Die Schar erhob ein Geschrei, das wild und leidenschaftlich wurde, als jetzt bei einer Wendung des Weges, zu Füßen der Burg das Dorf sichtbar wurde, vor dem eine Brücke auf das linke Ufer des Vorbachs führte. Es war ein Anblick, der selbst starke Herzen erschüttern konnte, um wie viel mehr nicht diejenigen der Unglücklichen, die dort ihre Heimat hatten. Der größte Teil des Dorfes war eine Brandruine. Von einigen Häusern starrten die verkohlten Dachsparren schwarz gen Himmel, von anderen waren die Dächer ganz verschwunden und entweder in das Innere oder als brandschwarze Reste auf die Gasse gestürzt. Hier schauten die Ringmauern aus leeren Fensterhöhlen auf die Verwüstung, dort waren die Wände geborsten, zusammengebrochen, oder nur Stücke noch, ein Herd, ein Rauchfang ragten aus den Schutthaufen. Jammer, Schmerz, Verzweiflung der Armen brachen gewaltsam hervor und, als schlügen nur eben die Flammen aus ihren Hütten, Scheuern, Ställen, und es gälte noch zu retten, so stürmten sie, taub gegen alle Zurufe ihrer Hauptleute, nach dem Dorfe. Dort mochte man sie inzwischen gesehen haben, erwartet wurden sie gewiß schon längst; denn nun brach zwischen den Brandtrümmern ein dunkles Gewühl hervor und drängte über die Brücke den Kommenden entgegen: Frauen, Mädchen, Kinder, Greise. Welch' ein Wiedersehen zwischen den Ausgezogenen und ihren zurückgebliebenen Angehörigen. Wie sie einander in den Armen lagen, an den Händen hielten, in verworrener Hast, unter Tränen, Schluchzen, Klagen, zornigen Ausrufen, Flüchen, Racheschreien berichteten und hörten!

Die Laudenbacher, die beisammen geblieben waren, schauten mitleidig auf ihre unglücklichen Kameraden, 337 und der lange Lienhart hielt bei ihnen und drehte ein über das andere Mal an seinen dicken Schnauzbart.

Und der Ursächer all' dieses Jammers und Elends saß unterdessen mit seinem Freunde Philipp von Finsterlohr in seinem Burgstall auf der Höhe, und beide spülten mit Wein das Mittagsmahl hinunter, dessen Überreste noch auf dem Eichentische zwischen ihnen standen. Die Stube, in der sie saßen, schaute das wildschöne Vorbachtal abwärts und ersparte ihnen den Anblick des verwüsteten Dorfes. Junker Philipp weilte seit gestern auf der Burg; am Morgen waren sie auf der Schweinsjagd gewesen und ließen es jetzt sich wohl sein. Der Laudenbacher war heraufgekommen, um mit dem Freunde Rats zu pflegen, wie sie bei den täglich drohender sich gestaltenden Unruhen sich verhalten sollten. Zwar hatte er gegen seine davongezogenen Hintersassen nicht die gleiche heimtückische Bosheit wie sein Freund sich zu schulden kommen lassen. Aber ein gutes Gewissen hatte auch er nicht; auch er hatte seine Hörigen hart gedrückt, um schlemmen zu können, und nun waren, dem Beispiele der Bürger von Mergentheim folgend, auch die Weikelsheimer in seiner nächsten Nachbarstadt aufgestanden. Er schlug vor, sich nach Würzburg in Sicherheit zu bringen, da sie mit ihren wenigen Knechten die Burgen gegen einen Anlauf der Bauern schwerlich halten könnten. Der wilde Zeisolf lachte ihn aus. Für ihn waren die Bauern nur ein feiges Gesindel, das auseinander stieben würde, sowie man ihm den gehörigen Ernst zeigte; sie würden es nicht wagen, ihre Burgen zu berennen. Auch hätten sie kein Geschütz, und wollten die Roßmucken mit ihren Köpfen die Mauern einstoßen, so sollten sie es nur versuchen.

Der leichtlebige Junker von Finsterlohr ließ sich durch die Zuversicht des Rotbartes gern beruhigen. Der Gegenstand wurde zwischen ihnen nicht weiter berührt. Es mochte aber durch ihn manches angeregt 338 worden sein, was der wilde Zeisolf, vielleicht unbewußt, bei sich weitergesponnen hatte. Denn wie sie jetzt bei dem Wein saßen, rief er plötzlich mit einem Faustschlag auf den Tisch: »'s ist ein hundsföttisch Leben! Und wer anders ist schuld an dieser Hoffärtigkeit der Roßmucken, als Kaiser Max mit seinem ewigen Landfrieden. Wie soll der Bauer Respekt vor dem Edelmann haben, wenn er keine Furcht mehr vor ihm hat? Früher, gab's eine Fehde, fuhren wir den Bauern ins Dorf mit dem Feuerbrand, trieben sein Vieh weg und schleppten ihn selbst fort, daß er auf unseren Feldern rackerte, oder warfen ihn in den Turm, bis er sich löste. Mehr als einmal hat mein Vater selig Rothenburg Fehde angesagt und ist in der Stadt Dörfer eingefallen. Ja, damals zitterte der Bauer noch vor uns. Und unser eigenes Fleisch wird schwach bei dem ewigen Frieden! Selbst der Götz mit der eisernen Hand, der sonst alle Arme voll Händel hatte, ist ins Mauseloch gekrochen, seitdem er vor drei Jahren aus dem Heidelberger Gefängnis mit 2000 rheinischen Gulden sich lösen mußte. Es war von wegen seinem Beistand, den er dem Herzog Ulrich gegen den Bund getan hatte. Und der Thomas von Absberg, der Wolf von Giech, mein Vetter Kunz, der Hans von Embs haben auch zum letzten Mal in den Stauden gelegen, nachdem ihnen der Schwäbische Bund vor zwei Jahren den Waldstein gebrochen und niedergebrannt hat.«

Junker Philipp brach in ein lautes Gelächter aus, Das Stirnrunzeln Zeisolfs, dem der Wein das Blut ebenso schwer, wie jenem munter machte, zügelte sein Lachen nicht, und er rief: »Du fängst Grillen, Freund, das kommt davon, daß Du hier einsam wie ein Schuhu hockst. Zum Henker, warum nimmst Du Dir nicht ein Weib. Ich wüßte eine, die zu Dir passen täte.«

»Laß mich aus«, murrte der andere und trank.

»Nein, denn Du fängst an abzustehen. Hab's Dir erzählt, daß ich zum Fasching in Würzburg war. Die 339 Blume war die Adelgunde von Thüngen, sah sie im Haus ihrer Mutter und schloß mit ihrem Bruder Adam Freundschaft. Du weißt wohl, daß er ein Vetter des Bischofs ist, des Herzogs in Franken, wie er sich nennt«, setzte er lachend hinzu. »Ist ein sauber Frauenbild, die Adelgunde, und der Bischof hat einen Narren an ihr gefressen. Der Junge, der Wilhelm von Grumbach, scharwenzelte um sie herum. Er will hoch hinaus, aber er mag sich den Mund wischen. Der Adam gibt sie keinem Lehensmann seines Vetters und am wenigsten einem jüngeren Bruder, wie es der Grumbach ist. Ich will meine eigene Zunge fressen, wenn Du sie nicht kriegst, so Du nur willst.«

»Aber, zum Henker, ich will sie nicht«, schrie Zeisolf.

»Weil Dir die Gabriele noch immer im Kopf herumspukt, was?«

Junker von Rosenberg faßte seinen Becher bei der Mündung und stieß ihn mit solcher Gewalt auf den Tisch, daß der Wein zwischen seinen gespreizten Fingern hoch aufspritzte. Es glomm drohend in seinen blassen Augen. Der Finsterlohr zuckte die Achseln und jener fragte: »Hältst Du mich denn für verrückt?«

»Nu, damals warst Du's und wolltest nicht auf mich hören, obgleich ich Dir voraussagte, daß die Geschichte mißglücken müßte«, erwiderte Junker Philipp gleichmütig. »Ich kann ja von Glück sagen, daß nicht ich selbst, sondern bloß mein Mantel dem rabiaten Gesellen in die Hände fiel. Verdammt hübsch ist sie ja, das muß ihr der Neid lassen.«

Der wilde Zeisolf antwortete nicht. In Sinnen verloren strich er sich wiederholt die beiden Zacken seines roten Bartes. Auch sein Freund schwieg. Wie er den Becher zum Munde führte, zögerte er und sah nach dem Fenster. Es war ihm, als ob sich draußen ein starker Wind erhoben hätte. Eben begann der Rosenberg wieder; so trank er und wandte ihm seine Aufmerksamkeit zu. 340

»Wer kennt sich aus in den Weibern? Du weißt, wie sie sich damals sträubte und schrie. Auch soll mich der Rat beim Kammergericht verklagt haben – an mich ist von dort noch nichts gelangt – und jetzt, wenn ich wollte – –«

»Nu?« fragte Junker Philipp gespannt und beugte, auf beide Ellenbogen sich stützend, den Oberkörper gegen ihn vor.

»Es ist halt zu toll«, rief der wilde Zeisolf. »Meine Muhme schreibt mir aus dem Kloster, daß die Gabriele sie besucht habe. Sie sei zwar sehr böse auf mich, aber doch nicht ganz abgeneigt, mir zu vergeben, wenn ich selbst sie darum bäte. Aber nicht schriftlich, sondern mündlich müßte ich es tun. Ich sollte sie wissen lassen, nämlich die Muhme, wann ich zu ihr kommen wollte, sie würde dann bewerkstelligen, daß ich die schöne Gabriele träfe. Es sei aber von meiner Seite die größte Vorsicht notwendig; denn da inzwischen das Gartenpförtlein vermauert sei, müßte ich meinen Weg durch die Stadt nehmen.«

»Donnerwetter!« rief der Junker von Finsterlohr, »und Du willst das Abenteuer bestehen.«

»Gelt, jetzt wär' ich nicht verrückt, wenn ich's täte?« verhöhnte ihn der andere. »Ich weiß noch nicht, was ich tun soll. Aber wie, wenn es eine Falle wäre, die mir die schöne Teufelin aus Rache stellte?«

»Im Kloster könnte man nicht an Dich!«

»Aber auf der Gasse.«

»Nun, sei es, wie es sei, fein eingefädelt ist's, bei meinem Bauch«, rief Philipp von Finsterlohr und fuhr, beide Becher füllend, fort: »Die schönen Weiber sind gemeinhin die klügsten nicht; aber vor dieser Krämerprinzessin ihrem Kopf hab' ich alle Achtung. Stoß an, Zeisolf! Die schöne Gabriele soll leben, hoch!«

Sie stießen lachend an. Noch aber hatten sie die Becher nicht geleert, als einer von den Burgknechten 341 mit verstörtem Gesicht in die Stube gestürzt kam und rief: »Gnädiger Herr, die Bauern kommen!«

»Was für Bauern, Du Tölpel?« schnob ihn der Burgherr an und setzte den Becher hin, während Philipp von Finsterlohr von der Bank aufsprang.

»Ich hab' von den unserigen etliche erkannt und auch andere sind's, alle mit allerlei Gewaffen«, berichtete der Knecht. »Wie Ameisen kribbelt's den Berg herauf.«

Das breite Gesicht des Junkers, das bereits der Wein gerötet hatte, wurde vor Zorn purpurrot und er dröhnte: »Daß Dich, ist denn der Teufel überall ledig? Die Brücke auf, das Tor zu! Ihr alle zu Euren Spießen und Armbrüsten! Fort!«

Der Knecht enteilte.

Die beiden Freunde griffen nach ihren Schwertern und Baretts und begaben sich in den nächsten Eckturm, der in das Tal hinunter schaute. Das Burgtor lag auf der entgegengesetzten Seite. Der steinige Weg, der sich dorthin um die Burg heraufschwang, war schwarz von Menschen. Nicht nur bewaffnete Männer, sondern auch Frauen zeigten sich unter den Bäumen. Der lange Lienhart ging voran; er hatte sein Pferd im Dorfe zurückgelassen. Die beiden Junker erkannten in ihm denjenigen wieder, dessen Klinge ihnen am Dreikönigstage in Rothenburg nicht wenig zu schaffen gemacht hatte. Wie Windes- oder Wellenrauschen tönte es zu den Junkern herauf. Zeisolf von Rosenberg fand die Meldung seines Knechtes bestätigt. Es waren seine früheren Hörigen. Aber auch sein Freund erkannte seine eigenen Leute. »So können wir denn allen beiden gleich einen Denkzettel geben«, meinte er.

Sie eilten in das Haus zurück, um sich mit Gewehren, Pulver und Blei zu versehen. Drei Knechte und ein Jägerbursche waren die ganze Besatzung, die sie mustern konnten, und die sie nun auf dem Wehrgang zu beiden Seiten des Tores aufstellten. Sie hatten 342 kaum ihre Plätze eingenommen, so drangen schon die Bauern mit Geschrei aus dem Walde vor. Die aufgezogene Brücke, die sonst eine Felsspalte vor der Burg überspannte, machte sie stutzig. Der lange Lienhart trat hervor und schrie den Junkern zu, daß sie sich geben möchten; ihr Widerstand würde ihnen nichts nützen, denn sie wären nur die Vorhut des Rothenburger Haufens, welcher ihnen auf dem Fuße folge. Die Antwort war ein von dem Jägerburschen gesandter Bolzen, der den langen Lienhart so kräftig vor die Brust traf, daß er schwankte. Seinen Krebs von gut gehärtetem Eisen vermochte das Geschoß aber nicht zu durchdringen; es fiel ihm platt vor die Füße. Mit Geschrei lief ein Teil der Bauern bis an den Abgrund vor. Ein Spieß flog hinüber und traf den Knecht, der neben dem Junker von Rosenberg stand, in den Kopf. Er stürzte rücklings hinab. Die Sehnen der Armbrüste schwirrten; aber die Schützen hatten es zu eilig und die Bolzen gingen zu hoch. Die Junker sparten ihre Schüsse für den langen Lienhart, der sich jedoch vor ihnen durch den dicken Stamm einer Buche deckte. Mit dröhnender Stimme rief er die Unsinnigen zurück. Unterdessen hatten die anderen Steine vom Wege aufgelesen, liefen nun ebenfalls vor und bewarfen mit ihnen die Besatzung. Darüber verloren die Junker ihre Selbstbeherrschung und ließen ihre Büchsen in den Haufen gehen. Mit welchem Erfolg war nicht sogleich zu ersehen. Der lange Lienhart aber sprang jetzt hinter der Buche hervor und trieb die Leute mit Flüchen und flachen Schwerthieben unter die schützenden Bäume. Es gab ein paar Verwundete. Plötzlich verschwanden die Junker mit ihren noch lebenden drei Leuten von der Mauer. Ein Geschrei ließ sich aus der Burg vernehmen, Schüsse, Eisenklirren. Die Brücke rasselte nieder, das Tor stand offen. Lienhart drang mit den Seinigen ein.

Hätten Junker und Knechte, als sie die Bauern 343 heraufziehen sahen, besser Acht gegeben, so würde es ihnen vielleicht nicht entgangen sein, daß ein Teil des Haufens sich von diesem getrennt und, durch den Wald geborgen, der Burg von der linken Seite sich näherten. Es waren Haltenbergstetter, die seit ihrer Kindheit mit der Örtlichkeit wohl vertraut waren, und die entschlossensten Burschen. Sie führten Leitern mit sich. Auf ihnen hatten sie an einer geeigneten Stelle die Mauern überstiegen. Der Kampf mit den im Rücken angefallenen Junkern war nur ein kurzer, die Übermacht, trotz verzweifelter Gegenwehr, zu groß gewesen. Als der lange Lienhart mit seinen Leuten in den Burghof kam, waren sie entwaffnet und gebunden. Es kostete ihm Mühe, das Leben der Junker, die mit finster trotzenden Mienen dastanden, vor der Wut ihrer jetzt hereindrängenden Bauern zu beschützen. Er selbst konnte sich nicht enthalten, sie mit einem grimmigen Triumph zu betrachten, indem er sich seinen dicken Schnurrbart aufwärts drehte. Die Knechte befahl er frei zu lassen.

»Und jetzt zum Gericht, Ihr Herren«, rief er und befahl die Trommel, die einzige, die der Haufen besaß, zu rühren, um die Leute, die sich schon zum Plündern in der Burg zerstreuten, zum Abzug zu sammeln. Wie sie auf den Weg kamen, sahen sie unten im Tale schon den hellen Haufen heranziehen.

Der lange Lienhart hielt sich in der Nähe der beiden Gefangenen, um über ihre Sicherheit zu wachen, nicht um sich an ihrer Demütigung zu weiden. Ihr Stolz beugte sich auch nicht unter den heftigen Ausbrüchen des langgenährten Hasses ihrer ehemaligen Leibeigenen, den Schimpfworten und Verwünschungen, Stößen und Faustschlägen selbst von den Weibern. Unter den Menschen, die am Eingang des Dorfes sich gesammelt hatten, stand ein Greis mit schneeweißem Haar. Als er der Gefangenen ansichtig wurde, hob er die Hände gen Himmel und rief: »Herr Gott, ich 344 dank' Dir, daß Du mich diesen Tag noch hast erleben lassen!«

Jenseits der Brücke traf der lange Lienhart mit den Hauptleuten, denen der helle Haufen langsam nachrückte, und den Sendboten des Ausschusses zusammen. Der Anblick des verwüsteten Dorfes erregte auch sie nicht wenig und der Brettheimer Metzler rief Lienhart entgegen: »Was schleppst Du den Mordbrenner und seinen Spießgesellen daher, anstatt sie auf der Stelle zu henken?«

»Um Gottes willen, was habet Ihr vor?« rief Valentin Ickelsamer erschrocken. »Taucht Eure Hände nicht in Blut!«

»Nein, sie sollen nach Recht und Urteil den Tod erleiden«, antwortete der lange Lienhart und ließ seinen Haufen einen Ring bilden, in dem das Gericht gehalten werden sollte. Das aufgedunsene Gesicht des Junkers Philipp war bleich, ohne daß es Furcht verraten hätte. Sein Freund bewahrte seinen finsteren Trotz.

»Das wäre Rache, nicht Recht«, rief der lateinische Schulmeister.

»Gerechtigkeit wär's«, entgegnete Lienhart rauh und forderte die Hauptleute auf, in den Ring zu treten.

Valentin Ickelsamer wandte sich zu seinen beiden Begleitern von den Geschlechtern, den ehemaligen Ratsherren Hieronymus Offner und Christian Heinz, und besprach sich eifrig mit ihnen. Sie zogen den Pfarrer Denner bei Seite.

Als nun die Hauptleute im Ringe zum Gericht schreiten wollten, erbat Ickelsamer sich das Wort und sprach: »Lieben Freunde, es will sich nicht also ziemen, daß der Richter seiner Leidenschaft Gehör gebe. Wohl heißet es in der heiligen Schrift: ›Über Nattern und Vipern will ich Deinen Schritt führen‹, und das ist auch Euer Weg. Eine Viper ist auch dieser Junker von Rosenberg –«

»Hölle und Teufel!« brauste dieser auf und zerrte 345 an dem Strick, der seine Hände auf dem Rücken band.

»Ist auch dieser Rosenberg«, fuhr Ickelsamer fort, »der den armen Leuten, die seiner väterlichen Fürsorge anvertraut sind, heimtückisch in die Ferse sticht. Aber ich bitte und beschwöre Euch, Ihr lieben Freunde, beflecket Eure reine Sache, welche die Sache aller Unterdrückten ist, nicht mit seinem Blute, nicht mit dem des Junkers von Finsterlohr, der wie er seine Hintersassen als ein Unmensch geschunden hat.«

Diesen Beschuldigungen stimmten die Haltenbergstetter und Laudenbacher mit Geschrei zu. Der lange Lienhart, Metzler und andere aber riefen einhellig: »Und darum müssen sie sterben!«

»Nein, nein«, protestierte der lateinische Schullehrer. »Wolltet Ihr alle Nattern und Vipern austilgen mit Feuer und Schwert, wo gäb's ein Ende? Der Tod läßt keine Besserung zu. Sie sollen leben, um ihre Verbrechen gut zu machen und zu sühnen an den Geschädigten.«

»Nein, wir müssen sozusagen ein Beispiel statuieren«, rief Leonhard Metzler, »damit daß die ganze Junkerschaft weiß, was die Glocke geschlagen hat.«

»Gericht, Gericht! Sie müssen sterben«, riefen die Bauern durcheinander.

Da trat die lange hagere Gestalt des Pfarrers Denner vor und er sprach: »Auf allen Burgen und Schlössern und in allen Klöstern und Palästen werden sie wissen, was es an der Zeit ist; aber dazu braucht's des Blutes dieser beiden Schächer nicht, deren Übeltaten zum Himmel stinken. Im zweiten Buch Moses stehet geschrieben: ›Ich will einen Schrecken vor Dir hersenden und alles Volk verzagt machen, damit Du kommst; und will Dir geben alle Deine Feinde in die Flucht!‹ Sorget Euch also nicht, lieben Brüder. Ihr Mannen aber aus Laudenbach und Haltenbergstetten, wann Ihr Eure Rache gestillt habet an dem Blute dieser beiden da, was nachher? Bauen sich Eure Häuser von selbst 346 wieder auf und füllen sie sich von selbst wieder mit dem eingeäscherten Hausgerät und lebet Euer erschlagenes Vieh von selbst wieder auf und füllet die Ställe wie vordem? Wohlan, sie sollen ihre Schuld büßen, aber auch Euch voll den Schaden ersetzen, den sie Euch verursacht haben. Weigern sie sich dessen, so komme ihr Blut über sie. Seid Ihr damit einverstanden?«

Es blieb still. Einer sah den anderen an; keiner mochte sich zuerst äußern. Der lange Lienhart nahm das Wort: »Das ist in den Wind geredet, Mann Gottes. Nimm's nit übel. Was sollen die Leut' Dir antworten, ehe denn sie nit wissen, ob die Junker zur Buß' willig sind? Und wenn sie willig sind, ich nehme sie von dem Rosenberg nit an. Ich hab' eine andere Rechnung mit ihm. Meinen liebsten Freund hat er mir erschlagen, als er die Gabriele Neureuterin hat rauben wollen. Davon kann er sich bloß durch sein Blut lösen.«

Valentin Ickelsamer kam zu ihm und wollte ihn beiseite ziehen. Er wollte hören, was Denner meinte. Dieser aber sah die Junker nur fragend an. Philipp von Finsterlohr, welcher der Verhandlung mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt war, während sein Freund eine geringschätzige Miene zeigte, erklärte sich einverstanden. Der wilde Zeisolf murrte nach einem wie erstaunten Blick auf den langen Lienhart: »Mit gebundenen Händen unterhandle ich nicht.«

Der lange Lienhart ließ beiden die Stricke lösen. Es hatte keine Gefahr, daß sie entfliehen könnten: denn der Ring war inzwischen von den Rothenburgern eng umschlossen worden. Auch die Bewohnerschaft des zerstörten Dorfes hatte sich dazu gedrängt. Die Hauptleute und Botschafter des Ausschusses traten in Beratung. Es gab heftigen Streit. Der lange Lienhart wollte von keinen Bedingungen hören, bis ihn Leonhard Metzler mit einem bedeutungsvollen Blick anstieß und sprach: »Eines vergesset Ihr! So die Junker jetzt in der 347 Gefahr auch Eure Bedingungen annehmen, lasset Ihr sie nicht Urfehde schwören, nachher werden sie's ihre Bauern doppelt und dreifach entgelten lassen. Wir Bauern von Rothenburg sind in der nämlichen Lage dem Rat gegenüber. Wir wollen unsere Sach' gern dem Ausschuß anheimstellen, wie er es wünscht, und es eidlich geloben. Aber von wegen der beiden Junker lassen wir uns auf nix ein, wenn uns die Herren vom Ausschuß nicht in dessen Namen und der Gemeind' schwören, daß sie uns Bauern beistehen wollen, so weit Leib und Gut reichen, wann jemand etwas gegen uns unternehmen würde.«

Die Gesandten sahen einander betroffen an. Der lange Lienhart kraute sich im Bart. »Ich will's annehmen, wenn Ihr damit einverstanden seid,« wandte er sich an die Hauptleute. »Ja,« riefen diese einstimmig. »Nur eine Bedingung hab' ich noch zu stellen,« rief der lange Lienhart, »nämlich, daß der Junker von Rosenberg dem ganzen Haufen einen auskömmlichen Abschiedstrunk kredenzt.« Die Hauptleute fielen ihm lachend bei. Valentin Ickelsamer, der unterdessen mit seinen Begleitern geflüstert hatte, erklärte jetzt, daß sie zu dem verlangten Eid bereit seien. Die Mienen der Bauernführer verrieten ihren Triumph, nur der lange Lienhart konnte sich nicht darein finden, daß seine Beute ihm entschlüpfte und er machte ein verdrießliches Gesicht. Pfarrer Denner verkündete den beiden Junkern die gefaßten Beschlüsse, indem er vorausschickte: »Ihr möget sie annehmen oder verwerfen, auf einen Kuhhandel lassen wir uns nicht ein.«

Zeisolf von Rosenberg sollte auf seine Kosten die eingeäscherten Baulichkeiten wiederherstellen und den Bauern das zugrunde gegangene Vieh nach Billigkeit ersetzen. Er und Philipp von Finsterlohr sollten jeder 1000 Gulden oder 500 Pfund Heller an die Kriegskasse der Bauern zahlen und einen feierlichen Eid leisten, zu keiner Zeit und unter keinen Umständen an ihren 348 Hintersassen Rache zu nehmen, sondern daß hiermit alles vergeben und vergessen sein sollte. Endlich vergaß der Pfarrer auch nicht den Abschiedstrunk, den der Junker Zeisolf dem gesamten Haufen verabreichen sollte. Es schien, als ob diese letzte Bedingung die Laudenbacher und Haltenbergstetter mit den anderen einigermaßen aussöhnte. Denn sie waren keineswegs zufrieden und es gab viel des Lärmens, bis sie sich auf das Zureden Denners, Ickelsamers und Metzlers fügten. Der wilde Zeisolf hatte, seine flammenden Bärte mit den Fingern durchpflügend, finsteren Angesichts die Bedingungen angehört. »Also auf Tod und Leben?« sagte er jetzt und sah seinen Freund an, der die Achseln zuckte. Dann wandte er sich zu den Hauptleuten und sprach, gleichfalls mit einem Achselzucken: »Wir nehmen an!« Darauf schwuren sie den Friedenseid, wie der Pfarrer ihnen denselben vorsagte.

Sie waren frei. Der lange Lienhart aber gab ihnen eine Wache mit zum Schutze Mölkners, der das Strafgeld von ihnen einziehen sollte, und damit der Wein nicht ausbliebe. Dann erhob er seine weithin schallende Stimme und sprach: »Brüder, so Ihr der Meinung seid, daß wir es dem Ausschuß übertragen, unsere Sache vor dem Inneren Rate zu führen, falls er uns einen gestabten Eid schwöret, uns mit Gut und Blut beizustehen in etwaigen Fährlichkeiten, so hebet die Hand auf.« Da reckten sich alle Hände in die Höhe und der lange Lienhart fuhr zu den Gesandten fort: »So schwöret denn!« Sie schwuren mit entblößtem Haupte, wie es vorher verabredet worden war. »Amen!« rief Lienhart. »Und somit erkläret der helle Haufen Rothenburgs dem Ausschusse, daß er sich den Entscheidungen desselben in seiner Sache unterwerfen wird.«

Ein Jubelgeschrei schlug zum Himmel auf und dann begannen die Büchsen zu krachen. Wenn die Botschafter des Ausschusses sich etwa noch nicht völlig klar waren über die Tragweite ihres geleisteten Eides, so 349 öffneten ihnen sicher die zweihundert Freudenschüsse, welche die Bauern abgaben, die Augen.

Mittlerweile begannen auch die Weinfässer aus dem Burgkeller herabzugelangen und sie sorgten dafür, daß die Fröhlichkeit nicht versiegte. Nicht weniger als sechs Fuder Wein leerten die Bauern, ehe sie auf Weikersheim weiterzogen. Der lange Lienhart blieb in der Lustigkeit verstimmt, ob ihm auch die Freunde fleißig zutranken. Sein Gelübde, Hans Lautner zu rächen, war nicht eingelöst worden. Plötzlich entstand Geschrei und Tumult, Lienhart und seine Freunde eilten dem Menschenkäuel zu, der sich unter den Bäumen am Bergabhang bildete. Eine hübsche Dirne aus dem Dorfe hatte das Geschrei erhoben und sie beschuldigte Lorenz Knobloch, daß er ihr habe Gewalt antun wollen. Die Bauern schimpften auf ihn und bedrohten ihn mit ihren Fäusten. Lienhart durchdrang den Knäuel. »O, Du elender Tropf,« fuhr er Knobloch an, »bist Du deshalb uns Bauern zugelaufen, um unter uns Dein städtisches Luder- und Lasterleben fortzusetzen? Ein Bauernführer willst Du sein, hast ein ehelich Weib und schändest unsere Dirnen? Ein räudiger Hund bist Du!«

»Schlagt ihn tot!« schrien die wütigen Bauern. Da blitzten auch schon die Schwerter. Ihr oberster Hauptmann wehrte ihnen nicht, sondern wandte sich schweigend hinweg. Zerstückelt und zerfleischt lag der Elende am Boden.

Die Trommeln schlugen zum Aufbruch. 351



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