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D' Frau Resl über die Altkatholiken.

(October 1871.)

Es ist eine alte und die löblichste Gewohnheit von mir, bei strittigen Anlässen gleich an der lautersten und untrüglichsten Quelle mir Raths zu erholen und den verwirrenden Orakelsprüchen unerläßlicher Auguren sorgsam aus dem Wege zu gehen. Gefällt es z. B. dem dunklen Geschicke des gemeinsamen (oder auch engeren) Vaterlandes, ein verblüffendes Ereigniß staatlicher Organisation auf die Tagesordnung zu setzen, so wird es mir nicht einfallen, in den Dicasterien herumzuschnüffeln, die oratorischen Brosamen bureaukratischer Größen aufzuschnappen, und, um mich zu belehren und zu beruhigen, der nebulosen Communiqués eines Departements-Paschas oder sonstiger vaterländischen Celebritäten zu horchen. In solchen historischen Augenblicken, wo die Weltgeschichte einen neuen Absatz beginnt, wandere ich schnurstracks an den Urquell ehrlicher, unbestochener Kritik, d. h, ich lausche der Volksstimme und sollte ich sie nirgends zu hören bekommen als im – » Mistgrüberl«, der Rostra urwüchsigster Charaktere, voll ungenirtester Empfindung und prägnantester Definition.

Selbstverständlich genügt dieses Tribunal mit seiner originellen Bonmotsjustiz nicht für alle Fragen, welche meine staatsbürgerliche Brust zeitweilig mit bangen Zweifeln erfüllen. Für den czecho-germanischen Conflict und das Rieger'schen Quotenattentat konnte ich dort allerdings die erschöpfende Instruction, wie das Urtheil des »gemeinen Mannes« über die tragikomische Angelegenheit laute, mir zu Gemüthe führen, und aus den ungekünstelten »Naturlauten« classischer und legaler Repräsentanten ganzer Volksschichten einen Schluß auf die Denkweise der ungeheuren Majorität meiner communalen Genossen ziehen. Was Anderes aber ist es mit der Aufgabe, mich über den Fluß der religiösen Bewegung zu orientiren und die Stimmung zu erforschen, welche die große Masse meiner christkatholischen Landsleute in dem fatalen Unfehlbarkeitsdilemma erfülle. Zu diesem belehrsamen Zwecke mußte ich folgerichtig in das Hauptquartier der eifrigsten Streiter (und Streiterinnen) der allein seligmachenden Kirche mich verfügen und ich ging deshalb in den – Dominicanerkeller.

Es war am Tage nach dem ersten Gottesdienste der Nicht-Unfehlbaren. Die Menge saß Kopf an Kopf gedrängt und besprach in erregter Debatte das kirchliche Ereigniß. Ein Flickschneider (nach dem Knaack'schen Fips-Muster) führte das große Wort und donnerte gegen die »Ketzer« und »Heiden«, in seiner Philippika eine so riesige Quantität von Schwefel und Pech verwendend, wie solche bei sämmtlichen Predigten in der Ligourianerkirche noch nicht benützt wurde. Dabei schenkte er sich unablässig aus der Maßflasche ein, die als »Best« eines gottesfürchtigen Hausherrn auf dem Tische zum Troste der Anwesenden figurirte, und rief ein über das andere Mal: »Die neuen Schulgesetze sind unser Unglück! Ich hab' zwar, Gott sei Dank! keine Kinder, denn ich bin, wie die Herrschaften wissen, ledig und bleib's, weil Christus der Herr auch ledig blieben ist; aber das sag' ich, wann ich Kinder hätt', ich grabet's lebendig mit meine eigenen Händ' ein, ehe ich's in so ein' Judenschul' schicken thät! ... Trinken's aus, Herr Nachbar, es kommt noch a frisch' Maßl!«

»Und wie war denn die Judenmess'?« fragte eine dicke Kapäunlerin, die eben einen Gugelhupf tranchirte und die Gesellschaft zum »Zugreifen« einlud. »Dö G'schicht muß ja rein gott'slästerli g'wesen sein? Is denn gar kein Unglück dabei g'scheg'n?«

»Unglück? Unglück?« rief der Flickschneider, nach einem Stück Gugelhupf langend, »mein Gott! wie man's nimmt, für'n Anfang Unglück g'nug, wird schon mehr kommen! (Mit erhobener Stimme:) Wie der Judengeistliche die Hostie in die Höh' g'halten hat, wird's plötzlich blutroth...«

Alle Anwesenden: » Jesses, Maria und Josef!« Die Kapäunlerin macht das Kreuz, der Flickschneider nimmt einen herzhaften Schluck und fährt, mit den Händen heftig gesticulirend, fort: »Wird's plötzlich blutroth! Das war ein Fingerzeig vom Himmel, als wann er sagen wollt': Ihr habt's Christus, den Herrn, umbracht! Ich sag' Ihnen: ein schrecklicher Anblick! Die Frauen sind in Ohnmacht g'fall'n, die Kinder hab'n zum schrei'n angefangen, ein' pensionirten Rechnungsrath hat der Schlag troffen, es war wie beim jüngsten G'richt ... –«

Die Uebrigen: »Hör'ns auf! Hör'ns auf! Mich friert ordentlich!«

Der dicke Hausherr: »Josef, noch ein' Maß! ... Ja, sag'ns mir, hat denn da die Polizei ruhig zug'schaut? (Mit der Faust auf den Tisch schlagend, laut:) Kann denn da das Consistorium nicht einschreiten? Das ist ja ein Frevel, wie's die Jakobiner nicht anders trieben hab'n?! Gibt's noch ein Christenthum bei uns, oder leben wir im Hottentottenland? Mich bringt, die Gall um!« Leert seinen geschliffenen Seitelstutzen.)

Der Schneider geheimnißvoll: »Das Allerschönste bei der ganzen G'schicht is, daß kein' einzige Zeitung auch nur ein Sterbenswörtl über den Skantal mit der blutigen Hostie hat bringen dürfen! Ist ihnen verboten word'n

Alle: »Was Sie sagen? Hm! Hm!«

Der Schneider mit wichtiger Miene: »Strengstens verboten! Bei Cautionsverlust! Nur der »Volksfreund« hat die Kurasch g'habt, anzudeuten, daß die Altkatholiken nichts anders als Juden sind!«

Alle: »Sunst san's ja nix, als Juden, ich kenn' selber ein Paar, die sich hab'n einschreib'n lass'n ... mein Gott! Umsonst werd'n sie's eh nit thun: man hat ja allerhand erzählt ...«

Der Schneider, rasch: »Zehn Gulden bekommt Jeder monatlich, die Frauen sechs, die Kinder zwei: mir hat's Einer selber g'standen, gestern im Heiligenkreuzerhof, wie i ihm in's Gewissen g'rekt hab'. Wissen's, sagt er, hat er g'sagt: Bei die theuern Zeiten kann ma ein so ein'n Verdienst nit leicht zurücklassen. I hab' acht Kinder, ein krank's Weib, da brauch i die paar Gulden! – Nu ja: zweimal acht is sechzehn, sie: sechse, is zweiundzwanzig, seine zehn Gulden: macht's Monat zweiunddreißig Gulden! der Winter is vor der Thür' – da wird der Mann, der keine solchen festen Grundsätz' wie unsereins hat, bald wankelmüthig. Wenigstens wissen wir jetzt, was die Geldnoth zu bedeuten hat! Warum's Geld so plötzlich verschwunden is! Für die Altkatholiken, für die Ketzer hab'n sie's z'sammg'scharrt, denn die G'schicht kost' ihnen ein Heidengeld!«

Alle: »Freili is's so! Zahlt san's! Umsonst verschreibt sich Keiner 'n Teufel!«

Der dicke Hausherr: »Ich weiß nit, is mir vor Aergernuß über den Xalvator-Stantal oder auf die g'sulzten Schweinsfüßel nit recht gut ... aber mi druckt's ... Josef! geb'ns no a Maßl her, aber von dem andern, der der Meinigen so schmeckt ... Schwab'n m'rn abi den Zorn und halt'n mer z'sammen, was mir gute Christen san; mer weiß, ob nit doch no a Wunder g'schicht!«

Der Schneider: »Zum G'richt muß's kommen, verboten muß der Götzendienst werd'n und 's Geld müssens außer geb'n, i selber dring' d'rauf!« – –

Kaum hatte der vom Inquisitions- und fiskalischen Gelüste erfüllte Kämpe der Unfehlbaren die letzte Drohung ausgestoßen, als sich seine Rückennachbarin, eine resolute Matrone von der Erdbergerlände, renommirtes Kerzelweib bei der Dienstboten-Muttergottes und älteste Stammgastin des Kellers, die den homiletischen Expectorationen des schneidernden Papisten schon lange ungeduldig zugehört, plötzlich nach ihm wendete und im breitspurigen Redestrom folgende Erläuterungen gab:

»Sie müss'n schon verzeig'n«, meinte das wackere Weiberl, »wann i mi ungebet'n in Ihnern Dischkurs misch, aber, was z'viel is, is ung'sund, und was z'dumm is, is dalket! Daß's es nur glei wissen, i bin a Altkatholikin und hab' a Wort d'reinz''red'n, weil i vom Fach bin, und schimpfen und verleimden lass'n m'r uns nit, weil's das nit gibt! I bin jetzt zweiundachtz'g Jahr alt und i bin sechz'g Jahr beim G'schäft, alleweil christkatholisch! Mein seliger Mann war vierunddreißig Jahr Himmeltrager bei Peter und Pauli, und meine zwei Söhn' san ins Lauten gangen und Ministrir'n, bis sie's zum Militär g'nommen hab'n; mir san also Leut von der Kirch'n und kennen die Leut', die a Religion hab'n! I bin in alle Kirchen z'Haus, und hab' mit'n Platzaufheb'n in der Fast'n schöne Bikanntschaften g'macht. Unsereins muß g'fragt werd'n, wann ma wissen will, ob's mit der Religion vorwärts oder z'ruckgeht! Mir können Aufschluß geb'n, wer andächti is oder nit, weil mir an Ueberblick und G'legenheit hab'n, an Unterschied kennen z'lernen.«

»Die Putzgredl in der Modemeß', der i a Brieferl zustecken sollt' – und die einfache Frau, die am Sterbtag von ihr'n Vater oder ihr'n Kind in aller Fruh kummt und in der Still' an ein' Seitenaltar ein paar Kerz'ln anzünden laßt; der Gnä' Herr, der sich was einbild't, weil er beim Hochamt im ersten Stuhle sitzen darf, bei der Predig aber eing'schlafen is; und der arme Wittiber, der seine Bub'n in d' Kirchen führt, daß sie sich, wann's das Platzl seg'n, wo der Sarg g'standen is, an d' Mutter erinnern und an die letzten Wort, die 's ihnen in's Ohr g'mispelt hat – die g'hören a Jed's auf a anders Numero, Mir » Leut' von der Kirchen« seg'ns schon, wie's an Jeden um's Herz is, mir hab'n a Praxi und lassen uns nir weiß machen, wann an's no so viel mit'n Tüchl bei die Augen umareibt. – No, daß i sog', 'n letzten Suntag war i a drinn', in der Xalvatorkapell'n, um die G'schicht anz'schau'n, über die sich g'wisse Leut 's Maul so gern z'reiß'n ...«

»Sind's bald ferti mit dem Lamentabel?« interpellirte der Schneider, während die Kapäunlerin schnarchte, der Hausherr ebenfalls zu nicken begann und der Rest der Gesellschaft in freien Phantasten einen Terno secco componirte. »Der Papst, 's Höchste auf der Welt hat 90«, meinte ein Laternenanzünder; »am Theresientag is das Unglück g'scheg'n, war 15, weil's aber das Unterste zum Obersten kehrt haben, müass'n m'r's a stürzen und nehmen 51; der Geistliche, der d' letzte ordentliche Meß' g'lesen hat, is, wie mir mein Kam'rad, der Heizer vom Lorenzerbergl, g'sagt hat, zwischen sechz'g und sechsundsechz'g, da bleibt uns nur der 68er und der Terno is da. Und nach Linz setzen m'r's, weil der Bischof von Linz von dem neichen Ketzer am meisten bileidigt worden is, das Vertrau'n versöhnt wieder unsern Herrgott – aber jetzt brauchet m'r a Waßl no und der Hausherr schlaft schon. Weckt's'n auf!«

»Und 'n 77er nehmen's a no dazu, der hat ›verruckt und narrisch‹«, ergänzte die frühere Sprecherin, die Frau Resl, und fuhr dann fort: »Das i's also sag, i war a d'rin – i bin glei ferti Mussi Franz! und anhör'n müssen's mi, sonst stell' i mi am Tisch und schrei, daß's Haus z'sammfallt. – Nach dem Spectakel also, was durch vierzehn Tag g'macht word'n is, hab' i glaubt, der ganze Salzgries is in der Kirch'n – und was siech i? Die honettesten Leut', meine anständigsten Kundschaften, die bravesten Frauen und die ordentlichsten Männer, mit ein' Wort: Leut', für die i einsteh', Muster von Rechtschaffenheit, die 's Herz am rechten Fleck hab'n, a Herz, das kein' Falschheit und kein' Heuchelei kennt, aber dafür ein Mitleid mit der Armuth! – I hab' meine Mirkzeichen! Wann die Frau und die und die wo dabei is, dort kann's nix Schlecht's geb'n und so is's a!«

»I hab' die Predig und die Meß g'hört; i versteh' wie a Predig sein muß; i hab' no 'n Pater Werner g'hört und 'n Pater Cölestin und 'n Pater Jakob, und die hab'ns verstanden, 'n Leut'n in's G'wissen z'reden, aber i muß sag'n: der neiche Pfarrer is mein Mann! G'weint hab' i, und unsereins, was sechzig Jahr beim G'schäft is, weint si nimmer so leicht. – Und die Meß war a in der Ordnung, nit was schwarz unter'm Nagel is, hat g'fehlt, a Meß, der Papst könnt's nit schöner halten. Die G'schicht aber, Mussi Franz, die's von der blutigen Hostie da auftischt hab'n, das is a dalkete Lug' und Sie sollten Ihna schamen, als Mannsbild so daher z'plauschen! Wann's a alt's Weib war'n, ließet i mir's g'fall'n. No i sag Ihna nur das Eine: Mi seg'ns in kaner andern Kirchen mehr, als – bei die Wipplinger, Justament!«

»Mussi«-Franz, der unfehlbare Flickschneider, erwiderte nichts, denn er hatte sich bereits vor der letzten Apostrophe aus dem Staube gemacht. Auch von der übrigen Gesellschaft, die sich allmählich empfahl, wurde die muthige Rednerin keiner Antwort gewürdigt. Genirte es diese? Nicht im Geringsten! Waren doch ihre schlichten Herzensergießungen eigentlich an keine specielle Adresse gerichtet, sondern sie wollte in der »großen Frage« nur ebenfalls ihre Stimme vernehmen lassen, gehört mutzte sie werden und als »Frau vom Fach« hatte sie das volle Recht dazu. Als sie ihre Brust erleichtert und von den übrigen Gästen der Schankstube ein vielfältiges: »Wahr is's, Frau Resl! Recht hab'ns! Mir bleib'n bei unserer alten Religion, mir brauchen kein' neiche!« herüberscholl, da nickte sie zustimmend und zufrieden, zahlte ihr Seitel Wein und humpelte heimwärts. – –

Das war Montag Abends. Dienstag kam der »große Schlag«, das »Interdict«, und als ich ihr zufällig begegnete und ihr die Neuigkeit mittheilte, in der Erwartung, daß sie die Nachricht erschüttern müsse – behielt sie auch da noch ihre volle Fassung und erwiderte mir nur: »Sag'ns 's Dem, der Ihnen das g'sagt hat, i laß'n schön grüß'n!« –

Merkwürdig! Daß man Leute »vom Fach« mit nichts erschrecken kaun! – –

 


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