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Aus dem »Loch«.

(März 1869.)

Das alte, fast möchte ich sagen weltbekannte, dramaturgische »Loch« im Jesuitenhof, die unzählige Mal beschriebene Kaserncantine und Herberge der vacirenden Priester Thaliens und Melpomenens, besteht, wie ebenfalls sattsam bekannt, seit einigen Jahren nicht mehr. An die Stelle des beinahe verfaulten Gebäudes wurde das Palais der Geniedirection und der Kriegsschule erbaut, vielleicht auch deßhalb, damit das Ballettpersonal des Wiedener Theaters vom Probezimmer aus ein Object für den Kokettirunterricht erhalte, und vice versa, die Söhne des Mars einen vorteilhaften strategischen Punkt für ihre speciellen Eroberungspläne gewinnen sollten. Das Cantingeschäft übersiedelte unter der bewährten artistischen Leitung des Herrn Schodl in die nicht minder historisch wichtigen Räume des gegenüber befindlichen Gasthauses zum » Wasen«, und hier, wo schon vor einem halben, Jahrhundert die classischesten und unclassischesten Mimen hausten, wo der unvergeßliche Melchthal, der bis in sein hohes Alter burschikos gebliebene Fritz Demmer, die Wände mit Tabakqualm schwärzte, wo der schweigsame Jaromir Heurteur seinen Pfiff Wein trank, der unglückselige Küstner still brütend saß, der geniale Vagabund Reitzenberg seine tollen Abenteuer erzählte, Hasenhut die kindischesten Späße trieb, und später auch Wilhelm Kunst seine merkwürdigen Gelage hielt, da – kommen auch jetzt alljährlich in der stillen Woche, in welcher die Musentempel und Scheunen geschlossen, die Vertreter der (wilden) dramatischen Kunst von allen Breite- und Längegraden, soweit die deutsche Zunge reicht und Kotzebue's »Hussiten vor Naumburg« bekannt find, zusammen, um sich von den diversen Directoren, Directricen und Agenten während der bevorstehenden Sommersaison für – Bukarest oder Neutitschein, oder selbst (hol's der Teufel!) für Waidhofen »gewinnen« zu lassen. Das »leichte Völkchen« hat nun wieder einen Ort, wo es sich findet und zu finden ist, aber – das » Loch« ist's doch nicht! –

Und auch die Leute sind anders geworden. Ich rufe Meister Löwe Der unvergeßliche Künstler stand damals, obwohl hochbetagt, aber noch in eherner Kraft und lachend, inmitten der bunten Truppe. zum Zeugen an, der vor fünfzig Jahren das erste Mal und seitdem alljährlich wehmüthig-heiterer Erinnerungen voll, die wüstromantische Theateragentur »zum Loch« aufsuchte, und an dessen Ohren oft genug die bramarbasirenden Declamationen der abenteuerlichsten »Kunstgenossen« schlugen. Welch buntes, bewegtes Bild einst, und wie zahm und eintönig heute! Damals war's wohl nicht selten, daß ein »Directeur« aus Nicolsburg, in Ermangelung anderer Fußbekleidung in den hohen Wallensteinstiefeln erschien, daß ein Kosinsky aus Güns oder Strebersdorf in braunledernen Unaussprechlichen auf einem Kälberwagen eintraf, daß eine Johanna von Montfaucon aus Zwettl oder Wieselburg, die ein barmherziger Strohbauer mitbrachte, in rothen Sammtschuhen sich vorstellte, und ein Czar Peter den weiten Weg von Stadt Steyr trotz grimmigster Kälte und heftigstem Schneegestöber in einem blauen Wertherfrack gar zu Fuß machen mußte und noch froh war, wenn er nur vor Schluß des »Theatermarktes« im »Loch« anlangte.

Das Alles ist nun wohl anders geworden. Die »Künstler« und »Künstlerinnen« reisen nun mittelst Eisenbahn oder Dampfschiff, logiren in den Vorstadthôtels sich ein und besuchen, auf's Stattlichste herausgeputzt, mitunter selbst mit funkelnden Uhrketten und Brillantringen geschmückt, Tags darauf die Gasthauslocalitäten »zum Wasen« und besprechen im natürlichsten Deutsch ihre Angelegenheiten. Die absonderlichen Gestalten verschwinden immer mehr, Alles verflacht in der Alltäglichkeit, Alles wird von der Cultur beleckt – ach, sogar der deutsche Künstler!

Ja dieses einstige wilde Zigeunervölkchen ist heute eine fast bürgerlich-solide Genossenschaft geworden und die Leute zahlen sogar ihr Bier und ihr Gollasch. Dann sind sie Alle so unausstehlich anständig gekleidet, sie tragen keine vertretenen Absätze und durchsichtigen Ellbogen zur Schau, sie haben weiße Wäsche, veritables Linnen, und keine Vatermörder aus Briefpapier, sie rauchen Cabannos und keine Porzellanpfeifen, und sie haben schließlich – was das Befremdendste an der Sache – Respect vor den Wiener Kunstgrößen und glauben, daß das Burgtheater noch immer die erste Bühne Deutschlands sei, und der »einseitige« Lewinsky unstreitig doch besser spiele, als Herr Feigl in Retz, der sämmtliche Fächer spielt. Auch Fräulein Emma, soeben aus Scheibbs angekommen, gibt zu, daß sie die Wolter, obwohl sie etwas »latscht«, doch nicht erreiche und daß diese eine »große Künstlerin« sei.

Nochmals, die Leute (d. h. die stets mobilen Mitglieder der wandernden »Schmieren« oder kleineren Provinzbühnen) sind bescheiden geworden. Die lärmenden Histrionen sind zum größten Theile ausgestorben, recte: verdorben; die dramatischen Trunkenbolde und brutalen Pumper werden immer seltener und ein Flodoardo, der Dir Dein Bier austrinkt und Dich um eine Cigarre anbettelt, gehört beinahe zu den Raritäten am Theaterhorizont.

Wie sich das Alles so rasch verändert. Noch vor zehn Jahren spectakulirte ein »Heldentenor« in der Charwoche im »Loch« auf's Heldenmäßigste. Er schlug zwanzig Mal nacheinander das hohe C an, daß die Fensterscheiben zitterten. Er war steinhagelvoll besoffen, wie er selbst gestand, aber dennoch packte er mich laut auflachend bei der Brust und schrie: »Bruder, gib Geld her, auf Bier, nur fünf Sechserln! Du bekommst sie nie wieder – ich schwör's, außer, es müßte mir einst saumäßig gut gehen, was aber nie der Fall sein wird! Denn meine gottselige Mutter sagte zu mir, ehe ich ihr die Augen zudrückte: ›Karl‹, sagte sie ›Du bist ein Lump und bleibst ein Lump‹, und die brave Frau – sie hat's überstanden, hat Recht gehabt! Franz, noch eine Halbe!« – Der entsetzliche Bierkünstler wollte damals nach Berlin und Wachtel todtsingen – ich habe nie wieder etwas von ihm gehört, in welchem Spitale mag er seine Künstlerlaufbahn geendet haben?

Und vielleicht zwanzig Jahre sind's, daß ich ebenfalls in der Charwoche im »Loch« sah, neben mir ein Mann, nothdürftig, ja fast schäbig gekleidet, mit einer Karfunkelnase und unheimlichen Augen. Der »Künstler«, der von Gott weiß wo zu kommen vorgab, von Tieck und Goethe und anderen »Bekanntschaften« schwadronirte, dabei unablässig nach Schnaps rief, der leider nicht zu haben war, schimpfte endlich weidlich über das elende Nest Wien, über Directoren und Theateragenten u. s. w. Diese heisere Stimme, diesen perfecten Nantejargon hatte ich schon ein Mal auf den Brettern, so die Welt bedeuten, gehört, diese schielenden Augen schon ein Mal gesehen. Plötzlich dämmerte es in mir auf – ja, ja, ganz recht, ein Bild aus meiner Kindheit Tagen: die Fahrt mit dem Onkel, der damals unvermeidliche Achsenbruch, das Uebernachten in einem kleinen Orte – Wolkersdorf war es, wenn ich nicht irre, die anwesende Schauspielertruppe – Othello und mein Mann neben mir, der »Freund Goethe's und Tieck's«, mein unvergeßlicher Jago. Ich erinnerte ihn daran, er sann etwas nach und gab die Möglichkeit zu. Dann fuhr er sich mit der Hand über die Stirne, strich die dünn gesäeten, bereits grauen Haare zurück und sagte mit stolzem Lächeln:

»Nanu, Männeken, wat jloben Sie mal, wer mich den Jago so jottvoll einstudirt hatte? 's war, mit permissiong zu melden, niemand Jeringerer als der selige Devriängh selbst. Ja, der jroße Louis sagte Millionen Mal zu mich: ›Fritze‹, sagte er, ›ich bitte Dir um Jotteswillen, jeh' zum Theater, aber wenn Du mich eenen Jefallen erweisen und Deen Jlück machen willst, jeh' zur Oper, mit Deenem ochsigen Baß biste der erste Sarastro der Welt. Ich war een Rindvieh, daß ich's nicht that, ich hätt' meene blanken zehntausend Thaler jetzt, was sich 'n Schauspieler nie verdient, außer durch Jastrollen, wie der Dawisong, der mich 'n Dresden usjestochen hat, der Ränkeschmied, der Kabalist!« – »Wohin gehen Sie von hier aus?« frug ich den Künstler, – »Nach Stettin, und wenn's mich dort nich jefällt, nach Reval, dort bin ich mit 'n Director ›Du‹!«

Mit diesen Worten stand er auf, in der Zerstreuung meine Cigarre anzündend und nach einem herzhaften Zug aus meinem Glase sich zu einem anderen Tisch setzend. Eine Stunde später schloß er nach Kaiser-Ebersdorf ab, obwohl er, wie er mir sagte, diese Teufelsnester schon satt habe und der Director in Reval »ejentlich uf ihn warte«. Allein, dem Manne hier sei er auch noch zu einigem Danke verpflichtet, weil er ihn heute »cavalier-mang« tractirt und auch sonst »Manches usjejlichen« habe. Ich wünschte ihm glückliche Reise.

Derlei drollige Figuren findest Du heute kaum mehr. Solch kolossale Unverschämtheit ist antiquirt und man »schneidet« nicht mehr auf als eben nöthig, um die mitgebrachten Recensionen gewisser unparteiischen Organe und Provinz-Lessinge glaubwürdig zu machen. Auch ist die sprichwörtliche Misère eines wandernden Komödianten nicht mehr so herzzerreißend, wie ehedem. Unter der Direction der Frau Amalie Bernard zum Beispiel, die beim »schwarzen Adler« in Klosterneuburg während des vergangenen Winters theatralische Vorstellungen gab, erhielten die Mitglieder je drei Gulden für einen Abend. Gewiß, eine brillante Bezahlung, wenn es nicht in Berücksichtigung des Umstandes geschah, daß vis-à-vis der Klosterkeller sich befindet, der manchen Kunstjünger zu extraordinären Ausgaben verleiten kann.

Aus all dem erhellt, daß sich der Schauspielerstand, im Ganzen genommen, gehoben hat. Wohl saßen hie und da einzelne halb Verzweifelte, die für die untergeordnetsten Fächer sich anboten, oder auch Souffleur- oder Inspicientendienste versehen zu wollen erklärten und keine »Nehmer« fanden. Dagegen gingen langhaarige »Wagner's« stark ab, nach »Lewinsky's« ebenfalls Begehr, »Schöne Helena's« wurden mit achtzig bis neunzig monatlich gehandelt, »Cameliendame« mit fünfundsiebzig notirt, Böhmische Kapellmeister flau, »Blaubart« wenig vorräthig, Anstandsdamen drückten sich bis auf fünfundzwanzig, auch Bobéches wichen, da viel davon am Platze, bis vierzig u. s. w.

Einen etwas deprimirenden Anblick gewährten unter den vielen lustigen, sorgenlosen Gesichtern nur ein paar im Halbdunkel scheu postirte Jünglinge. Man sah es ihnen nicht gleich an, daß sie »Künstler« seien, allein der Pack Theaterzettel, den sie vorwiesen, ließ an der Angabe nicht länger zweifeln. Sie gehörten einer gleichfalls im Halbdunkel der Monarchie wirkenden mobilen Truppe an, die in raschen Zügen längs der Karpathen bis in's Banat vordrang und auf dem Retourwege durch Kärnten, Krain, Steiermark und Niederösterreich erst in der Nähe Simmerings sich auflöste.

Diese Fragmente einer Musterschmiere, die Ueberreste einer Declamationsarmada, die in Luttenberger und Kerschbacher, Villaner und Karlowitzer Fluthen nicht unrühmliche Siege erfocht und nur auf den Sandbänken bei Schwechat auffuhr, respective in der prosaischen Zone der Müller kein kunstsinniges Auditorium fand, sahen allerdings ein Bißchen trübselig aus. Ich frug sie um ihr Repertoire. Sie huldigten noch der alten Schule und waren nur auf »Pfefferrösel«, »Fridolin«, »Lenore« und »Wer wird Amtmann?« eingerichtet. »Lenore« gaben sie, wie sie versicherten, besonders schön. Auf einem Zettel stand es auch schwarz auf weiß gedruckt: »Zum Schlüsse der Vorstellung erscheinen Wilhelm und Lenore als Gespenster zu Pferde bei bengalischer Beleuchtung.« – Dennoch glaube ich, fanden die Aermsten diesmal kein Engagement, wenn sie nicht etwa für das »Herculanum« gewonnen wurden, dessen Principal die disponiblen Kräfte eindringlich musterte.

Engagementslos? Was liegt übrigens daran, wenn's nicht lange währt. Ein Künstler, der ein paar Rollen und sonst noch Grütze im Kopfe und ein paar schwarze Hosen hat, schlägt sich schon durch. Was anders ist's mit einem überzähligen Director. Der lustige Jungwirth, der auch anwesend war, führte mir wenigstens einen Herrn mit den malitiösen Worten auf: »Herr N., Director von N., dermalen vacirend

 


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