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Allerseelen.

(Zum 2. November 1868.)

Ich bitte nicht zu erschrecken. Es fällt mir nicht ein, ein larmoyantes, auf den Tag berechnetes Schablonen-Feuilleton zu schreiben, worin so recht auf die Thränendrüsen der weichherzigsten Familienmütter speculirt und auf ein Unisono-Schluchzen meiner verehrten Leserinnen losgearbeitet wird. Ich miederhole es, davon ist in meinen heutigen Betrachtungen nichts zu befürchten, obwohl es ein Leichtes wäre, nach der altherkömmlichen Methode einen Trauermarsch zu intoniren, alle Register der höheren Gefühlsmarterei zu ziehen, mit einem Worte, »recht schön« zu schreiben. Aber das »Schönschreiben« in diesem Sinne, die handwerksmäßige Gemüthsduselei ist nicht meine Sache.

Nach dem Kalender und dem überlieferten Gebrauche haben wir heute »unserer Lieben« zu gedenken. Dieser Gebrauch ist uns Befehl, und so kommen mir denn – weil es Sitte, zu den Gräbern unserer Angehörigen und Freunde, und legen die Kränze und sonstigen Blumenschmuck auf den Erdenhügel, der oft unser Theuerstes birgt. Ich bin nun weit davon entfernt, um an dieser schönen, ehrwürdigen Sitte herumzumakeln, aber – der Apparat gefällt mir nicht ganz, der dazu verwendet wird, um die Erinnerungsfeier pflichtschuldigst zu begehen und eben in dieser Beziehung habe ich meine, freilich höchst subjectiven Ansichten.

Wir rüsten uns für die zwei Friedhofstage, d. h. für die » Saison der Todten« schon eine Woche vorher. Bei dieser Ausrüstung haben wir nun nicht nur die möglichste Verschönerung des betreffenden Grabes im Auge – auch unser werthes Selbst, unsere eigene, nicht minder geliebte Persönlichkeit hat da ihr specifisches Festkleid anzuziehen, und mir ziehen jene »Trauerkleider« an, wie sie das letzte Modejournal der »Antigone« oder des Herrn Gunkel oder ein sonstiges Organ für die jeweilige Diätenclasse des »Leidtragenden« dictirt. Denn wir glauben, damit den »Todten zu ehren« wenn mir – haben mir uns auch das ganze Jahr um ihn nicht bekümmert – wenigstens doch an diesem Tage in tadelloser Trauertoilette an dem Orte der ewigen Ruhe erscheinen, und wir sind so gewissenhaft in diesem Punkte, daß sogar der unentbehrliche »Schmuck«: die Ohrgehänge, Bracelets, ja selbst die Lorgnons, zwar in der modernsten Façon, aber doch im vorgeschriebenen »Schwarz« an uns zu bewundern seien.

Nun kümmert's mich blutwenig, wie ein hoher Adel und was sich dazu rechnet, seine üble »Allerseelentrauer« in Scene setzt. Wer's hat, kann's thun, und ist schon der fatale Usus eingefühlt, daß auf so und so vielen Quadratklaftern »Grund« Alles pêle mêle durcheinanderliegt, und hart neben einem Obersten Mundschenk oder Erblandvorschneider auch ein gewöhnlicher Wirth oder ein gewöhnlicher Schneider, falls ihre Mittel es ihnen erlauben, gebettet werden kann, so finde ich es begreiflich, daß doch mindestens durch Entfaltung jedes nur zu ersinnenden Pompes auch an dieser Stelle der nicht wegzuleugnende »Unterschied der Stände« klargemacht werden muß, und daß man nichts dagegen haben wird, wenn sogar die Schabracken und das Geschirre der Pferde an der schwarzlackirten Equipage die schmerzliche Stimmung manifestiren sollen, und der in die Trauer-Livree gesteckte Bediente einen mit schwarzem Tuch überzogenen Schemel für die hochadeligen Knie an das vergoldete Gruftgitter postiren muß. Wie gefügt, mich kümmern diese exquisiten feinfühligen Trauer-Kundgebungen des »pur sang« nicht im Mindesten und ich richte mein Augenmerk viel lieber auf die Gebräuche der großen Masse. Aber auch da habe ich meist nur leere Aeußerlichkeiten, nur ein Rivalisiren im Prunke, ein Ueberbieten des Nachbars gefunden.

Ich kann es nicht oft genug wiederholen, daß ich den unzweifelhaften Schmerz, der so manche stille Familiengruppe, so manches verwaiste Herz vor jenem imposanten Grabsteine oder diesem einfachen Kreuze erfüllt, zu ehren weiß, aber die Absicht, die so manche überladene Mise-en-scène der obligaten Tagestrauer leitete, springt doch zu grell in die Augen und der Anblick der mit Lärm arrangirten, bereits auf dem »ganzen Grund« besprochenen und zischelnd colportirten Friedhofsvisite der »X.'schen« wirkt vielleicht eher – erheiternd, als erhebend.

Ich glaube nämlich, daß es z. B. die Fleischselcherin Soundso schon lange wurmte, daß die Bäckin (ihre »Todfeindin«) ihrem »Seligen« zwei blaue Grablaternen spendirte, und daß Erstere deshalb den »Ihrigen« so lange sekirte, bis er einwilligte, daß ihrem »Ersten« drei blaue Grablaternen gesetzt werden.

Ich glaube ferners, daß diese zweistöckige Hausfrau sich »unbändig giftete«, als sie sah, wie die einstöckige Nachbarin ihrem »Ferdl« einen gipsernen Engel auf's Grab setzen ließ, und weil ihr diese »Alles z'Fleiß« thut, so that sie ihr Heuer auch »was z'Fleiß«, denn ihre »Cenzi« »darf nit z'ruckbleib'n« und deshalb nahm sie den Amor – der »der Cenzi eh' so gleichschaut, als ob sie's selber war'«, vom schwedischen Ofen herab, und die Hausmeisterin trug den unbewußten »Engel« in Begleitung der »Gnädigen« hinaus, stellte ihn auf das Grab, umgeben von sechs »Lamperln«, und »am ganzen Grund« war nur eine Stimme, das; das Grab Heuer »'s allerschönste war in der ganzen Reih'«.

Weiters glaube ich, daß an diesem Obelisk nur deshalb ein volles Dutzend der kostbarsten Kränze hängt, weil die »untröstliche Witwe« dem »niederträchtigen Tratsch« ein Ende machen will, als wäre sie froh, daß der »alte Herr«, den sie vor einem halben Jahre geheiratet, so plötzlich gestorben sei,

Weiters, daß dieser Grabstein endlich nur deshalb frisch mit Oelfarbe angestrichen und überhaupt ausgebessert wurde, weil sich »die Leut' schon 's Maul z'rissen haben«, daß die »Frau Schwiegertochter, die doch 's ganze Geld geerbt hat, für's Grab gar nichts mehr thut«. U. s. w.

Ich habe mir erlaubt, zu behaupten, daß der Gräberbesuch am Allerseelentage für Viele nur eine Modesache sei; ich gehe weiter und erkläre, daß er für ebenso Viele sogar nichts weiter als – – »a Hetz« ist. Ich will nicht reden von den theilnahmslosen Passanten, von den indifferenten Schaulustigen, welche durch die Gräberreihen »flaniren«, als wären sie auf dem Graben oder Kohlmarkt, auch von jenen Neugierigen nicht, die nur zur Befriedigung ihrer persönlichen Klatschtendenzen als Bezirks-Reporters auf und ab rennen, um zu sehen und zu berichten, ob und wie dieses oder jenes Grab »aufgeputzt« sei – auch nicht von dem Professionsbettel, dem speculativen Geplärr und Geschrei der wirklichen und Pseudokrüppel und den mit dem »Branntweinflaschel« adjustirten Lampenhüterinnen und bezahlten »Beterinnen«, dann dem Stoßen und Drängen der Diebe und Beutelschneider, dem Treiben der Demimondlerinnen und des sonstigen Gelichters, das sich an diesen Tagen auf den Friedhöfen zur Ausbeutung seiner Berufszwecke herumtreibt und die geweihte Stätte entweiht – aber das rüde Lärmen vor den Friedhöfen, das rohe Gelächter, der Spectakel der dort Hausirenden und Hantirenden beweist nur, daß die tiefernste Bedeutung des Tages Hunderten, ja Tausenden völlig gleichgiltig, ja fremd ist, und daß sie diese Todtenfeier zu einem – Kirchtagsjux oder Jahrmarktsfeste benützen.

Abgesehen von dem widerlichen Eindruck, den das brutale Geschrei der Ausrufer und Ausruferinnen, womit diese an den endlosen Reihen von Verkaufsständen ihre Waare: die Todtenkränze, unter den profanirendsten Späßen feilbieten, auf jedes nicht ganz verwilderte Gemüth hervorbringen muß, ist es doch geradezu empörend, daß sich – wie bei einem lustigen Feldmanöver, auch noch jene gewisse Gattung von Verkäufern einfindet, welche für eine gewisse Gattung Menschen stets ein Bedürfniß sind und die mit den gellenden Ausrufen: »Frische Salzbretzen, brennhaße Kästen, Arme-Seelen-Würschtel, an Schnaps u. s. w.« ein ohrenzerreißendes Charivari bilden. Vor ein paar Jahren waren an den Kirchhofmauern sogar die » Mariandelg'spiel« postirt und fanden reißenden Zuspruch.

Nach dem Gräberbesuch wandert meist ein großer Theil der »Leidtragenden« »zum Heurigen« oder zur »Flaschen«, zum »Aug' Gottes«, in die »Hühnersteig'n« oder wie die »Anfallspunkte« heißen, um, wie bei einem Leichenbegängnisse, »'s Lad« zu Vertrinken. Ein anderer, der sogenannte »gebildete« Theil der Bevölkerung, geht jedoch, damit die Aufgabe der Tagestrauer ganz gelöst werde, in's Theater, um den herkömmlichen » Müller und sein Kind« zu genießen und an einem soi-disant »Nachschauer « das eigentlich erst zu empfinden, was man als ordentlicher Gräberbesucher am »Allerseelentage« zu empfinden hat.

Und wie bequem und auch erprobt diese dramaturgische Thränen-Stimulanz ist! Da kenne ich z. B. eine »trostlose«, aber noch immer reizende Witwe, die alle möglichen Marien von der unvergeßlichen Peche angefangen, bis herab zu Fräulein X. sterben, ein paar Dutzend Reinholde am Keuchhusten elendiglich zu Grunde gehen gesehen und eben so viele Konrad's vom hinreißend idealisirenden Löwe bis Herrn Leuchert die Flöte blasen gehört, aber sie ist noch immer nicht »Muller und sein Kind«-satt und sitzt heute vielleicht, wenn sie sonst nirgends Platz findet, sogar im Rudolfsheimer Theater, um ihrem edlen Gelüste fröhnen zu können. Sie erklärte mir einst diese Inclination für den Schauer-Raupach in aufrichtigster Weise, indem sie sagte: »Sehen Sie, seit dem Tode meines Mannes habe ich das – Weinen verlernt. Am Allerseelentage soll man aber doch weinen, da gehe ich in meinen »Müller und sein Kind« und weine mich wieder auf ein Jahr aus!« – Die Aermste hat Recht. Für ihre Thränen-Verlegenheit müßte ich ihr auch kein anderes Mittel, und wenn Zschokke, wie Menzel behauptet, seine »Stunden der Andacht« nur zu dem Zwecke geschrieben, damit die Leute commod, d. h. gleich während des Lesens beten können, so anerkenne ich auch die Berechtigung von »Müller und sein Kind«, denn da am Allerseelentage schon einmal geweint werden muß, so ist's doch immerhin angenehmer, auf einem Sperrsitze seine »Schuldigkeit« zu thun, d. h. zu weinen, als auf einem feuchten Grabhügel oder daheim in einem düsteren Kämmerlein. Raupach for ever!

 


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