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Auf dem Fiakerball.

I.

(Februar 1868.)

So ist denn auch über den »Wiener Fiaker« – wenn gerade nicht das Jahrhundert, so doch die »Epoche« ernüchternd hinweggegangen und aus dem » lauten Bandel«, wie sie sich gerne nannten, ist eine anständige Genossenschaft zwar noch immer lebenslustiger, aber außerordentlich solider ... » Geschäftsmänner« geworden.

Der Fiakerball! Was umschloß dieses Wort Alles noch vor ein paar Jahrzehnten! Welche Fülle von kaustischem Humor lachte Dir schon bei dem Gedanken entgegen, daß die Repräsentanten des » harbesten« Wiener Witzes sammt und sonders hier beisammen zu treffen seien und sich in vollster Ungenirtheit und Ureigentlichkeit geben werden!

Es gehörte zur Ehrenaufgabe der tonangebenden Männerwelt, zum Fiakerball » geladen« zu werden. Der » Knackerl«, der » Schackerl«, die » Wurst«, der » Spinatsch-r«, »'s Rostbratl« u. s. w. u. s. w., wie die Dirigenten vom Bock mit ihren Spitznamen am Wienerplatze intabulirt gewesen, waren versichert, daß ihr » Baron«, ihr » Graf«, ihr » Fürst« erscheinen werde, und sie erschienen auch. – Die Habitués der Ecksitze, die Helden vom Turf, die goldene Jugend, die Matadors der Börse fanden sich an einem solchen Abende regelmäßig ein und ein Fiakerball zählte unter seinen Gästen oft mehr Cavaliere, als eine Vorstellung von Grillparzer's »Sappho«.

Und wie floß der Champagner in Strömen! Und wie schmuck war der Anblick des weiblichen Ballcontingentes. Die »Frau Mutter« mit »dem Hals Perlen« und die Töchter in naivster vorstädtischer Toilette. Und lustig ging's her, und fidel und – »laut«!

Es ist nun anders geworden. Der Fiaker von heute ist nicht mehr der Fiaker von damals, wo er noch mit »seinem Baron« eins war: Zwei Seelen und ein Gedanke! – Der Fiaker von heute hat den, sozusagen, »Reiz« seiner Urwüchsigkeit eingebüßt, er ist durch den »Comfortablekutscher« um den Weltruf des Wiener Kutschirtalentes gebracht worden, es pfuschten ihm Stümper in sein ruhmvoll betriebenes Handwerk, und, blasirt und überdrüssig, leistete er schließlich sogar auf seine herkömmlichen Prärogativen, auf die Attribute seines Standes und seiner Würde Verzicht, was ihn einst mit Stolz erfüllte, weist er heute mit Entschiedenheit zurück: – er hat keinen » Spitznamen« mehr!

Ja, so unglaublich und fast tragisch es klingen mag, der moderne Wiener Fiaker führt keinen »Spitznamen«. Er zehrt mühsam von dem Rufe seiner »Nummer« und seines bürgerlichen Namens und das ist sein Alles. Ist das nicht wehmüthig? Ist das nicht – langweilig für einen Wiener Fiaker? Und so haben und kennen wir denn nur mehr die » Waldbauer's«, die » Breit's«, die » Alt's«, die » Edelheim's«, die » Saurer«, die » Herndl's«, die » Maurer«, und wie die ganz ehrenwerthen Herren der Juckergilde heißen, aber wir haben keine » Plutzerbirn«, keine » Warzen«, keinen » Brustfleck«, keinen » Pagatl« und keine » Umurken«. – Die »Geschichte«, d. h. die Localchronik des Wienerpflasters bewahrt zwar noch durch die Ueberlieferung der hervorragendsten Thaten diese Kernnamen in ihrem goldenen Ehrenbuche, aber von den neuzugewachsenen Helden heißt es nur: »der Maurer ist in 59 Minuten von Baden bis zur Matzleinsdorferlinie gefahren«, weiter nichts. Wie simpel, wie dürftig! –

Diese trüben Gedanken beschlichen mich auf dem jüngsten Fiakerballe. Wo waren die »Spitzen der Gesellschaft«? Die Koryphäen unserer Salons? Die Herren aus der Herrengasse? Wo war Er und dann Dieser und Jener, die doch sonst nie und nirgends fehlten, wo eine bürgerliche »Hetz« zu erwarten? Wo waren die notorischen Fürsten und Grafen der Fiakerbälle, die Grafen »Pepi's«, die Fürsten »Franzi« und »Schani« u. s. w.? Sie glänzten durch ihre Abwesenheit.

Als ich den prächtig erleuchteten Ballsaal betrat, zu dessen Ausschmückung Herr Zobel seine besten Gedanken opferte, fand ich ein furchtbares Gedränge, aber auch – eine »gemischte Gesellschaft«, d. h. nicht den Typus des »Fiakerthums« allein, sondern mit viel – fremdartigem Elemente vermengt. Man tanzte, soviel es das Gewoge zuließ, man walzte und polkte und arrangirte Cortillons und Quadrilles und aß und trank und das war Alles! –

Als nun nach Mitternacht die unheimlichste Solidität den höchsten Grad erreichte und beinahe unausstehlich wurde, da raffte sich in einem fühlenden Busen das empörte Gefühl des Selbstbewußtseins auf und es erhob sich die »Lady Patroneß« des Balles, die unvermeidliche »Milli« und schritt im rauschenden, blauseidenen Schleppkleide, mit der »Freundin Tini« zu einem Seitentischchen, wo ein uralter, in den (Jodler-)Schlachten beim »Gschwandtner« ergrauter Fiaker sein Zelt aufgeschlagen und ließ sich dort nieder.

Diese Niederlassung der »Miltschi« mußte etwas bedeuten. Alsbald fand sich auch die Elite der Fiaker an diesem Platze ein. Die »Musikanten« erschienen und mit ihnen der unvergleichliche Jodler Eckhard und – nun erst erhielt der Abend seine eigentliche Färbung, seine Weihe, denn – die Milli begann zu singen!

Was sie sang? Die » allertiefesten Tanz'«! Sie sang mit ihrem bekannten, vom Kleinschwechater stark angehauchten Mezzosopran die packendsten Vorzeitigen, sie sang, daß dem »Volksfreund«, wie dem Antagonisten desselben, ihrem Leibpoeten, das Herz im Leibe gewackelt hätte. Nun kannte das Entzücken keine Grenzen mehr. Hochbetagten Männern glänzten die Augen in Freudenthränen, und zwei erprobte, vom » Dulliä-Standpunkte aus« zu bewundernde »Dudler« sanken sich unter dem begeisterten Ausrufe: » Kumm her, alter Raubersbua!« vor Rührung in die Arme und weinten lange.

Der schöne Sieg der Milli ließ die übrigen Talente nicht ruhen. Der » Zweiundachtziger« aus der Regierungsgasse, der berühmteste Pfeifer vielleicht Europa's, hielt seine zwei mittleren Finger an die Lippen und pfiff. Er pfiff die schwierigsten – »Variationen«, und zwar mit einer Tonreinheit, wie ich sie nur etwa bei – Ole Bul fand; der » Maurer-Michl« und der » Laut-Schan'« sangen die kühnsten » G'stanzeln« in jenem urwüchsigen Rhythmus und mit jener prononcirten » Verlichtenthalerung«, von welcher Richard Wagner selbst in seinen »Meistersingern« nicht die leiseste Kenntniß verräth. Die » Tanzerl-Lenerl« und noch einige Primadonnen vom »goldenen Fasse!« sangen – Alles zum Besten der Witwen und Waisen verunglückter Fiaker – die elektrisirendsten »Schnadahüpfeln«, und das dicht geschaarte Auditorium sang mezza voce mit.

In dieser kunstbegeisterten Stimmung, in diesem schönen Enthusiasmus für das » g'wisse Eiserne« und das » Husarisch-Tartarische« konnte natürlich vom Tanzen nicht viel mehr die Rede sein, einzelne Versuche wurden vom »Milli-Hofstaat« nur mitleidig belächelt und selbst der »fescheste« Tänzer des Abends, der » Vierhundertneunz'ger« vom Mehlmarkt, konnte mit seinen getroffenen Engagements nicht mehr ganz reussiren. Der Rest der Nacht gehörte der Milli.

Warum der Fiakerball trotzdem sein altes Renommée heuer nicht erreichte, warum er trotz der Anwesenheit vieler »vier Stock hoher Hausherren« doch nicht recht »eingeschlagen«, warum er trotz einiger wirklich hübscher Tänzerinnen und theilweiser Entfaltung der unglaublichsten körperlichen Reize, sowie recht geschmackvoller Masken doch den speciell-originellen Gout, sozusagen, den Parfum der einstigen »Fiakerbälle« vermissen ließ? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist eben der – »Milli-Cultus« schuld daran,

II.

(Februar 1869.)

Ich gebe meinem Berichte ungern den obigen Titel, denn er enthält eine Lüge. Das in Zobel's (geschmackvoll decorirten) Localitäten abgehaltene Ballfest war nämlich kein » Fiakerball«, wie ihn die Chronik des Wiener Lebens aus früheren Decennien kennt, sondern – gleich offen und ehrlich beim rechten Namen genannt, abermals und wieder nur: ein » Milli-Ball«. Es waren zwar ein paar Hundert Fiaker mit ihren ganz ehrenwerthen Frauen und Müttern und Schwestern und Töchtern und – »Zukünftigen« erschienen, nebstbei auch einige Patrizierfamilien von den »entern« Gründen, in Sammt und Seide und kostbarem Pelzwerk, allein das Gros der Anwesenden war das bekannte »Ob schön, ob Regen«-Publicum aus den Sperlräumen und stand unter dem despotischen Einflüsse der bereits patentirten Beschützerin des Balles, der unvermeidlichen Emilie Wagner, auch Turetschel, auch » Fiaker-Milli« genannt, die mit ihrem ganzen männlichen und weiblichen Anhange wieder kam und den Ball jodelnd und cancanirend in Beschlag nahm.

Schon im Vorjahre sprach ich mein »Bedauern« aus, daß die Fiakerbälle überhaupt ihren urwüchsigen Charakter nahezu eingebüßt und im » Milli-Cultus« ihres eigentümlichen »Reizes« verlustig geworden. Heute ist wohl kein Zweifel mehr darüber, wem zu Ehren alljährlich dieses »Fest« abgehalten wird. Mögen die betrübten Witwen und Waisen der lustigsten Genossenschaft immerhin dabei einen erklecklichen Gewinn anzuhoffen haben, dennoch ist's längst kein »Fiakerball« in des Wortes »honett-fidelster« Bedeutung mehr, sondern, wie gesagt, ein » Milli-Ball« und heut über's Jahr sind wir vielleicht schon so weit vorgeschritten, daß wir gleich zu Beginn des Carnevals, wenn wir das Repertoire der fixirten großen Ballfeste publiciren, ungenirt sagen können: am Aschermittwoch gibt die » Fiaker-Milli« beim Zobel » ihren« Ball.

Die »Entartung« der Fiakerbälle datirt übrigens bereits um einige Jahre zurück. Von dem Augenblicke an, als die trotzig geschlossene Phalanx der Fiaker sich selbst in zwei gegnerische Lager spaltete und die Moderados, welche am » Landler« festhielten, von den Progressisten, die sich für's » Schieberische« erklärten, total auf's Haupt geschlagen wurden, und man, um eine Versöhnung zu Stande zu bringen, auch den noch von beiden Parteien gepflegten » Deutschen« den Anforderungen der Neuzeit opferte und sich den gemeinsamen Regeln der modernen »Quadrille« unterwarf, da war's auch um die Originalität des Fiakerballes geschehen. Der » Gummilasti-Franzl« im schwarzen Frack, » sein' Kathl« in blauseidener Schleppe – Beide in zierlichen Solis sich abschwitzend, es war eine Ungeheuerlichkeit, eine Anomalie, eine Geschmacksverirrung ohne Gleichen und ein Selbstmord des »Fiakerwesens«, den der Moloch der Cultur auf seinem Gewissen hat.

Um nun, da der Fiaker auf diese Weise mit seiner Vergangenheit, d. h. seinen specifischen Sitten und Gebräuchen, brach und seinen »Chic«, sein »air« freiwillig in den Schmelztiegel der glättenden Modernisirung warf, und nicht mehr original sein wollte, sondern in der universalen Flachheit nur sclavisch mitthat; um nun, sage ich, dennoch auf der »Höhe« der Zeit und des herrschenden Tones zu bleiben, konnte dem Fiaker auch die Quadrille und der Cotillon nicht mehr genügen, und er schwur ebenfalls zur Göttin des – Cancans. Hier aber, das fühlte er, war's mit seinem Talente »Rest«, er und sein »Madl« waren zwar »fesch« und anstellig und flink, doch für den Cancan waren sie nicht geschaffen, den Koryphäen von Althan, Hungelbrunn und Lichtenthal fehlte die nöthige Agilität und um die nöthige »Hetz«, die »Gaudi« doch mitzumachen, mußten sie die Sperlianer und Sperlianerinnen zu sich herüberziehen, mit einem Worte: mit der ausgesprochenen Demimonde sich verbinden.

Ob diese Allianz den ehrsamen Malerinnen gefällt, ob sie in dieser Gesellschaft sich heimisch fühlen – ich weiß es nicht; mir kamen sie wenigstens sehr kleinlaut und mißgestimmt vor, und als sie sahen, daß sie das Terrain verloren und die Aufmerksamkeit der gesammten Ballgäste sich nur in der Huldigung für »dö kecken M..sch.r« concentrirte, da »frotzmaulten« sie sicht- und hörbar, und ein resolutes Wäschermädel sagte zu ihrem »Gspan« sogar ziemlich laut: »Wannst no a anzigs Mal mit dem Sperlf.tz.n tanz'st, kriagst a sieben Pfund schware Dachtl, daß D' das Firmament beim Z'ausfahren für a Schabrack'n anschau'n mußt. Schamts eng Alle mitanand!« Hätte dieses Wäschermädel ihre Wiege nicht an den Ufern des Alserbachs stehen gehabt, sie wäre vielleicht eine »Mutter der Gracchen« geworden.

Nun »laut« und nach gewissen Begriffen »fesch« ging's beim Zobel wirklich »awa«. Dann und wann war's jedoch auch »eisern«, schon »a so«, und als der alte Brat (Breit) mit der Weiserin dudelte, da breitete der heitere »Genius des Fiakerthums« einen Augenblick seine Fittige über die Häupter der noch nicht vollends innerlich Gesunkenen, ein markdurchdringender Juchazer, ein Aufschrei fanatischer »Genossenschaftslust« schlug an die Wände, hundert glänzende Cylinder und fünfhundert schäumende Bierkrügel wurden geschwungen, die ganze glorreiche Geschichte der unsterblichen Fiakerthaten des Alterthums, d. h. der Zwanziger und Dreißiger Jahre zog vor den Augen des nicht gerade rühmlichen Nachwuchses vorüber und mahnte die etwas lockeren Söhne, ihrer herrlichen Väter eingedenk zu sein und nicht bis zum »Millistrizzi« sich selbst zu degradiren. Aber es währte eben nur einen Augenblick – die »Milli« mit der »neuchen« Freundin, der »Resel« (man sagt, sie sei ihre Schwester) stürmte daher, und mit der kreischenden Frage: »Was gibt's denn da? occupirte sie rasch das Schlachtfeld, und die Nacht und der Ball gehörten ihr.

Es waren nämlich nebst der Milli und ihren sämmtlichen »Freundinnen« und deren – Louis', auch eine Anzahl »noblichte Stadtherren« erschienen, jene blasirten Wüstlinge, deren abgespannte Nerven nur mehr von dem Moschusgeruch der schlammigsten Frivolität in eine gelinde Thätigkeit versetzt werden können. Dann beehrten das »Fest« auch ein paar wirklich blaublütige und sogar eine blaublütigste Durchlaucht. Diese Spitzen der Gesellschaft, welche von so außerordentlich liberalem Geist angehaucht, daß sie in feinster Balltoilette mit gelben Glacés, der Camelie im Knopfloch und dem Claque unter dem Arme, bis zur Fünfhauser Bierhalle herabstiegen, mußten natürlich auf's Beste unterhalten werden. Wer aber konnte das anders, als die »Milli« und die »Resel«? Man fuhr den Herren unter die Arme, man zupfte dem Einen (einem bekannten Ballettseladon) am freiherrlichen Barte und klopfte dem Andern auf sein fürstliches Glätzchen, man zerrte und stieß die illustren Gaste unter lautem Gelächter hinab in die Räume der Sängerhalle, man ließ sich an einem Tische nieder, das Katzenberger'sche Streichquartett und die berühmten Jodler Eckhard und Pirringer wurden herbeigezogen, um die Gesellschaft » anzustrudeln« und » anzududeln« und – nun ging der Spectakel (zu Gunsten der Witwen und Waisen der Fiakergenossenschaft) an.

Der Tanzsaal leerte sich im Nu und Alles drängte in die tiefer gelegene Halle und umstand, eine undurchdringliche Masse, den Celebritätentisch, an dem die Milli Hof hielt und die » Tanz'« angab, die losgelassen werden sollten.

Es ist nun allerdings wahr, daß diese dudelnden »Meistersinger« ihr Nestes gaben, daß Eckhardt-Rubini und Pirringer-David die Dulliäverständigen mit dem bravourösesten Umschlag zu begeistern mußten; es muß ferners bestätigt werden, daß die Jodlerdilettanten: die Herren Breit Karl, Mühlsteiner, Laut-Schan und Schmid, der Pfeifervirtuose Kornpetz und die Wäscherin Alinka mit ihrem Himmelanstürmenden Dudler im edelsten Wettkampf bestrebt waren, die Ehre des engeren Vaterlandes, respective den Ruf der »Grasltanzbezirke« zu retten, und daß ihnen dieses auch meisterlich gelang, aber – erlaube ich mir sowohl die ehrenwerthe Fiakergilde, als auch die »Honoratioren« jenes Zirkels zu fragen: Bedurfte es, um das » Wiener Leben« von der » dudelnden Seite« kennen zu lernen, der Direction der » Milli« und der » Resel«? Genügten nicht die historischen Matadore in diesem Genre aus der Fiaker- und der ihr assimilirten Wäscherinnenbranche? Mußten auch andere Elemente recrutirt werden, um den »harben Ton« einer gewissen Volksschichte zum prägnantesten Ausdruck zu bringen? Fast scheint es, daß es in Wien bald ohne die »Millispecies« nie und nirgends mehr geht.

Doch dieses Dudlerfest war nur der Anfang der Hetze. Was nun folgte, läßt sich nicht gut beschreiben. Man stürmte in den Tanzsaal. Die Willi schrie in ihrem unnachahmlichsten Patois um »a Gadril«! Es wurden Colonnen formirt und während ein Theil (darunter sogar Herr Zobel sammt seiner üppigen Gemahlin) eine regelrechte Quadrille tanzte, begann das überwiegende Sperlcontingent den ausgelassensten Cancan. Nun flimmerte es vor den Augen von rothen Strumpfbändern; einem bekannten Arzt, der meist nur mit einer geheilten Patientin in die Oeffentlichkeit tritt, wurde seine Glatze von der Milli'schen Zehenspitze arg attaquirt, ein adeliger Bauch beinahe eingestoßen, der Saal verfinsterte sich von den fliegenden Kleidern und Unterröcken und den von den Tänzern in die Höhe geschnellten »Damen« u. s. w. Das Ganze nahm sich recht – – phantastisch aus, aber ist das ein Fiaker-Ball?

In diesem tollen Sperltrubel verschwanden natürlich die einzelnen choreographischen Leistungen der notabelsten Fiakertänzer und ihrer »mudelsauberen« Partnerinnen. Ob dem Alt-Poldl oder den drei Waldbauern, dem Saurer oder den beiden Wallnern, dem Baron-Schackerl oder dem Mesner, den drei Kahnl'n von Hernals oder dem Pankraz-Schani (auch Müllischani genannt), dem Rinnagel (Schneiderschackerl) oder dem Brat die Palme des Abends gebührt, wer konnte das bestimmen, sie verschwanden in dem lärmenden Troß der frivolsten Bacchantinnen.

Und das war herzlich schade, denn eine Menge prächtiger, urkräftiger und urwüchsiger Gestalten (beiderlei Geschlechtes) lieferte als Ballcontingent gerade der Fiakerstand. Einigen bemoosten Häuptern, welche sich für diesen »Ehrentag« auf's Möglichste herausputzten und nach alter Fiakersitte mit einer nagelneuen, silberbeschlagenen Meerschaumpfeife erschienen, machte das rüde Treiben dieser Rotte Korah viel Unbehagen, das aber in seiner ganzen Größe erst mit den fast erhabenen Worten sich kundgab, als ein Kutscherveteran seiner »Alten« sagte: »A sauberer Ball, das! Hält' i g'wußt, daß die G'schicht so is, wär' i meiner Seel' lieber nach Schellenhof g'fahren, obwohl ma der windvadrahte Deideisepperl nur zwa Gulden hat geb'n woll'n!« – Um zwei Gulden nach Schellenhof! Man muß diesen (wenn auch verspäteten) Entschluß zu würdigen wissen!

 


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