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Nachtschwärmer.

Gescheidte Frauen bequemen sich meist ohne viel Aufforderung schon bald nach den Flitterwochen zu der Concession, den Gemahl hin und wieder ein Glas Bier auch außerhalb des Schutzes der häuslichen Laren und Pennten trinken zu lassen. – Die noch Gescheidteren des schönen Geschlechtes murren sogar im Stillen, wenn der Herr der Schöpfung sich seines legitimen Rechtes der abendlichen Excursionen – sei es aus Feigheit oder aus Apathie, freiwillig entäußert und Jahr aus Jahr ein, jeden geschlagenen Abend (selbst an Waschtagen!) daheim bleibt, mit den vermeintlich so gemüthlichen Pantoffeln unausgesetzt durch die Zimmer schlürft, und der viel Beschäftigten durch eine klettenhafte Anhänglichkeit in der raschen und prompten Erfüllung ihrer Obliegenheiten hinderlich ist, lind die gescheidtesten Frauen, die die Welt von einem erfahrungsreichen und aufgeklärten Standpunkte zu betrachten gewohnt und in ihrer Menschenkenntnis; so weit vorgeschritten sind, daß sie überhaupt den Mann, der keinen Bart trägt, nicht raucht und nur Wasser trinkt, geradezu für kein – »Mannsbild« ansehen, werden sich gewiß in den gefährlichsten ehelichen Momenten, d. h, wenn der sonst so zärtliche Gatte moros und übellaunisch zu werden droht, oder wie ein abgestandener Fisch auf der Sanddüne, gähnend im Schlafsessel oder auf dem Divan liegt, zu jenem wahren Seelenheroismus aufraffen und den sichtlich Gelangweilten mit der liebevollen Weisung direct fortschicken: »Warum gehst Du nicht etwa in's Freie? Heitere Dich auf, zerstreue Dich, trinke irgendwo ein Glas Bier, Du trinkst es ja gerne und unterhältst Dich auch gerne mit ein paar Freunden, aber – komm nicht gar zu spät nach Hause!« Mit diesem Freibrief ausgerüstet, wird er klug thun, von der Erlaubnis;, falls kein unlauteres Motiv sie ihm verschaffte, wirklich »irgendwo«, d. h, in seiner ehemaligen Stammkneipe ein »Glas« Bier zu trinken, Gebrauch zu machen und er wird noch klüger thun, schon um Viertel auf elf Uhr Nachts zu seiner Gattin zurückzukehren, als erst um halb drei Uhr Morgens. –

Mit diesen einleitenden Zeilen wollte ich nur im Allgemeinen den nicht ungewöhnlichen männlichen Usus, ein »Glas« Bier oder ein paar »Pfiff« Wein außer dem Hause zu trinken, rechtfertigen. Ja, ich gehe so weit und behaupte, daß dieser Gebrauch zu den angebornen, verbrieften und unveräußerlichen Rechten des Mannes gehört, daß das »Wirthshausgehen« nach des Tages Müh' und Arbeit für seine Gemüthsgesundheit so unentbehrlich, als für gewisse, eben nicht bösartige Frauen eine kleine Medisance inmitten Kaffee trinkender Freundinnen ist, und daß es ihn schließlich vielleicht vor Schlimmerem abhält, wenn er endlich auf dem Punkte angelangt ist, sich (nur dann und wann) »etwas zu zerstreuen«. Gestattet eine honette Frau – und vernünftigerweise kann sie es nicht verwehren, einem anständigen Manne den zeitweisen Besuch des Gasthauses, so wird der Moralist und Culturhistoriker darin kaum etwas Bedenkliches finden, denn nur erst der Mißbrauch solch edelmüthiger Licenz wird verderblich und deshalb habe ich es auch nur mit den » Ausschreitenden« in meiner kleinen Schilderung zu thun.

Die zügellosen Habitués der Bierbank und enthusiastischen Anhänger des Principes: » Nur nit z'Haus geh'n!« theile ich, die ekle Secte der styllosen Trunkenbolde selbstverständlich ausgeschieden, in drei Classen: Nachtschwärmer, welche, wie das Sprichwort lautet, »die Nacht zum Tage machen« und nicht wählerisch in den Genüssen, die die Nacht bietet, ihre Trinkorgien und sonstigen »lauten« Amüsements mit einem »Schwarzen mit Eiswasser« beschließen; » Wirthshausbrüder«, denen die »Hetz«, der »G'spaß«, der »Jux«, die »Gaudi« unter » guten Freunden« und » Duzbrüdern« über Alles geht, und » stille Zecher«, die oft in wohlmotivirter Menschenverachtung still in einem Winkel kauern, den Kopf in die Hand gestützt, starr in das Glas blicken und den jeweiligen (Gersten- oder Reben-)Saft mit unleugbarer Andacht tropfenweise – freilich sind es viele Tropfen – und in langen und häufigen Zügen hinabschlürfen. Diese drei stabilen Wirthshaustypen sind in ihren Trieben und Leidenschaften grundverschieden, aber ein gemeinsames Band hält sie doch zusammen, die oberwähnte Parole und Lebensregel: » Nur nit z'Haus gehn

Der » Nachtschwärmer« beginnt seine Tagesordnung, wenn der Tag zur Neige geht. Er sucht ein paar Freunde auf, die er stets zu finden weiß, in diesem Gasthause, in jenem Café. Man bespricht sich. Man macht Vorschläge und verwirft sie wieder als zu langweilig. Endlich einigt man sich. Dort kann's heute »fidel« sein – dort wollte man schon lange hin. Also auf! Man geht hin mit dem kategorischen Vorsatze, sich unterhalten zu müssen. Man bleibt ein, zwei, drei Stunden. Man trinkt viel und Vielerlei; man nöthigt sich und die Freunde zum Trinken und zur Lustigkeit, bis man plötzlich unisono zu der unwiderlegbaren Ueberzeugung kommt, daß man sich trotz alledem und alledem – langweile. Wohin jetzt? Zum Sperl? Könnte verrathen werden. Auf eine Flasche Wein zu Bauer! Gut, aber dort sperrt man zeitlich zu; es ist auch kein rechtes »Leben« dort, und Alles so still, so modest, fast zimperlich sittsam und ängstlich – also wo anders hin, denn es ist erst halb Zwölf und da kann ein vernünftiger Mensch doch nicht schon schlafen gehen!

Da stellt man den gemeinsamen Antrag, es z. B. in der Josefstadt beim *** zu versuchen, wo man bis ein Uhr sicher offen hält. Es ist zwar weit, aber die Wanderung wird muthig angetreten. Bittere Enttäuschung. Zufälligerweise wurde heute früher Feierabend gemacht – mithin rasch in die Alservorstadt zum ***. Zum Glück ist's dort noch so »halb lebendig«, obwohl die Kellner schon ziemlich schlaftrunken herumwanken. Dennoch gelingt es, eine Flasche und sogar noch eine zweite und dritte auszustechen. Aber nun wird's Ernst. Man macht Miene zum Schließen. Der Hausknecht rasselt mit dem Schlüsselbund, die Gasflammen werden bis auf die einzige, die über ihren Häuptern flackert, ausgelöscht; will man nicht in Gefahr gerathen, zum Aufbruch gemahnt zu werden, muß man nolens volens es selbst thun. Zudem erklärt der Zahlkellner, daß der Keller bereits geschlossen und weder Wein noch Bier mehr zu haben sei. Man versucht noch einen Ausweg und nimmt die Hiobspost von der lustigen Seite, man macht die cordialsten Späße und überredet schließlich den Kellner, wenigstens ein paar Gläser Slivovitz zu bringen. Das wird doch noch möglich sein! Es ist möglich. Man trinkt ihn stehend und repetirt die Dosis, bis der Kellner, ungeachtet der generösesten Honorirung, sich mit den gemessensten Befehlen des »Herrn« entschuldigt, daß nun – es ist zwei Uhr vorüber, geschlossen werden muß; es ist auch der Polizei wegen, und »der Herr hat ohnehin schon ein paar Mal Straf' zahlen müssen«. So geht man denn in »Gottes Namen«, aber man ist in der Ansicht vollkommen übereinstimmend, daß in Wien kein rechtes Leben mehr sei, daß Wien ein Dorf sei, ein fades Nest, ein Krähwinkel, wo die Leute beim Ave-Maria-Läuten in's Bett steigen, daß es in Wien nicht mehr auszuhalten sei u. s. w.

Nun steht man auf der Straße. Vom Schlafe keine Spur, vom Nachhausegehen noch weniger. Was jetzt? Wohin jetzt? Im Café *** ist's vielleicht noch (oder schon) offen. Die Marktweiber, die dort den ersten jener vielfältigen Imbisse nehmen, zu denen sie tagsüber durch ihr angestrengtes Geschäft gezwungen werden, sind ihr Trost, ihre Hoffnung. Man macht sich abermals auf den Weg und marschirt, ungeachtet aller gesetzlichen Warnungsrufe, singend (man singt bereits), in die Stadt zurück. Victoria! Sie sehen Licht! Licht! Es ist »offen«! Wie die Falkoniere auf ihre Beute, stürzen sie auf den erleuchteten Punkt los. Die Thüre auf! Und lachend und lärmend gleich plündernden Kosaken stürmen sie durch das Local zu einem Winkeltischchen. Man blickt in den Spiegel, man schaut einigermaßen wüst aus, ja Einer macht sogar die begründete Bemerkung: »verlumpt!« Aber der Andere lacht und ruft: »Marqueur! Vier kleine Pünsche und einen Tschai! Und Cigarren!« Man trinkt auf's Neue, man verschüttet taumelnd die Hälfte, die Virginier brennt nicht – heiß ist's auch in dem verfl... Loch; – »Wasser! Marqueur! Frisches Wasser! Und ein paar Gläser Rum!«

Da kommt man – es ist bereits drei Uhr – abermals zu der Ueberzeugung, daß man sich noch immer nicht, was man sagt: »so recht unterhalten habe«. Es werden deßhalb neue Vorschläge gemacht, mitunter sogar frivole, aber nicht acceptirt, da Zwei aus der Gesellschaft zu schlafen beginnen. Was nun? Eine Partie Kegel! Nein, Pyramide – große Pyramide, kleine Pyramide – Alles nichts! Besetzpartie! Ach nichts! Also große Kegel! Marqueur! Große Kegel und drei kleine Schwarze! Aber schnell! Himmelsakrament, ist das eine Be – die – nung?

Man reißt die Queues aus der Lade, aber schon das Bekreiden gelingt nicht; man fuchtelt mit den Stäben kreuz und quer herum und schlägt den Glasdeckel einer Gasflamme herab. Ungeheures Gelächter. Man tupft die schnarchenden Genossen mit den Queues auf die Nase, man stößt sie auf den Bauch, die murmeln etwas von »Dummheiten« und schnarchen weiter. Nochmals versucht man zu spielen; Einer macht sogar wiederholt den Kegel, aber sein Partner nennt das regelmäßig ein »Schwein« und vermag selbst nur »Gikser« hervorzubringen oder die Ballen in alle Ecken des Locales zu versenden. Die Geschichte wird endlich ärgerlich, Hol's der Kukuk! Man wirft die Queues auf das Billard und ruft mißgestimmt: »Zah – len! Zahlen!« Die schlafenden Collegen werden aufgerüttelt, die Zeche wird, unter fortwährenden differirenden Angaben beglichen, die Hüte werden nach vielen Verwechslungen von ihren Eigentümern mühselig anerkannt, eine frische Virginier – das andere L – r hat wirklich nicht gebrannt – wird angezündet und – man geht, die Thüre hinter sich »zuschlagend«, daß die Scheiben klirren. –

Wie die Herren nach Hause kommen? Meist unbeschädigt, denn sie und ihre Assimilirten stehen sichtbar unter dem Schutze irgend einer unsichtbaren, wohlthätigen Macht, die all diese Nachtvögel vor Beinbrüchen, Raubanfällen und sonstigen Intermezzos, denen solide Leute auf ihren solidesten Gängen ausgesetzt sind, bewahrt.

Wie sie daheim empfangen werden? Je nachdem. Mit Seufzern, Vorwürfen oder Thränen. Die Mutter des Einen härmt sich schon seit Jahresfrist ob des »unordentlichen« Lebens ihres Karl. Die Gattin des Anderen sitzt Nächte lang mit verweinten Augen im Bette und denkt an ihre Jugend zurück und an die unerfüllten Schwüre ihres nunmehrigen so ... leichtsinnigen Mannes. Dann birgt sie, wenn sie ihn durch das Vorzimmer taumeln hört, ihr Haupt in die Kissen und begnügt sich, wenn sie sanften Gemüthes, bitterlich zu weinen. Der Gemahl versucht es, geraden Schrittes sich dem Bette zu nähern und die Schwergekränkte zu besänftigen. Er will ihr einen Kuß bieten. Sie wendet sich unwillig ab. Er verzweifelt, er fährt sich in die Haare, er wird plötzlich nüchtern und stammelt bebend eine leise Entschuldigung: »Liebe Henriette! Verzeih mir – es war das letzte Mal – es geschieht nie wieder – ein paar gute Freunde – ein Geburtstag – lauter Männer – Gott soll mich strafen, wenn ein Frauenzimmer in der Gesellschaft gewesen u. s. w.« Er erhält keine Antwort, er hört nur schluchzen und begibt sich kleinlaut und beschämt ebenfalls zu Bette, um am andern Tage nach zehn Uhr mit einem höchst fatalen Katzenjammer zu erwachen. Wird der Nachtschwärmer seinen jüngsten Schwur halten? Nein! –

Einige Herren dieser Gattung treiben den Exceß noch weiter und bieten sogar einem »guten Freunde«, der den Zimmerschlüssel vergessen, oder dem seine Wohnung zu entlegen, oder der eine häusliche Predigt scheut, die eigene Wohnung als Nachtherberge an, sie schwärzen ihn »vorsichtig leise«, wobei jedoch eine Carambole mit den verschiedenen Möbelstücken unvermeidlich, in das Zimmer und bequartieren ihn auf einen vacanten Divan, so daß die erschreckte Gattin und arme Dulderin, über den ungebetenen Gast und rücksichtslosen Gatten empört, aus dem Bette, fährt und im tiefsten Negligée weinend in das Schlafzimmer ihrer Kinder zu flüchten genöthigt ist.

Der Nachtschwärmer ist so lange incurabel, als ihn nicht etwa eine Krankheit von dem Uebel heilt und ihm die Sache selbst verleidet. Bis dahin bleibt er seiner Gewohnheit treu; weder Schwüre noch Thränen vermögen die Sehnsucht, Nachts herumzuvagiren, in ihm zu ersticken. Ihm ist nur wohl, wenn er mit den wechselvollen Genüssen der Nacht sich betäuben kann. In den »Armen seiner Amalie winkt ihm vielleicht ein schöner' Glück« – aber es zieht ihn mit magnetischer Gewalt fort und er stürzt sich in den Wirbel der abenteuerlichsten und – schaalsten Vergnügungen.

Er schwärmt nur für die Geheimnisse der Nacht (außer dem Hause), er fühlt sich nur angeregt von den bunten Scenen der Nacht, er lebt nur Nachts und er kennt sämmtliche halbnächtige und ganznächtige Gasflammen, er kennt die Gewölbwächter und die Patrouillen, er weiß, welcher Fiaker und welcher Comfortable am längsten am Platze bleibt, er kennt die meisten Straßendirnen, denen er, wenn er »recht heiter«, sogar eine Cigarre anbietet, er treibt allerlei Schabernack mit einsamen ängstlichen Passanten, nimmt die Gewölbschilder herab und stellt sie an die Ecke, läutet an den Glockenzügen, hänselt den Fuhrmann jenes gewissen, wohl verdeckten communalen Gefährtes, und was derlei geistreiche Impromptus noch mehr sind, die in dem Kopfe eines angetrunkenen Uebermüthigen erwachen, der es sich par tout vorgenommen, sich zu »unterhalten«. Hat er sich unterhalten? Tags darauf muß er zur eigenen Beschämung gestehen, daß all die Dummheiten nicht werth waren, sein braves, engelgutes Weib oder seine bekümmerte Mutter zu kränken. Warum er es am nächsten Abend doch wieder thut? Ich weiß es nicht, er weiß es selbst nicht, es ist ein psychisches Räthsel.

 


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