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Unter'm Galgen.

Ein Amüsement unter'm Galgen? Gewiß, und noch dazu ein superbes! Das letzte » Volksfest« dieser Gattung fand in Wien am 30. Mai 1868 (zufällig am Namensfeste Kaiser Ferdinand's des Gütigen) statt, und galt dem Halse des dreiundzwanzigjährigen Raubmörders Georg Ratkay, eines freilich verwahrlosten Subjectes.

Jahre waren vergangen, ohne daß man der schaulustigen Hefe das Seelengaudium gegönnt: einen » baumeln« zu sehen. Außerdem blieb das fatale Gerücht, die Todesstrafe werde demnächst abgeschafft, mit Hartnäckigkeit in Permanenz – wer weiß, ob dies nicht der letzte » arme Sünder« ist, an dem die »Schinderceremonie« mit allen ihren interessanten Einzelheiten in persönlichen Augenschein zu nehmen wäre – also: »Auf, nach Spinnerin am Kreuz!« –

Der Schauplatz ist günstig gewählt. Ein weiter Platz von riesigster Ausdehnung, gibt er einer halben Million Neugieriger Gelegenheit, sich an dem populären Drama einer » Menschenabthuung« satt zu sehen. Nichtsdestoweniger heißt es, sich zeitlich Früh schon ein günstig Plätzchen erobern, will man die Spuren der Todesangst, das Zittern des Delinquenten, ja wenn möglich, sogar die einzelnen Schweißtropfen, die von seiner bleichen Stirne fallen, den Versöhnungskuß des Scharfrichters, das Binden der Stricke, das Knebeln der Hände, das Aufziehen, den »gewissen Druck« u. s. w. u. s. w. genau betrachten können ... Kluge Leute wandern deshalb bereits um die Mitternachtsstunde nach der Gratis-Galgenarena und occupiren die strategischesten Punkte.

Und so war's auch diesmal. Um ein Uhr Nachts kamen sie angezogen in dichten Schaaren, lachend und kreischend und johlend und jubilirend und lagerten sich im Grase. Es waren die » Habitués vom Galgenturf«, beiderlei Geschlechtes, confiscirte Gesichter, Stammgäste der anrüchigsten Kneipen, stabile Insassen der schmutzigsten Höhlen des Elends und des Lasters, ein mixtum compositum aus der vielköpfigen Genossenschaft der Gauner, so daß man weiland Schufterle's bekannten Bericht variiren und sagen konnte: Alles, was von der gewissen Sorte nicht in Zuchthäusern, Spitälern und sonstigen k. u. k. Besserungsanstalten gerade verwahrt gewesen, war der » Hatz« vorangezogen.

Bis der Morgen graute, trieb das Gesindel den heillosesten Unfug: als es endlich Tag ward, und die Verkäufer und Ständer kamen und ihre » Delinquentenwürstel«, » Armesünderbretzen«, ihren » Galgendanzinger« etc. ausriefen, da ging der Janhagel erst recht los und die Tausende und aber Tausende wurden so kreuzfidel, wie es seinerzeit auf dem Brigittenauer Kirchtage Mode war.

»Was glauben's denn«, meinte ein Mann in Hemdärmeln, der seinen siebenjährigen Buben aus dem »Schnapsflaschl« trinken ließ, »was glauben's denn, so was sicht man nit alle Tag!« – »A Glasl Unblachten wett' i, daß'n nit padanir'n!« rief ein Anderer und stieß mit seinem »Stamperl« an, – »Gilt!« war die Antwort. »Padanirt muß er werd'n, weil er a Ungar is, und weil's d'Ebergeny a padanirt hab'n!« – »I bin nur neugieri, wie's 'n henk'n«, warf ein Fünfter ein. »Der alte Hofmann hat alleweil so umabandelt – der jetzige soll a neiche Method' hab'n.« – »Na, vielleicht henkt er'n per Dampf«, witzelte ein Sechster; »umabandelt hat er oft, der Hofmann, das is wahr – i hab' Alle g'seg'n, aber schön dag'henkt san's nachher a!« –

Mittlerweile kamen auch die sogenannten »schönen Leute« anmarschirt und angefahren. Die meisten in Fiakern; »elegante« Damen, mit Opernguckern ausgerüstet, standen auf dem Kutschbock, oder füllten furchtlos die wackligen Nothtribünen und schienen schier entzückt, wenn sie gut postirt waren, und der »Bawlatschen-Entrepreneur« ihnen versicherte: » Hier segn's Eu'r Gnaden wunderschön!« –

Dann kam der »arme Sünder« – und die amtliche Procedur nahm ihren ungestörten Verlauf. –

War die Menge entsetzt? War sie von der fürchterlichen Sühne ergriffen? Ein jubelndes Halloh scholl durch die Lüfte, als im Momente, wie der Scharfrichter dem Todescandidaten den Kopf »zurecht« legte, eine Stellage einbrach, und hundert Neugierige hinabpurzelten. Ein lustiger Aufschrei aus mindestens tausend angefuselten Kehlen lohnte seiner die witzige That eines Mannes, der einem Kutscher den Hut vom Kopfe schlug, weil er ihn »in Gedanken« aufbehielt, als der Priester sein Gebet zu sprechen begann.

Und was des lustigen Schabernacks mehr ist. Wie man sieht, kann sich eine »Achtung gebietende Majorität« auch » unter'm Galgen« köstlich amüsiren. – –

 


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