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Auf dem Wäschermädelball.

(Februar 1870.)

Die originale, reine, d. h. unvermischte » Wäschertonerl vom Himmelpfortgrund« gehört in unserer modernisirten Aera, wie Ossian und Fingal, bereits zu den mythischen Figuren. – Dem Gebildeten brauche ich nun nicht erst auseinanderzusetzen, daß ich mit der besagten »Tonerl« keineswegs eine einzelne, am Ufer der Als gelebt und gewirkt habende Persönlichkeit dieses Namens meine, sondern, daß der nekrologistische Ausruf der Gattung gilt, die in Folge verschiedener culturhistorischer Processe, Truppendislocationen und der leidigen Freizügigkeit nordischer Stämme in ihrer classischen Urwüchsigkeit zu verschwinden und selbst in dem ihr vom Schöpfer als climatischen Curort angewiesenen Bezirke des Thury nach und nach so gewiß auszusterben droht, wie der graziöse Steinbock am Monte Rosa, seiner letzten Zufluchtstätte.

Diese, für den engeren Patrioten eigentlich betrübende völkergeschichtliche, statistische Wahrnehmung machte ich auf meiner jüngsten wissenschaftlichen Expedition, als ich nach langer Zeit wieder einmal das Plateau von – Lerchenfeld betrat, wo ein, vermuthlich usurpatorisches Consortium von halbinvaliden »Pascherinnen« und Jodlerinnen im Thaliasaale den historischen » Wäschermädelball« in Scene setzte. Das »Fest« fand unter dem öffentlich avisirten Patronate der alten » Erhartin«, der artistischen Leiterin der Hernalser Dudlerkämpfe statt, aber die eigentliche Regisseurin, die Präsidentin des Ballcomité's, die Protectorin dieser Gesellschaft unadeligster Damen, war doch wieder »sie«, sie, deren Namen ich nur ungern nenne, die aber eben nicht leicht zu ignoriren, da sie fast überall zu finden und dort, wo sie zu finden, unstreitig die intellectuelle Urheberin der »Festordnung« und des nächtlichen Programms ist. Ich meine nämlich die leidige – »Fiakermilli«.

Ja, sie präsidirte und regierte auch diesmal. Und Mitregent war wieder ihr medicinischer Ritter, ihr Qua-Marfori, jene Zierde seiner Facultät, der den grauen Glatzkopf ob solcher Bevorzugung mit Stolz zu wiegen und – wenngleich als Repräsentant der ernstesten Wissenschaft – doch auf's Loyalste zu lächeln und in der Weihe des Augenblickes den leutseligsten Cancan zu tanzen versteht. Und da die »Milli« (sprich »Milih«) die Favorite des Balles war und in einem hochrothen Kleide zu erscheinen beschlossen hatte, so war selbstverständlich »Roth« die Farbe des Abends und die Tänzerinnen erschienen par faveur in der Lieblingsfarbe der Gefeierten, d. h. mit gleichrothen Abzeichen geschmückt, und manifestirten sich darnach mit den (seidenen) rothen Kopftüchelchen und (seidenen) rothen Schnürleibchen oder (seidenen) rothen Schürzen als die getreuesten Sclavinnen ihrer verehrten Gebieterin, die denn auch mit siegestrunkenen Blicken durch die Reihen ihrer männlichen und weiblichen Vasallen schritt.

Das aber war der Selbstverleugnung, der sozusagen freiwilligen Entäußerung des eigenen Ich, der geistigen Expatriirung von Seite der Hungelbrunner Balleteusen noch nicht genug. Sie begingen die ungeheuerliche Anomalie, zu den koketten Kopftücheln anachronistische Rococo- und »Geistinger-Perücken« zu tragen oder mit Haarpuder die aufgethürmten Wellenscheitel und riesigen Chignons zu bestreuen, ja selbst Goldstaub in ihren phantastischen Haarbau zu thun und durch solch lächerlichen Costümfrevel, solch bezirkswidrige Geschmacklosigkeiten die Toilettetradition aller Einwäscherinnen der Welt und jener vom Althan insbesondere über den Haufen zu werfen.

Beim Anblick dieser Standesmaleficantinnen erfaßten mich die Schauer unendlicher Wehmuth und ich gedachte mit Rührung der historischen Gestalten aus besseren Tagen, die im strenggläubigsten Cultus der angestammten und überlieferten Tracht: in den kurzen, gesteiften Röcken, dem schwarzen Sammtspenser mit Perlmutterknöpfen, dem grell getupften Halstuch und ditto Kopftüchel, letzteres zu einer primitiven Gugel, aber mit genial flatternden Zipfen verschlungen, dann mit den einfachen, mittelst Schweinschmalz geglänzten Originalscheiteln und Flechten, und schließlich mit den energisch geformten, scharf benagelten »Kothstiefletten«, die sowohl für den Steirischen und Ländler als für den Heimmarsch paßten – bei der »schönen Schäferin« oder bei den »Lerchen« alljährlich ebenfalls ihre Ballnacht feierten und in Terpsichoren's Künsten sich übten. Und ihre Partner, mit denen sie auf dem schlecht gehobelten Parquet erschienen, waren keine geschniegelten und pomadisirten Stadt-»Gschwufen«, keine Pseudo-Amanten oder Vicestrizzi, es waren ihnen ebenbürtige Geschäftscollegen, gleichfalls »Kinder vom Grund«, die die Woche über als thätige Gehilfen fungirten und deren ehrbar Handwerkzeug: die »Wäschkluppen« im blauen Vortuch oder die »Schubkarrenbandeln« über die Achseln, sie sogar mit einem gewissen Stolz erfüllte.

Wenn dann ein solches urkräftiges Paar zu tanzen begann, da flüchtete Jeder, der ein Hühnerauge im Stillen sein nennen konnte, aus der gefährlichen Nähe und die Dielen erdröhnten ob der martialischen Entrechats. Und wenn das Paar vom »Wirbelwind der Leidenschaft« erfaßt, den neuesten Vierzeiligen intonirte und einen schrillen »Dudler« an die Saaldecke schleuderte, da fielen auch die Uebrigen ein, um mit »geübten Stimmen Chorus zu singen« und das Fest hatte seinen Höhepunkt erreicht. Wehe, wenn in solch feierlichen Augenblicken ein witzelnder »Stadtherr« sich erkühnte, an die üppigen Formen einer solch schneidigen Roßauer-Primadonna zu streifen oder ihr etwa gar vermeintlich »schmeichelhafte Anträge« zu machen. Ein Wolkenbruch von Kernsprüchen, wie sie nur der deutsche Sprachsatz Lichtenthal's und der »Wiesen« birgt, ergoß sich blitzschnell über sein Haupt, worauf der Unvorsichtige viribus unitis an die Luft gesetzt wurde.

Die Scenerie und die Acteurs von derlei vorstädtischen Ballfesten sind heute, wie so Manches, anders geworden. Die scharfgezeichneten Charaktere und Volksfiguren, die classischen Typen aus gewissen Schichten verblassen bis zur Unkenntlichkeit und ein entarteter Nachwuchs ist seiner gediegenen, ehernen Ahnen unwürdig. Die Rasse ist degenerirt, wir haben kein Vollblut mehr, sondern nur Mischlinge. Und demgemäß entbehren denn auch die in den Annalen Wiens ruhmvoll verzeichneten Faschings-Saturnalien einzelner Stände und Zünfte schon längst ihres notorischen Chics und ihres eigenthümlichen Parfüms, und wie es keine »reinen« Fiakerbälle mehr gibt, so gibt es keinen purificirten Wäschermädelball mehr, so glorreich auch die Geschichte seiner Vergangenheit ist.

Unter den gegebenen Verhältnissen ist die Sache jedoch erklärlich. Wo die »Milli« den Vorsitz führt und Hof hält, da kennt man das Gefolge, den Anhang, den minniglichen Cortège und die saubern Genossinnen. Der weibliche Stab ihres Hauptquartiers ist aus den markantesten Zöglingen der Walhalla etc. zusammengesetzt und die Schaar ihrer Ritter, Reisigen und Knappen aus den Jahresabonnenten dieser – Anstalten recrutirt. In der Pheripherie dieses lärmenden Trosses gedeiht nun wohl nichts Anderes als die Sumpfpflanze der Zote, die ihre Wurzeln in immer weiteren und weiteren Radien ansetzt, bis die gesammte Gesellschaft in dem Gestrüppe sich gefangen sieht. Freilich liegt an dem Gedeihen einer Versammlung nicht viel, die das Präsidium solchen Händen anvertraut und der vielleicht gerade bei diesem Arrangement ... cannibalisch wohl ist.

Der Wäschermädelball! Welch bittere Ironie! Wer war im Stande, aus der Unmasse von Grabennymphen die veritablen » Ladernymphen« herauszufinden? Wem gelang es, in dem wirren Trubel der »Maschkerirten« die Spreu vom Weizen zu sondern, und wessen Gemüth war aber auch so gläubig, selbst in den ungewaschenen »Debattärs« und Jockey's, die sich herum- und herandrängten, waschlustige Jungfrauen vom Brünnlfeld und den angrenzenden Revieren zu erblicken? Wohl waren einzelne, und zwar plastisch-robuste Priesterinnen der Laugenessenz, des Bleichpulvers, der »Waschblau« und der »Erdäpfelstärke« vorhanden und verbreiteten in der widerlichen Moschusatmosphäre einen fast wolthuenden Seifwurzelgeruch, aber sie waren offenbar in der Minorität und konnten die Alles, so auch hier überwuchernde ausgesprochene Demimonde nicht aus dem Felde schlagen. Und wozu auch, wenn sie sich so hübsch mit ihr melirten und sie sogar in den dümmsten Haarpudermoden täppisch nachäfften?

Dieser Mißgriff des Ballcomité's, der schon im vorigen Jahre geschehen, rächte sich heuer insofern, als die » Gawlier« ausblieben. Nicht, daß eine specielle Sorte Wiener Blaublut die Tummelplätze der Viertel-, Achtel- und selbst Zweiunddreißigstel-Welt aus Princip flieht; nein, aber diese p. t. Herren gehen von dem richtigen Grundsatze aus: Wozu in die Ferne (bis Lerchenfeld) schweifen, wenn man – die Geschichte allabendlich in der nächsten Nähe haben kann? Und so ist es. Denn wenn auch die Alinka (leider im Vereine mit einem krankhaft bleichen neunjährigen Mädchen) G'stanzeln sang, die »Zwicker Marie«, die »Gschwandtner Nettl«, die »Schuster Lottl« etc. etc. abwechselnd jodelten, ein paar »laute« Fiaker kunstvoll pfiffen und paschten, und das Katzenberger-Quartett die »Allertiefsten« zum Besten gab, kunstgeübte Augen und Ohren konnten sich doch nicht verhehlen, wem der Abend gehöre.

Es gibt keinen ureigentlichen »Wäschermädelball« mehr. Mag bei dieser schmerzlichen Nachricht der Localchronist auch sein Haupt verhüllen, mag er fürder das Blatt, auf dem die carnevalistischen Triumphe der feschesten »Waschtrogtonerln« zu verzeichnen, leer lassen oder vielmehr mit einem schwarzen Rande umrahmen, mein kritisches Gewissen gebietet mir, dieses trübselige Factum allseits kund und zu wissen zu machen. Und wer etwa an meiner Infallibilität zweifelt, oder mein neuestes Dogma belächelt, dem hätte ich gewünscht, in jener Nacht zwei Männer zu beobachten, die mit Kennerblick die Herzen und Nieren eines jeglichen Publicums zu prüfen gewohnt sind. Ich meine die Herren Eckhard und Pirringer, die beiden Jodlermatadore. Wie zwei Jeremiasse auf den Trümmern einer untergegangenen Periode saßen sie einsam bei einem Glas Wein und starrten, in Träume versunken, vor sich hin, »Ist das ein Wäschermädelball?« frug ich sie. Sie schüttelten schwermüthig die Häupter und seufzten. Nun wohlan, so hört meine Prophetie: Es gibt in aller Ewigkeit keinen »Wäschermädelball« mehr, und es ist vielleicht sogar die Zeit nicht ferne, wo in Folge der fortschrittlichen Entwickelung des Maschinenbaues und der richtigen Benützung der Dampfkraft die Wäschermädeln selbst als supernumerär, d. i. überflüssig, entfallen und allmählich im gesellschaftlichen Status gänzlich »aufgelassen« werden. Darum:

Weint Troer, weint!
Uebt Euer Aug' in Thränen!

 


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