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Wiener Bettler.

So paradox der Satz klingt, aber man kann ihn verfechten, wenn man sagt, daß es Leute gibt, die von ihrer Armuth leben. Von ihrer äußerlichen natürlich. Denn wie der geniale Schwindler von dem Scheine seiner Wohlhabenheit, seiner äußerlichen Eleganz, seiner gentilen Großmuth sich den meist nicht unbedeutenden Bedarf an Poulards und Regalias, ja selbst die übermüthige Dividende und Superdividende an Austern und Clicquot herausschlägt, so weiß sein contrastirender Kompagnon in dem Geschäfte der Dupirung, der hinwieder in der ungenirten Rolle des Bettlers, in der Maske der himmelschreienden Armuth, in der Grimasse des herzzerreißenden Elendes zu brilliren versteht, sich das Relutum für den nicht minder bedeutenden Konsum an Kleinschwechater und Danziger, an Rostbraten und Gugelhupf, an schwarzem Dreikönig und Markersdorfer, mit vollster Sicherheit zu verdienen. Namentlich in Wien, der Weltstadt der – Gutmüthigkeit.

Ich habe bisher wiederholt die Gelegenheit benutzt, die mir geboten ist, um für die Armuth, die unser Mitleid verdient, einen Appell an die Herzen meiner verehrten Leser und Leserinnen zu richten. Ich meide deshalb nicht mißverstanden werden, wenn ich der Unverschämtheit im Gewande der Armuth, der Heuchelei und Scheinheiligkeit, der Nichtsthuerei und Herumlungern, der frechen Lüge, die mit dem erbettelten Kreuzer einen maskirten Diebstahl begeht, ebenfalls die verdiente Würdigung angedeihen lasse.

Wer sich für das Bettlergeschäft (als permanenten Erwerbszweig) entschließt, muß selbes, soll es von Erfolg »gekrönt« sein und die Mühe lohnen, rationell und mit Talent betreiben. Ich sage Talent, weil immerhin einige schauspielerische Befähigung dazu gehört, um der Rolle treu zu bleiben, ja um überhaupt nur das der eigenen Individualität und den natürlichen Anlagen zusagendste Charakterfach aus dem großen Bettlerrepertoire sich auszuwählen. Nicht Jeder taugt z. B. für die specifische Rolle des »soeben aus dem Spitale entlassenen« brotlosen Webergesellen – nicht Jeder für die des »armen Abschieders«. Für erste gehört das unumgänglich nöthige bleiche Gesicht, die hagere Gestalt, Demuth und Zaghaftigkeit – und der Parfüm der »Weberschlicht«; für letztere: biedere Treuherzigkeit, ein zutraulicher Ton, eine offene, wenn auch kurz angebundene Redeweise und der soldatische Schnurrbart. Als ich vor einiger Zeit um Mitternacht aus der Druckerei ging, stand am Kärntnerring ein baumstarker Mann, in Gesellschaft eines Weibes, das in eine »Gugel« gehüllt war und am Arme ein wimmerndes Kind trug. Der Mann vertrat mir den Weg mit den rasch gesprochenen Worten: »'r Gnaden! a armer Abschieder von Heß, der g'rad von St. Pölten awa kummt; 's Weib is krank, 's Kind hungri – kan Nachtlager, kan Bissen z'essen – – i bitt' unterthänigst nur um a Klanigkeit auf a Schalerl Suppen.«

Ich gab dem Manne, während das Kind jämmerlich zu schreien und das Weib zu stöhnen begann, was ich an Kleingeld besaß – es reichte hin für ein Strohlager und auf Suppe für alle Drei.

In einer der nächsten Nächte fand ich jedoch die »soeben von St. Pölten Angekommenen« noch immer an demselben Flecke und hörte, wie die Vorübergehenden mittelst derselben Anrede gebrandschatzt wurden; später stellte sich der Vagabund mit seiner rührend stöhnenden und wimmernden Staffage am Stubenring auf, ein ander Mal in der Jägerzeile u. s. w., immer wieder den gleichen Speech loslassend. Ist der Kerl kein Dieb an unserem Mitleide?

Die Branntweinkneipen waren von jeher die Herbergen des faulenzenden Bettlergesindels. In neuester Zeit haben ihre Insassen sich eine neue Rolle zurecht gerichtet: den » armen Handwerksburschen«, und sind mit den nöthigen Requisiten für dieses Charakterfach auch vollkommen ausgerüstet. Diese Requisiten bestehen in ein paar zusammengerollten, mit Fetzen gefüllten Ranzen und dem unentbehrlichen Wanderstock. Diese Gegenstände liegen in der Fuselspelunke in einer Ecke, die Gäste spielen Karten und rauchen aus langen Pfeifen. Sobald ein Paar das Mariagen nicht mehr freut und die »Stamperln« geleert sind, stehen die Herren auf, werfen sich die Ranzen, für welche sie eine kleine Leihgebühr von zwei Kreuzer per Viertelstunde zahlen, über die Achsel, greifen zu dem »Wanderstock« und gehen in's Geschäft. Das heißt, einige hundert Schritte – denn weit zu gehen, ist nicht der Mühe werth, dann warten ja auch die Anderen auf die »Requisiten«. Ich kenne einen blauen und einen grünen, eigenthümlich geflickten Ranzen und ein paar auffällige Knotenstöcke, die besonders im Stubenviertel »fungiren« und seit Jahr und Tag mindestens von hundert »armen Handwerksburschen« benützt wurden.

Eine eigene Sorte von Bettlern (beiderlei Geschlechtes) und Bettelkindern hat früh Morgens in der Nähe des Domherrenhofes ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Die speculative Bettelindustrie hat nämlich ihre Augen auf die dortigen geistlichen Bewohner geworfen und wartet unter den Hausthoren auf die zur Messe gehenden violett gekleideten Passanten. Nun freut es mich, wenn diese hochwürdigen alten Herren von den für sie eigentlich doch unnützen irdischen Gütern einen winzigen Theil an die Hilfsbedürftigen abzugeben Willens find, aber noch mehr würde es mich freuen, wenn die frommen Wohlthäter sich nicht durch bigotte Scheinheiligkeit irre leiten ließen und Musterung unter ihren Schützlingen halten möchten. So aber werden diese freundlichen alten Herren täglich von demselben gleißnerischen, faulenzenden Gesindel überfallen und ausgebeutet.

Zu einem »Domherrnbettler« und einer »Domherrnbettlerin« taugt nicht Jeder und nicht Jede. Hin sich einem gräflichen und fürstlichen Gönner nahen zu können, darf der Petent nicht zerlumpt sein und nicht von Fusel riechen, »Abgeschabt« und »dürftig« kleidet ganz gut, am besten ein dunkler Rock bis oben zugeknöpft. Frauen müssen ein schwarzes Tuch und einen schwarzen Capuchon tragen. Der schwarze Ridicüle gehört für die Zeugnisse des Herrn Pfarrers und Hausherrn, einen beliebigen Todtenschein und die sonstigen zum Geschäfte gehörigen Documente. Später gibt man den gekauften Gugelhupf oder den Kaffeekuchen hinein. Die » Domherren-Bettelkinder« haben reinlich, wenn auch armselig costumirt zu sein; barfüßig macht einen eklen Eindruck. Die Eltern liegen natürlich im Spitale, von ansteckenden Krankheiten wird jedoch kein vernünftiges Bettelkind sprechen. Die Männer müssen schließlich rasirt sein, um beim Handkuß keine unangenehme Empfindung hervorzubringen, alle aber haben von der Mutter Gottes, vom Jesukind zu sprechen, die oder das ihnen heute Nacht erschienen und von einem edlen Wohlthäter prophezeite u. s. w. Dieser Bettelposten scheint nicht uneinträglich zu sein, denn als Allerseelen kam, hörte ich, wie einer der dortigen permanenten Supplicanten zu einem Gefährten sagte: »I muß morgen auf die Schmelz, i laß Dir mein Grafen für den ein' Tag, gibst halt zwa Sechserln her!« –

Die fortschreitende Cultur, die alle Welt beleckt, hat sich selbstverständlich auch auf den Bettler erstreckt. Ein Bettler, der heuzutage in Fetzen erscheint, ist ein Lump, der auf unser Mitleid keinen Anspruch hat; ein Bettler, der sich kratzt und Ungeziefer ahnen läßt, ist ein verlorener Mensch, von dem sich Alles mit Abscheu abwendet. So taugen auch häßliche Krüppel nicht an jeden Ort und ihr Geschäft blüht nicht an jedem Tage. Sie würden auch nicht überall gelitten werden und die Genossenschaft der Bettler überläßt ihnen deshalb die ersten zwei Novembertage und die Straßen zu den Friedhöfen.

Wieder eine andere Sorte ist der »würdige alte Mann«. Als ich vor einigen Jahren an einem Vormittage in einem der Vororte Wiens zu thun hatte, aber um eine Stunde zu früh kam, setzte ich mich in einem Gasthausgärtchen nieder und ließ mir einen Pfiff Wein geben. Alsbald kam auch ein alter Herr in geblümtem Schlafrock, rothledernen Pantoffeln, gestickter Mütze, mit einer silberbeschlagenen Meerschaumpfeife und den sonstigen äußerlichen Attributen eines wohlhabenden Mannes. Er kam zu seinem gewöhnlichen Frühstücke. »Hab' die Ehre, Herr v. X.«, rief der Kellner, »mit was kann ich dienen? Beuschel, Gollasch, Rostbraten, Schnitzel, kaltes Gansel?« – »Bringen Sie mir ein Schnitzel. Natur, mit Lemoni, und ein großes Seite! Retzer – dann die ›Wiener Zeitung‹ lautete die Antwort. – Der Mann schien mir bekannt, ich zerbrach mir den Kopf, wo ich ihn schon gesehen und gesprochen, zuletzt hielt ich ihn für den Hausherrn und wurde in meinem Glauben noch bestärkt, da er mit mir ein Gespräch anknüpfend, über den schlechten Stand der Pardubitzer lamentirte. Als ich mich im Fortgehen beim Kellner erkundigte, wer der Mann sei, von dem ich nicht mußte, »wo ich ihn hinthun soll«, sagte man mir! »Herr v. X., Privatier, wohnt bei uns im ersten Stocke, aber das kleine Haus weiter oben soll ihm gehören.« Abends in meiner Stammkneipe war ich jedoch nicht wenig überrascht, als um die gewohnte Stunde der gewohnte Bettler im abgeflickten Rocke erschien und mit der gewohnten Floskel: »Ein alter, armer Mann thät unterthänigst bitten«, sich von unserem Tische das gewohnte Zehnerl holte. Das war mein Mann von heute Morgens, mit dem Naturschnitzel und dem großen Seitel Retzer. Ich fuhr in die Höhe und stellte ihn, entrüstet über seine Heuchelei, zur Rede. Der war aber nicht weniger über mich indignirt und mit den geflügelten Worten: »No, was soll ich denn Abends thun? Soll ich vielleicht wie Sö im Wirthshaus sitzen und 's Geld anbringen? Is' nit g'scheidter, wann i a Geld verdien'?« verließ er ans Nimmerwiedersehen das verrätherische Locale.

Der » Zuspeisbettler« ist der Schützling der Köchinnen. Er überhebt sie der Mühe, ihre Krautration oder den alten Kohl zu essen, er bringt selbst das Opfer und würgt das verhaßte Gericht hinab, wenn es ihm nicht gelingt, »den Quark« unbemerkt in den »Ausguß« zu schütten, und erhält von der dankbaren, für jede Dienstleistung erkenntlichen Herdnymphe ein Stück Brot (das im nächsten Branntweinhause verkauft wird) als Zulage und außerdem noch ein paar Kreuzer.

Es würde zu weit führen, die noch übrigen Chargen der weit verzweigten professionellen Bettlerzunft, wozu ich nicht nur die zerlumpte Kirchensteherin und Rosenkranzbeterin, sondern auch die distinguirte arbeitsscheue Kaffee- und »Audienzschwester«, die sich im schwarzen Seidenkleide und Schleier in einem »Sessel« an den Ort ihres Bettelattentates tragen läßt, rechne, zu skizziren; ich will nur noch einmal flüchtig der patentirten Wirthshausbettler gedenken, die, da sie allabendlich die nämlichen Orte besuchen, mit ihren Kundschaften endlich im cordial-vertraulichsten Tone verkehren. Der alte »Hameaubettler« ist bekannt, der unumwunden gesteht, daß es sich jetzt kaum mehr rentire, zu betteln, weil schon »die ganze Welt a Bettelvolk is und ka Mensch mehr was hat«, – aber ein Prachtexemplar von einem loyalen Bettler lernte ich einst in einem Vorstadtwirthshause kennen. Der Mann kam seit Jahren in das Locale, er kannte Wirth und Kellner und alle Gäste auf's Genaueste und erhielt insbesondere von einer stabilen Tarokgesellschaft stets ein splendides Almosen. Das machte den Mann intim mit seinen Gönnern, er erlaubte sich mit der Zeit kleine Scherzreden und ging bereits so weit, den lustigen vier Königrufern mit einer Prise Tabak aufzuwarten. Man lachte und verzieh dem »kindischen« Greise die »launigen« Einfälle. Als aber eines Abends von den vier Tarokisten Einer fehlte und der Sechserlsammler hörte, wie man trostlos die Abwesenheit des »Herrn v. Mayer« beklagt, da wendete sich der »kindische« Greis an den Wirth und sagte: »Sie, Herr Gastgeber, wann die Herren da drinnen vielleicht an » Vierten« brauchen – i hab' Zeit, i bin ferti, i geh' heut' nirgends mehr hin.« Und als der freundliche Antrag abgelehnt wurde, meinte er: »No, wann's nit woll'n, soll'n sie 's bleib'n lassen, geb'n S' mir a Seitl Wein, da is gleich mein Geld!« – Der Mann war und blieb »bös« auf die Gesellschaft. Ja, brutal sein darf man mit unseren Bettlern nicht, sonst verdirbt man sich's mit ihnen.

 


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