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Die Gratulationshetze.

(Vor dem Jahreswechsel.)

Ein paar Tage noch und die gesammte civilisirte Welt besteht nur aus »hochgeneigten Gönnern«, »treuergebenen Dienern«, »aufrichtigsten Verehrern« und – »Busenfreunden«. Diese Fusion der edelsten Gefühle, welche in mündlicher und schriftlicher Form zu sorgfältigst stylisirtem Ausdruck gelangt und das ganze Menschengeschlecht (mit Ausnahme einiger uncultivirter Racen) zu einer Gesellschaft von Menschenfreunden macht, gewährt immer einen rührend schönen Anblick – schade, daß dieses herzliche Verbrüderungsfest kaum so lange dauert, als die einfachste »Johanni-Octav«, und daß sich die zweibeinigen Zierden der Schöpfung meist schon um »Dreikönig« herum gegenseitig wieder so gründlich hassen und verleumden und anfeinden, wie die Verwaltungsrathe zweier Concurrenzbahnen.

Ich weiß nicht, ob es sich der Mühe lohnen würde, daß sich auch gewiegtere Denker mit der Erforschung dieses psychologischen Räthsels beschäftigen sollten, oder ob die oberflächliche Annahme genügt, nach welcher die Gratulationsmode überhaupt nur von armen Teufeln erfunden, um im Wege eines ehrerbietigen Attentates auf glücklichere Portemonnaies sich ebenfalls eine Jahresdividende zu erobern, zu deren Bezug sie ansonst weder ihre gesellschaftliche, noch amtliche Stellung berechtigt (oder begünstigt). Unstreitig hat diese Version Einiges für sich, wenn auch die gegentheilige Muthmaßung nicht ganz unbegründet, daß das »Angratuliren« ursprünglich von solchen öffentlichen Charakteren und privaten Würdenträgern ersonnen wurde, denen es endlich doch ein Bedürfniß geworden, wenigstens einmal im Jahre etwas von »Hochachtung und Verehrung« mit eigenen Ohren zu hören, indem, wenn nicht solch gesetzlicher Gesinnungs-Ablieferungstermin eingeführt wäre, im Verlaufe der Zeit vielleicht eine gewisse Unklarheit der persönlichen Position hervorgerufen würde, was wieder mit der übernommenen Würde nicht gut vereinbar ist. Denn, dessen Stellung es erfordert, »geachtet« zu werden, hat es doch nicht ungern, es in der That zu sein, und die schwarzbefrackte Bestätigung erhält er denn auch – wenn nicht schon zur Feier des glorreichen Namensfestes, so doch nach pragmatischem Herkommen sicher zum Jahreswechsel. Wie sich nun dieses Geschäftes von den Tributpflichtigen, dieser Empfindungs-Robot von den »Hörigen« im Allgemeinen entledigt wird, war von jeher mein angelegentliches Studium, das mir viel heitere Stunden bereitete.

Es gibt geborene Gratulations-Virtuosen, wie es Menschen gibt, die eine unüberwindliche Neigung für das Bombardon oder für Papparbeit oder für die Dressur der weißen Mäuse mit auf die Welt bringen. Ein solch specifisches, mit dem Individuum gleichsam verwachsenes Talent entwickelt sich ohne äußere Einflüsse, ohne jegliche Beihilfe, ohne directen Unterricht; es dringt zu Tage ohne Veranlassung und der Meister ist fertig, bevor er Schüler gewesen. Wer nicht die Gratulationsgabe in sich fühlt, wem der innere, sozusagen göttliche Drang, dem (höher gestellten) Mitmenschen bei nur halbwegs günstigen Anlässen den allerunterthänigsten Glückswunsch ehrfurchtsvoll darzubringen, nicht schon in's Herz gegossen, bleibt in diesem Genre sein Lebtag ein Stümper, der nicht einmal das ABC dieser wahrhaft freien Kunst, die Grundzüge dieser unerlernbaren Fachwissenschaft begreifen wird.

Die Naturgeschichte kennt zweierlei Gattungen Gratulanten: den ex officio-Gratulanten, der die Sache mit kalter, unempfundener Förmlichkeit, in möglichster Kürze, und mit ungelenken, steifen Verbeugungen zu Ende bringt, und den – freiwilligen oder Gratulationsfex, der seine Aufgabe mit Begeisterung erfüllt und in den tiefsten Knixen seine eigentliche Mission erblickt.

Dieser Gratulationswütherich hat zwar jahrüber an eine Unzahl für ihn festlicher Tage zu denken, eine unabsehbare Gallerie von feierlichen Ereignissen in zahllosen Familien nimmt seine vermeintlich gern gesehene und schwer vermißte Persönlichkeit unausgesetzt in Anspruch, er hat diesen Geburts- und jenen Namenstag, hier eine glorreiche Wöchnerin und dort eine hochortige verdiente Anerkennung, hier den Jahrestag der Vermählung und anderwärts die Feier der Genesung etc. etc. zu beglückwünschen; er führt ein eigenes Gratulations-Kalendarium und ein Vorfallenheits-Register; er ist die beste Kundschaft der »geruchlosen« Handschuhputzerinnen, die ihn weniger seiner invaliden Glacé's, als der vielen »Aufwartungen« wegen, zu denen er »obligirt«, bewundern – trotzdem beginnt seine Hauptthätigkeit erst zum Jahreswechsel.

Die Generalprobe dieser Festvorstellung wird natürlich am Vortage abgehalten, für welchen die Honoratioren minderer Sorte in Vormerkung gekommen sind. Er fertigt diese eigentlich zweite Serie hochverehrter Gönner zuerst und etwas flüchtig ab, läßt selbst die Bemerkung wegen ungebührlicher Inanspruchnahme von hochdero kostbarer Zeit fallen und entfernt sich rasch und in nur oberflächlich-feierlicher Stimmung. Er sieht selbst ein, daß man solche Herren mitten in ihrer angestrengten Berufsthätigkeit nicht lange stören, d. h. nicht belästigen darf, und erfüllt durch sein Erscheinen nur die Pflicht der schuldigen Ehrfurcht. Aber am Neujahrstage!

Am Neujahrstage fällt diese Rücksicht seinerseits weg, er kennt nur die fixirte Zahl der auserkorenen Opfer und beginnt Früh Morgens mit ernster Miene seinen Rundgang bei den Proscribirten – ob schön, ob Regen – ob Enthebungskarte oder nicht.

Das erste »Herein« auf sein erwartungsvolles Pochen, oder die erste Verbeugung nach der ersten Anmeldung gibt ihn wieder sich selbst, er ist in jener heiß ersehnten Respectssituation, in welcher es ihm gegönnt ist, irgend einer wirklichen oder fingirten gesellschaftlichen Celebrität, einer Bureau- oder Finanzgröße, einem Würdenträger oder einem durch Bezirksnimbus ausgezeichneten Privatmanne – mit einem Worte: einem Höhergestellten die ungeheuchelten Gefühle seiner Verehrung in fließender und gutgesetzter Rede auszudrücken und die huldvolle Versicherung ferneren hochgeneigten Wohlwollens hochbeglückt entgegenzunehmen. Den frisch gebügelten Cylinder mit einer gewissen Innigkeit an den klopfenden Busen drückend, die Augen einen Moment emporschlagend und dann schnell zu Boden senkend, ebenso das Haupt gebeugt und eine kaum merkliche Ellipse des rechten Fußes nach rückwärts, dagegen eine ähnliche Curve mit dem linken Elbogengelenke nach vorne beschreibend, ist sein Sinnen nunmehr darauf gerichtet, in retrograder Bewegung tadellos die Thüre zu erreichen, die letzte (stumme) ehrfurchtsvolle Verbeugung rasch zu executiren und die Thüre unter sorgsamer Verbergung der persönlichen Reversseite geräuschlos zu schließen. Es ist, wie gesagt, unmöglich, derlei zu erlernen, wenn nicht die unumgänglich nöthige körperliche Elasticität, vorzüglich aber eine Biegsamkeit und Geschmeidigkeit des Rückgrates das unschätzbare Geschenk des gütigen Schöpfers ist.

Im Vorzimmer angelangt, wird der versirte Gratulirer augenblicklich die in der Domestikensphäre angemessene, d. h. völlig aufrechte Haltung finden und es vielleicht sogar, sich den Ueberrock reichen lassend, für zweckmäßig erachten, unter loyalem Lächeln anzudeuten, welch huldvoller Empfang ihm abermals zu Theil geworden, worauf er, die Antichambrirenden leichthin grüßend und noch immer bedeutungsvoll lächelnd, sich entfernt, um – auf der nächsten Stiege für denselben Cursus sich vorzubereiten.

Ja, für denselben Cursus. Und der vielbeschäftigte Mann kommt, wie der Akrobat auf dem Schwungseil, erst bei den heftigsten, wirbelnden Schwingungen die vollste Sicherheit erlangt, gerade im athemlosen Verfolge seines Katzenbuckel- und Knixturnus zur rechten Glieder- und Zungenvolubilität, die, wenn die Mittagsstunde naht und demnach die Etikettefrist zur Neige geht, ihren (freilich schweißtriefenden) Höhepunkt erreicht und ihn in das gefährlichste Stadium jener treugehorsamsten Verzückung (Servilismus-Wahnsinn) versetzt, wo selbst der ruhigste Zuseher, wie bei dem betäubenden Kreiseltanz der Derwische – Kopfschmerz empfindet. Ihm, dem ausübenden Künstler, ist jedoch wohl.

Nun, so bürstet denn Eure schwarzen Fracks und das sonstige Zugehör und präparirt Euch auch innerlich für die nöthige Selbstverleugnung und Offenbarung der eigenen Nullität. Die Echtheit Eurer Gesinnung wetteifert ja doch nur mit dem Werthe der huldvollen Händedrücke, womit man Euch beglückt und beehrt, und wenn deshalb Eure Zerknirschungskomödie nur mit einer Gönnerkomödie regalirt wird, so rümpft später nicht die ehrfurchtsvollen Nasen. – An Euch aber, die Ihr durch solche »Aufmerksamkeiten« überhaupt ausgezeichnet werdet, stelle ich die Bitte, laßt an jenem Festtage dennoch Niemanden ganz unbeschenkt von dannen ziehen: den ehrlichen, armen Teufel nicht, wenn er seinen Spruch auch etwas holpericht declamirt – und die andere Species auch nicht, dieser aber schenkt wenigstens ein – mitleidiges Lächeln! –

 


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