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Vom Stoß

(Februar 1871.)

Es ist leicht möglich, daß, wenn diese Zeilen vor die Augen meiner theueren Leser kommen, der Stoff an und für sich Manchem bereits antiquirt erscheinen dürfte. Nun ja, während das Corps der Auflegerinnen in objectivster Seelenstimmung sich noch damit beschäftigt, Bogen für Bogen der Maschine anzuvertrauen und die ersten Austräger sich parat halten, den üblichen Pack Tagesgeschichte zur Vertheilung an ihre Wißbegierigen Zeitgenossen in Empfang zu nehmen, macht etwa ein plötzliches energisches Thauwetter dem gewissenhaften Eischronisten einen Strich durch die Rechnung, die gigantischen Blöcke und Schollen, womit die Metropole geängstigt und, auf die man die Aufmerksamkeit eines hohen Adels und verehrungswürdigen Publicums lenken wollte, sind um die Stunde der Früh-Melange vielleicht schon in Theben angelangt und die Inundations-Flaneurs erklären die Sache als – abgethan.

Mit dieser Gattung Mitmenschen hatte man die Woche über ja ohnehin seine liebe Noth. Die »Geschichte« war ihnen theils zu unbedeutend, theils durch die etwas längliche Dauer des Status quo bereits monoton geworden, und als Freitag Nachmittags das herrlichste Wetter eintrat, um endlich eine »ordentliche Ueberschwemmung« von einem sicheren Punkte aus mit dem Operngucker oder durch das Binocle ohne viel Unbehagen bewundern zu können, die weiße Schnee- und Eismasse des Canalbettes aber sich noch immer nicht vom Flecke rührte, da konnte ein jugendlicher Pracht-Dandy seinen Ingrimm über die Verzögerung der erwarteten Katastrophe, seinen Ueberdruß angesichts des »ewigen Einerlei« nicht länger unterdrücken, und seinen eleganten Gefährten am Arme zerrend, rief er, von dessen unbegreiflichem Interesse für die »dummen Eisschollen« indignirt: »Geh' Schackerl, geh' ma, der Eisstoß is ma schon fad!«

Auch Anderen (und nicht nur den Ueberschwemmten und Delogirten) dauerte die Geschichte bereits zu lang. Die Promenade über die Treppen erlustigte zwar Anfangs und man konnte eine Masse Witze reißen; auch der Anblick der »feschen« Chaussure gewisser (mehr als nothwendig) kurz geschürzten Damen war nicht übel, aber – der Mensch will auch eine Abwechslung. Man erwartete mit Ungeduld das »Schinakelfahren« in den überschwemmten Straßen, was für einige heitere Lebemänner, die sich zu diesem Zwecke ein eigenes » Kanotier-Costume« angeschaffen und mit idealen Wasserstiefeln längst ausgerüstet waren, doch wenigstens den Reiz der Neuheit gehabt hätte, ja für eine ganz exquisite Species »Wiener Vollblut« sogar eine »Hetz« gewesen wäre. All diesen wackern Leuten verdarb die ungebührliche Länge des Zwischenactes ihre gute Laune; es sei, wie sie unwirsch behaupteten, »nirgends was z'seg'n, und wo was z'seg'n wär', lassen's an nit hin!« und so geschah es, daß der Eisstoß an – Popularität, sozusagen an »Beliebtheit« in den Kreisen der Schaulustigen bereits gewaltig verlor, daß selbst die enragirtesten »Eisstoßgeher«, die von früh Morgens bis spät Abends mit den diversen Avisoposten die heftigsten Grundwasserdebatten, Stauungs- und Spornverlegungsdispute führten, der Sache müde wurden und lieber zu der altgewohnten »Besetzpartie« zurückkehrten. Und dieser wohlmotivirten Entrüstung gab denn auch dieser Tage ein ehrsamer Bürger den richtigen Ausdruck, als er, bei »Gabesam« eintretend, definitiv erklärte: »Mi halt der dalkerte Eisstoß nimmer für'n Narrn – i war jetzt elf Mal in Nußdorf, weil ma's beim »Wurmser« am besten seg'n könnt – aber 's rührt si ewi nix!«

Ach, Geduld meine Herren! Wünschen wir, daß Sie nicht vielleicht mehr zu sehen bekommen, als der fanatischeste Eisstoßfex sich je träumen ließ. Und sogar jetzt schon gibt es eine Menge Dinge zu schauen, welche für Leute, die etwa das Gruselige lieben, nicht genug anempfohlen werden können; so rechte Schauderscenen, die für einen Makart, der eine »Abundantia des Elends« malen wollte, ein ausgezeichneter Stoff wären. – Sie dürfen nur eines der Rettungshäuser besuchen ...

Treten Sie nur gefälligst ein – warum entsetzt Sie der Anblick? Warum werden Sie so plötzlich bleich und still? Warum bebt Ihre Hand und zittern Ihre Knie und sträubt sich das Haar auf Ihrem Haupte in die Höhe? Nicht wahr, das ist ein überraschendes Bild? Die Farben sind etwas düster, aber – naturgetreu, Sie finden den Jammer, die Noth, die Verzweiflung in einzelnen Figuren prägnant ausgedrückt, echte Studienköpfe für einen Künstler und die Gruppen so ungezwungen, so unabsichtlich und dennoch so – erschütternd! Da sehen Sie einmal jene Mutter an, den wimmernden Säugling an der abgezehrten Brust; Sie gestehen wohl, der Anblick ist nicht frivol? Gewiß nicht. Hier stimmt nichts lüstern, und trotzdem, daß manche Schulter entblößt und manche jungendlichen, nicht unschön geformten Hüften fast so kärglich verhüllt sind, wie bei Theaterdamen in einer glänzend ausgestatteten Corruptions-Operette, so geben Sie zu, daß von einer sinnlichen Augenweide hier füglich nicht die Rede sein kann. Wahrlich nein! Sie fühlen im Gegentheil Ihr Herz zusammengepreßt und Ihre Augen werden allmählich feucht ... Wohlan, so führen Sie doch alle Jene, welche es so sehr bedauern, daß es »nichts zu sehen gibt«, an diese Stätte des unverfälschtesten Kummers, an diese dürftigen Asyle der Bedrängnis; und Betrübnis;, und der Anblick dieser grauenvollen Staffage der bittersten Armuth wird den leichtsinnigen Scherz auf allen Lippen verstummen machen!

Denn es ist viel Noth und viel Elend hier zu schauen. Die armen Kinder entbehren des Unentbehrlichsten, sie zittern vor Frost und vor Kälte, und aus den verglasten Augen, aus den bleichen Gesichtern stiert das mahnende Gespenst des – Hungertyphus. In dumpfer Verzweiflung kauert der Vater dort im Winkel auf einem Strohbündel; von seiner Habe vermochte er nichts mehr zu retten, die sorgendurchfurchte Stirne in den schwieligen Händen, sinnt er und sinnt, wie denn Hilfe noch möglich! Sein Weib sitzt zu seinen Füßen und blickt in stummer Ergebung nach dem Ernährer ihrer Kinder. Sie kannte all ihr Lebtag keinen Ueberfluß, aber sie bangte doch nicht vor der Zukunft, denn zwei rührige, kräftige Arme waren ihr zur Seite, und sie lebten alle zusammen schlecht und recht und im ehrlichen Verdienen, und wenn sie ihr Abendgebet beteten, da dankten sie wohl gar dem Allmächtigen, wenn auch mir eine Wassersuppe auf dem Tische dampfte. Und in dem kleinen Stübchen, das ihre Welt, war alles ihr Eigen, sauer erworben, nur langsam und alljährlich nur ein Stückchen, und mit dem Schweiße der Arbeit erkauft, aber nun doch ihr Eigen, und der Schrank und der Tisch und die paar Stuhle aus weichem Holz und die paar warmen Betten, in die die Kinder so lustig sprangen, waren immerhin ein schöner Besitz. Und sie fühlten nichts von Armuth, ihre Bedürfnisse waren ja gering, und sie brauchten auch noch kein Stück Brot sich zu erbetteln, sie wußten es sich zu verdienen und die Kinder schwuren allabendlich, daß sie sich sattgegessen. Wie das dem Herzen des Vaters wohl that, wie da die Mutter so seelenvergnügt lächelte – und nun Alles dahin, verloren, was so mühevoll errungen und erkämpft; preisgegeben der Noth – der öffentlichen Mildthätigkeit – und nach einem Leben voll schwerer Arbeit mit den Seinen an den Bettelstab gebracht! Seht, die Armen verstehen nicht einmal zu weinen, so sehr hat die Größe ihres Unglücks ihre Sinne verwirrt!

Und nun ändert sich die Scene. Die Vertheilung der Rationen beginnt, und die eingegangenen milden Spenden in Geld und Kleidungsstücken, Schuhwerk und Wäsche werden den Bedürftigsten übergeben. Ach! sie sind wohl alle bedürftig, und die kleinste Gabe ist ein Segen. Und nun jauchzen die Kleinen über all die Pracht und die Herrlichkeit einer wollenen Joppe, eines Tuchspensers, eines gestrickten Leibchens,, einer Flanelldecke; und ein Paar wattirte Schuhe, die irgend ein Knirps in Folge seines besonders wehmüthigen Zähneklapperns sich erobert, machen dem glücklichen Speculanten mehr Freude, als wenn ihm irgend ein fabelhafter Haupttreffer zugefallen wäre. Und die armen Mütter haschen funkelnden Auges nach Wäsche und Linnen und hüllen in liebender Hast ihre frierenden Würmchen darein und schaukeln den kleinen Schreihals auf ihren Armen, bis das erste Lächeln über sein Antlitz fliegt. Und mm meinen sie ja doch, die Vielgeprüften, die kurz zuvor in starrer Regungslosigkeit still hingebrütet, aber es sind Dankesthränen, die ihrem Herzen entströmen und heiß aus ihren Augen hervorbrechen, und sie fühlen sich durch solche rührende Zeichen des edelsten Erbarmens wieder gekräftigt, gestärkt und ermuthigt – um ihr Los weiter zu ertragen.

Und so versichere ich denn nochmals meinen geehrten Lesern und Leserinnen, daß es innerhalb und außerhalb des »Inundationsrayons« gar viel Merkwürdiges zu sehen gibt, d. h. für Jenen, der es sehen will ...

 


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