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Beim Heurigen.

Beim Heurigen! – Die Wiener sind bekanntlich vorwiegend ein biertrinkendes Volk und diese Inclination hat sich trotz der verlockenden Reize der weltberühmten Gaben ihrer sie fast einschließenden Rebenhügel bis zum orthodoxesten Cultus gesteigert, seitdem vor einigen Decennien die beiden Gerstensaftapostel Held und Dreher in Liesing und Schwechat ihre gloriose, reformatorische Thätigkeit begannen. Seit dieser neuen Bieraera trinkt eben Alles Bier, von der zarten Primadonna der Hofoper bis zur minderzarten Amme, vom Unterstaatssecretär bis zum Magistratspractikanten, vom protzigsten Börseparvenu bis zum Feuilletonisten eines Volksblattes, von Frl. Geistinger bis zu Frl. Stubel – und nur in den Zwischenpausen, wenn Wien kein Bier trinkt, trinkt es Wein: Château Lafitte oder Markersdorfer, Moët, Crémant rosé oder Retzer, Piesporter oder Mailberger – oder auch »Heurigen« – und gar besonders für letztere Species bewahrte der Urwiener von jeher ein nationales Faible, das nicht selten in blutig geschlagenen Köpfen der Parteigenossen zum begeistertsten Ausdruck kam. Der »Heurige« ist vielleicht sogar das Bindemittel, das den Wiener inmitten der Bierschwärmerei dennoch Bacchus, dem »fröhlichen Knaben«, nicht ganz untreu werden läßt, und das ihn, wenn die »Saison« naht, daran mahnt, daß er klimatisch, geographisch und landwirtschaftlich eigentlich an den Wein gewiesen ist, welche vitale und nationalökonomische Lehrsätze auch der biedere niederösterreichische Pädagoge Hans Jörgel mit patriotischester Gewissenhaftigkeit unablässig predigt.

Unter »Heurigen« versteht der Wiener eigentlich den vorjährigen, mit anderen Worten den » jungen Wein«, der, wenn der süffige » Most« seine perfide Aufgabe erfüllt und der furiose » Sturm« die Herbstsaison stürmisch beschlossen, nach dieser »Sturm- und Drang«-Periode nur eines kurzen Zwischenactes zur »Klärung« bedarf, um seine Herrschaft anzutreten und – wieder bis zur Zeit der Kelterung der Trauben als junger Wein, oder nach der euphemistischen und anachronistischen Abbreviatur der Wiener als » Heuriger« zu regieren. Most, Sturm und Heurigen trinken und tranken aber die Bewohner (und Bewohnerinnen) der alten Phäakenstadt sammt Umgebung nicht ungerne, vielmehr gerne, ja in besonders gesegneten Weinjahren sogar mit – tödtlicher Leidenschaft.

Die Geschichtschreiber der Vorzeit, d. h. die vormärzlichen Blätter und auch mündliche Ueberlieferungen von Seite ergrauter Kenner des »Gerebelten« und »Rieslers« und »Schmeckerten« wissen nämlich unglaubliche Thaten zu berichten von jenen endlosen Völkerwanderungen, wie sie z. B. im Jahre 1834 ff. nach den Vororten Wiens sich ergossen, und gegen welche die unsterblichen Bacchuszüge des herumzigeunernden, fidelen Gottes der gottlosen Alten in Nichts zerfallen. Denn die Dionysosse des V. U. W. W. sollen auf der Heimkehr von ihren touristischen Ausflügen in die specifischen Heurigengefilde nicht so melodische Ausrufe wie das historische: Evoë! Eleucus! von dem einst Indien widerhallte, ausgestoßen haben; im Gegentheile sollen die classischen Sieveringer und Grinzinger Thäler, die Hernalser Culturen etc. etc. von den tumultuösen Exclamationen des profansten »Schweigels« durchbraust worden sein, unter denen die gelallten Solfeggien unserer vorstädtischen mütterlichen Mänaden und das Geheul der vaterländischen Pardel: der von den benebelten Kindern gepeinigten Pudel, stets am fürchterlichsten erklangen. Diese localen Bacchuszüge waren ferner auch nicht so civilisatorischer Natur, wie jene des städtegründenden Sohnes der Semele; unsere Bezirkssilenen und Satyre des niedersten Steuercensus verwüsteten vielmehr, was ihnen im Weg stand, wobei sie statt in dithyrambische Lobgesänge, in ein kreischendes »Dulliä« (der Heurige ist die Heimat des »Dulliä«) ausbrachen, dem sie erst in späteren Jahren, als das sogenannte »politische Leben« in Oesterreich erwachte, das fortschrittliche »Obst hergehst zu mir!« supponirten.

Denn der »Heurige« hat immer und von jeher sein eigenartiges Publicum und nur eine »gewisse« Volksschichte bildete seine stabilen Stammgäste. Freilich machte sich dann und wann auch ein Consortium von enragirten »Weinbeißern« der besseren Stände auf den Weg und pilgerte hinaus in die elysäischen Felder Nußdorfs und des Kahlenbergerdörfels, auf jenen Etapenstationen Rast haltend, wo symbolisch »unser Herrgott die Hand herausreckt«, zum Zeichen, daß es hier gut sei und man sich niederlassen möge. Aber diese sporadischen Volontärs, die sozusagen das Elitecorps unter den »Gschwandtnerzechern« waren, verschwanden in dem chaotischen Durcheinander jener wilden Karawanen, die in nachlässigster oder urwüchsigster Toilette herangestürmt kamen, auf dem occupirten Terrain unter der artistischen Leitung des Grueber Franzi, dieses unvergeßlichen Maestro der vierzeiligen, ihre Dudler- und Trinkorgien feierten und in noch derangirterer Toilette heimwankten oder auf irgend einem Karren zur Spedition an den häuslichen Herd verladen wurden.

Beim »Heurigen« war ferners das Rendezvous der sogenannten »feschen Geister« (beiderlei Geschlechtes); beim Heurigen fanden sich die prononcirtesten Repräsentanten jenes Urtypus der Wiener ein, deren charakteristische Merkmale in meinem gelehrten »Essay« über die » Schmer« nachzulesen; beim Heurigen war der Sammelplatz jener sorglosen und leichtlebigen jungen und alten Herren, deren Virtuosität darin bestand, all das, was sie besaßen, möglichst schnell zu »verjuxen« und zu »verhauen«; zum Heurigen kamen alle Jene, denen »a Zithern« und »a harber Tanz« und »'s Klanglanett« zum Leben so unentbehrlich war, wie dem Fisch das Wasser, und denen das berüchtigte geflügelte Wort: »Verkauft's mein G'wand, i bin im Himmel!« zum gerechten Aerger der himmlischen Heerschaaren aus dem überseligen Busen quoll. Beim Heurigen brillirten weiters jene starknervigen Exemplare aus der Gattung des schwachen Geschlechtes, die mit den schmucken Resten einer entschwundenen Costümaera: dem gelbseidenen Kopftüchel, dem schwarzen Sammtspenser und rothen Rock (also in echt germanischen Farben) angethan, den einen Fuß auf der Bank, mit der ausgestreckten Rechten das irdene Weinkrügel haltend, die neuesten Piècen ans dem Repertoire des vierzeiligen Genres in elektrisirenden Rhythmen zum Besten gaben, wobei die Collegen und Colleginnen der Primadonna durch stylgerechtes »Paschen« accompagnirten, welche beide Kunststücke zusammen übrigens auch noch heutigen Tages ein bemoostes Haupt unter den Jodlerinnen beim »Stadllehner« producirt. Zum Heurigen kam schließlich auch der Kern des Wiener Volkes von den »Gründen«, der tiers état der Vorstädte »mit Kind und Kegel« und wälzte sich mitunter, wenn er im kalten Vorfrühling oder frostigen Herbst bei besonders starkem Andrange unter der Einfahrt auf leeren Fässern Platz nehmen mußte, dafür im Sommer überwohlig im Grase.

Und inmitten des Volkes, des singenden, lachenden, trinkenden Volkes saß damals auch fast täglich der »Dichter des Volkes«, der tiefsinnige Ferdinand Sauter, der die elegischesten Lieder auf Fetzen Papier hinwarf, und der erst aufthaute, wenn's recht toll um ihn herum wurde und der »Grueber Franzi« auf dem ofterwähnten »picksüaßen Holz« die altbekannten Weisen spielte. Dann sprang Sauter in die Höhe, schnalzte mit den Fingern und sang wohl auch ein paar Strophen aus dem Stegreife, wie etwa die folgenden:

»Die Stiefel san z'rissen,
Der Strumpf hat a Loch,
Und da kummt am da Schuaster
Jetzt no mol so hoch!
's G'wand, das is schleissig,
Was liegt aber d'ran;
Wann ma beim Gschwandtner
Nur eintreten kann!« u. s. w.

Im Laufe der Zeiten, der diversen politischen Wandlungen und des vierundzwanzigjährigen Disagios unserer vaterländischen Geldzeichen ist Vieles und sind auch die Menschen anders geworden. Der alte, harmlose Spaß, der sich nur des Spaßes wegen gab, ist unter den Massen längst verschwunden; an seine Stelle aber trat nicht etwa der ätzende Witz eines denkenden und kritisirenden Volkes, sondern die brutale Frivolität, die von gewissen Seiten eigens gepflegte und geförderte Zote wurde die Parole des Tages, welcher Geschmack nach den verschiedensten Richtungen sich ausbreitete, Wurzel faßte und schließlich jede gesunde Regung des Volkes überwucherte. Die Demimonde kam zur Herrschaft und wurde Modesache, liederliche Weiber wurden die gefeierten Heldinnen eines großen Theiles unserer Gesellschaft, man machte mit den kostspieligsten Maitressen förmlich öffentlich Staat und brüstete sich mit deren Besitz, elegante Etablissements gaben sich zum Tummelplatze cancanirender »Dirnen von der Straße« her, kuppelnde Regisseure fanden sich, die das Ganze in ein »System« brachten, und die moderne »Weltstadt«, nach welchem Rufe wir so lange geseufzt, war fertig. Was Wunder, wenn das Volk, das leicht erregte Volk, das lustige und kurzweilige Beispiel in allen Dingen nachzuahmen suchte; wenn es ebenfalls nur Gefallen an gesungenen, gesprochenen, getanzten oder agirten Obscönitäten findet und fand, und wenn es, einmal in diese Richtung gedrängt, jedes andere »Amüsement« nicht als solches, sondern als das gerade Gegentheil, als eine langweilige Folter erklärt.

Und so nahmen denn auch die meisten Unterhaltungsorte des Volkes diesen »pikanten« Charakter an und gaben sich allmählich ungescheut selbst das Gepräge als – Sammelplätze der Demimonde. Unsere lieben Volkssängerinnen, welche die »göttliche Liebe«, wie sie Abends feilgeboten wird, besangen, waren die ersten Lockvögel, welche die Nachtvögel, wie ein Magnet das Eisen, an sich zogen, und diese lauschten mit ihren Cumpanen gar verständnißinnig der versificirten Veröffentlichung der Geheimnisse ihrer Genossenschaft. Das übrige Publicum, das nolens volens zum Zeugen und Theilnehmer von derlei liederlichen Symposien gemacht wurde, lachte anfänglich dazu, nach und nach gewöhnte es sich an die unsauberen Productionen und ditto Gesellschaft, ja es suchte schließlich dieselbe auf und es fand sie leider stets und – je nach der Saison, auch überall.

Auch der Besuch des »Heurigen« hat seine Saison und auch der »Heurige« bekam mit der Wandlung aller Dinge ein neues Publicum. Die räucherigen, mit Talglichtern kümmerlich erleuchteten Stuben der »Hauer«, die gleichfalls nicht auf's Comfortabelste eingerichteten Localitäten und Gärten jener historischen Filmen, wo seit den Tagen des grauesten Alterthums »Heuriger« geschänkt wurde: beim Gschwandtner, Mandl, Gradinger, Stadllehner, Grünbaum, Weigl, oder auch beim » Milliweib« in Hernals, oder beim Salvigni und beim » Hufschmied« in Dornbach u. s. w. u. s. w., waren nie Pflegestätten für Bildung und Gesittung, aber sie waren keine priviligirten Refugien der Demimonde, wie es heute so viele Heurigen-Etablissements sans gène sind. Dieses Renommé und, vielleicht auch der bedenkliche Ruf der Weinqualität, welche es an manchen Orten ohne Zuziehung des Professors Kletzinsky nicht räthlich erscheinen läßt, auch nur einen Tropfen der Kehle und dem sonstigen Inneren anzuvertrauen, sind ohne Zweifel Schuld, daß beim Heurigen dermalen die Weintrinker in der Minorität, dagegen die »Hetzsucher« und was dazu gehört, in der turbulentesten Majorität sich befinden.

Wer geht heutigen Tages zum Heurigen? Nicht mehr ausschließlich die im Eingange meiner »Studie« geschilderte Sorte der »alleweil Fidelen«, der drastischen Typen der unteren Schichten, der classischen Originale von den »entern« Gründen, Wohl findet man hin und wieder einen feschen Hausherrnsohn, der mit einem gleich »feschen Zeugl angebremst« kommt, und mit dem unvermeidlichen »harben« Buldogg dräuend in die Menge tritt. Wohl findet man noch in einzelnen Exemplaren das weiße »Nachtleibel« des mit der 66er Frisur markirten »Pflastererkarl's« aus der dunkelfarbigen Masse hervorblitzen; wohl leuchtet auch von irgend einem bescheidenen Ecktischchen das grelle Kopftüchel und das lichte »Kasettl« (Corset) der nachbarlichen »Wäschertonerl« freundlich herüber; wohl jauchzt noch zu Zeiten ein »Fix Diarndl Laudon!« aus dem liebeglühenden Herzen eines Fiakers, der in sieben Minuten vom Graben »auf d'Südbahn zum Eilzug« zu fahren gewohnt ist, an die Saaldecke; wohl kommen dann und wann ein paar Seidenzeug-Veterane vom Schottenfeld, die hier an der Wiege ihres Ruhmes Nachschau halten, ob die dilettirenden Söhne der Väter würdig seien – aber alle diese Gestalten der früheren »Heurigen-Epoche« werden verdrängt von der Unmasse jener »Damen« und Herren, die zu anderen Stunden an den Standplätzen der Venus vulgivava ihr Hauptquartier aufgeschlagen.

Ein neu Geschlecht ist erstanden, auch beim Heurigen, und sogar ein neues Kellner- und Musikantenthum fungirt und producirt sich in den modernisirten Räumen. Der » blinde Poldl« ist verschollen, der » Grueber« ruhte längst auf seinen Lorbeeren aus, die er sich mit dem blechernen Stiefel eingesammelt, der alte Fink ist todt, die Finkin wohl auch und nur der alte Karl schlendert verdrießlich herum und servirt die »Schweinszüngel« und das »Theilsame« und »Abgezogene« unter dem constitutionellen Regime zwar nicht mit derselben Bonhomie wie unter Metternich, aber mit demselben unförmigen Gehrock. – –

Nach mehr als zwanzig Jahren kam ich selbst wieder hieher. Die Atmosphäre war mit Schwefeldünsten und anderen gefährlichen Gasen geschwängert; ich trat, wie einst, auf Eier- und Nußschalen; die Ausspielerinnen, die mit »Engländern« oder »Corsicanern« hausirenden Invalidinnen, die Bettler und stets »vacirenden Handwerksburschen« stießen und drängten mich wie ehedem herum, ja selbst der »Hahn« und die großen »Weinberlkipfel«, die eben verlost werden sollten, aber wieder nicht gewonnen wurden, schienen derselbe altersmüde Hahn und dieselben altgebackenen Kipfel zu sein, die mir in meiner Jugend angepriesen wurden. Aber sonst war Alles anders geworden, und ich fühlte mich völlig fremd, wo ich freilich nie heimisch gewesen. Das kleine Orchester beging die Anomalie, den Godfroy'schen »Garde de la Reine«-Walzer zu spielen, Frauenstimmen mit der anrüchigen »Abtheilungs«-Heiserkeit kreischten, ihre Begleiter zankten mit einigen unerfahrenen Gelbschnäbeln, andere »Damen« in Seidenschleppen eilten von Tisch zu Tisch und tranken den »jungen Herren« (Gott sei Dank!) den Wein aus, wein- und schlaftrunkene Kinder schrieen, und in meiner nächsten Nähe gaben ein paar wüste Gesellen zum Spaße einem halbblöden zehnjährigen Kellnerbuben schallende Ohrfeigen, das Stück zu zwei Kreuzer, worauf der Witzigste der Gesellschaft unter dem herzlichsten Gelächter der »Damen« den armen Burschen extra noch für zehn Kreuzer bei den Haaren in die Höhe zog. ...

Ich amüsirte mich nicht. Weder die Scenerie, noch die Acteurs und Actricen und Comparsen waren nach meinem Geschmack. Ich wollte wieder einmal »Wien und die Wiener beim Heurigen« sehen, worüber ich einst so viel gelacht und wovon man im »Ausland« so viel Lustiges zu erzählen weiß, und ich fand, was man Nachts in gewissen Cafés ebenfalls finden könnte. Hol's der Kukuk! Wo ist wenigstens die alte » Judenpepi«, seit vierzig Jahren die erste »Dudlerin und Pascherin« des Jahrhunderts? »Sie ist schon z'Haus gangen!« lautete die Antwort. »Jetzt schon, um sieben Uhr?« – »Ja, – weil's an Rausch g'habt hat!« – – Die gute Matrone! Also auch sie! Oder soll ich diesen vorzeitigen Rausch recht verstehen? War es der Rausch eines verzweifelnden Herzens, das von einer entarteten Epoche nicht erfaßt, in seiner ganzen Größe nicht gewürdigt wurde? Wer weiß! Aber der Ignaz konnte mir keine nähere Auskunft geben und – ich wandte mich schmerzlich ab und zerdrückte eine Thräne.

 


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