Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Unsere Köchinnen.

Jean Paul sagt: »Ein Kind kann leichter eine ganze Familie versalzen, als versüßen.« – Dasselbe, meine ich, gilt wohl auch in der weitesten Bedeutung des Wortes vom »Dienstboten«, dessen Berufsthätigkeit und sociale Stellung zu sehr in unser Familienleben eingreift, um nicht einer der wichtigsten Factoren unserer häuslichen Ruhe, ja oft unseres häuslichen Glückes oder Unglückes zu sein.

Unter »Dienstboten« rechne ich nach dem Muster vornehmer Häuser natürlich Alles, was um Lohn dient. Ich zähle dazu die mit den Kenntnissen eines Gelehrten ausgerüstete Gouvernante, den manchmal nicht minder gebildeten Hofmeister, die französisch plappernde Schweizerbonne, den Stiefelputzer, das Abwaschweib, den Kammerdiener, die Köchin, den Leibjäger, das Stubenmädchen u. s. w., ja unter gewissen Bedingungen sogar das Gesellschaftsfräulein, wenn es auch in der Equipage mitfahren, in der Loge mitlorgnettiren und im Salon die Honneurs machen darf. Eines Tages erscheint doch der Moment, wo die Vielbeneidete trotz ihrer äußerlichen Würde als »Dienstbote« behandelt und einfach – davongejagt wird.

Aus diesem vielköpfigen Domestikenstatus wähle ich mir nun für meine dermaligen Betrachtungen die » Köchinnen«, d. h. speciell jenes Geschöpf, das in der Region des Herdes waltet, unserm Magen und mithin auch unserer Gemüthsstimmung zum Segen oder zum Fluche werden kann, und ungeachtet dieser schwierigen Mission von oberflächlichen Charakteren mit dem leichtfertigen Namen »Kucheltrabant« titulirt wird. – Kucheltrabant! wie geringschätzig, wie undankbar, wie unvorsichtig – und die also Geschmähte hat doch Dein Leben in ihrer Hand und kann Dich mit einem angebrannten Kohl zu Tode ärgern, mit einem schmucklosen »Haar in der Suppe« Dir ein schleichendes Fieber an den Hals hetzen, oder Dich mit einer verdorbenen Hasensauce vergiften.

Damit habe ich denn auch nicht nur den Wirkungskreis, sondern vielmehr die ganze furchtbare Macht angedeutet, welche mit den scheinbar ruhmlosen Gestionen der irdischen Stellung einer »Köchin« verbunden ist. Sie kann, will sie nebst der »Zuspeis« etwa auch noch »Rache« kochen, ohne gegen einen Paragraphen des Strafgesetzbuches zu verstoßen, Dich »umbringen« – hüte Dich deshalb, den Geschmack nach dieser Art Kocherei in ihrem oft energischen Busen zu wecken!

Die praktische Köchin kennt wohl auch den Werth ihres Berufes und ihrer persönlichen Dienstleistung. Nicht immer zu der prosaischen Aufgabe verurtheilt, Erdäpfel zu schälen und Knödel zu ballen, lächelt Einzelnen aus dieser Aschenbrödelcharge doch ein freundliches Geschick und betraut sie dann mit wichtigeren Obliegenheiten, deren natürliche Consequenz die ist, daß die Begnadete allmählich ihrer Subordination entkleidet, zur Primadonna der betreffenden Haushaltung avancirt. Denn die »Köchin« ist oft nicht nur die erste (platonische) Liebe des »jungen« – sie ist auch noch öfter die letzte Liebe so manches »alten Herrn«, der die geschätzte Verfasserin seiner Lieblingsgerichte vorerst mit einem großmüthigen Legate bedenkt, und – was noch generöser, am Schlusse seiner Tage sogar eigenhändig zum Traualtäre führt.

Mit solch herrlicher Entlohnung schließt jedoch nicht jede Köchincarrière. Obwohl Brautkleid und Myrthenkranz die Zielpunkte auch dieser weiblichen Species sind, und die Mehrzahl der unablässig das Feuer des Herdes und der Liebe schürenden Pseudo-Vestalinnen, wenn schon nicht ein sanguinisches zweistöckiges Hausfraugelüste, doch die verzeihliche Tendenz hegt, daß sich nur irgendwo, und sei's im dürftigsten Vorstadtwinkel, einst »am eigenen Herd die eigenen Pfühle heben« – so erlebt heute doch nur mehr die Minorität dieses kirchliche Prämium der jungfräulichen Prüfungsjahre, denn die Majorität beendet den wechselvollen Lebenskampf meist schon frühzeitig im Spitale oder im – Findelhause.

Das Herz der Köchin ist nämlich am reichsten mit Liebe ausgestattet. Kein Geschöpf erfreut sich eines solch unerschöpflichen Vorrathes von Liebe, keines ist so glücklich organisirt, daß es z. B. nach »Transferirung« des Ideals augenblicklich ein neues Ideal zu recrutiren versteht. Die Köchin liebt stets, und kann sie auch nur alle vierzehn Tage legalerweise beim »Stadtgut« oder bei der »Hühnersteige« ihr Haupt an einen Ueberschwungriemen lehnen, unter dem ein gleich warmes Herz schlägt, so weiß sie doch auch die restlichen dreizehn Tage, respective Abende in ähnlich beseligender Stimmung zu genießen, wenn sie den civilen Schwüren beim Hausthore lauscht oder auf der »Schlapfen-Promenade« den Causerien einiger peripatetischen Schustergesellen ihr Ohr leiht.

Gründliche Naturforscher wollen diesen nie zu löschenden Liebesdurst der Köchinnen von deren theilweise aufregenden Beschäftigung in der Küche, d. h. der Herdhitze, von dem Anblicke des siedenden, brodelnden Wassers, das an die stürmische Suada des Auserwählten erinnert u. s. w., ableiten. Ich will jedoch in die Begründung dieses Causalnexus nicht näher eingehen und erkläre mir Ursache und Wirkung überhaupt auf eine viel natürlichere Weise, indem ich das Motiv der innerlichen Köchinnengluth nicht auf Rechnung der Gluth des Sparherdes, sondern auf die unter Köchinnen übliche, wechselseitige Rapportirung der eigenen Glückseligkeit, auf die alarmirenden, mitunter beängstigenden Traumauslegungen beim »Miliweib« oder der »Kräutlerin«, auf die verwirrenden Impromptus des »Aufhackknechts« und die vertraulichen Communiqués der Greißlerin oder der »Brotsitzerin« bringe. Diese Fluth von Nachrichten, welche selbstverständlich stets halbstündige Dialoge der frappantesten Textirung im Gefolge haben, dieser rückhaltlose Ideenaustausch verwandter Seelen, diese freigeisterliche Conversation über die heiklichsten Themata müssen auch noch stärkere Nerven, als sie einem »schwachen« Weibe zu Theil geworden, in Aufregung, das Blut in Wallung bringen und die Sinne bestricken.

Dazu kommt noch zum Ueberflusse die »Anfechtung« in nächster Nähe. Es gilt, den Versucher, der manchmal sogar in Gestalt des »gnädigen Herrn« naht, zurückzuweisen und seinen Schmeichelworten zu widerstehen. Es gilt für die schmachtenden Blicke des Zimmerherrn blind zu sein und den begeisterten Schwüren des Hauslehrers zu mißtrauen: etc. etc. Derlei stürmische Episoden in den Memoiren einer Köchin treten freilich nur dann in ihrer ganzen folgenschweren Wichtigkeit zu Tage, wenn die Heldin »jung und sauber« ist. Bei jenen unglücklichen Geschöpfen, die von der öffentlichen Meinung in die Rubrik »schiache Raffel« rangirt werden, zeigt dagegen die Tages- und Wochenchronik die monotonste Einförmigkeit, verfließt das Leben freuden- und ereignißloser – und der unbeachteten Dulderin blüht, wenn sie durch ein halbes Jahrhundert schmutzige Wäsche gewaschen und Mehlspeise gewalkt, für solch tragisches Erdenwallen vielleicht nicht einmal der vielersehnte Tugendpreis, sondern nur die prosaische Dienstbotenprämie als Summe des Erreichbaren, und sie kann in der Ressource »zum blauen Herrgott« zur Mumie vertrocknen.

Und da bin ich auf jenem Punkte angelangt, von dem ich ausgegangen, als ich die Köchin als zeitweilige Missionärin für ehelichen Hader und häuslichen Unfrieden erklärte. Die saubere natürlich, oder auch die nur diplomatische. Von dem Momente an nämlich, wo die Köchin merkt, daß sie »Gnade vor dem Herrn« gefunden und diese, die Magd betreffende Diagnose auch von der Frau des Hauses gestellt wird – oder umgekehrt, wenn es plötzlich wie Schuppen von den Augen des Hausvaters fällt und er in seinem Quellenstudium und seinen kritischen Forschungen über so manche dunklen Partien in der »Geschichte seines Hauses« mit einem Male die Wahrnehmung macht, daß seine eheliche Genossin die Verschwiegenheit der Magd zu erobern wußte, und in beiden Fällen trotzdem vielleicht sogar das Verbleiben der Mitschuldigen zur conditio sine qua non bei Abschluß der Friedenspräliminarien gemacht wurde, dann ist's mit der häuslichen Ruhe vorbei und die Zwietracht öffnet ihre Schleichen, um das unsäglichste Elend zwischen Deinen vier Mauern auszugießen. Und diese Schlange, die Du, theuerste Leserin oder freundlicher Leser, an Deinem Busen genährt, erhebt dräuend ihr Haupt und macht Dich zu ihrem willenlosen Gefangenen, Du verstehst ihr höhnisches Züngeln und gedenkst zitternd des Giftes, mit dem Du dieses Ungeheuer in Krinoline und Wellenscheiteln durch ein fatales Geheimnis; selbst bewaffnet hast.

Zu dieser hervorragenden Stellung einer stets »drohenden Gewitterwolke«, einer, sozusagen dominanten Obermacht im Hause, gelangen jedoch bei den gegenwärtigen, meist äußerst toleranten Hausgesetzen nur mehr wenige aus der Küchenbranche. Es ist theilweise nicht mehr nöthig, und die tragischen Conflicte, welche das Fatum in Gestalt einer üppigen »Juli« oder einer verschmitzten »Hanni« zwischen ehelichen Gesponsen sonst so häufig aufgethürmt, sind auch längst aus der Mode – theils hat die Köchin der neuesten Aera selbst das Verlangen nicht, zu dieser oft undankbaren socialen Bedeutung sich emporzuschwingen. Die moderne Köchin competirt auch nicht mehr um die mühevolle Gloire eines »schönen Zeugnisses« und des Rufes einer langen Dienstzeit an »ein und demselben Platze«. Sie benützt ihr Küchennoviziat meist nur, um sich einige Platzkenntniß zu erwerben, sie reibt zwar, um den Schein zu retten, sogar die Schaffel und putzt das Eßzeug, aber ihr Bestreben geht doch dahin, sobald als möglich die schmutzige Schürze abzulegen und sich selbstständig zu etabliren ...

Es dünkt nämlich Vielen nicht opportun, Windeln zu waschen und Kraut einzubrennen, wenn man sich »ob schön, ob Regen« beim Sperl oder in der Walhalle amüsiren kann. Nebstbei erlösen sie sich durch solche Emancipation von den Chicanen einer mißtrauischen oder knauserischen Gebieterin, die ihnen das Mehl vorwiegt, die Zündhölzel vorzählt und das traditionelle »Körbelgeld« bemängelt. Sie finden die Melange bei Fritzmann sodann auch viel schmackhafter, als das »G'schlader«, das ihnen die »gnä' Frau« componirte und die Cotelettes bei Lindwurm nahrhafter, als das »G'frast«, welches ihnen im letzten »Schnackerldienst« vorgesetzt wurde. Auch eine Polka mit dem Schani ist lustiger, als die Seccatur der »kecken Fratzen« u. s. w.

Aber da komme ich auf ein Gebiet, das einer eigenen Besprechung werth wäre, nämlich: »wie Köchinnen in manchem Hause gehalten werden« – ein Capitel, das ich mir für eine spätere Gelegenheit reserviren will. Wie dem auch sei, so viel steht fest, daß die Demoralisation unserer Dienstboten in vielen Fällen keine freiwillige, sondern beinahe eine octroyirte ist. Wenn – wie es vorkommt – es in gewissen Häusern sogar Sitte ist: der Köchin trotz elender Kost keinen Lohn zu zahlen und sie nur mit der Erlaubniß zu regaliren, über ihre Abende frei zu verfügen, dann sind eben auch die Consequenzen solcher bequemen Einrichtungen nicht allzu überraschend. Es fällt mir nicht ein, zum Apologeten einer modernen Köchin zu werden, welche häufig nur zur Aspirantin für das Pensionat in Neudorf wird – aber wenn man billig ist, so könnte man einen bekannten Satz Shylock's variiren und beinahe sagen: »Die heutige Köchin haben erst die ›Herrenleut'‹ so gemacht!« –

 


 << zurück weiter >>