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VI. Anhang. Zur Tagesgeschichte.

Im Elysium.

(Eine kleine communale Apotheose. 26. November 1868.

Unter » allgemeiner Heiterkeit« auch der seligen Zuhörerschaft gibt »Vater« Kleyhonz soeben eine Erzählung seines gemeinderäthlichen Erdenwallens zum Besten, und schließt – sein »geliebtes Deutsch« zu Zeiten noch immer nicht ganz in der Gewalt – mit den Worten: »Ja, meine lieben Engerln und Engel, so hab' ich manchmal » sekkirt« pane Burgermeister; war mir selbst oft lad, aber hab' ich nicht anders können, Nation meinige, buckbanige, macht immer so, wann will durchsetzen, was hat einmal in Kopf g'setzt alleweil!«

(Ein unter einem früheren Bürgermeister in das bessere Jenseits hinübergegangener Schatten): Muaß a guater Mann sein, der Zelinka. (Seufzt.) Zu meiner Zeit hat man nur immer auf » Repräsentation« g'schaut – mein Gott! wann nur wir Bürger auch was davon g'habt hätten!

Kleyhonz: Zelinka schaut auch auf Repräsentation, aber repräsentirt nur » Wiener Gutmüthigkeit«!

Ein anderer Schatten: Das ist das Wahre! Geht's, trinken wir a Glasl Klosterneuburger auf seine G'sundheit! Stoßt's an! Der Zelinka soll leben, noch viele, viele Jahre zum Besten meiner Landsleut! A so an Bürgermeister hab' i ihnen schon lang g'wünscht. Also: Hoch der Zelinka! Hoch das neue Wien! (Jubelndes Gläserklirren. Es klopft.)

Der Pförtner: Wer ist d'raußen?

Eine sanfte Stimme: Ein Wiener aus – Wischau.

Kleyhonz (erschreckt): Wiener aus Wischau? Wischau? Na is ja ... um Gotteswillen, macht's auf! Die Stimm', der freundliche Ton is mir bekannt, mich trifft der Schlag vor Angst und vor ... Freud'! (Es wird geöffnet und herein tritt mit einem Palmzweige in der Hand und einem Cypressenkranze auf dem Haupte: Zelinka.)

Kleyhonz (ihm um den Hals fallend): Jesus, mein guater Bürgermeister! (Alles drängt sich um die Beiden.)

Zelinka: Nicht wahr, lieber Kleyhonz, das ist g'schwind gangen? Ich bin Ihnen bald nachkommen? (Leise.) Es hat mich halt doch nimmer recht g'freut unten – so ganz allein. (Laut.) Aber jetzt führt's mich nur schnell zu meiner Monika. Wie geht's ihr denn? Ich möcht's gern überraschen ... ich hab' ihr ein' heimliche Freud' g'macht – da schauen's her: das rothe Leiberl, das' vor vierzig Jahren tragen hat und das ihr so gut g'standen is, das hab' ich aufg'hoben und ihr mitbracht, das muß's jetzt wieder tragen; und ihre Brief' hab' ich auch mit, die muß's mir jetzt alle Tag' vorlesen – meine Brill'n hab' ich ohnedem nicht mit, weil ich's mein' alten Freund Khunn g'schenkt hab'. Also wo is's denn?

Ein alter Schatten: Die führt uns die Hauswirthschaft. Wir finden keine bessere – sie ist ein wahrer Engel!

Zelinka: No, das g'freut mich, daß mein' Monika da herob'n auch so geehrt wird, unten auf Erden habn's die Leut' gern g'habt, die gute Seel'!

Kleyhonz (mit Feuer): Stell' ich den Antrag, daß eine Deputation von neun Schattenmitgliedern die Frau Bürgermeisterin im Triumphe herbeihole. (Einstimmig angenommen.)

Zelinka (sich den Schweiß trocknend): Das war ein schwerer Abschied von meine lieben Wiener. Aber Sie, Kleyhonz, haben auch eine schöne Leich kriegt, und was für Nekrologe! (Kleyhonz mischt sich eine Thräne ab.) Sogar die » Neue Freie«, die alleweil was zu nergeln hat g'habt an Ihnen, hat g'schrieben, daß Sie ein ehrlicher, wackerer Bürger waren. (Kleyhonz richtet sich stolz in die Höhe.) Und das Gedräng' bei der Leich! Ihrer Frau habn's gar das Portemonnaie g'stohlen ...

Kleyhonz (heftig): Zatrace ...

Zelinka (beschwichtigend): No, no; das wird auch noch zu verschmerzen sein; sans da herob'n auch gleich so in der Höh'? Da entzieh' ich Ihnen das Wort!

Kleyhonz (gutmüthig): Verzeihn's mir, daß ich Ihnen hab' oft Gift und Gall g'macht ...

Zelinka (freundlich): Macht nix! (Reichen sich die Hände.)

Kleyhonz: Aber jetzt nehmen's Platz. Ist zwar bisl feucht hier, von wegen Wolken, was ich hab' für Stuwer herg'richt, aber –

Zelinka (sich niedersetzend): Schad't nix. (Lärm in der Nähe, man bringt unter freudigem Jubel):

Frau Monika (auf Zelinka losstürzend): Andres! Andres! Na bist ja! Aber so spät! So lang' hast mich warten lassen! Vierzehn Monate – und hast doch versprochen, daß d' bald nachkommst! (Bedeckt ihn mit innigen Küssen.)

Zelinka (gerührt): Da schau', jetzt fangt's zum Zanken an. Ich hab' ja ohnehin gleich mitgehen, oder doch wenigstens gleich nachfolgen wollen – aber, wenn's mich unten nicht fortlassen! Dann die Menge Arbeit! Jetzt, wo die Donauregulirung ...

Kleyhonz (einfallend): Was wird mit Freibad?

Zelinka: Mir scheint, Sie geb'n da auch noch kein' Ruh'? Mit Ihrem ewigen Freibad! Hab'ns da herob'n nit a schon an's erricht'?

Kleyhonz: Bis ich passende Platz hab' g'funden, daß arme Lehrbuben-Engel nicht brauchen gar zu weit zu laufen.

Zelinka: Hab'ns mit 'n Kouff schon unterhandelt?

Kleyhonz: San me noch bös aufeinand'! A potom! Was is sonst Neug's?

Zelinka: Nun, den Act über den Gasbeleuchtungsvertrag hab'ns endlich g'funden.

Alle (verwundert): Ah, das ist ja fast unglaublich!

Zelinka: In der Stubenthorschule wird schon geheizt.

Alle (noch mehr verwundert): Warum nicht gar?

Zelinka: Ja, es geht jetzt Alles sehr rasch. Und eine Harmonie ist – daß es eine Freud' ist; Alles ein Herz und ein Sinn. Nur die Hausherren wollen auf einmal nix mehr zahl'n.

Ein exhausherrlicher Schatten: Das war bei meiner Zeit auch schon. Ein ordentlicher Wiener Hausherr muß raunzen.

Kleyhonz: Was is mit Bürgergard'? Was is mit grußmächtige Vermögen von Bürgerartillerie?

Zelinka: Da reden wir später einmal davon.

Kleyhonz: Und Neujahrsenthebungskarten? Und Lose zur Armenlotterie?

Zelinka: Aergern's mich nicht, lieber Kleyhonz. Sie wissen, daß ich selbst von jeher ...

Frau Monika (einfallend): Tu, auf ein Wort! Was ist's denn mit mein' Brillantschmuck?

Zelinka: Den hab' ich der Schottenkirche vermacht. Mein Freund, der Galscher ...

Frau Monika (herzlich): Und die armen Leut' – hast auf sie denkt?

Zelinka (freudig): Alles in Ordnung – ich glaub', man wird mit mir zufrieden sein, (Allseitiges Bravo. Einige Kinderschatten drängen sich heran, küssen ihm die Hände und rufen innig: »Lieber guter Papa!«)

Zelinka (erstaunt): Papa? Was heißt das? Monika! Man will mich in Verlegenheit bringen – glaub's nicht!

Kleyhonz (begütigend): Aber lassen's doch Hand küssen, Papa! Sind ja nur städtische Waisen, was verehren Ihnen wie Zweiten Vater. (Die Kleinen weinen.)

Zelinka (freundlich): Ah so is die G'schicht! Nu, wie is 's Euch denn gangen, ihr armen Waserln?

Die Kleinen: Gut! Gut! Aber da herob'n geht's uns doch besser. Die Frau Monika ist eine gar so a gute Mutter!

Ein mürrischer Schatten (ernst): Herr Doctor! Wird der gewisse Vertrag mit den Schulbrüdern –

Kleyhonz (einfallend): Das ist mein Antrag, werd' ich stellen später!

Zelinka: Apropos! Gibt's hier gar keine Zeitung? Ich möcht' gern etwas lesen – über ... mein' Leich!

Der Pförtner: Noch nicht. Die Expedition ist ein bisl mangelhaft – aber sie muß doch bald kommen. (Ein seliger Colporteur schiebt das Blatt durch eine Wolke.) Da is's schon!

Alle: Vorlesen! Vorlesen! Der Kleyhonz soll lesen, der liest am besten!

Kleyhonz (lächelnd): Möcht' ich gern lesen, aber geh'n mir die Augen über – kann ich nicht, muß ich weinen. (Weint.)

Ein Schatten (der bisher abseits gestanden, drängt sich plötzlich herbei, fällt vor Zelinka auf die Knie und ruft): Verzeihung, edler Mann! Laßt es für mich die Sühne und Buße sein, wenn ich's verkündige, wie Wien seine treuen Bürger ehrt!

Zelinka (fährt sich mit der Hand über die Stirne; schmerzlich): Unglücklicher! Warum haben Sie uns Allen damals das angethan? (Der Schatten birgt sein Haupt in Zelinka's Schoß.)

Ein Waisenknabe: Ich will vorlesen, bitte! bitte!

Alle: Lies! lies!

 

Der Kleine liest nun: »Die Leichenfeier Zelinka's.« Die Schatten alle lauschen in athemloser Stille. Zelinka sitzt, in Gedanken versunken, das Haupt auf seine Brust geneigt. Frau Monika lehnt, den Arm um ihn geschlungen und ihr Antlitz verhüllend, den Kopf an seine Schulter, die Umstehenden gruppiren sich zu seinen Füßen und sehen mit verklärten Augen zu ihm empor. – Und als man nun vernahm, wie sein Hinscheiden Hunderttausende mit Schmerz und Kümmerniß erfüllte,, wie er geliebt und geachtet und geehrt von Hunderttausenden gewesen, wie sich Hoch und Niedrig, Arm und Reich nach seinem Sarge gedrängt, um der theuren Leiche den letzten Abschiedsgruß zuzurufen, als man vernahm, wie alle Schichten der Bevölkerung in ihm ihren gemeinsamen Freund, ihren gemeinsamen Wohlthäter, ihren gemeinsamen Vater verloren und betrauerten, wie graubärtige Krieger an seinem Todtenbette weinten, und die ärmsten Kinder ihren einzigen Sparpfennig opferten, um einen Kranz und ein schmuckloses Band auf seinen Sargdeckel legen zu können; als man vernahm, welche Worte an seinem Grabe gesprochen wurden, wie man seinen Bürgermuth und seinen Rechtssinn ehrte, seine Milde und Güte, und wie er auf dem großen weiten Erdenrund nicht einen einzigen Feind zurücklasse, und die Tausende und aber Tausende ihm nur ein weihevolles »Amen!« in's Grab nachriefen – – da weinten selbst die Seligen in Elysiums Gefilden, Zelinka umschlang seine treue Lebensgefährtin, erhob sich und rief mit freudeglänzenden Augen: » Nicht einen einzigen Feind!« Und so geliebt und geehrt! Nicht wahr, Monika! So stirbt's sich leicht – und – ich habe nicht umsonst gelebt?!« – Dann sank er in einen leisen Schlummer.

Kleyhonz: Pst! Pst! Weckt ihn nicht – es hat ihn zu sehr ergriffen. Indeß stell' ich einen Antrag: Was wär's, wenn wir Wiener hier uns zur Schlichtung unserer himmlischen Angelegenheiten ebenfalls einen – Bürgermeister wählen würden? Seid ihr damit einverstanden? (Alles nickt zustimmend.) Dann gebe ich meine Stimme unserem guten, brauen Zelinka – ihr findet im Himmel und auf Erden keine besseren Bürgermeister! (Jubel. Frau Monika lehnt sich über den Schlummernden und küßt ihn auf die Stirne, Genien kommen herbei und streuen Rosenblätter über die Beiden. Gruppe der Seligen.)

 


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