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Veni sancte spiritus!

(Zum 1. October.)

Diese Woche gehörte der lieben »Jugend«, d, h. vorzugsweise den bausbackigen Bürschchen und den flaumenbärtigen »Herren Studenten«, deren Kopf und Herz wenigstens seit acht Tagen mit Büchersorgen und den Mysterien der Einschreibgebühren, Bibliotheksgelder, Aufnahmsprüfungen u. s. w. u. s. w. angefüllt waren, und die in Folge einer grausamen Schulordnung gerade vor Beginn der Weinlese und inmitten der blühendsten Drachensaison zwar nicht auf die Bank der Angeklagten, so doch auf die nicht minder harte Bank der Schulweisheit berufen werden.

Initium sapientae est timor ... Das war mir immer ein Räthsel; warum soll die Furcht der Anfang der Weisheit sein, wenn gerade die unverschämtesten Subjecte in diesem Jammerthale am klügsten fahren, und warum will die Menschheit überhaupt weise werden, wenn doch unstreitig die allerdümmsten ihrer Genossen zeitlebens vom Glücke begünstigt bleiben?

Aber man drillt uns fort und fort nach dem altmodischen Muster und mir drillen wieder unsere Sprößlinge, nur recht »weise« zu werden, und wir wissen nicht genug »lehrreiche« Bücher aufzutreiben, die die stupendeste Weisheit in brochürtem Zustande auf so und so vielen Druckbogen enthalten, welche Weisheit, in mäßige Dosen (Lectionen) vertheilt, löffel(seiten)weise genossen, den Lernbegierigen nach dem aufliegenden Schulprogramme in der gesetzlich bemessenen Zeit so vollkommen »reif« macht, daß er augenblicklich z. B. Verwaltungsrath der Lemberg-Czernowitzer Bahn, oder einer beliebigen, selbst der dunkelsten Bank werden könnte, wenn die bezüglichen Posten nicht von anderen »Reifen« bereits besetzt wären.

Sei es wie es sei; aber die letzte Septemberwoche war mir stets ein tragikomisches Kaleidoskop, wenn ich sah, wie sich Alt und Jung für den ersten oder abermaligen Schulanfang rüstet und welche kostspieligen Apparate mitunter benützt werden, um das junge Reis zu einem fruchtbringenden Baume, den unwissenden Knirps zu einem soi-disant »nützlichen Staatsbürger« heranzubilden. Welche herbe Opfer werden da oft gebracht und welch' Schweiß klebt, um mich recht unbildlich auszudrücken, an diesen, außerdem noch mit einem Agio belasteten Banknoten, welche die obligaten Vehikel der Gelehrsamkeit, genannt Schulbücher, verschlingen.

Nun fällt mir nichts weniger ein, als gegen den in unserer wissenschaftlich gemäßigten Zone ohnehin nur sporadisch auftretenden »Büchereinkauf« zu predigen. Meine geehrten Landsleute treiben den Büchersport bekanntlich nur in zahmster Weise und die wenigen bibliothekarischen Dilettanten, welche die Metropole des Backhendlthums birgt, gehören zu den kulturhistorischen Curiositäten. Ja selbst die wohlhabendere Classe des Bürgerstandes findet es überhaupt meist »unbegreiflich«, für ein Buch – Geld auszulegen, und wenn z. B. der lebenslustige Hausherr X. und sein »Aeltester«, sich nicht lange besinnen, ihrem Leibfiaker einen Viertel Eimer Bier zu zahlen, falls es diesem gelingt, sie in fünfundsechzig Minuten von Schottenfeld zum »rothen Stadl« zu führen, so werden sie sicher die Zumuthung, etwa »Goethe's Faust«, nach der neuen Classiker-Verschleuderung um zwanzig Kreuzer zu kaufen, für eine unnöthige »Geldverschwendung« erklären. »Na ja«, heißt die locale Lebensregel, »wann man a Büch'l amal g'lesen hat, was thut ma damit? 's bleibt a 'nausg'worfen's Geld!« Denn Wien in seiner Mehrheit kauft keine Bücher, und nur die »goldene Jugend« versorgt sich zu Zeiten mit den instructiven Lehrbüchern: »Amor als Geheimsecretär« oder der »Jungfrau schönstes Ziel«, oder »Nie ohne Pagat Ultimo«, oder – »Gollmann's ärztlicher Rathgeber« u. s. w.

Nun kommt aber mit dem ersten October die dictatorische Notwendigkeit heran, für seinen lernpflichtigen Nachwuchs eine förmliche Handbibliothek anzuschaffen und mithin gerade für die unsympathischeste Sache ein Heidengeld hinauszuwerfen. Ach, vielleicht ist das Geld wirklich hinausgeworfen – veni sancte spiritus! ...

Aber die Bücher müssen eben gekauft werden. Der Ferdl, der Franzl und der Fritzl kommen jeder mit einem anderen »gedruckten Verzeuchnuß«, das ihnen von einem unbekannten Functionär eingehändigt wurde, nach Hanse und beginnen unisono das disharmonischste Terzett und verlangen schreiend statt des üblichen Butterbrotes oder der Zwetschkenration nach verschiedenen Moènik's und Pütz's, Teirich's und Cicero's, Warhanek's und Sophoklessen, und schwören dabei, wie sie nur mit den allerneuesten Auflagen sich zufrieden geben können, da besonders unsere heimatlichen Gelehrten sich nach dem Wunsche ihrer Verleger alljährlich »verbessern«.

Diese wissensdurstigen Appellationen an das Portemonnaie des Familienoberhauptes werden nun nicht selten zu ärgeren Jammerscenen, als die hungerigen Dialoge zwischen dem gefolterten Ugolino und seinen drängenden Knaben zu schildern versuchten. Ein angsterfüllter Blick fällt auf das Verzeichniß, das mehr Entsetzen in das Haus bringt, als ein Einquartierungszettel; man liest und liest wieder, man addirt und kommt auf eine horrende Summe; da packt man die drei Lernbegierigen sammt ihren Verzeichnissen zusammen und beginnt die Wanderung zu den Antiquars, namentlich zu Greif, wo in dieser Woche die große Schulbücherbörse abgehalten wird.

Dort stehst du eingekeilt zwischen feilschenden Müttern und Vätern, die gleichfalls von ihren classikerbedürftigen Stammhaltern umgeben und die eine langwierige Debatte über den Werth eines noch ganz gut erhaltenen, wie »nagelneuen« Atlasses eröffnen, welchen der hartherzige Antiquar vielleicht aus dem lächerlichen Grunde nicht kaufen will, weil darin die neuen Grenzen, die, wie ein empörter Vater nicht unrichtig bemerkt, »sich ohnehin fast mit jedem Jahre verändern«, nicht angegeben sind. Dort bist Du nun vielleicht auch Willens, Deinen »Wappler«, den der Schani nicht mehr benöthigt, für einen Ovid, welchen der Pepi dringend bedarf, umzutauschen, allein Dein Wappler wird dankend abgelehnt, da der Herr Professor seine Religionslehre zu zwei Gulden abermals verbesserte, und sogar ein harmloses deutsches Lesebuch kann von dem kundigen Buchhändler vielleicht als unbrauchbar verworfen werden, falls es dem gelehrten Germanisten in der Ferienzeit etwa eingefallen wäre, für die »verbesserte und vermehrte Auflage« eine dringende Ballade von Mosenthal oder ein versificirtes patriotisches Exposé von J. G. Seidl anzuhängen. Um übrigens gerecht zu sein, muß man anerkennen, daß derlei Verbesserungen bei unseren unsterblichen vaterländischen Werken nicht immer auf dem letzten Druckbogen vorgenommen werden, sondern daß viele niederösterreichische Gelehrte sich häufig begnügen, nur in der Vorrede einige stylistische Variationen und grammatikalische Meliorationen anzubringen, und daß es überhaupt dem würdigen Verleger meist nur darum zu thun ist, die in den Händen des Publicums und auf dem Lager der Antiquare befindlichen Schulbücher auf eine strenge wissenschaftliche Weise als unbrauchbar zu erklären.

Dieser kaufmännische Usus solch hochgebildeter Männer hat, wenn er auch in uneigennützigster Methode durch fortgesetzte, verbesserte, d. h, neue Auflagen der respectiven Werke das Volk allmählich auf die höchste Stufe geistiger Vollkommenheit führen muß, doch en famille oft einiges Ungemach im Gefolge. Nicht Jedermanns Börse besitzt eben die Qualification, zu Gunsten von derlei scientifischen Buchhändler-Speculationen alljährlich den normirten Tribut zu erlegen, und da einerseits in manchem Haushalt nicht nur mit dem Ultimo, sondern überhaupt jahrüber Geld knapp ist, und andererseits, wie bereits gesagt, der Wiener für Nichts weniger gern Geld ausgibt, als für Bücher, so sind eben in dieser Bücher-Zwangseinkaufswoche aller Orten Zank, Hader, Verwünschungen, Kummer, Sorgen und Thränen auf dem häuslichen Repertoire.

Nun, heute ist dieser effectvolle Bücherrummel im Großen und Ganzen wohl zu Ende und sind die Meisten mit ihren Wissenswerkzeugen und sonstigen Behelfen schon genügend armirt. Und da will es denn die Schulordnung, daß dieser wichtige und lehrreiche Abschnitt in Leben, wie es der Eintritt in die Schule, oder ein weiterer Schritt auf dem schon betretenen »Gradu ad parnassum« ist, mit einem recht inbrünstigen Gebete zu dem Allmächtigen, und zwar unter specieller Anrufung des »heiligen Geistes« inaugurirt, mit anderen Worten, daß jedes »Schuljahr« in der Kirche mit dem sogenannten » heiligen Geistamte« eröffnet werde.

Ich war und bin auch jetzt noch kein enthusiastischer Schwärmer für die kirchlichen Schulfunctionen, welche ein schönes Stück der so kurz bemessenen Lehrzeit absorbiren und Kopf und Herz des Schülers mit oft absonderlichen Ceremonien beängstigen. Aber unter den zahllosen Kirchengängen, welche ein absolvirter österreichischer Student (ich spreche natürlich nur von den »echt katholischen«) im Laufe der Jahre zu machen hatte, war mir und ist auch noch jetzt das »heilige Geistamt« eine poetisch-sympathische, eine wahrhaft erhebende, sinnige Handlung, und wenn ich an diesem Tage im Schiffe einer Kirche stehe und die schmucke Schaar der blühenden Knaben und Jünglinge mit den freundlich hellen Augen einherschreiten sehe, geführt von den schwarzbefrackten Priestern der Pallas Athene, und der tiefernste Choral beginnt, dann singe wohl auch ich, Scholaren und Scholarchen in mein Gebet einschließend, aus vollem Herzen mit das Lied aller Lieder, das da heißt: Veni sancte spiritus!

Und so schlängeln sich denn auch heute nach allen Richtungen der communalen Windrose und wo nur ein Kirchthurm in die Lüfte ragt, die verschiedenen Bezirks-Processionen der Lernbegierigen oder – Lernpflichtigen. Und da möchte ich denn auch, daß überall, wenn das ergreifende Lied zu Ende, ein Mann, der Kopf und Herz am rechten Flecke hat, auf die Kanzel stiege und eine Predigt hielte, die doch ein Labsal für Kopf und Herz des jungen Auditoriums wäre; eine Predigt, die weniger die Schwefel- und Pech-Fatalitäten der Holle und die Verruchtheiten des Freimaurerthums und der Judenpresse des Näheren explicirt, als vielmehr ein feierliches Mahnwort über die »Bedeutung des Tages« sein sollte. Ja, ein Mahnwort, und zwar ein herzliches und inniges, auf daß es Jedem ein holder Leitstern für die kommenden Jahre werde und er noch in spätesten Tagen dankbar an diesen Tag ernster Freude zurückdenke und einst den Pfad nicht verdamme, den er vielleicht »invita Minerva« betreten, und diese Weihmesse in seiner Erinnerung keine Trauermesse sei, für die statt des heutigen Textes weit eher jene finsteren Strophen: »Dies irae, dies illa!« gepaßt hätten ...

Ach, man wäre manchmal fast selbst versucht, wenigstens die Rolle eines Straßenpredigers zu übernehmen und an diverse mit dem Bücherbündel unter dem Arme in genialer Zerstreutheit daherschlendernde präsumtive Weltbürger eine gefühlvolle Ansprache zu halten, z. B. »Lernt Ihr denn auch fleißig, Ihr Jungens und Jüngelchen? Würdigt Ihr die Opfer, die Eure Ernährer und Erzieher mit dem oft unlucrativen Plane bringen, Euch »Etwas lernen zu lassen?« Gedenkt Ihr, Jeder von Euch, Eures sorgenerfüllten Vaters, der von früh Morgens bis spät Abends vielleicht bei Hammer und Amboß sich abmüht, oder mit gekrümmtem Rücken beim Schreibtisch langsam erblindet – oder Eurer Mutter, die etwa alltäglich beim Waschtroge steht, oder in einem Dachstübchen oder in einer Kellerwohnung bei einem dürftigen Lämpchen sich die Finger wundsticht, alle aber zu den Lasten und Plagen des Lebens sich noch neue aufbürden, nur um Euch einst eine andere und bessere Existenz zu bereiten, als in welcher sie selbst kummervoll dahinsiechen? Aber Ihr denkt nicht daran, Ihr leichtsinnigen Schlingels Ihr, und die bitteren Opfer sind vielleicht umsonst gebracht und Ihr werdet einst sogar die prächtigsten Taugenichtse!«

Protestirt aber Einer oder der Andere der also Apostrophirten gegen eine derlei Strafpredigt und erwidert trotzig und dreist, daß er seine Pflichten kenne und wohl wisse, was er zu thun habe, und reckt er sich gewaltig in die Höhe und spricht von seinen ernsthaftesten Zukunftsplänen, wie er ein Arzt, oder ein Rechtsgelehrter, oder ein General, oder ein Bureauchef, oder ein Priester werden wolle, dann – nun dann macht es wie Heine, als er segnend die Hand auf das Haupt des Kindes legte,

Betend, daß Gott es erhalte,
So rein, so schön, so hold –

und legt ebenfalls die Hand auf den Kopf des ehrgeizigen Würdenträgers in futuris und betet im Stillen: »Ein diagnosirender Arzt, ein processirender Rechtsgelehrter, ein seelentröstender Priester, ein Conduitelisten schreibender Bureauchef, ein Schlachten dirigirender und Pläne brütender General? – –

Veni sancte spiritus!


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