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Friedrich Schlögl

Friedrich Schlögl.

Einleitung.

Friedrich Schlögl wurde am 7. December 1821 zu Wien, in der Vorstadt Mariahilf, geboren. Er war das Aelteste unter vierzehn Kindern, deren Erziehung den blutarmen Eltern – der Vater war Hutmacher – manche Hartsal bereitete. Friedrich, ein Knabe von lebhaftem Temperamente und bewegtem Geiste, lernbegierig und empfänglich, wurde, nicht ohne einen Aufwand von Opfern, in's Gymnasium geschickt, wo er zum ersten Mal an den »Brüsten der Wissenschaft« zu saugen begann. Wichtiger aber als der Schulunterricht waren für ihn die poetischen Anregungen, die er im Vaterhause empfing. Wie eng die Familienstube auch war, sie hatte gastlichen Raumes genug, um den Musen und Grazien Platz zu gewähren. Nach des Tages Müh' und Arbeit oblag der Vater der edlen Beschäftigung, aus entliehenen Büchern die schönsten Balladen Bürger's und Schiller's abzuschreiben, um sie nach der »dürftigsten Einbrennsuppe« und dem »Kartoffel-Souper« den Seinen vorzulesen. Er las, wie Schlögl in seiner Lebensskizze im »biographischen Lexikon des Kaiserthums Oesterreich« von Wurzbach und in einem mir vorliegenden kleinen »Curriculum vitae« mittheilt, gut und mit ergreifender Wärme; denn er hatte seine natürliche Anlage an den besten Vorbildern der damaligen Glanzepoche des Theaters an der Wien geschult. Mit angehaltenem Athem lauschte die kleine Zuhörerschaft, Friedrich insbesondere, der in den Genüssen und Wonnen der Poesie schwelgte; und spät im Alter noch, wenn er von seiner kümmerlichen Jugend erzählte, gedachte er gern und dankbar des unermeßlichen Einflusses, den jene schlichte und urwüchsige »Bildungsschule« auf die Entwickelung seines Geistes und Gemüthes ausgeübt hatte. Er wurde warm und weich bei solchen in traumhafter Ferne liegenden Erinnerungen. Im Uebrigen erging es ihm wie anderen begabten und phantasievollen Kindern: er besaß einen unstillbaren Lesehunger und verschlang alles Gedruckte, das ihm ein freundlicher Zufall in die Hände spielte. In seinem siebenten und achten Jahre waren es jene holden Büchlein, deren mancher von uns als trauter Kindheitsgenossen treu gedenkt und sich ihrer bis auf's Einzelne, bis auf Druck, Papier und Umschlagsfarbe erinnert, waren es die Schriften von Christoph Schmid, Chimani, Campe und Anderen, welche ihm Genuß und nachhaltigen Eindruck gewährten. Rührende Erzählungen und Geschichten, wie »Die Ostereier«, »Rosa von Tannenburg«, »Der gute Fridolin und der böse Dietrich«, die er vor Olim's Zeiten im Vereine mit seinen Geschwistern, bei kärglichem Lampenlicht und dürftig geheiztem Ofen, zu lesen bekommen hatte, vergaß er nicht bis in sein hohes Alter. Sie hoben ihn, den Knaben, über das häusliche Elend hinweg; er litt und freute sich mit den Helden und Heldinnen, deren Schicksale er auf geringem Löschpapier verzeichnet und mit grellfarbigen Bildern illustrirt fand; und er sprach später die Vermuthung aus, ob sich nicht diese viellieben Sächelchen durch ihre Einfachheit und Einfalt und wegen ihres sittlichen Gehaltes in Herz und Seele bleibend einprägten und die Grundlage bildeten für den künftigen Lebensgang. Bei zunehmender Reife kamen als mit Begier aufgenommene Lesebücher die damals eben auftauchenden »Heller- und Pfennig-Magazine« an die Reihe, ferner »Die Welt in Bildern« von Comenius, Raffls »Naturgeschichte« und Fenelon's unsterblicher »Telemach«. Aber die Krone des Ganzen war, die höchste Begeisterung erregte das Buch der Kinderbücher, Robinson Crusoe, und nach ihm die Märchen von »Tausend und eine Nacht«. Diese unerschöpfliche Reihe wunderbarer Bilder zog die jugendliche Einbildungskraft auf das Lebendigste an, erschloß neue Welten, rüttelte das Denkvermögen auf und beschäftigte es unablässig.

Einen erhöhten Reiz bot dem sachte Heranreifenden der ästhetische und dramatische Unterricht, den seine Tante, die einstmals berühmte Schauspielerin Josefine Gottdank, ihren zahlreichen Zöglingen ertheilte und dem er als stummer Zuhörer beiwohnen durfte. So hörte er allenthalben um sich den kastalischen Quell rauschen und trank aus ihm mit vollen Zügen.

Leider zwang ihn die Nothlage der Eltern, die Gymnasialstudien zu unterbrechen und eine Anstellung zu suchen. Er fand sie im Jahre 1840 in einer Militär-Rechnungskanzlei. Nachdem die Leidenszeit eines unbesoldeten Praktikanten um war, ging er ruckweise in die Rangsclasse der Honorirten über. Nach neunjähriger Dienstesfrohne betrug sein Monatsgehalt vierzehn Gulden. Die Beschäftigung erdrückte den Geist und lähmte den Flügelschlag der Seele. Er war, wie es in dem erwähnten Artikel bei Wurzbach heißt, im rauschenden Lenz der Jugend verurtheilt, bei der trockenen Arbeit einer »Achtel- und Hundertel-Kreuzer-Verrechnung« und der Erlernung der Geheimnisse des nichts weniger als classischen »halbbrüchigen« Bureaustyls geistig fortzuvegetiren. Nach einer langen Kette von Geduldproben und Entbehrungen wurde er endlich zur Hofkriegsbuchhaltung übersetzt, wo er den Genuß hatte, neue Variationen der amtlichen Leiden kennen zu lernen. Mühsam auf den Stufen der endlosen Leiter des Anciennitäts-Avancements emporklimmend, trat er, in seinen Hoffnungen erschöpft, von schwerer Krankheit heimgesucht, im Jahre 1870, nach mehr als dreißigjähriger Dienstzeit, in Pension. Aber die Bezüge waren für den Subalternbeamten nicht glänzend bemessen.

Schlögl wurde allzeit ernst und traurig, wenn er auf seine Bureauzeit zu sprechen kam, wenn er erzählte von der Qual des Actendienstes, von dem Uebermuth der Aemter, von der despotischen Willkür der Vorgesetzten, die bei der geringsten Insubordination, bei der dürftigsten Regung irgend eines männlichen und menschlichen Stolzes mit »Vernichtung« drohten, und oft meinte er, er könnte über das Beamtenthum im ehemaligen Oesterreich eine Komödie schreiben, aber keine göttliche.

Mit Energie und festem Willen ausgerüstet, überwand er sich und die Verhältnisse, Trost suchend und findend in der innigsten Beschäftigung mit der Literatur. Wie er als Kind war, so blieb er als Mann: er las alle Bücher, die die Zeit beschäftigten und erregten, mit besonderer Freude jene, die mit dem bevormundenden Geiste eines veralternden Systemes brachen und muthig eintraten für das Recht und die Freiheit des menschlichen Denkens und Empfindens. Er ließ sich keine Mühe verdrießen, um Lieblingsgedichte aus Zeitungen und Büchern herauszuschreiben, und zeigte nicht ohne Stolz sein altes Heft, in welchem sie schön geschrieben zu lesen waren. In den letzten Dreißiger Jahren überfiel ihn der Drang zu eigener Production. Die ersten Versuche entsprachen im lammfrommen Vormärz den genügsamen Anforderungen der zahmen belletristischen Provinz- und Wiener-Blätter, zumal man derlei poetische Anfängereien nicht zu honoriren pflegte. So entstanden denn vorerst die üblichen lyrischen Schwärmereien, die obligaten Liebesgedichte, sogenannte »Gedankenspäne«, dann kleine Humoresken, kurze topographische Schilderungen nach jeweiligen Ausflügen und Landpartien in die schöne Umgebung Wiens und ähnliche Stylübungen und fanden ihre Lagerplätze in Taschenbüchern, Almanachen, illustrirten Kalendern, in gemeinnützigen und gangbaren Unterhaltungszeitschriften, bis das Sturmjahr 1848 hereinbrach, welches den Empfindungen und damit auch den schriftstellerischen Arbeiten eine andere und ernstere Richtung gab. Nun galt es in »Politik« zu machen, den sich überhastenden Tagesereignissen und der wechselnden Tagesströmung zu folgen und in populärer Weise in den fast stündlich auftauchenden Volksblättern das Heil der Menschheit zu predigen – natürlich honorarlos. Den großen Tag des Umsturzes und der Neubildung hatte Schlögl, gleich unzähligen Anderen, mit Freude und Begeisterung begrüßt. Eine morsche Welt war zerfallen, und Jedermann hatte das Gefühl, daß aus dem Schutte etwas Neues entstehen müsse, aber Niemand wußte, welches Antlitz dies Neue tragen werde. Es lockte und reizte, denn der Wunsch nach Reformen war mächtig geworden in allen Herzen und die daran sich knüpfenden Hoffnungen waren von dem schönsten Grün, sie brachten die Menschen enger und herzlicher aneinander, als dies in ruhigen Zeitläuften der Fall zu sein pflegt, und erhielten sie in erwartungsvoller Spannung und Erregung. Schlögl lauschte mit seinem Ohr dem Pulsschlage der Zeit; er nahm, innerlich bewegt und ergriffen, den lebhaftesten Antheil an den stürmenden Ereignissen, doch irgendwie activ betheiligte er sich an denselben nicht und konnte es nicht. Er war kaiserlicher Beamter und hatte sich zudem gerade im Jahre 1848 einen eigenen Herd gegründet, von dem die erwärmendste Flamme für ihn ausgehen sollte. Er war mit Anna Wild vermählt, einer durch Herzensbildung ausgezeichneten, schönen Frau, die ihren Gatten mit allen seinen Besonderheiten verstand und ihn baß zu behandeln wußte. Zwei Söhne gingen aus der Ehe hervor; ein dritter starb in zarter Kindheit. –

Indessen verrauschten die Wogen der Revolution. Altes Gerölle hatten sie hinweggerissen und ein neues zurückgelassen. Andere Zeiten kamen und andere Menschen. Vieles war besser geworden, manches schlechter. Das nächste Ergebnis war eine grimme Reaction mit all ihrem denunciatorischen Zubehör. Mit Schlögl's literarischer Thätigkeit auf politischem Gebiete nahm es ein- für allemal ein Ende. Wieder hieß es, sich andere, minder gefährliche Stoffe zu wählen. Zu seinem Heil fand er bald das seiner Eigenart entsprechende Gebiet, auf dem er ein Meister wurde. Zunächst holte er sich Freude und Freunde unter seinen geliebten Büchern, die er mit einem Sammeleifer, dem freilich seine kärglichen Mittel nicht entsprachen, auf dem Tandelmarkt und in allen möglichen Antiquarbuden aufstöberte und oft um wenige Kreuzer erwarb. Wenn er zur Zeit, als er noch im »Flügelkleide schwärmte«, sich für sentimentale und thränenvolle Poesien begeisterte, für Schiller's Gedichte »An Laura« und Schulze's »Bezauberte Rose«, später für den Titanismus der deutschen Sturm- und Drang-Periode, für Stilling's »Jugend«, ein Buch, das er Nachts unter sein Kopfkissen steckte, für die »Räuber«, »Fiesco«, Klinger's »Zwillinge«, Gerstenberg's »Ugolino«, so griff er jetzt in seiner Rüstkammer der Bildung nach solchen Lieblingen, die der Reife der Jahre entsprachen und die ihre Werke nicht aus idyllischen Traumzuständen schöpften, sondern aus dem rastlosen Borne der Zeit. Schlögl schaute gerne hin zum Morgenroth. Und er selbst langte wieder nach der Feder.

Sein Freund Karl Sitter gründete nach überstandenem Martyrium im Jahre 1857, unter der Patronanz der Firma Waldheim, das heute noch bestehende humoristische Wochenblatt »Figaro«, das später durch das Beiblatt »Wiener Luft« bereichert wurde. Für dieses neue Unternehmen nun begann Schlögl zu schreiben und erhielt in dem genannten Jahre sein erstes Honorar. Durch mehr als zwanzig Jahre war er Sitter's ständiger Mitarbeiter, die »Wiener Luft« enthielt in den ersten Jahrgängen die meisten Beiträge aus seiner Feder. Inzwischen war er auch in hervorragender Weise bei den politischen Blättern »Wanderer«, »Neues Wiener Tagblatt« und »Deutsche Zeitung« als Feuilletonist thätig. Er verfaßte biographische Artikel und Reiseberichte, theils von seinen häufigen Kreuz- und Quergängen und -Fahrten durch die Alpenländer Oesterreichs, theils von weiter her, von Paris und Aegypten. Aber seine bedeutendsten und originellsten Arbeiten waren die Skizzen aus dem Wiener Volksleben. Sie machten ihn beliebt und berühmt und sie sind sein Vermächtnis an sein Volk. Außer an den schon erwähnten Zeitungen betheiligte er sich als Mitarbeiter noch an der Wiener »Heimat«, an der »Neuen Illustrirten Zeitung« und an Rosegger's, seines lieben Freundes, »Heimgarten«. Nach und nach erschienen seine Schriften gesammelt in Buchform. Es sind: » Wiener Blut.« (Sammlung der kleinen Culturbilder aus dem Wiener Volksleben.) Wien, 1878. 4. Auflage. 1876. – » Wiener Luft.« (Neue Folge des Vorigen.) Wien, 1875. 2. Auflage. 1876. – » Wienerisches.« (Dritte Folge.) Wien und Teschen, 1883. 2. Auflage. 1884. – » Alte und neue Historien von Wiener Weinkellern.« Wien und Pest, 1875. – » Das curiose Buch.« (Von Sammlern.) Mit Illustrationen. Ebenda, 1882. – » Aus Alt- und Neu-Wien.« (Vortrag.) Wien, 1882. – » Vom Wiener Volkstheater« Wien und Teschen, 1884. – » Ferdinand Sauter (Vortrag.) Wien, 1882. – » Wien.« (Sammt Führer.) Mit Illustrationen. (Europäische Städtebilder.) Zürich, 1886 und 1887. – » Von den besten Büchern.« Wien, 2. Auflage. 1889.

Die drei erst genannten Bücher, »Wiener Blut«, »Wiener Luft« und »Wienerisches«, enthalten die Quintessenz seines Schaffens und werden nicht vergessen werden, solange es eine Wiener Chronik gibt. Als Culturhistoriker seiner Vaterstadt eroberte er sich ein weites Feld, das zwar vor ihm schon bebaut wurde, z. B. von dem trefflichen alten Pezzl, dessen Schriften Schlögl selbst sehr hoch hielt, von keinem aber mit so viel Talent und so starker Liebe wie von ihm, dem diese Zeilen gelten. Seine Aufsätze über Wien und die Wiener sind der Ausfluß einer durchaus eigenartigen, auf sich selbst ruhenden und in sich gefestigten, charaktervollen Persönlichkeit, und ganz in ihrem vollen Werthe kann sie vielleicht nur Derjenige würdigen und schätzen, dem diese Persönlichkeit bis auf ihren innersten Kern vertraut und sympathisch war.

Darum sei es nicht mit Ungunst vermerkt, wenn ich an dieser Stelle einige wenige persönliche Bemerkungen einflechte, die mir zur Charakterisirung des Merkwürdigen und Vortrefflichen unerläßlich scheinen. Seit acht Jahren stand ich zu ihm in den engsten freundschaftlichen Beziehungen, Freud und Leid hatten mir gemeinsam und mit innigster gegenseitiger Theilnahme durchlebt. Er, der zwar eine Unzahl von Bekannten, aber doch nur wenige engere Freunde besaß, die er seines vollen Vertrauens würdigte, schloß seine verriegelte Brust in Lieb' und Treue vor mir auf, die für mich, den viel Jüngeren, oft rührend war, und er besprach mit mir ohne Rückhalt, was ihn bewegte und erfüllte, wenn wir lustwandelten in Stadt und Land oder des Abends gemächlich hinter dem Kruge saßen, was mitunter nach längeren Pausen, zu Zeiten auch mehrmals die Woche geschah, immer aber genußreich war: denn, trotz allem Einwand, er war einer der unterhaltendsten, erfahrensten und gescheidtesten Männer Wiens. So ward es mir vergönnt, ihn in der vollen Originalität seines Wesens kennen zu lernen; und nicht allein seine Außenseite, welche, da sie sehr stachelig sein konnte, manchen, besonders einen Solchen, der sich in seiner Haut nicht ganz sicher fühlte, zurückstieß, sondern den tiefsten Grund seines Gemüthes, wo zarte und warme Empfindungen wohnten: Treue, Güte, Theilnahme, Hilfsbereitschaft, ein ganzes, kräftig pulsirendes, deutsches Mannesherz. Die Redensart von der rauhen Schale mit dem guten Kerne ist in den meisten Fällen eine leere, nichtsnutzige Phrase, in Bezug auf Schlögl war sie eine Wahrheit. Er besaß ein heißes Blut und ein leidenschaftliches Temperament, das auch zu den Regungen und Aeußerungen heftigen Zornes geneigt war. Vieles an Menschen und Dingen war ihm nicht recht, und was er tadelnswerth fand, tadelte er offen und unumwunden. Der Zug, den schon der alte Schulmeister Schmeltzl an den Wienern hervorhob, daß sie »Schimpfere« seien, war auch unserem Freunde eigen. Er hatte einen starken pädagogischen und moralisirenden Trieb und betrachtete es als seine Aufgabe, zu kritisiren, zu bessern und zu helfen. Sein scharf blickendes, sein beobachtendes Auge war auf die Fehler und Gebrechen der Menschen, zumal seiner Landsleute, trefflich geschult. Er besprach und bemängelte sie muthig, ohne selbstsüchtigen Nebenzweck, ohne nach gemeinen Vortheilen auszuspähen, aus seinem sittlichen Bewußtsein heraus und in der lauteren Absicht, Abhilfe zu schaffen. Er war ein Raisonneur oder, wie er bisweilen ironisch selbst sagte, »ein Raunzer«, wie auch Grillparzer einer genannt wurde. Die Schule des Lebens war für ihn hart, an Entbehrungen und Schicksalsschlägen reich. Darum bemächtigte sich seiner jene einem empfindlichen Seelenleben entspringende moralische Verbitterung, jene pessimistische Stimmung, an der es gerade den hervorragendsten Geistern in dem »heiteren«, »lebenslustigen«, »gemüthlichen« Wien nur selten gefehlt und die in den Werken eines Grillparzer, Raimund und Nestroy ihren deutlichsten dichterischen Ausdruck erlangt hat – eine Verbitterung und Stimmung, die Schlögl streng machte gegen sich und gegen die Menschen. Aber sein weiches Gemüth, das sich zu einem energischen und bleibenden Nein irgend einem Ansuchen gegenüber nur selten fähig zeigte, glich Alles wieder ans und noch mehr sein Humor, der seine Seele, der sein guter und unverwüstlicher Genius war bis an's Ende. Wenn er sich in der Aufwallung zu einer heftigen Bemerkung hinreißen ließ, begann es mit einem Male in seinem Gesichte zu zucken, und aus jeder Falte schien ein humoristisches Teufelchen kichernd herauszuschauen. Er sagte einen Witz, ein Scherzwort, und die entente cordiale war wieder hergestellt. Jede Arglist, jeder Winkelzug war ihm verhaßt. Er war eine in allen Stücken offene und gerade Kernnatur, wahr bis zur Schonungslosigkeit, aufrichtig – bis zur Grobheit. Niemals jedoch beleidigte er Jemanden vorsätzlich oder in übelwollender Absicht. Seine Freunde vertheidigte er gegen Angriffe oder gar gegen Verleumdungen, dieses ärgste Teufelszeug, bis auf's Messer, oft mit elementarer Berserkerwuth, und für Personen, deren öffentliches Wirken, sei es auf politischem oder literarischem Gebiete, ihm sympathisch war, trat er mit der ganzen Leidenschaftlichkeit seines Wesens in die Schranken, ohne Zugeständnisse zu machen, ohne leisetretende Vorsicht, mitunter auch ohne Rücksicht für die Ueberzeugungen und Empfindungen Anderer. Neid war ihm eine völlig fremde Sache. Mit Recht durfte er sagen, daß er nie im Leben irgend einen Menschen beneidet habe. Pünktlich war er wie ein König, genau auch in der Ausübung der geringsten Obliegenheiten, zuverlässig und gewissenhaft in der Erfüllung seiner Versprechungen und Pflichten. Darum war er, nicht in seinen äußeren, oft klobigen Umgangsformen, sondern in seinem inneren Wesen eine in höherem Sinne vornehme Natur.

Diese gediegenen und achtunggebietenden Charaktereigenschaften, die selten in dieser gebrechlichen Welt sind und von manchem minder Festen und minder Gediegenen als unbequem empfunden wurden, finden sich wieder in seinen Schriften. Der Mensch und der Schriftsteller waren bei ihm eins und dasselbe. Wie er dachte, so sprach er, und wie er sprach, so schrieb er: urwüchsig und kraftvoll, aus dem eigenen Herzen und dem Herzen des Wiener Volksthums schöpfend. Seine Schilderung ist drastisch und drollig, voll von sarkastischen und humoristischen Lichtern. Er sagte nicht, wie etwas war oder ist, er zeigte es; er redete nicht, er bildete. Und das ist nicht ein und dasselbe; ebensowenig als es ein und dasselbe ist, ob ein Lehrer der Botanik dem Schüler eine Pflanze bloß beschreibt oder ihm dieselbe zu unmittelbarer Anschauung darreicht. Unerschöpflich war er an schlagenden und kaustischen Wendungen, an bezeichnenden Attributen, an köstlichen, deutlich veranschaulichenden Bildern und Vergleichen. Fremdwörter gebrauchte er gern und häufig. Aber sie stören bei ihm nicht, sondern dienen im Gegentheil zur schärferen Charakteristik des Wienerischen. Es ist nämlich eine Eigentümlichkeit des Wiener Dialectes, daß er eine Menge fremdsprachlicher Ausdrücke, zumeist corrumpirt, in sich aufgenommen hat: italienische, französische, spanische, czechische. Die wienerische Mundart ist gleichsam ein Symbol Oesterreichs, dieser bunten Musterkarte aller möglichen Völkerschaften, und sie meist hin auf die mannigfachen Berührungen, Zusammenstöße und Kriege der Wiener mit anderen Nationen, also auf den geschichtlichen Werdeproceß Oesterreichs.

Im Gebrauche des Dialectes war Schlögl sparsam. Mit richtiger Erkenntniß wendete er ihn nur bei den Gesprächen an, die er seinen Gestalten in den Mund legte, und bediente sich im Uebrigen der Schriftsprache, des stärksten und edelsten Bindemittels der deutschen Völkerschaften, derselben nur hin und wieder durch mundartliche Ausdrücke, die dem Gegenstände angemessen waren, Kraft und Fülle verleihend. Seine Schriften sind für den Dialectforscher eine Fundgrube. Sie sind eben so reich an saftigen und derben, als an zarten Worten und Wendungen, die in dem Mutterwitze und dem Volksgemüthe der Wiener ihre Quelle haben. Seine Sätze, meist lang gebaut, sind stramm wie Soldaten und hart wie Stahl. Oft aber bricht, wie aus einer Wolke die Sonne, aus seinen Bildern jene den Wiener Kindern zukommende Grazie, jene weiche, gemüthvolle Gelassenheit und Hingebung hervor, welche in den Walzern eines Strauß und Lanner ihren schönsten Ton und Klang gefunden hat. Alles in Allem kann man bei Schlögl von Styl in höherem Sinne sprechen, als von einer kennzeichnenden Architektonik des Geistes.

Er, der Urwiener, war den Wienern zugethan mit feuriger Liebe. Aber diese seine Liebe war nicht blind und nicht parteiisch. Wahrheit – so lautete sein oberster Grundsatz, Wahrheit um jeden Preis, unbekümmert um Haß und Gunst der Menschen und Parteien, um Richtung und Mode. Als Schilderer der Sitten und Unsitten Wiens und des Wiener Volkes durfte er sich rühmen, niemals etwas erfunden zu haben: er stellte dar, frisch und lebendig, scherzhaft und ernsthaft, Dasjenige, was er fand, schaute, hörte, erlebte, und er hielt Gericht streng und gerecht wie Rhadamanthus. Niemand hat die Fehler der Wiener mit so scharfen Ruthen gegeißelt wie er: ihre falsche Gemüthlichkeit, die oft mit Rohheit und Gewissenlosigkeit gleichbedeutend ist, ihren Leichtsinn, ihre Gedankenlosigkeit; kein Sarkasmus war beißender und keine Satire vernichtender, als die seine. Dabei wahrte er, der in den Ideen des Josefinismus aufgewachsen war, seine Unabhängigkeit nach oben und unten. Er war kein wilder Libertiner, aber er war ein Gegner jeder engherzigen, niederdrückenden Tyrannis, er trat für das Recht und die Würde der Persönlichkeit ein; er wurde kein Renegat, keiner, der als submissester Hofrath sein Dasein in Zerknirschung und Reue über volksliebende und freiheitliche Jugendverirrungen verbrachte. Schlögl wahrte sich bis an's Ende Freimuth und Unerschrockenheit nach allen Richtungen hin, er verschonte mit seinem strafenden Bakel keine Behörde und keine Instanz, er kannte keine vertuschende Rücksichtnahme den Fehlern und Gebrechen öffentlicher Einrichtungen gegenüber. Weder den Großen dieser Erde noch dem Volke hatte er jemals geschmeichelt. Er besaß nicht die niedrige Moral der modernen Streber und Utilitarier, die sich bei allen ihren Unternehmungen fragen: Was hab' ich davon?

Aus solchem Geiste heraus sind seine Schriften geschrieben. Es gab eine Zeit, wo seine Artikel über Wien förmlich verschlungen wurden und wo er das Gewissen war unserer Stadt. Seine Darstellungen reichen weit in die Geschichte Wiens zurück, bis zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia; er behandelte Zustände und Typen des Vormärz, der Reaction, ferner der liberalsten Zeit des wirthschaftlichen Aufschwunges in den Sechziger und Siebziger Jahren, der Zeit der Gründer und Schwindler, wo, wie es heißt, die Millionen auf der Straße lagen, niemals aber von einem Rechtschaffenen gefunden wurden. Diese Epoche der Schlemmerei, der ausgelassensten Frivolität fand in ihm ihren gründlichen Naturhistoriker, und der culturgeschichtliche Wert seiner Erzählungen wird nicht schwinden in allem Wandel der Zeit.

Wer irgend einen alten Schriftsteller liest, der sich über Wien vernehmen ließ, sei es den staatsklugen Enea Silvio aus dem 15. Jahrhundert, sei es Lady Montague, die Scheherezade aus dem 18., oder den kühl verständigen Berliner Buchhändler Nicolai aus dem nämlichen Jahrhundert, der wird erfahren, daß in Wien nichts als geschmaust, gesungen und getanzt wurde, daß Wien die Stadt schäumender Lebenslust war. Schiller bezeichnete die Wiener bekanntlich als ein »Volk der Phäaken«, Grillparzer nannte seine Vaterstadt grollend ein »Capua der Geister«. Hauptsächlich von dieser Seite des Genusses betrachtete auch Schlögl seine Landsleute, deren einstige Lebensfreudigkeit und weltberühmte Lachlust freilich von dem Ernste und den Sorgen der Zeit erheblich herabgestimmt wurde. Die Helden Schlögl's gehören den mittleren und unteren Ständen an; er war der Photograph und Porträtist der sogenannten breiten Schichten der Bevölkerung, besonders der südwestlichen Bezirke. Ihre geistige und moralische Physiognomie zeigte er, ihre Leiden und Freuden veranschaulichte er. Den Armen und Unterdrückten war er ein beredter, herzenswarmer Anwalt, der moralischen Verkommenheit war er ein strenger, zürnender Richter. Bekannt sind seine Typen »Biz« und »Grammerstädter« geworden. Unter »Biz« versteht man in Wien einen Menschen, der, im Besitze eines genügenden Vermögens, in ordinärem Genusse sein Leben vergeudet. Er ist wohl genährt, von unverwüstlicher Gesundheit und urwüchsigem Gleichgewichte der Seele. Er kleidet sich nach der Mode, besitzt einen gewissen vorstädtischen Chic, ist immer »fesch«, immer gut aufgelegt, immer voll »Hamur« und hoch angesehen »am Grund«, d. h. im Kaffeehause, wo er seine Nachmittage, im Stammwirthshaus, wo er seine Abende verbringt in Gesellschaft gleichgesinnter »Dulliähbrüder«. Er versteht trefflich zu kutschiren, zu tanzen und zu jodeln und weiß auf die Frauen seiner Umgebung stark zu wirken. Jeder Ernst ist aus seiner Brust verbannt, er kümmert sich nicht um die leidige Politik, ist mit der Regierung immer zufrieden und schimpft auf sie nur dann, wenn durch neue Steuern ein Attentat auf seinen Säckel begangen wird, er liest keine Zeitung, kein Buch, besucht kein Theater, kein Concert und ist gefeierter Stammgast beim »Heurigen« und bei den Volkssängern. »Biz« ist der wohlbestallte Wiener, wie er im Vormärz auf dem »Diamantengrund« zu Hause war, ein Mann, wie ihn die damalige dumpfe Regierung liebte und großzog. Herr »Grammerstädter« steht zu ihm in verwandtschaftlichen Beziehungen. Ungestörtes materielles Genießen, d. h. Kartenspiel, Essen, Trinken, die »Hetz« ist auch seine Neigung, auch er verachtet Genüsse edlerer Art, auch er will von Gedankenarbeit nichts wissen, Wörter wie »Bildung«, »Gesittung« und »Gesinnung« finden sich in seinem beschränkten Lexikon nicht. Die Angehörigen dieser entnervten Rasse toleriren einander, sehen sich ihre Fehler und Laster durch die Finger und streicheln sich schamlos gegenseitig den Bauch, der ihr Gott ist. Sie sind das, was man kurzweg Spieß-, Pfahl- und Schildbürger nennt. Solche Leute, gekennzeichnet durch Bornirtheit, Hochmuth, Indifferentismus und Aufschneiderei, hat wohl jede Stadt. Das Alterthum durfte auf sein Abdera hinweisen und das tiefsinnige mittelaltrige Lalenbuch erzählt, daß allenthalben im heiligen deutschen Reiche ein Abdera zu finden: im Braunschweigischen Schöppenstädt, in Hessen Schwarzenborn, in Westfalen Bockum, im jülicher Land Dülken u. s. w. Auch in Wien fand und findet sich ein Stück Abdera, und Schlögl wies mit strengem Finger darauf hin und schrieb sein Mene tekel an die Wand. Er war mehr als bloßer Sittenschilderer, er war Satiriker, und in vollem Maße bewahrheitete sich auch an ihm das Wort des Juvenal »difficile est satiram non scribere«. Er malte mit sicherem Pinsel das Laster, aber er malte, wie es sich gebührt, auch den Teufel dazu. Trotz des Humors, der alle seine Darstellungen wie ein silberner Faden durchzieht, fehlte ihm ein gewisser sentimentaler Zug nicht. Eine sorgende, selbstquälerische Angst durchzittert seine Bilder, Angst um die Wohlfahrt der Wiener, die er tadelte, weil er sie liebte, Mitleid mit Jenen, die an sich selbst und dem Unglück zu Grunde gehen müssen. Wohl gibt es Menschen, bei denen das Unglück gleich nach der Geburt, häufig sogar schon vor der Geburt beginnt. Aber von jedem Menschen kann man verlangen, daß er wenigstens den Versuch unternimmt, durch ethische Anstrengungen ein Gleichgewicht zwischen sich und den Verhältnissen herbeizuführen. Der Wiener macht ihn oft genug nicht aus feiger Schwäche – diese Mahnung und diesen Vorwurf kann man in den Schriften Schlögl's zwischen den Zeilen lesen. Neben dem Betrübenden und Demüthigenden findet sich auch des Erfreuenden und Erhebenden genug. Wir lernen in dieser belletristischen Ethnographie über Wien und die Wiener nicht allein die Tragödie des Leichtsinnes, der Zotengier, des Lustfrevels kennen, sondern auch die hellsten, freundlichsten und freudigsten Seiten des Volksgemüthes, der Volksgenügsamkeit und der Volksfröhlichkeit. Wir steigen in die Höhlen des Lasters hinab, aber wir betreten auch die Stuben der zufriedenen Arbeit und der mit stiller Heiterkeit und rührender Ergebung ertragenen Armuth. Die Herzlichkeit, die Anmuth, die Liebe, Alles, was schön ist im Menschen und das Leben erträglich macht, spielt in seinen goldensten Lichtern. Und so ward es Friedrich Schlögl gegeben, zu belehren, zu unterhalten, zu fesseln und nach verschiedenen Seiten hin anzuregen.

In seinen letzten Lebensjahren griff er nur selten zur Feder. Viele Erscheinungen der neuen Zeit verstimmten und verletzten ihn, der immer empfindlich und erregbar blieb, auf's Tiefste. Als Vorleser trat er wiederholt mit großem Erfolge öffentlich auf. Originell wie er selbst, war auch seine Art zu lesen. Kein Schauspieler hat ihn darin überboten. Die Natürlichkeit, die dramatische Lebendigkeit, sozusagen die Selbstverständlichkeit des Vortrages seiner Skizzen war meisterhaft. Im Uebrigen lebte er an der Seite seiner musterhaften Lebensgefährtin in einem alten Hause, dem er mehr als vierzig Jahre als Miether angehörte, ziemlich einsam dahin, umgeben von Büchern und Zeitungen, deren eifriger Leser er war. Er las sie und ärgerte sich über ihre zahllosen Unrichtigkeiten und Ungenauigkeiten, denn er war auch ein Meister in der Kunst des Sich-Aergerns. Alle möglichen Artikel und Notizen über die Local-Chronik, wie über die Weltgeschichte, über Zeiten und Menschen schnitt er sorgfältig aus den Zeitungen heraus und sammelte sie, genau classificirt und rubricirt, in einem ungeheueren Wust von Fascikeln, der, als er seine kleinen Wohnräume erfüllt hatte, auf Böden und in Kellern aufgestapelt wurde. An dieser papierenen Welt hing er mit ängstlicher Treue und Liebe. Er schrieb ein drolliges Büchlein über Sammler und über vereinzelte Originale unter ihnen, über Viertel-, Halb- und Ganz-Narren, merkwürdige Käuze, stille Sonderlinge u. dgl., und er war selbst einer der unermüdlichsten Sammler, die Leiden und Freuden eines solchen bis zur Neige auskostend. Er schnitt mit der Scheere in bedruckten Papieren so lange herum, bis die Parze kam und seinen eigenen Lebensfaden entzwei schnitt.

Seit langer Zeit von Leiden geplagt, schloß der theuere Mann seine hell sehenden Augen am 7. October 1892. Als er, geistig frisch, doch körperlich vernichtet, nach seiner letzten Leidensnacht den grauenden Morgen bemerkte, sagte er: »Gott sei Dank, daß es wieder licht wird!« Dann neigte er das Haupt und starb. Er hat das Licht immer geliebt. Nun leuchtet ihm das ewige – möge es ihm freundlicher sein, als ihm das irdische oft gewesen! In Purkersdorf bei Wien liegt er im eigenen Grabe, das er sich lange Jahre vor seinem Ende selbst gekauft hatte, begraben, umgeben von dem schönen Bergkranz des Wienerwaldes, den er so feurig geliebt.

Schlögl hatte viel erlebt und erlitten; aber er hatte sich auch oft gefreut und, wie pessimistisch er sein konnte, er lebte gern. Das wissen Diejenigen, denen er nahe stand. Im Kreise der Freunde, wie ging ihm das Herz auf; wie köstlich übersprudelnd war seine Laune; wie unermüdlich seine Lust, Schnurren zum Besten zu geben und aus dem unerschöpflichen Schatze seiner Erinnerungen Anekdoten hervorzuholen; wie warm war sein Antheil an allem Menschlichen und wie trostvoll sein Rath und sein Zuspruch!

Nun ist er dahin und kommt nicht wieder. Er war ein ganzer Mann und ein deutscher Mann: das wollen mir nicht vergessen!

Zu seinen letzten Lebensplänen gehörte die Herausgabe seiner ausgewählten Schriften, die er selbst auf »Wiener Blut«, »Wiener Luft« und »Wienerisches« zunächst beschränken wollte. Er sprach mit mir häufig darüber, mich gewissermaßen zu seinem literarischen Testamentsvollstrecker ernennend. Nun erscheinen, seinem Sinne entsprechend, die genannten Bücher wieder vor dem Publikum, unverändert und unverkürzt im Texte. Nur die Aufeinanderfolge der Aufsätze mußte aus technischen Gründen hin und wieder verschoben werden. Ich zweifle nicht, daß sich die Schriften Schlögl's Freunde auch in ferner Zukunft erwerben werden. Als Motto aber sollte man darüber schreiben: ihm galt kein Gesetz höher als das der Wahrheit.

Wien, im April 1893.

Fritz Lemmermayer.

Geleitsbrief.

Nachfolgende Skizzen erschienen großen Theils unter dem Titel » Kleine Culturbilder aus Wien« im Feuilleton des » Neuen Wiener Tagblatt« und waren mit der Chiffre »F. S.« gezeichnet.

Die außerordentliche Popularität dieses publicistischen Organes kam meinen literarischen Versuchen insoferne trefflich zu Statten, als es mir durch die immense Verbreitung desselben vergönnt war, gleich vorwegs einen Leserkreis von solchem Umfange zu finden, wie er selbst den verdienstvollsten Productionen nur selten zu Theil wird, und somit zu einem Auditorium zu sprechen, das sich im Laufe der Jahre zu einem unabsehbaren gestaltete.

Dieser günstige Umstand, und nicht ein innerer schriftstellerischer Werth (welches Deficit ich selbst nur zu sehr vermisse), machte meine anspruchlosen Skizzen in weitesten Kreisen bekannt, und ich hätte mich mit dem erzielten Resultate eigentlich begnügen sollen, da auch noch irgend eine literarische Gloriole zu erreichen, diesen Arbeiten wohl jegliches Anrecht fehlt.

Aber nicht nur nachsichtige, auch gar freundliche Stimmen erschollen, welche meinen » Schilderungen des Wiener Volkslebens« das Zeugniß gaben, daß sie mindestens getreue Porträts gewisser Schichten und Stände seien und namentlich die allmählich aussterbende Race des unvermischten » Urwieners«, des » Wiener Vollblut«, der typischen Specialitäten von den » entern Gründen« – lebenswahr gezeichnet wären.

Viele solche wohlwollenden Urtheile vereinten sich endlich in dem mich ehrenden Wunsche, diese » Zeit- und Sittenbilder« dem Lose der Tagesliteratur zu entreißen und sie, sowohl als Chronik einer entschwindenden Epoche und ihrer markantesten Repräsentanten, wie auch als unverfälschten Ausdruck der unvermittelten, urwüchsigen, weltberühmten » Wiener Anschauung und Empfindung« zu erhalten.

Ein Wagestück ist es. Ich kenne nicht die Zahl der »Amateurs« dieses specifischen »Genres«, und wenn ich sie kennte, weiß ich erst nicht, ob sie durch die einmalige Lectüre nicht schon hinlänglich gesättigt seien, oder ob ein volles Menu von solch – derber Kost, nach ein und derselben Façon bereitet, und ohne Beigabe stylistischer Delicatessen, dem Geschmacke des Lesers zusage.

Ist doch die gewählte Form meist – rüde. Denn, war ich auch bemüht, das etwas plumpe Instrument des heimatlichen Dialectes mit möglichster Behutsamkeit und aller schuldigen Rücksicht vor den zartfühligen Nerven meiner verehrten Leser und Leserinnen zu handhaben, so dürfte der unmelodische Ton hin und wieder manchem Ohre doch noch immer befremdend, um nicht zu sagen: verletzend klingen, und manches Auge sich erzürnt abwenden von der unnachsichtlichen Deutlichkeit der aufgerollten Bilder. Gefaßt auf solche fatale Wirkung, rechtfertige ich mich jedoch mit der, freilich subjektiven Meinung, daß gewisse Dinge eben genannt werden müssen, wie sie heißen, soll der Begriff nicht verloren gehen.

Ich meine den charakterisirenden Begriff von der innerlichen und äußerlichen Wesenheit einzelner, wenn auch nicht löblichen Urtypen der Gesellschaft; die richtige Anschauung von der originellen Organisation dieser oder jener Branche und Gattung, die nur an ganz besonderen Merkmalen zu erkennen, welche aber dem Zeichner von Bedeutung, wenn er die classischen Hauptacteurs drastischer Scenen zu porträtiren hat.

Kommt nun zu guter Letzt auch noch der klägerische Haupteinwurf, daß eine solche gewissenhafte Deutlichkeit überhaupt nicht nöthig; daß es kein allzu verdienstlich Unternehmen ist, Gestalten vorzuführen, deren sittlicher Mißwuchs oder sonstige ästhetische Gebresten an und für sich keine amusante Augenweide, so erlaube ich mir weiters zu erwidern, daß, wie der professionelle Naturforscher sich nicht nur mit zierlichen Schmetterlingen und ähnlichen Nippes der Schöpfung allein beschäftigen kann, sondern den unappetitlichsten Thierchen die gleiche anatomisirende Aufmerksamkeit angedeihen lassen muß, so auch der Chronist der Local- und Tagesgeschichte mit seinem Amte die Pflicht übernimmt, zeitweise in die unsaubersten Räume hinabzusteigen, um auch das gang und gäbe Ceremoniell der ungewaschensten Ignobility kennen zu lernen; die auf einsamen (oft waghalsigen) Wanderungen auftauchenden Helden (und Heldinnen) der verdächtigsten »Einschicht« kritisch zu analysiren, oder – im lustigsten Falle – die taumelnden Insassen räucherig-fuseliger Refugien bei ihren Debatten zu belauschen, um auch von dieser Sorte zweifelhafter »Ebenbilder Gottes« einen getreuen Bericht erstatten zu können. Die culturhistorische Beute, die sich auf solchen Rundgängen ergab, steckte ich denn gleichfalls in meine Sammelbüchse – wenn ich sie nun öffne, und die curiosen Varietäten classificire, mag ein verehrungswürdiges Publicum meinem Vortrage nicht unwillig horchen. –

Ich ambitionire just nicht den Ruf eines »Cuvier der Kneipen-Infusorien«, aber wenn die krassesten Kirmeßbilder eines Ostade, Breughel, Brouwer und Teniers ihre ... Verehrer fanden, so könnte es gestattet sein, auch die städtischen Repräsentanten der allerletzten Diätenclassen mit der Feder zu zeichnen, zumal die Boudoirs und Salons ihre Plutarche in erklecklicher Anzahl bereits besitzen, und es nachgerade vielleicht doch – ermüdend werden dürfte, unausgesetzt durch betäubend parfumirte Gemächer und auf wollüstig weichen Teppichen graziös umherzutrippeln ... Und so erscheine ich denn in etwas derouter, oder doch salopper Toilette, ja zumal in massiven Holzschuhen und mit aufgestreckten Hemdärmeln und erzähle in ungeschminkter Weise – und wenn's Noth, in der Ursprache – von Leid und Freud der schwielen- und sorgenvollen misera plebs, von den dubiösen Heldenstücklein unserer Localherkulesse aus den ungepflasterten Bezirken, von dem eigenartigen »Hamur« meiner » engeren« Landsleute, von den olympischen Spielen der robustesten Athleten im Rayon der Roßauerlände und ihrer ehrgeizigen Rivalen, der »Thurybrückler« und des »Wiesener« Nachwuchses; ferner von den Zungen- und Faustgefechten der Welfen und Ghibellinen vom »Althan« und »Michelbeuern«, von den Gaunerkniffen des Spelunkengesindels, von der unverwüstlichen Naivetät des Spießbürgers u. s. w. u. s. w.

Mein Versuch ging dahin, das Wiener Volksleben der letzten Decennien in einzelnen Partien zu schildern. Frühere Epochen fanden eine Legion Historiographen, davon heute noch die theils burlesken, theils schlicht-einfachen, gleichzeitigen Berichte eines Gewey, Richter, Perinet, Friedel, Rautenstrauch, de Luca und vor Allem des wackeren Pezzl als die trefflichsten Spiegelbilder des Josefinischen Wien gelten. – Das » Wien des Kaiser Franz« fand in Hebenstreit, Kanne, Gleich, Grässer, Castelli, Schimmer, Bäuerle, Realis u. s. w. u. s. w. seine ethnographischen (meist lobhudelnden) Zeichner, denen sich noch » ex offo« eine ganze Schaar hyperserviler Skribler anschloß, um die unvergleichliche Glückseligkeit und Gemüthlichkeit der herrschenden Zustände in Heften, Brochuren und Bänden – für den Maculaturhändler nachzuweisen. – Während des stillen, dreizehnjährigen Interregnums Ferdinand's des Gütigen begann die Mode des Porträtirens einzelner » Volksfiguren« und beschäftigte sich eine ansehnliche Reihe geachteter Schriftsteller – ich nenne nur Stelzhamer, Stifter, Sylv. Wagner, Reiberstorffer, L. Scheyrer, der farbenreiche Stylist Nordmann, R. v. Perger u. s. w. mit solch populären »Studien und Charakteristiken«. Ihrem Beispiele folgten später H. Adami, Märzroth, Levitschnigg, aber auch zahllose Andere, deren Namen und »Werke« heute selbst ihren Zeitgenossen bereits mythisch erscheinen würden. Außer diesen eingeborenen Chronisten widmete jedoch auch der unaufhörliche Zuzug neugieriger, »Backhendl«-süchtiger Touristen der alten, vielbesungenen und noch mehr verleumdeten Kaiserstadt seine kritisirende Aufmerksamkeit. Wer vierzehn Tage Ferien hatte, kam »aus dem Reich« in das lustige Phäakennest und schnupperte nach drastischen Typen. Wer ein Paar Löffel Suppe hier aß, einmal den Schönbrunner Garten, am nächsten Tage den Prater und das Leopoldstädter Theater besuchte, schrieb ein dickleibiges Buch über »Wien und die Wiener«. Glaßbrenner, der allzeit Witzige, persiflirte die dreiste Methode in kaustischer Weise, indem er seine (übrigens gediegenen und trotz ihres sechsunddreißigjährigen Alters heute noch werthvollen) »Bilder und Träume aus Wien« mit den classischen Worten einleitete: »Ich habe Feder, Papier und Tinte, warum sollte ich kein Buch über Wien schreiben?« Und so schrieben nach diesem pikanten Recepte denn wirklich auch Mathias Koch und selbst Großhoffinger (fürchterlichen Andenkens) – von den Lohnschreibern gewisser Pamphleten-Verleger gar nicht zu reden, über das arme Wien! – –

Als »unvermischter Wiener« erlaubte ich mir ebenfalls den »Wiener Boden« zu durchforschen, und, was ich hiervon der Schilderung werth hielt, einzusammeln und für ein Büchlein, eine Art » socialen Wegweiser« zurecht zu legen. Hier ist es: der Nachsicht meiner theuren Leser auf's Dringlichste empfohlen.

Und nun noch Eines: Ich bat oben des Langen und Breiten, mir die Ungeschlachtheit der Form zu verzeihen ... ach! die vermeintlich grellsten Skizzen, die vor vier und fünf Jahren fertig, sind heute vielleicht schon » abgeblaßt«, und was ich für derb halte, dünkt Manchem etwa zu zahm. Ein Rudel überbietender Nachtreter in gewissen Organen ist ja längst weit energischer in seinen Schilderungen – – ich lasse ihnen den Lorbeer.

Wien, im Weinlesemond 1872.

F. S.


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