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IV. Portraits und Skizzen.

Fastenpredigten und ihr Publicum.

(März 1869.)

Die Wettrennen in der Freudenau, die Wacheablösung auf dem Burgplatz, eine Hinrichtung bei der Spinnerin am Kreuz, der Mariabrunner Kirchtag, der Eisstoß, »Der Müller und sein Kind« am Allerseelentag, ein großes Dachfeuer, ein schwimmender Pudel in der Donau, ein Benefice der Gallmeyer, eine Taubenjagd beim »Hasel«, ein amtlicher Rundgang des Abdeckers, eine neue Harfenistin, dann die Gerichtsverhandlungen, der »Heurige« beim »Gschwandtner«, die Plenarversammlungen des Gemeinderathes und die Sitzungen der beiden »hohen Häuser«, eine Leichenfeier der Entreprise, ein neues Ballett, eine Häuserdemolirung, die Eröffnung einer neuen Bierhalle, und wie die verschiedenen Schaustellungen, öffentlichen Functionen und Gemüthsemotionen der Wiener heißen mögen, sie haben alle ihr eigenes Stammpublicum. Natürlich haben es auch die Fastenpredigten (ich spreche von den modernen), die für eine gewisse Gattung Menschen nunmehr ein besonderer Seelen- haut-goût geworden sind.

Als vor fünf Decennien der phantastische Renegat und Poet Zacharias Werner das »Wort Gottes« (meist in der Ligourianerkirche) lehrte, da strömte ganz Wien, ohne Unterschied des Standes, des Alters und selbst der Konfession herbei, um den geistreichen Mann mit dem entsetzlichen preußischen Dialecte zu hören und sich von ihm thatsächlich »erschüttern« zu lassen. Aber schon Werner begann, durch seine außerordentlichen Erfolge irregeführt, immer mehr auf den Effect loszuarbeiten; weniger das »Seelenheil« seiner Zuhörer im Auge, war es ihm in letzter Zeit nur mehr darum zu thun, durch Ungeheuerlichkeiten des Ausdruckes zu glänzen, ja man fügt, daß er sogar Wetten machte, gewisse Bilder ungefährdet auf der Kanzel zu gebrauchen. Und er that dies auch in seiner berühmten Predigt über das » kleene Stückchen Fleesch« (Fleisch), das alles Unheil über die Welt gebracht und dessen Fluchwürdigkeit er in zahllosen Beispielen andeutete. Die Zuhörerschaft schlug scheu die Blicke zu Boden. Plötzlich rief Werner kreischend: »Soll ich Euch das kleene Stückchen Fleesch nennen!« Todtenstille. »Soll ich es Euch zeigen?!« Entsetzliche Pause. »Da, seht her, hier ist es!« Und Werner reckte – seine Zunge heraus. Ein Gekicher war die Antwort.

Werner war überhaupt drastisch in seinen Gleichnissen. In der wahrhaft großartigen Predigt: » Die Posaunen des Weltgerichts«, wo Worte von dichterischer Begeisterung von seinen Lippen strömten, rief er, seinen »Herrn und Meister« gar sonderbar citirend, in unheimlicher Ekstase »Früh oder spät, in irgend einem künftigen Zeitpunkte, den alle menschliche Weisheit nicht bestimmen kann – ein entsetzliches Geheimniß im Buche des Schicksals – vielleicht in dieser Stunde, oder nachdem tausende von Jahren hinabgerauscht sein werden, wird plötzlich und unversehens, wie ein Blitz, wie ein Dieb in der Nacht hereinbrechen das Weltgericht, dem kein menschliches Wesen entrinnen kann etc.«

Kurz vor seinem Tode verfiel Werner, der geniale Titane des Wortes – in blöden Mysticismus, in gedankenlose Bigotterie, in aberwitzige, frömmelnde Spielerei, und die goldene Schreibfeder, ein Geschenk des Fürstprimas von Dalberg, die Werner als das »Hauptwerkzeug seiner Verirrungen und Sünden« der Kirche, respective der Schatzkammer in Mariazell, verehrte, damit die Mutter Gottes ihm all das verzeihe, was er je geschrieben (auch seine wunderprächtigen Dramen), ist ein wehmüthiges Zeugniß der Geistesnacht, in welcher der Dichter des »Vierundzwanzigsten Februar« und des »Attila« sein sturmbewegtes Leben endete.

Werner fand bald eine Menge Nachahmer, die ihm jedoch nicht bis an das Kniegelenk reichten. Selbst der Bedeutendste, der 1832 verstorbene Ruttenstock, der bei St. Stefan predigte und viel Zulauf fand, konnte ebensowenig, wie Zocek (bei den Schotten) Werner aus der Erinnerung verdrängen. Nur Veith, gleichfalls ein Convertit, ein Mann von universaler Bildung, von durchdringendem Verstände und umfassendem Wissen, ragte, obwohl ihm nicht die mindesten äußerlichen Mittel zu Gebote standen, um auf seine Zuhörer zu wirken, doch als geistiger Riese unter den Kanzelpygmäen hervor und ergriff sein Auditorium durch die Schärfe seiner Gedanken und die sieghafte Gewalt einer unerbittlichen Logik. Aber auch Veith kam mit den Jahren auf Abwege. Die Reaction gewann den sinnigen Kopf und seinen Denker, er wurde ihr getreuestes Sprachrohr, und die » politischen Fastenpredigten« des heute fast neunzigjährigen erblindeten Greises, welche er vor anderthalb Decennien in der Stefanskirche, bei den Franciscanern und Kapuzinern hielt, und die von Ausfällen auf die Bewegungsepoche und die Partei des Fortschrittes strotzten, sind ein trauriges Vermächtnis; der einstigen Geistesgröße des populären Mannes und zartfühlenden Gelehrten.

Die gleichzeitigen Rivalen Veith's erhoben sich nicht über die Alltäglichkeit. Sedlaczek, ein Schüler Löwe's, des feurigen Declamators, bestach nur durch die geschmackvolle Vortragsweise, die jedoch stark an die viel applaudirten Monologe Alboin's, Rustan's und Mortimer's erinnerten. Sedlaczek war ein Liebling der Aristokratie, die Damen verehrten den frommen Mann abgöttisch, er wurde Hofprediger und zuletzt Prälat in Klosterneuburg.

Diese irdischen Erfolge des Vielbelohnten spornten andere gottesfürchtige Männer, welche gleichfalls das Zeug in sich zu fühlen glaubten, durch die Macht der Rede die sündhafte Welt auf die Pfade der Tugend zurückführen zu können, an, sich ebenfalls auf der Kanzel hervorzuthun. Eine Legion von declamatorischen Streitern der Kirche erstand, aber die meisten der neuen Capistrane wählten die Methode des »Eclatmachens«, sie gefielen sich in Absonderlichkeiten und sprachlichen Wagnissen, wie Werner, oder in hämischen Ausfällen auf die liberale Richtung des Zeitgeistes, wie Veith, betrübenden Andenkens.

Die Fastenpredigten, welche, weil sie das »vierzigtägige, bittere Leiden und Sterben des Herrn und Heilands Jesu Christi« alljährlich in das Gedächtniß der vergeßlichen Menschheit zu rufen haben, gerade durch die Weihe des Gegenstandes wirken und das »Wort Gottes« in seiner hehrsten Erhabenheit lehren sollten, bekamen gar bald ein ganz anderes Renommée und zeichneten sich durch die weltlichsten, um nicht zu sagen – frivolsten Stoffe aus. Denn obwohl noch in einzelnen Kirchen ein paar finstere Fanatiker mit geballten Fäusten auf die Brüstung der Kanzel losschlugen, von den Schrecknissen der Hölle ein Schauergemälde entwarfen, von dem siedenden Oele, von dem brennenden Schwefel und Pech, mit dem die Sünder Millionen Jahre hindurch gemartert würden, von den glühenden Steinen, mit denen der Aufenthalt der Unbußfertigen gepflastert, und dem Flammenmeere, in das der, Frevler, der nur eine Sünde nicht gebeichtet, von dem zürnenden Cherubim getrieben, die haarsträubendsten Mittheilungen machten – so konnten diese dialectischen Höllen-Breughels ans ein Residenz-Publicum doch nicht nachhaltig wirken. Einige hysterische Frauen fröstelte es, und sie zogen die Mantille knapper über die Achsel, die alten Weiber schlugen wiederholt das Kreuz, hie und da rollte ein an eine Säule gelehnter, dem »religiösen Wahnsinn« halb verfallener Privatzelote, der ohnehin eines Tages sein Bischen Hab und Gut der »Kirche« testirt, wild seine Augen, oder grinste so recht boshaft vergnügt bei der Schilderung der graulichen Scenerie, die der himmlische Regisseur als Abschreckungstheorie in den unteren Räumen seiner Schöpfung arrangirt haben sollte – aber die große Masse des leichtlebigen Wiener Völkchens glossirte leichtsinnig lächelnd diese drastischen höllischen Berichterstattungen, die Wiener in Bausch und Bogen glaubten nicht an Schwefel und Pech und blieben endlich ganz weg. Die Wiener bedurften einer anderen Kost, als dieser bäuerischen, ihre Ohren eines anderen Kitzels.

Diesen Moment erfaßte der Orden der Jesuiten und seine Collegen, die Lazaristen und Redemptoristen, und sie sandten ihre sogenannten »Talente« aus, um den indifferenten Wienern wieder einigen Geschmack an den Predigten und an den Fastenpedigten insbesonders abzugewinnen. Die berühmtesten Apostel, welche nun die Heiden und Ungläubigen des V. U. W. W. zu bekehren hatten, waren: Der nun bereits verstorbene Jesuit Staffler, die Jesuiten Josef und Ferdinand Klinkowström, wovon Josef, der heuer auf Predigergastrollen in Straßburg weilt, wohl der bedeutendere ist (Ferdinand starb mittlerweile), der Redemptorist Graf Coudenhove, dermalen jüngster Domherr, dann Kassewalder, jetzt Prior der Redemptoristen, ferner die Lazaristen Kramer, Koppi, Muhm († 1860), Nachtigall (ein geborner Wiener) u. s. w. Und diese Herren brachten denn in der That auch wirklich Neues, sie erfanden die » Missionen«, die Predigten für » Jungfrauen«, wobei den Männern der Zutritt strenge verwehrt wurde, und diese sich gutmüthig genug die Thüre des doch für Alle geöffneten Gotteshauses durch die Sacristeibüttel vor der Nase zuschlagen ließen, dann die Predigten für » Frauen und Wittfrauen« und noch mehreres Anderes.

Die Presse war damals geknebelt und lag starr in dem Banne der Segnungen des Concordates. Es war nicht gut möglich, über jene geheimen »Geschlechts- und Standespredigten« etwas in die Oeffentlichkeit zu bringen. Man sah nur die Mädchen nach beendigter Predigt die Kirche in verwirrtem, aufgeregtem Zustande verlassen. Man erzählte sich die wunderlichsten Dinge. Besonders zwei Predigtstoffe gingen in Wien von Mund zu Mund: Ueber eine gewisse Mehlspeise, die man des Anstandes wegen anders nennen sollte, und wie die Kaffeemühle zu handhaben wäre ...

Diese »pikanten« Predigten brachten ganz Wien in Aufruhr. Eine Menge scandalöser Scenen wurde von der Fama damit in Verbindung gebracht; Jünglinge sollten sich, um ihre Neugierde zu befriedigen, als Mädchen verkleidet und in die Kirche eingeschmuggelt haben, wo sie sodann erkannt und arretirt worden seien. Ohnmächten, Wahnsinnsfalle, Selbstmorde, ja sogar Veruntreuungen und Diebstähle, um Opferspenden bringen zu können, waren das Material für die Chronik jener merkwürdigen Tage. Ich weiß nun nicht, wieviel daran Wahres sei; genug, daß die öffentliche Meinung derlei glaubte und colportirte.

Die neuen Matadore der Kanzel behielten natürlich ihr erobertes Terrain nun inne und nützten die Macht ihrer gefeiten Stellung und Würde auch weidlich aus. Vornehmlich waren es die Fastenpredigten, in denen sie sowohl auf gewisse Stände, als auf die große Masse überhaupt zu wirken suchten. Einzelne Fastenprediger liefen nun ihren Collegen bald den Rang ab, sie überboten sich in der Originalität ihrer Themata oder Vortragsweise und das Publicum lief wieder diesen neuen Wortführern der Kirche um die Wette zu. (Josef) Klinkowström und Graf Coudenhove waren die gesuchtesten, sie wurden die »Modeprediger« und eine Fastenpredigt schließlich zur – Modesache.

So stehen die Dinge auch heute noch. Die Namen der Kämpen haben sich zwar momentan geändert, aber die Sache ist dieselbe geblieben. Unter tausend Zuhörern stellen deshalb auch die Neugierigen das größte, und die Andächtigen das kleinste Contingent.

Man stößt sich und drängt sich und läßt sich Plätze reserviren, wie im Theater, denn gewisse Prediger der neuesten Aera »amüsiren« die Neugierigen auf's Beste. Die Kanzel ist nämlich mit einigen wenigen Ausnahmen zum Tummelplatz der Polemik geworden. Man erwiderte bereits auf Späße von Witzblättern, man kritisirte die Feuilletons Kürnbergers u. s. w. Von dem »bittern Leiden und Sterben Jesu Christi« wird nur nebenbei gesprochen, dagegen aber werden über Actienschwindel, Maskenbälle, den schändlichen Liberalismus und die schlechte »Judenpresse«, über Gemeinderath und Gesetzgebung die launigsten Ausfälle gebracht. Man nennt gewisse Predigten heutzutage nur mehr, und mit Recht, »Causerien«, man weiß bereits, wie bei einer Rede des witzigen Abgeordneten vom Neubau, »Heiterkeit« zu registriren, und gelingt es dem Meßner, ein paar »Notizler«, die dieses originelle »Wort Gottes« (natürlich nur für die »Judenblätter«), aufschreiben wollen, bei solcher Schandthat in flagranti zu ertappen und sie unter Faustschlägen und Rippenstößen vor die Thüre zu setzen, so ist die »Hetz« fertig, und das Publicum erhält auf diese Weise gratis noch eine Superdividende an Amüsement.

Welches Publicum besucht nun diese unterhaltenden Fastenpredigten? Es ist eine bunte Masse, und jede Kirche und jeder Prediger haben ihr eigenes Publicum.

 

So weit hätten es die hochwürdigen Herren von der Kanzel bereits gebracht, daß, gleich der Sperrsitzagiotage bei einer neuen Offenbach'schen Operette, ein förmlicher Kirchenstuhlhandel während der Fastenpredigtzeit getrieben wird, und an den Tagen, wo Abbé Wiesinger, Pater Bremer, Lamezan, Steiner oder sonstige Löwen der Saison, die am besten über Zeitungsschreiber und ähnliche Ungeheuer des verderbten Jahrhunderts loszudonnern pflegen, am Repertoire sind, unter fünf »Sechserln« kein ordentlicher Sitzplatz zu haben ist.

Ein Consortium von alten Weibern, die ich übrigens durch meine Schilderung beileibe nicht um den Verdienst bringen will, hat nämlich fast sämmtliche Bänke in den renommirteren, d. h. Modekirchen an solchen oratorischen Festtagen schon eine Stunde vor Beginn der Predigt mit Beschlag belegt. Diese occupirten Plätze werden für die Stammkundschaften reservirt, was insoferne eine zweckmäßige Einrichtung ist, als die pränotirten Damen sich nicht zu beeilen brauchen und es ihnen dadurch vielmehr möglich gemacht ist, vorher in der completen Fastenpredigttoilette, mit dem in schwarzes Tuch gebundenen Gebetbuche und schwarzem Schmucke über den Ring zu promeniren, die Auslagen zu besichtigen u. s. w. Daß sich eine oder die andere Dame bei dieser flanirenden Einleitung zur Fastenandacht zuweilen verspätet und durch ihr rauschendes Erscheinen eine kleine Störung in dem dichtgedrängten Kreise der Andächtigen hervorruft, ja oft sogar die Aufmerksamkeit des Predigers erregt, ihn verwirrt und aus dem Contexte bringt, ist zwar zu beklagen – allein, was will man machen? Damen kommen immer zu spät und derlei Störungen geschehen auch allabendlich in beiden Hoftheatern.

Was nun die professionellen Platzaufheberinnen betrifft, die, nebenbei erwähnt, heuer, wo die Fastenpredigten wieder einmal en vogue sind, eine verhältnißmäßig brillante Losung machen dürfen, so ist von denselben vor allem Andern ihr außerordentlicher Scharfblick in Auffindung von splendiden Kundschaften, ihre richtige Beurtheilung von deren Geschmacksrichtung und ihr schauspielerisches Talent in Ausübung der zum Geschäfte unentbehrlichen frommen Gesten zu bewundern.

Die praktische Kirchenplatzaufheberin wendet sich selbstverständlich, ehe sie für die Fastenzeit ihre Engagements trifft und die Contracte abschließt, vorerst an das »Kerzelweib«, das ihr die nöthigen Aufschlüsse über die Predigtweise dieses oder jenes Predigers gibt und einige charakteristische Merkmale über dessen Persönlichkeit mittheilt. Gestützt auf dieses lauterste Quellenstudium, beginnt sie sodann die Unterhandlungen mit dem »Wasserweib«, dessen poetischer Ausschmückung es überlassen bleibt, sowohl den Prediger als die Platzaufheberin bei der betreffenden »Herrschaft« anzurühmen.

Hat nun die gottesfürchtige Dame des Hauses z. B. eine besondere Vorliebe für figürliche »Judenabschlachtung«, so wird natürlich die Peterskirche und Abbé Wiesinger von dem weiblichen Kirchen- und Küchengeheimrath vorgeschlagen. Hat sie ein Faible für die »Vernichtung der Freimaurer«, müssen ihr die Dominicaner und Pater Bremer dringend anempfohlen werden, Enthusiasmirt sie sich für den heiligen Kampf gegen die »Zuchtlosigkeit« – recipe: Augustiner und Pater Steiner u. s. f. Die Platzaufheberin weiß für jeden Herzenswunsch Rath, für jedes religiöse Bedürfniß sofortige Abhilfe. Diese glückliche Gabe, dann eine gewisse unterwürfige Geschmeidigkeit und die Fertigkeit im »Handküssen« machen sie zum unentbehrlichen Fasten-Factotum und verschaffen ihr, wenn sie so recht den »Gusto« trifft, manches »Sechserl« über die gewöhnliche Taxe.

Der pecuniäre Erfolg der Platzaufheberin, welche in freien Stunden auch im »Traumauslegen«, in »Dienstbotenzubringung« etc. macht und früh Morgens und spät Abends für eine kleine Entschädigung den »Meroperl« spazieren führt, hängt von deren glücklichem Exterieur ab. Je kläglicher – desto besser. Denn es gehört zum religiösen bon ton, wenigstens während der Fastenzeit die Armuth (öffentlich) zu unterstützen. Es macht sich so »gottwohlgefällig« und wird ganz gewiß auch in weiteren Kreisen bemerkt und erzählt, wenn die hochgeborne, in Sammt und Seide gekleidete, von einem Bischen Rouge angehauchte, aber desto mehr parfumirte Frau Baronin X., die sonst jede Berührung mit ihren äußerlich unsauberen Zeitgenossinnen ängstlich vermeidet, in der Kirche und coram populo mit einem alten, gebrechlichen, zerlumpten Weibe verkehrt, demselben ein paar Silberlinge, wovon einer auf die Steinplatten fallen darf, in die Hand drückt und in rührender Herablassung dessen Platz einnimmt. Und nun spreche ich vielleicht etwas Verletzendes, eine scheinbare Blasphemie aus, aber ich kann nicht anders und muß die Jahre lang beobachtete Großmuths- und Frömmigkeitstartufferie gewisser Modedamen und Excellenzen damit signalisiren, wenn ich es ungescheut sage, daß so manche pharisäerische Wohlthäterin mit der unterstützten Armuth Staat macht und mit dem beschenkten Elende prunkt. Denn die Wohlthätigkeit gehört, wie die schwarze Livrée des Bedienten und die schwarzlackirte Equipage, zu den Requisiten der »Fastensaison«.

Zu dieser Zeit wird deshalb die Heuchelei auf beiden Seiten geschult und auch die Armuth zu ganz eigenen, ihr unwürdigen Kniffen verleitet. Denn das zerlumpte, schmutzige Bettelweib weiß, daß es nur in diesen Wochen das aristokratische Händchen küssen darf, es weiß, daß es in den übrigen elf Monaten des Jahres nach Belieben verhungern kann, ohne daß es die fromme Beterin und Peterspfennigsammlerin im Geringsten schiert. Es weiß, daß es auch von minder vornehmen Damen, wie z. B. einstöckigen Vorstadthausfrauen, nur deshalb den momentanen kärglichen Verdienst hat, weil diese wieder mit ihren Grund-Standesgenossinnen rivalisiren und es zur interessantesten Bezirksconversation gehört, wenn einem on dit zufolge, das aus der Fleischbank oder von der Sauerkräutlerin stammt, es einmal sichergestellt ist, daß die Frau von Gangelbauerin bei Maria-Stieg'n und die Frau von Schimmelhueberin bei St. Ulrich sich von der alten Bergerin und der alten Kramerin einen Platz aufheben ließ, welche Volkssage allein schon dem Gangelbauer'schen und dem Schimmelhueber'schen Hauswesen sodann einen gewissen »noblichten« Relief verleiht.

Ach, die Armuth fühlt ja auch sonst recht gut heraus, wo man ihr aus vollem Herzen schenkt und wo sie nur als Reclame für den eigenen Namen, als Aushängschild, als billige Staffage eines zu bewundernden Edelsinnes benützt wird. Der arme Teufel kennt am Besten das gutmüthige Herz, er weiß auch genau, wo die Barmherzigkeit aufhört und die – Komödie anfängt, wo man aus Uneigennützigkeit gibt und wo es aus Prunksucht geschieht. Die Armuth ist die beste Menschenkennerin und sie versteht auch die Art des Gebens recht gut zu würdigen.

Im logischen Zusammenhange mit diesen unbestreitbaren allgemeinen Lehrsätzen aus der Rechtsphilosophie der armen Leute steht denn auch die beinahe lustige Wahrnehmung, daß diese praktischen Beobachter und Kritiker auch durch den frömmsten Cultus der Acteure und Actricen nicht irregeführt, das Wahre von dem Falschen herauszufinden missen und deshalb vielleicht nicht immer mit dem gehörigen inneren Respect – im Gegentheil sehr profan von gewissen äußerlichen Handlungen ihrer Mitmenschen – und seien diese zeitweise auch ihre Wohlthäter, zu denken, ja selbst zu sprechen gewohnt sind. Hören mir z. B. den Dialog einiger Fastenpredigt-Platzaufheberinnen an, die in der Regel doch mit den allergottesfürchtigsten Leuten im Verkehre stehen.

Frau Waberl (zu ihrer Geschäftscollegin): Kruzitürken, heunt kummt's wieder lang nit! Dös braucht alleweil a Zeit, bis 's mit ihr'n Aufputz firti is, und i sollt' schon bei die Dominicaner sein, wo's um sieb'ni anfangen. (Nimmt eine Prise.) Is's g'fälli?

Frau Everl: I dank! – Mein Gott! Unsereins verdient si die paar Kreuzer sauer gnua, No ja, so a g'stazte Gnädige glaubt g'rad, von ihre drei Sechser! kann ma leb'n; i hab' an schlaghaften Mann z' Haus, der si schon seit zehn Jahr' nit rührn kann und drei klane Kinder zum Ernähr'n – da haßt's auf'n Verdienst schau'n. Und mein' Hofräthin laßt sie heunt a schön Zeit!

Frau Waberl: Hör'n's, die Inn'rige möcht i schon gar nit. Was du für G'schichten macht. Der zehnte Platz is ihr nit recht, da ziagt's und dort kann's 'n Geistlichen nit in's G'sicht schau'n. I manet, wann ma nur a Predigt guat hört, z'segn gibt's ja e nix dabei.

Frau Everl: Mein älteste Tochter sitzt bei die Serviten, die hat a ihr Plag mit aner Bäckenmasterin, die von was Gott wo herkummt, weil's 'n Pater Innocenz so gern hört. So, du kann d' Leut sekir'n?! Und was gibt's ihr? Zwa Sechserln und a paar albachene Kipfeln steckt's ihr zu. Da kann ma schon fett wer'n davon. (Nimmt eine Prise.) Is's g'fälli?

Frau Waberl: I dank! Wissen's, mein Hausfrau is a Witfrau, die früher immer zu die Piaristen gangen is, aber seitdem 'n Pater Bauer der Schlag troffen hat, kann's nur mehr 'n Pater Kurz hör'n. So, dö thuat süaß!! Aber mir scheint, si is a Winkelhamliche, denn wie mir die Gstettnbauerin sagt, hätt's schon fünfmal heirat'n können und is alleweil wieder z'ruckgangen, weil sie si nit bindn mag. Jetzt haßt's, daß's gar an Prakticanten heirat'n will, aber i glaub's no nit.

Frau Everl: Wann i von meiner Hofräthin red'n wollt, wurd' i heut gar nima firti. Du liaber Himmel, man hat jo a Augen im Kopf und auf's Hirn g'fall'n is ma a nit. Mir scheint, dö geht nit weg'n Beten in d' Kirch'n. Uebrigens geht's mi nix an. Aber wissen möcht i, ob's a Hofräthin is, oder, wie die Schmiedtin behaupt't, nur die G'schiedene von an Kammerdiener, und daß a Baron ... a da kummen's ja olle Zwa ang'ruckt, na – schaut dö heut aus, aber so aufdunnert, wie a Schlitt'npferd – – küß' d' Hand, 'r Gnaden. –

Frau Waberl: Küß' d' Hand, 'r Gnaden! G'lobt sei Jesus Christus!

Frau Everl: Wunderschön schau'n 'r Gnaden heunt aus, grad wie a Hofdam' – küß' d' Hand, vagelt's Gott tausendmal – is aber a a prächtiger Platz, kan Zug und schnurgrad von der Kanzel – i dank, i dank, dös is all's z'viel! (Heimlich zu Frau Waberl): Wann's mit die Dominicaner firti san, kummens in Neustädter-Keller, die Großin und die Gansmüller kummen a. (Laut.) Küß' d' Hand, 'r Gnaden!« –

Das Fastenlied ist zu Ende, die Kirche ist übervoll, betrachten wir uns die Anwesenden.

 

Wie leicht hätte es mir noch vor einem Decennium, unter der Regierung jener exquisiten Gesellschaftsretter, geschehen können, daß ich wegen »Verspottung der Religion« u. s. w. auf soundsoviele Monate zu k. k. Erbsen und ärarischer Amtsdienergrobheit verurtheilt worden wäre, wenn ich mir hätte einfallen lassen, es laut zu sagen, daß ich von jenen Leuten nie viel gehalten habe, die – statt zu arbeiten, täglich in einem halben Dutzend Kirchen stundenlang auf den Knien herumrutschen, sich die Brust zerschlagen und die schmutzigsten Kehlheimer Platten mit den inbrünstigsten, zerknirschtesten Küssen reinlecken. Heute darf man sich zu solch »freigeistiger« Confession wohl ungestraft bekennen und deshalb erkläre ich bei meinem heiligsten Gottvertrauen, daß ich von jenen Leuten auch jetzt noch nicht viel halte.

Desto mehr rührt und ergreift mich die wahre, stille Andacht, die innige, gläubige Zuversicht an die Gerechtigkeit des himmlischen Vaters, und es schneidet mir z. B. jedesmal tief in die Seele, wenn ich Nachts über menschenleere Plätze nach Hause kehre und auf dem Betschemel vor dem Lämpchen einer Muttergottessäule, einer Kapelle oder dem Bilde des Gekreuzigten an einer Kirche, eine Gestalt hingegossen sehe, die, taub für das Gejohle der in den anstoßenden Straßen heimziehenden Zecher, ihre heißesten Gebete flüstert. Dort lachen und kichern sie und treiben unzüchtige Scherze, und hieher hat sich ein Geschöpf geflüchtet, das ungesehen sein Herz vor dem Ewigen ausschütten will und in dieser Beichte des Schmerzes vielleicht Trost findet. Welches Leid mag eine solche Brust bedrücken, welch Kummer mag sie erfüllen und wie stark und echt muß ihr Glaube an den Herrn des Erbarmens – an den göttlichen Erlöser sein!

Und ebenso habe ich immer Achtung empfunden vor jenen einsamen Betern und Beterinnen, die die dunkelsten Winkel der Kirche aufsuchen und, blind für die geräuschvolle Andacht der übrigen Kirchengänger, in sich versunken dastehen und die Angelegenheiten ihrer Seele ohne äußeren Apparat zu dem Ohre des Ewigen bringen. ...

Und wenn ich zur Zeit der Fastenpredigten die entlegeneren Räume des Stefansdomes durchschreite und in einer entfernten Ecke, abgeschieden von der hin- und herwogenden oder festgekeilten Menge, in einem Betstuhle eine verschleierte Gestalt sehe, zu der das rauhe Wort des Predigers nur selten dringt, die aber vielleicht in ihrem Innern es liebevoller und milder ergänzt, dann hüte ich mich, sie in ihren stillen Träumen zu stören und wende mich scheuen Schrittes zurück. Wenn aber die bunte Masse, die sich um die Kanzel und den Donnerer auf ihr drängt, in ihren einzelnen Exemplaren mitunter einen ernüchternden, um nicht zu sagen erheiternden Anblick gewährt, so ist es nicht meine Schuld, denn ich gehe wahrlich nicht, wie Pater Steiner uns »Zeitungsschreiber« speciell verlästert, in das Gotteshaus, um mich zu – »amüsiren«.

Ach, es amüsiren sich dort ganz andere Leute als »wir«, denn, wie ich selbst bereits angedeutet, besteht das Fastenpredigtpublicum bei dem heutigen Charakter der Predigten meist aus Neugierigen, dann solchen, die die Sache als Modesache mitmachen, und nur der verschwindend kleinste Theil recrutirt sich aus Jenen, die aus »religiösem Bedürfniß« herbeieilen, um über – die »Judenwirthschaft« schimpfen zu hören und ihr Herz an der Schilderung der Höllenqualen zu erquicken, welche den Fastentänzern, Freimaurern oder Actiensammlern in dem »besseren Jenseits« bevorstehen.

Der ausgediente Soldat und nunmehrige Kanzleidiener ist der passionirteste Fastenpredigtbesucher. Du erkennst ihn an dem glattrasirten Kinn, dem noch immer reglementsmäßig kurzen Backenbart (anderthalb Zoll vom Ohrläppchen und dieses mit einer goldenen Linse geschmückt), der niederen Stirne, den breiten, vorstehenden Nackenknochen, den schmalgeschlitzten Augen und dem weit aufgerissenen Munde, mit dem er das »Wort des Herrn«, wie es frischweg von der Kanzel kommt, begierig auffängt. Er ist von seiner militärischen Dienstzeit her für den Besuch der Fastenpredigten gedrillt, er hat sich gewöhnt an sie und ist täglich bei den Dominicanern oder Michaelern zu finden, ehe er in den Dominicaner- oder Michaeler- Keller, oder in die Herberge der Amtsdiener, die »Mistgrub'n«, auf »gruß' Seitl Vierundsechziger« geht. Er haßt die Neuzeit und ist ein Feind aller Neuerungen, besonders des beschränkten Holzdeputates, des kleineren Papierausmaßes und des verringerten Kerzenpauschales. Er perhorrescirt den Gedanken einer Anerkennung der Staatsgrundgesetze, nach welchen, wie ihm sein Hofrath gesagt, die jährlichen Aushilfen strengstens untersagt und sogar die Rebschnüre für die Actenfascikel verrechnet werden müssen. (Pfui Teufel!) Und deshalb kann er dem hochwürdigen Eiferer auf der Kanzel nur beifällig zustimmen (er thut dies unter fortwährendem Kopfnicken), wenn dieser von den verderblichen Folgen des sogenannten Liberalismus die grellsten Schilderungen entwirft.

Wenn auch nicht aus denselben Motiven, so doch mit ähnlich instinctiver Aversion gegen die sündhaften Bestrebungen der Neuzeit, nicken aus den Fenstern der »Fremdenloge« der Kirche, d. h. dem Oratorium, die Fürstin A, die Gräfin B und die Baronin C den Zornesausbrüchen des Gottesstreites zu. Sie werfen zwar zeitweise einen Blick in das Gebetbuch, das der schwarz gallonirte Diener auf ihren Betschemel gelegt – (die Fürstin benützt »Das reuige Herz« von Alexander Fürst zu Hohenlohe, die Gräfin: Gundinger's »Lilienblüthen« und die Baronin: »La journée du Chretien«) – oder mustern auch mit der Lorgnette die frivole Toilette diverser weiblichen Gäste im Schiff der Kirche, zumeist concentrirt sich aber doch ihre Aufmerksamkeit auf den Prediger, wenn er ein interessantes Thema gewählt, z. B. das Laster, das sich öffentlich zur Schau trägt, die frevelhafte Mutter, welche die Reize der Tochter veräußert, den elenden Spötter, der die Liebesgaben dem nothleidenden heiligen Vater verweigert, das wuchernde Judenthum, welches das Mark des Landes (das nach den Begriffen auf dem Oratorium doch nur der Adel sein kann), aussaugt u. s. w. O, man möchte den hochwürdigen Mann heute Abends so gerne zu Thee bitten, wenn man nicht wüßte, daß erstens der fromme Mann keinen Thee trinkt und man zweitens nicht selbst schon den Abend vergeben hätte, da eine Proverbe einstudirt werden soll.

Dicht unter der Kanzel sitzt ein Weib aus dem Volke, die Hausmeisterin Frau Nani, über die bereits viel Ungemach gekommen und die deshalb in der Kirche Trost für ihr geknicktes Herz sucht. Ihr Mann, der, »was ohnehin am ganzen Grund bekannt is«, allabendlich seinen »Trunk« hat, prügelt sie seit vierunddreißig Jahren allabendlich; ihre zwei Söhne, der »Pepi« und der »Schorsch«, haben, »jeder a liederlich's Tuch«, nirgends »gut gethan«, weßhalb man sie zum Militär gab, wo sie erst recht nicht »gut gethan«. Dann ist der Malefiz Siebenundsiebziger, den sie seit drei Jahren estratto nach Linz setzt, noch immer nicht auf den ersten Ruf gekommen, und da sie ihn jetzt um keinen Preis mehr »auslassen« kann, so wird sie halt recht gottesfürchtig, hofft – »wann nit eppa do a die Juden dabei in Spiel san, nu ja, wissen kann man's nit« – das Beste von unserm »liab'n Herrgott« und läßt so lange keine Fastenpredigt aus, bis nicht der Siebenundsiebziger in Linz auf den ersten Ruf »heraus is«.

Weiter rechts von ihr steht der Todtentruhentischler Herr Peter, ebenfalls ein gottesfürchtiger und nebstdem gelehrter Mann, der in seiner Jugend zwei lateinische Schulen absolvirt, nun Mitglied sämmtlicher frommen Vereine und wüthender »Calvarienberggeher« ist, und der jede freie Stunde entweder in der Kirche oder beim Heurigen verwerthet, an welch letzterem Orte er sein gehöriges »Maßl« von fünf Seiteln (keinen Tropfen mehr!) tradirend trinkt, d. h. seinen Tischgenossen dabei die Legende der Heiligen erzählt oder die schauderhafte Geschichte mittheilt wie die Studenten im Achtundvierziger Jahre die Religion abschaffen wollten.

Im Dunstkreise dieses braven Mannes stehen wie angenagelt, steif und ernst zwei Burgwächter (im Volksmunde »Staberlgarde« genannt), welche als Märtyrer der Beschäftigungslosigkeit die vielen Stunden bis sieben Uhr Abends, um welche Zeit erst die Hanni und die Mali beim Rührbrunnen erscheinen können, mit verschiedenen Fastenpredigten ausfüllen und, ohne sich einer nachhaltigen Begeisterung oder sonstigen heftigen Gemüthsbewegung zu überlassen, in apathischester Seelenruhe den Berichten über den ersten Sündenfall und die wachsende Sittenverderbniß der Menschheit zuhören.

Diese harmlose Absicht des sogenannten unschädlichen »Todtschlagens« der freien Zeit, mit welcher der Zehnte nichts »anzufangen« weiß, treibt nämlich viele »Andächtige« den Fastenpredigten zu. Jener dicke pensionirte Rechnungsrath z. B., der dort an dem linken Pfeiler mit halb geschlossenen Augen den Auseinandersetzungen über das Verbrechen einer Civilehe lauscht und sich nun ernstlich vornimmt, die bisher doch unsichere oder wenigstens zweifelhafte Stellung seiner Wirthschafterin durch den Segen der Kirche in eine legitime häusliche Charge zu modificiren, ist froh, bis halb sechs Uhr, wo ein Tapper bei Weghuber ihn erwartet, diese ewig-lange Zeit auf eine anständige Weise ausgefüllt zu haben. Ebenso geht es den beiden, in seiner nächsten Nähe sitzenden ledigen Wittfrauen (gleichfalls in Pension), wovon jede um fünf Uhr bei einer anderen »Freundin« auf ein »Schalerl Kaffee« und einen kleinen »Plausch« sich einzufinden gewohnt ist und zu diesem Behufe (dem Plausch) ihr Strickzeug im Ridicule bei sich trägt. Um halb fünf Uhr ist die Predigt zu Ende, und da kommt Jede noch zur rechten Zeit – die Eine in die Leopoldstadt und die' Andere auf die Landstraße zu dem präliminirten »Schalerl Kaffee«, welche praktische Zeiteinteilung sich ganz prächtig macht.

Und nun komme ich auf jene markanteste Staffage der Fastenpredigten, auf jene unheimlichen Figuren utriusque generis, die der frivole Beobachter in dem Namen »Betschwester« oder »Betbruder« bezeichnet, die in dunkler Kleidung, mit zu Boden gesenkten Augen scheu an Dir vorüberhuschten und in demuthsvoller Verzückung und fieberhafter Erregung aus einem abgegriffenen Gebetbuche, etwa Pater Cochem's »Seraphische Jagdlust, oder »Portiunkula-Büchlein«, oder auch Pater Donin's »Nachfolge Christi« die phantastischesten Stylwendungen halblaut vor sich hinmurmeln. Sie hören nicht auf das Wort des Predigers, denn ihre Seele ist abwesend und schwirrt in unfaßbaren Räumen umher; sie bewegen mechanisch ihre Lippen, aber das tausendmal Gelesene vermag ihr Geist doch nicht zu behalte», denn er ist erfüllt von dem aberwitzigsten Kunterbunt himmlisch lächelnder Engel und grimmiger Teufelsfratzen. Die Bedauernswerthen eilen aus einer Kirche in die andere, bis sie eines Tages als »Braut Christi« oder »Bräutigam Mariens« hinter Eisengittern ihre zu Tode gemarterte Seele aushauchen.

Und einen gleich fröstelnden Eindruck machten stets auf mich jene, trotz ihrer Jugend doch schon abgehärmten und trotz des in den Adern wild tobenden Blutes dennoch bleichen Gestalten, jene jungen Cleriker mit der frischen Tonsur auf dem Scheitel, die, die Augen starr auf ihr Brevier geheftet meist rückwärts an den Kirchenthüren knieen und die gekommen waren, um die modernen Heroen der Kanzel zu hören, von ihnen zu lernen und einst ebenso segensreich zu wirken.

Und weiters, glaube ich, wirkt nicht erhebend oder sympathisch der Anblick jener speculativen Frömmlerinnen, die sichtlich nur mit ihrer Andacht kokettiren, bei idealer Drapirung des dunklen Longshawls an der scheinbar unbeachtetsten, aber eigentlich auffälligsten Stelle, an den Stufen eines Seitenaltars sich niederlassen, als reuige Magdalena und Büßerin ihr Haupt in das Gebetbuch neigen – es ist meist Eckhartshausen's »Gott ist die reinste Liebe« oder Veith's »Jesus, meine Liebe« – und in den Zwischenpausen unter einem tiefen Seufzer mit einem blendend weißen Batisttuch sich die Augen trocknen und auf einen Moment ihren schwärmerischen Blick durch die Kirche schweifen lassen.

Und oben auf der Kanzel erhebt noch einmal seine dräuende Stimme der Mann Gottes und schüttelt den vollen Becher seines Zornes über die Sünder dieser Welt aus – in seinem heiligen Eifer läßt er sich zu den ungöttlichsten Wuthausbrüchen verleiten – da stoßen sich die Neugierigen mit dem Ellbogen, denn nun kommen gewiß die sehnlichst erwarteten »Sticheleien« auf diesen oder jenen Stand, der Zeitungsreporter skizzirt sich, in einem Beichtstuhle verborgen, rasch ein paar fulminante Sätze ... draußen auf der Straße stampfen die Pferde der harrenden Equipagen ungeduldig das Pflaster, die Bedienten der vornehmen Gäste trippeln in gleicher Stimmung auf und ab, die armen Leute an der Kirchenthüre flüstern einander zu: »heunt dauert's aber lang!« selbst der dicke Rechnungsrath sieht bereits auf seine Uhr, ob er den Tapper nicht versäume – aber der Prediger klagt erst jetzt, daß die wahren Andächtigen fehlen, daß die Meisten nur müßige Neugierde in die Kirche getrieben und daß Jene immer seltener und seltener werden, die nur, um das Wort Gottes zu hören, das Haus Gottes betreten u. s. w.

In der Fastenzeit bin ich durch Mancherlei gestört, aber wenn sie vorüber, will ich selbst wieder einmal recht inbrünstig zum Himmel beten! –

 


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