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Stille Zecher.

Von all' diesem wüsten, lärmenden Trubel und Jubel des ungebundenen Wirthshauslebens bleibt der » stille Zecher« allein unberührt. Er verschmäht die Cameraderie, er haßt die turbulenten Trinkgelage, die obscönen Witze, den gedankenlosen Spaß, den schaalen Jux, mit einem Worte: den ganzen spectakelhaften Apparat übersprudelnder Köpfe, die sich im Wirthshaus »unterhalten« zu müssen glauben und denen das Wirthshaus überhaupt nicht mehr ist, als der Tummelplatz zerstreuungssüchtiger Trinkwüstlinge.

Dem » stillen Zecher« ist das Wirthshaus mehr. Er trinkt zwar ebenfalls gerne, er trinkt sogar häufig und – viel, aber mit welcher Weihe trinkt er, mit welcher Pietät führt er das Glas an seine stummen Lippen und mit welch lautloser, aber freudiger Verklärung schlürft er in andachtsvollen Zügen das jeweilige Naß! Eine Welt von Gedanken baut er sich dann bei dem Anblicke der erwählten Flüssigkeit auf, und Träume, bunter und phantastischer als sämmtliche Märchen der Scheherezade, zucken wie phosphorescirendes Wetterleuchten durch sein Gehirn. Dem stillen Zecher ist das Wirthshaus ein Tempel, wohin er flüchtet, um mit seinem Gotte allein zu sein, um ungestört und unbelästigt von der frivolen, scurrilen Rotte sinnloser Spaßmacher sich ganz hinzugeben der Wollust des Trinkens und einen unhörbaren Dialog zu führen mit dem unsichtbaren Geiste im – Glase.

Laien werden nun fragen, warum der stille Zecher nicht lieber gleich daheim zwischen seinen vier Mauern in sicherster Abgeschiedenheit dem Cultus des Trinkens sich weihe und im Gasthause der immerhin möglichen Gefahr, der Störung sich aussetze? Darauf erwidere ich dem Neophyten, dem Fremdling in dieser Wissenschaft, daß er kein Trinker von Styl ist, sonst müßte schon das große Wort, welches Nestroy seinen Philosophen Knieriem, diesen vielverkannten Weltweisen, sagen läßt, daß nämlich zu Hause das Beste nicht schmecke, dagegen im Wirthshause das Elendeste ein haut-goût sei – ihm den Schleier von den Eleusinischen Geheimnissen des »wissenschaftlichen Trinkens« lüften, Und der »stille Zecher« ist ein wissenschaftlicher Trinker von Styl, der freilich verstanden und erfaßt werden will!

Vor ein paar Jahren machte ein bekannter Wiener Bürger, ein Schottenfelder Exfabrikant, den Versuch, vor einer der Linien ein förmliches Asyl für » stille Zecher« zu gründen und taufte das Etablissement sogar mit diesem strengen Genretitel. Ach, welch ein Mißgriff! Der Kunstkenner konnte nur mitleidig lächeln. Ohne alles und jedes Verständniß für die ureigentliche Wesenheit des »stillen Zechers«, ohne das mindeste Studium in der vergleichenden Anatomie der verschiedenen Trinkergattungen, ohne Schonung der speciellen Bedürfnisse des stillen Zechers, ohne Rücksicht auf die zarte Organisation seines Nervensystems, das bei der geringsten rauhen Berührung von Seite einer lärmenden Umgebung in seinen geheimsten Fasern erbebt, ohne Sinn und Anordnung, ohne Geist und Geschmack wurde ein simples, ordinäres Wirthshaus, dessen beschränkte Räume von spectaculirenden »Hetzbrüdern« angefüllt waren, mit dem poetischen Namen »zum stillen Zecher« geschmückt. Man konnte es fast eine Blasphemie nennen, eine frevelhafte Verleumdung der edelsten Sorte der (Viel-)Trinker; aber die Strafe folgte auch dem aberwitzigen Beginnen auf dem Fuße, denn das Wirthshaus – starb an dieser Versündigung eines jähen Todes. Ich glaube übrigens, daß von einem veritablen »stillen Zecher« in jenem verlogenen Locale nicht ein »Pfiff« getrunken wurde, denn schon die verfehlte Scenerei mußte ihn zurückschrecken.

Aus welchen Elementen recrutirt sich wohl die Secte der stillen Zecher? Zuweilen aus ehemaligen Professions- und sogenannten Quartaltrinkern, meist aber aus – Menschenhassern.

Aeltere Wiener werden sich noch eines genialen Violinisten erinnern, der dem Weinglase nicht selten seinen Oberrock, ja mitunter sogar sein kostbares Instrument opferte. Der (eigentlich unglückliche) Mann verstand es nicht nur, die in den vier Saiten seiner Violine schlummernden Geister mit sieghafter Gemalt zu wecken und die Zuhörer in Verzückung zu Versetzen - er conversirte auch, nicht zum geringeren Erstaunen eines – freilich ganz anderen Publicums, mit formlosen Phantomen, die aber sein inneres Auge aus den verschiedenen – Alkoholsorten emporsteigen sah. Man nannte den bedauernswerten Meister, der später seiner Kunst fast verloren und dafür in den kargen lichten Augenblicken, die ihm seine unselige Leidenschaft ließ, mit sich und der Welt zerfallen war, allgemein den »stillen Zecher« – er war es längst nicht mehr, er bot nur einen kläglichen Anblick und starb, gemieden von seinen einstigen Bewunderern. Ein mildes Geschick – vielleicht bat die Muse der Tonkunst für ihn – gönnte ihm übrigens eines Tages einen raschen Tod.

Dann Lyser! Johann Peter Lyser, der taube Musikkritiker, Caricaturenzeichner, Decorationsmaler und talentvolle schleswig'sche Schriftsteller, der uns die weiland berühmten »Serapionsbrüder« bei Lutter und Wegener so lebendig beschrieb, der einstige Freund Hoffmann's und Louis Devrient's und – Heinrich Heine's, der Gatte der deutschen Improvisatrice Karoline Leonhardt-Burmeister-Pearson-Lyser! Wie mußten mir ihn Alle hier wiederfinden! In den Jahren 1847 und 1848 bereits eine Schreckgestalt für seine ehemaligen Bekannten, irrte er in abgerissenen Kleidern, in geschenkten, rosafarbenen Balletschuhen in den Straßen Wiens umher – taumelnd – wankend – lallend – zuletzt halb geisteskrank. Wohl war er ein »stiller Zecher«, aber nicht mehr in der« besseren Bedeutung des Wortes, nein, er war ein stiller Zecher in – Branntweinkneipen, und ich selbst sah ihn einmal früh Morgens, als er aus einer solchen Spelunke eben auf die Straße gesetzt wurde. Dennoch bat er den rauhen Expeditor noch um ein Gläschen, aber man schlug die Thüre vor ihm zu, denn er besaß keinen Heller Geld. Der deutsche Dichter!

Dann Sauter! Auch ein Poet von Gottes Gnaden, aber gleichfalls in dem fürchterlichen Costüme eines ... für die Gesellschaft Verlorenen. Auch ihn nannte man, besonders in literarischen Kreisen, den »stillen Zecher« – Niemand war es weniger als Sauter, der im beständigen Verkehr mit Freunden leben mußte, wenn er nicht – das Leben abschütteln wollte. Der Balladendichter Vogl hielt ihn die letzte Zeit noch einigermaßen »aufrecht« – dann sank er immer tiefer und tiefer ... Friede seiner Asche und eine zweite Auflage seinen Gedichten!

Sie alle waren keine stillen Zecher, obwohl man sie dafür ausgab. Aber weil ich gerade, und zwar unwillkürlich, meine Gestalten nicht aus dem Spießbürgerthum hervorholte, so sei noch Einer aus der Schaar der »Auserwählten« genannt: – Grabbe war es – Christian Grabbe, der Dichter der »Hundert Tage« und des »Hannibal« und des »Theodor von Gothland«! –

Ich habe nie das – schmerzliche Glück gehabt, den Titanen von Angesicht zu Angesicht zu schauen, aber Freunde, die ihn »draußen« sprachen, und auch seine Biographen schildern ihn trotz seiner verkehrten Erziehung als einen »ganzen Mann«, der sogar zu lieben verstanden hätte, aber an der philisterhaften Kleinbürgerlichkeit seiner Verhältnisse und seiner Umgebung zu Grunde ging. Da suchte er Trost bei der Flasche. Er zog sich von aller Welt scheu zurück und schrieb in dem einsamen Winkel der entlegensten Weinstube auf Fidibusschnitzeln seine herrlichen Dramen. So lernte er auch Norbert Burgmüller kennen, den Componisten seines »Cid«.

Burgmüller haßte das »Pygmäengezücht«, das in dem Krämernest wie Gewürm herumkroch, ebenso, wie es Grabbe haßte. Beide saßen sich oft Stunden lang schweigend, aber im stillen Verständniß gegenüber und – tranken, nur daß von Zeit zu Zeit ein schneidig Wort, ein genialer Gedankenblitz über ihre abgezehrten Lippen fuhr. Aber auch das war zu viel. Sie kamen überein, auf dieser Welt, die's ja doch nicht verdiene, gar nicht mehr zu sprechen, ja sich selbst nur die nothwendigsten Mittheilungen, und zwar auf den schmalen Fidibusstreifen schriftlich zu machen. Das geschah denn auch. Manchen Abend wurde aber dennoch nicht ein einzig Wort für den stummen gegenüber sitzenden Freund aufgeschrieben, bis einmal um Mitternacht Burgmüller auf einen Zettel, den er Grabbe hinüberschob, die Worte schrieb: »Gehe Morgen nach Aachen zu einem Musikfeste, komme in vierzehn Tagen wieder. Leb' wohl!« Grabbe las, seufzte, nickte Norbert zu, reichte ihm die Hand und Beide schieden, ohne ein Wort zu sprechen. Sie sahen sich nie wieder, denn von Aachen kam kurz darauf die Nachricht, daß Burgmüller in einer Badewanne todt aufgefunden worden sei.

Das schnitt Grabbe in's Herz. Oeffentlich machte er dem Dahingeschiedenen die rührendsten Vorwürfe und gab eine Aufforderung, Worte der tiefsten Wehmuth, in ein dortiges Blatt: »Norbert!« so schrieb er, »Du hast Dein Wort schlecht gehalten, bist weiter gereist, als Du solltest und wolltest, und kommst nicht wieder, starbst am 7. Mai, welcher diesmal für Alle, die Dich kannten, kein Wonnemond ist. ... Es vergeht, es stirbt so mancher Trefflicher – man könnte bisweilen wünschen, auch in der Gesellschaft zu sein, schon deßhalb, weil die Todten stumm sind und nicht verleumden!« – Darauf schlich sich Grabbe, ohne ein einzig Wort mehr zu sprechen, und ohne von seinen übrigen Freunden Abschied zu nehmen, von Düsseldorf weg, begab sich nach Detmold in seine Häuslichkeit und starb nach wenigen Monaten, noch nicht fünfunddreißig Jahre alt. Die Leute sagten: an Säuferwahnsinn – freundlicher Gesinnte behaupten: an der Abzehrung. ...

Weßhalb ich gerade diese Gestalten vorführe und in meinen – Vielen vielleicht trivial erscheinenden – Rahmen zwänge? Um zu zeigen, daß hin und wieder doch auch ein paar geniale Köpfe dem unseligen Vergnügen des stillen Zechens zur Beute werden können. Weiß man aber auch stets, was sie auf diesen Weg brachte? Kennt Ihr Sitten- und Splitterrichter die ganze Wucht des Mißgeschicks, all »das Herzweh und die tausend Stöße«, die etwa auf den Vielgehetzten losgestürmt, die ihn mit Ekel vor der Windbeutelei, Maulmacherei, Hohlheit und Schaalheit seiner p. t. Nebenmenschen erfüllte? Habt Ihr Gewißheit, daß ihn nicht Anderes zum Weinglase führte, als die Trinksucht? Nichts wißt Ihr, Ihr urtheilt nach dem Schein ab und verdammt, obwohl Euer Leben von anderen Fehltritten vielleicht noch mehr bemakelt, den Erstbesten, den Ihr in solch »verdächtiger« Situation überrascht.

Mein leider viel zu früh verstorbener Freund Hamlet pflegte den Tröpfen, die ihn um sein Befinden frugen, zu antworten: »Vortrefflich, von dem Chamäleonsgericht! Ich werde mit Versprechungen gestopft, man kann Kapaunen nicht besser mästen!« Nun, das war weislich gesprochen, aber nicht Jedem ist es ferner vergönnt, auch auf so witzige Art Revanche an seinen Widersachern zu nehmen, wie der erlauchte Prinz es später gethan, um mit Hilfe einiger guten Schauspieler durch ein wohl scenirtes Drama Rache zu üben. Minderbemittelte, denen solch kostspieliger dramaturgischer Apparat nicht zu Gebote steht, müssen sich wohl begnügen, ihren »Rachedurst« auf billigere Weise zu »löschen«, d. h. sie kehren dem ganzen von Lug und Trug zusammengesetzten Pack den Rücken und – trinken in irgend einem anheimelnden Versteck, einem passenden Schmollwinkel ein Glas Wein und dann noch eins, und wenn sie sich so recht in ihren Menschenhaß verbeißen, respective hineintrinken, noch ein drittes und viertes u. s. w. Lacht über sie, wenn Ihr könnt, mich dauern die Meisten. Denn ich sehe auch meist nur – still Verzweifelnde in ihnen, die, wenn schon nichts, vielleicht doch ein zänkisches Weib vom Hause fern hält.

Uebrigens gibt es ja, wie ich gleich Anfangs bemerkte, nicht nur grollende Finsterlinge, sondern auch gutmüthige, harmlose Trinker unter den »stillen Zechern«, die aus Princip und in schwärmerischer Liebe für das Glas, die trauliche Schänkecke in Beschlag halten und von dort nicht weiterzubringen sind. In dieser Beziehung bleibt mir das lustige Bild in den »Fliegenden Blättern« unvergeßlich, wo nach Mitternacht ein behäbiger Spießbürger bei seinem »Krügel« sitzt. Niemand ist mehr anwesend, als die schlaftrunkene Kellnerin, die, überdrüssig des Zauderers wegen, die Gläser auszuschwenken beginnt und zornige Blicke nach ihm schleudert. Der aber sieht in olympischer Seelenruhe nach der Uhr und sagt schmunzelnd: »Ein Uhr! jetzt trink ich noch ein halbes Maßl und dann – dann – gehe ich erst recht noch nicht z'Haus!«

Wenigstens ist der stille Zecher, der stundenlang auf einem und demselben Flecke bleibt, aufrichtiger als der heuchlerische »Pfifftrinker«, der in scheinheiliger Geschäftseile nur einen raschen »Stehpfiff« trinkt – dies Manöver aber auf dem Wege von der Josefstadt nach Erdberg, in jedem Locale producirt. Oder wie jener, gleichfalls vielbeschäftigte Nachbar eines Wirthes, der stets nur einen bescheidenen »Pfiff« – aber wie die abgeführte Verhandlung nachwies, im Jahre zwölftausendsiebenhundertfünfundsiebzig Pfiffe, nämlich täglich fünfunddreißig trank! Wohl bekomm's!

Und nun zum Schlusse die Versicherung, daß ich mit meinen Schilderungen die verschiedenen Trinkfrevler weder blindlings verdammen, noch Einen oder den Anderen parteiisch reinwaschen wollte. Denn es gibt zu viele und oft ungeahnte Gründe und Motore, die den leicht zu Bestimmenden auf Abwege führen. Am ehesten möchte ich aber doch noch (und das nur unter Umständen) den stillen Zecher in Schutz nehmen und die Acten zur milderen Behandlung dem Obersten Gerichtshofe des allgemeinen Urtheils vorlegen. ...

Wie dem auch sei, glaubt, was Ihr wollt! Wenn ich mir aber auch selbst einmal das Trinken angewöhnen, d. h. je im Weine Tröstung für manche Unbill, die mir der so »wohlgegliederte Organismus« unserer socialen Verhältnisse schon zugefügt, suchen wollte, dann seid versichert, daß ich mich weder zu den wüsten » Nachtschwärmern« noch zu den leichtsinnigen » Wirthshausbrüdern« schlagen, sondern ein bescheidener, stiller Zecher sein werde. Und wenn Ihr mich dann, von der Arbeit erschöpft, in einem Winkel mit halbgeschlossenen Augen und bei halbgeleertem Glase sitzen seht, so glaubt ja nicht, daß ich etwa – angetrunken sei, denn für diese Kunst fehlt mir die Inclination, aber, daß ich dann müde sei, könnt Ihr glauben, und daß ich vielleicht eben im Halbschlummer dieses oder jenes seichten Gesellen denke und träumend sein erschlichenes illustres Glück – verlache, wie ich zu Zeiten wohl auch wachend lache, wenn mir der ganze Schwindel dieses schönen Planeten, auf dem wir um das tägliche Stück Brot uns herumzubalgen die Ehre haben, so recht vor die Augen tritt. – Franz! eine kleine Flasche Nußberger! – –

 


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