Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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Vorwort.

Im »Hirtenhaus« eines oberfränkischen Dorfes spielt die nachfolgende einfache Geschichte. Wer nun auch nicht weiß, daß in Oberfranken die Hirtenhäuser, seitdem durch Einführung der Stallfütterung der Hirte mit Hund, Horn, Peitsche und Mantel zu einer sagenhaften Erscheinung der Vorwelt geworden ist, die nur noch im Gedächtniß weniger Alten dunkel fortlebt, zum Armenhaus der Gemeinde umgewandelt worden, der kann im Voraus vermuthen, daß er von dem Erzähler nicht in vornehme, feine Gesellschaft eingeführt werden wird. Nicht einmal eine romantische Liebesgeschichte darf der Leser erwarten, denn seit das alte Hirtenhäuschen zum Armenhaus wurde, ist alle Poesie aus seinem Umkreis geschwunden. Die Noth, das Elend, Kummer und Sorge mit ihrem unheimlichen Gefolge haben da Wohnung genommen und herrschen unumschränkt in den freudlosen Räumen.

Wenn es nun trotzdem der Erzähler wagt, den Leser dort einzuführen, so dürfte es wohl nöthig sein, ein rechtfertigendes Wort vorauszuschicken.

Nur der Oberflächliche, Gedankenlose läßt sich am Duft, an der Farbenpracht der Blume allein genügen, sieht im Rosenstrauch eben nichts anderes als den Träger der Rose, die wiederum nur blüht, um eine kurze Weile seine Sinne zu erfreuen. Der Empfindende, sinnig Betrachtende wird dabei nicht stehen bleiben. Mit inniger Theilnahme geht er den verschiedenen, sich wechselsweise ergänzenden und bedingenden Daseinsstufen, den geheimnißvoll wirkenden, gestaltenden Kräften nach, deren lieblichste Erscheinungsform freilich die Rose, keineswegs jedoch deren höchster, letzter und einziger Zweck ist. Auch untergeordnete, unscheinbare Gestaltungen gewinnen für ihn Bedeutung, selbst Mißbildungen, Entstellungen der reinen Form werden ihm Gegenstand theilnehmender Betrachtung. Und je mehr er in den Verzerrungen dieselben Gesetze und Kräfte wirksam, dasselbe Streben nach höchster, vollkommenster Ausgestaltung, nur gehindert, vom graden Wege abgelenkt durch innere oder äußere Störungen, erkennt – desto mehr schwindet das anfängliche Mißbehagen, ja es verwandelt sich in die innigste Theilnahme, wenn sich ihm nun das Verständniß erschließt, wie der verwundete und erkrankte Organismus so machtvoll ringt und arbeitet, die Zerstörung zu überwinden, über alle Hemmnisse hinweg zur vollkommnen, reinen Form zurückzukehren. Nun erst vermag er sich mit reinster Lust der vollkommenen, vollendet schönen Bildung zu erfreuen.

Aehnlich verhält es sich mit der Betrachtung des Menschenlebens. Wer das Leben ganz fassen und verstehen will, darf sich nicht blos an seinen Lichtseiten, an vollendeten Bildungen erfreuen wollen, er muß auch das Herz haben, die Verkrüppelungen, Verzerrungen der ewig herrlichen Normalgestalt, das Laster und das Elend in seiner wahren Gestalt kennen zu lernen. Nur wer der Sünde, der Noth in das unverhüllte Antlitz blickt, theilnehmend in den entstellten Zügen nach dem ursprünglichen reinen Gottesgedanken forscht, liebevoll den Ursachen nachgeht, die zuerst die Entwickelung der Seele störten, vielleicht hemmten, die sie, da ja das Leben und die Weiterbildung nicht stillstehen kann, gewaltsam in Formen preßten, die der ursprünglichen Idee entgegengesetzt scheinen, nur wer sorgsam die inneren, geheimen Regungen solcher verkrüppelten Seelen belauscht, auf den geheimsten Pulsschlag solches entstellten, beraubten Lebens horcht und sich nicht in eigensüchtiger Selbstüberhebung den verwandten Tönen verschließt – nur der kann zu einer richtigen Schätzung des Werthes und der Würde des Menschen gelangen.

Darum wage ich getrost in den nachfolgenden Blättern den Schleier von einer Nachtseite unsres Volkslebens zu heben, ich wage den Leser an eine Stätte zu führen, wo die Sünde, das Laster und das Elend herrscht. Er wird Bekanntschaft mit gefallenen Menschen machen, sich ihre Gesellschaft gefallen lassen, ihre Art ertragen müssen. Für zarte Naturen, die nur durch einen verhüllenden Schleier die Welt zu betrachten wagen, für empfindsame Herzen, die verlangen, daß das Elend nur in Glacéhandschuhen in ihre Nähe komme, für fein besaitete Seelen, die vor einem kräftigen Wort, vor einer derben Natürlichkeit in Ohnmacht sinken – für solche ist das Büchlein nicht geschrieben, sie mögen es ungelesen aus der Hand legen. Wer aber ein Herz hat für die Armuth und ihre Leiden, wer auch noch in dem gesunkenen und gefallenen Menschen den Bruder liebt, wer aus der Dissonanz seines zerrissenen Innenlebens noch verwandte menschliche Töne hervorklingen hört, wer den geheimen Schmerz versteht über ein verlorenes Leben, den die wildesten Leidenschaften nicht gänzlich zu übertäuben vermögen, der so oft unerwartet, gewaltsam hervorbricht, wem vor allem das Ringen der Seele nach Freiheit, nach Licht, nach harmonischer Ausgestaltung auch im Verkommensten mit Theilnahme erfüllt – der wage getrost den kurzen Gang. Wohl ist der Erzähler der Wirklichkeit nicht ängstlich aus dem Wege gegangen, doch hofft er nirgends das Gefühl zu beleidigen, und auch an freundlichen Oasen in der Wüste des Elendes, wo er sich an murmelnder Quelle auf schwellendem duftigen Rasen, im Schatten rauschender Bäume freundlich ausruht, soll es nicht gänzlich fehlen.

Solche zerrüttete Dorfverhältnisse, wie die geschilderten, Schultheißen wie der Türkenhenner, Menschen wie der Kirchbauer mag es zum Glück selten geben, wer aber das Volksleben nur einigermaßen kennt, wird sich ähnlicher Gestalten gewiß erinnern, zugleich aber auch seufzend eingestehen, daß Männer wie der Bergbauer und der Schreinerslorenz bis heute auf dem Lande mit Laternen gesucht werden müssen. Aber kein Dorf im lieben deutschen Vaterland ist so klein und so gering – ein Armenhaus mit all seinem Jammer und Elend findet sich gewiß – und dürfte das Bild des Bergheimer Hirtenhauses vor seiner Instandsetzung auch heute noch leider, leider! nur auf allzu viele passen.

Darum ward nachfolgende Erzählung geschrieben, und wenn sie nur in einer einzigen Gemeinde die Aufmerksamkeit auf das Armenwesen lenkte, würde sich der Erzähler reich belohnt sehen.

 


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