Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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6. Hirtenhausleben und eine Dorfmajestät.

Trotz des wilden Schneegestöbers draußen war es heute – Sonnabend Nachmittag – in der Hirtenstube heller als gewöhnlich. Der frischgefallene Schnee erleuchtete die dunkeln, seit Jahren nicht ausgeweißten Wände, die »schwitzenden« Thüren, den mit Lehm verschmierten Kachelofen und die geschwärzte Bohlendecke. Der nie ganz verschwindende Dunst im Zimmer überkleidete die Decke mit einer glänzenden Feuchtigkeit; da und dort fielen auch große, dunkelbraune Tropfen auf die Köpfe der Bewohner, auf Tische und Spinnräder herab, ohne daß Jemand darauf achtete. Auch an's Scheuern dachte keine Seele, vielleicht weil man es von vornherein für ein vergebliches Beginnen ansah, dieses Schmutzes Herr zu werden.

Ausnahmsweise waren alle Bewohner versammelt. Die drei Männer rauchten, das Mädle und die Wassermaus spannen, die Hirtenlang weifte eine Spindel Garn ab, die Schwarze rührte einen Kuchenteig ein, und das Achdulieb'sgottle saß auf dem warmen Hellstein. Die auffallend bleichen 52 Kinder der Schwarzen räkelten sich auf der Ofenbank, die Wasserchristel und Wassermine balgten sich unter den Tischen. Die Erwachsenen waren in großer Erregung, da das Gerücht auch in's Hirtenhaus gedrungen war: es sei nun bestimmt, der Schreinerslorenz müsse heute noch in das Hirtenhaus ziehen. In übelster Lage befand sich der Hasenherle. Die Wassermaus hatte ihm eine köstliche Faltenwurst gezeigt, der Kuchen der Schwarzen versprach aber auch einen Genuß – was nun thun, zur Wurst oder zum Kuchen halten? – Verdrießlich kraute er die Haare und stimmte in das Belfern der Hirtenlang ein: »Ja, 's ist eine verkehrte Welt, man weiß nimmer, wem man angehört und wie man sich stellen soll«.

»'s gibt solche Narren, die ihr Lebtag nicht gescheit werden!« zankte die Wassermaus. »Ich aber weiß ganz genau wie ich mich zu stellen hab'. Bei mir heißt's: entweder ganz zu mir, oder ganz vom Leib geblieben!«

Der Hasenherle ließ vor Schrecken seine Pfeife ausgehen, Hansnikel spuckte zornig und sagte: »Sua, ganz mein Wort! Und vornweg sag ich's: Die Schreinerssippschaft hat im Hirtenhaus nichts zu thun, mir sollen sie auch nicht zu nah' kommen, ich sag's vorweg.«

»Verrücken sie nur einen Stuhl, sollen sie sehen, was es gibt'« keifte die sonst so gelassene Hirtenlang und merkte gar nicht, wie sie einen ungeheuren Bock weifte. »Meinetwegen sollen sie sich einrichten, wie sie mögen, nur uns sollen sie vom Leib bleiben!«

»'s ist schändlich von der Gemeinde,« schalt die Schwarze und schüttete eine ziemliche Düte Zucker in ihren Kuchenteig, 53 »uns noch solch einen Haufen Menschen aufzuhalsen, wo wir uns jetzt schon beinah' ertreten.«

»Und wir leiden's nicht – und wir leiden's nicht – und wir brauchen's nicht zu leiden!« fuhr das Mädle auf. »Und dem Schulzen sag' ich's in's Gesicht – und wir beschweren uns!«

»Sua, Mädle, beim Schulzen willst Du Dich beschweren?« sagte Hansnikel und spuckte verächtlich aus. »Und was wird's helfen? Läßt er vielleicht meine Schaufel, mein Beil und meine Rotthaue anstählen? – I Gott bewahr' mich, nicht rühran!«

»Ja, und wäre was zum Schulzen, dürften andere Leute auch nicht im Hirtenhaus sein!« fiel die Wassermaus ein. »'s ist Sünd und Unrecht! Wer alle Wochen Kuchen bäckt und ganze Düten voll Zucker hineinwirft, kann auch ein eignes Quartier bezahlen!«

»Wen's doch was angeht, was andere Leute treiben!« zürnte die Schwarze. »Dagegen sag' ich: wer das Zeug maust, hat gut damit handeln und gehört ganz wo anders hin, aber nicht in's Hirtenhaus und nicht in ein eigen Quartier!«

»Darüber lach' ich!« zankte die Wassermaus. »Meinst, man wüßte nicht, wo Dein Geld herkommt? – Pfui Teufel! – Dürftest Dir was auf den Leib schaffen dafür, brauchst es nicht liederlichen Mannsbildern anzuhängen.«

»Zupf' Dich zuerst an Deiner Nasen!« fuhr die Schwarze auf. »Ich locke Niemand mit gestohlenen Würsten und Eiern an mich!«

54 »Und er mag Dich nicht einmal!« schrie die Wassermaus.

»Und Du kriegst ihn gar nicht!« die Schwarze.

Der Kuchennapf stand schon lange auf dem Ofen in Sicherheit, jetzt flog das Spinnrad in eine Ecke, und Hansnikel spuckte mächtig bei den Worten: »Sua! nu' ist's wieder fertig!«

Unterdeß machte das größere Mädchen der Schwarzen auf die Wasserchristel »schabe schabe Rübchen« und sagte: »Etsch! wir haben morgen Kuchen und Ihr habt nichts – etsch!«

Die Wasserchristel kroch unter dem Tisch hervor, schüttelte die wirren Haare aus dem Gesicht und schrie: »Und wir haben Wurst und Ihr habt keine!«

»Unner (unsre) Mutter bringt uns Weckle mit!«höhnte es von der Ofenbank.

»Und wir kriegen Hutzel und Schnitz!« rühmte die Wasserchristel.

»Ja, aber das sind gemauste!« sagte die kleine Schwarze verächtlich. »Etsch – Ihr kriegt gemauste Hutzel und Schnitz, etsch!«

»Unner Mutter ist doch eine andere Mutter wie Eure Mutter!«heulte die Wasserchristel und stürmte auf die schreienden Kinder der Schwarzen los. Während sich die Mütter mit geschwungenen Fäusten gegenüber standen, wälzten sich die Kinder am Boden; Hansnikel spuckte zornig, der Hasenherle kratzte sich hinter den Ohren, und das Achdulieb'sgottle jammerte vom Ofen herab: »Ihr Kinderle, ach du lieb's Gottle, ihr Kinderle, was macht ihr für Sachen!«

55 Eben griff die Wassermaus nach den Haaren der Schwarzen, als die Thüre aufgerissen ward und der Schulz eintrat. – »Geht weg, Schulz, der Perpendikel!« rief Hansnikel. Zu spät, in der Uhr that es einen Ruck, dann stand sie still. Der Schulz fuhr sich mit der Hand in das Gesicht, schleuderte mit den Füßen die heulenden Kinder aus dem Weg und schrie: »Potz Christoph von Nordheim, ist das eine Wirthschaft! Hören und Sehen vergeht einem und seines Lebens ist man nicht sicher! Ruhig Ihr Racker da unten! – Hansnikel, den verdammten Kasten da oben schlag ich noch zusammen, thust Du ihn nicht weg! – Wollt Ihr still sein, Ihr verrückten Weibsbilder? Blitz und Donner! Ruhe! sag' ich, oder ich fahr' dazwischen! – Was gibt's? – Ist's wieder wegen dem miserabeln Heppelehepp los 'gangen? Wartet, ich bring Euch noch zur Vernunft! – In's Teufels Namen, ruhig sag ich! Gebt Ihr nicht Frieden, laß ich Euch mit'nander in's Spritzenhäusle sperren, verstanden?«

Die Kinder hatten sich unter Tische und Bänke verkrochen und lugten scheu zu dem Gewaltigen empor; die Wassermaus ließ endlich von der Schwarzen – aber still ward es noch nicht. Im Eifer hatte es der Schulz mit allen Parteien zugleich verdorben. Hansnikel kränkte die Beschimpfung seiner Uhr, dazu kam ihm sein unverstähltes Beil in den Sinn; Hasenherle knurrte: er heiße Jeremias Nothnagel, wäre auch der Schulz ein großer Hans, schimpfen dürfe er doch nicht; die Wassermaus und die Schwarze betheuerten ihre Unschuld und schrieen nach Gerechtigkeit; die Hirtenlang verlangte Entschädigung für die Böcke an ihrer Weife; das Mädle zankte: »Und der Schreinerslorz darf nicht rein – 56 und er darf nicht rein – und er darf nicht rein!« und das Bettelfräle endlich jammerte hinter dem Ofen: »Ach Du lieb's Gottle! ach Du lieb's Gottle!« – es war ein Heidenlärm!

Der Schultheiß schob die Pelzmütze hin und her, zündete die Pfeife, die ihm im Eifer erloschen war, wieder an, dann schrie er, mit dem Fuße stampfend: »Wird bald Ruhe? Dumm und toll wird's einem von dem Lärm! Wassermaus und Schwarze – auseinander! Ihr setzt Euch und haltet das Maul, von Euch ist eine so viel werth als die andere, keine einen Schuß Pulver! Nehmt Euch in Acht, Ihr habt ohnedies allerlei Werk am Rocken! – Nicht leiden willst Du, daß ich Dich Heppelehepp heiß'? Ha, ha! und was willst Du machen, wenn ich's doch thu'? – Verklagen? – Du mich? – sei nicht dumm, Heppelehepp! Denk dran, der erste Tritt in's Amt gegen mich ist dein Untergang; mit Kerlen von Deiner Sorte wird kein Federlesens gemacht, mit denen ist man gleich fertig. – Ihr, Hansnikel, seid mir gleich still mit Eurem einfältigen Beil; Ihr kennt darüber meine Meinung, davon geh' ich kein Tippele ab, punktum! Bringt lieber Eure Weiberleut' zur Ruhe, die schwätzen einen noch taub! – – Na, also heut Abend zieht der Schreinerslorz ein, rückt zusammen, daß Platz wird, er bringt ja einen ganzen Haufen Kinder mit.«

Ein neuer Lärm, ärger noch als der erste, brach los. »Sua, sua!« knurrte Hansnikel. »Zusammenrücken – Platz machen! – Sua! – Ist leicht gesagt! Aber wie denn, wo denn? – Herr meines Lebens ist das 'ne betrogene 57 Welt! Schämt Euch, Henner, als Schulz so was anzuordnen. Zusammenrücken? Sua! Wohin denn? – Auf den Ofen? – Nichts ist's, da ist kein Platz mehr, wir sind so schon zusammengepreßt wie Häringe im Faß. Nichts ist's, das sag ich, der Hansnikel, Todtengräber und Calicant von Bergheim. Ich bin ein Mann von Amt und Würden, so gut als Ihr!«

»Und wir leidens nicht!« belferte das Mädle. »Und er darf nicht 'rein! Und wir beschweren uns!«

»Und eine Sünd' ist's, wie's in der Bergheimer Gemeind' zugeht!« schrie die Hirtenlang. »Recht und Gerechtigkeit wird mit Füßen getreten; wenn's gilt, die Armuth zu unterdrücken, da ist allemal der Schulz vorndran!«

»In die Zeitung gehört's, wie mit uns umgegangen wird!« fiel der Hasenherle ein.

Bisher hatte der Schulz noch gelacht, jetzt stieg ihm das Blut in's Gesicht. Unter allen Dingen, welche einem Schulzen das Leben verbittern können – und es giebt deren eine schöne Anzahl! – waren ihm die Zeitungen und das Zeitungsschreiben die verhaßtesten. Passirte sonst im Amt ein Unschick oder kam ein Versehen vor, so ließ sich das vertuschen. Jetzt aber? Kaum ist etwas geschehen, gleich steht ein »Sätzle« in der Zeitung, alle Welt liest es, man ist blamirt, wird verlacht und verspottet, obendrein haben die Herren vom Amt eine erwünschte Gelegenheit, Verweise und Strafen zu ertheilen, und es ist noch ein Glück, wenn sie sich damit begnügen, nicht an Ort und Stelle die Sache untersuchen und dabei allerlei alte, lange vergessene Geschichten aufrühren. Dann muß man noch 58 gute Miene zum bösen Spiel machen, darf nicht mucken, will man die Sache nicht verschlimmern, und dem guten Freund kann man den Liebesdienst auch nicht heimzahlen, denn neunundneunzigmal in hundert Fällen kommt es gar nicht heraus, wer das »Sätzle« einrücken ließ. – Mit Schlimmerem konnte man dem Türkenhenner nicht drohen, als mit der Zeitung, und daß es hier gar ein so »Geringer«, wie der Hasenherle, wagte, machte ihn vollends wild. Sackgrob fertigte er den Hasenherle ab, verbot den Uebrigen fluchend das Maul und befahl, Kammern und Böden zu öffnen. Die Hirtenhäusler waren erschrocken und gehorchten, wenn auch murrend.

Hansnikels Kammer ward zuerst besichtigt, zeigte sich in leidlicher Ordnung, aber Platz war da allerdings keiner mehr. Als dann der Schulz in die hintern Kammern blickte, prallte er zurück und erklärte, das seien Schweineställe! Nun ging es unter das Dach. Nach kurzer Umschau bestimmte er: »Der Boden nach der Mittagseite hinaus über der Wohnstube wird ausgeräumt, darin mögen sich die Schreiners einrichten. Aber vorwärts, bis zum Abend muß der Boden leer sein!«

Hansnikel, der bis heute diesen Raum, den einzigen verschließbaren im Haus, inne hatte, zitterte vor Aerger, spuckte fort und fort, und seine »Sua« glichen dem Knurren eines Hundes, der sich zum Angriff auf menschliche Waden rüstet. Seine Töchter unterwarfen sich auch nicht unbedingt dem Befehl; mit großer Zungenfertigkeit vertheidigten sie ihr Recht auf diesen Boden, darnach suchten sie den Schulzen durch Bitten und Thränen zu rühren, und als auch das 59 nicht half, zankten und schimpften sie auf alle Welt und den Schulzen insbesondere. Der Schulz war dergleichen Scenen schon gewohnt; ohne die Scheltenden zu beachten, sah er sich in einigen Ecken um und erklärte dann: »Nun ist's genug getobt: Wahrhaftig, eine Heerde Gänse macht nicht so viel Lärm, als Ihr zwei! Seid jetzt still und räumt aus, bis zum Abend muß Alles in Ordnung sein.«

»Sua!« fiel Hansnikel ergrimmt ein. »Sua, bis zum Abend muß Alles in Ordnung sein! – Und das nennt Ihr Ordnung, wenn ein Mann von Amt und Würden in seinen Rechten gekränkt wird? – 's ist eine Schande für die ganze Pfarrgemeinde, wie Ihr mit der Geistlichkeit umgeht!«

»Laßt Euch nicht auslachen, Hansnikel,« rief der Schulz, »Ihr seid mir ein rares Stück Geistlichkeit!«

Hansnikel zitterte vor Zorn, mühsam stieß er hervor: »Sua, sua! – Schulz – nichts für ungut: – Wie der Herr, so das G'schirr – und wie der Meister – so der Kleister! – Sua! – Nichts für ungut Schulz! – Thaten beweisen's! – Ist's Euch nicht recht, verklagt! – Ich sag: Wenn Ihr mich ein rares Stück Geistlichkeit heißt – was seid Ihr denn für ein Stück Schulzenamt? – He? – Ich frag, ich, der Hansnikel, Todtengräber und Calicant von Bergheim! – Und ist's Euch nicht recht, verklagt! – Sua!!«

Der Schultheiß wußte nicht recht, ob er lachen oder sich erzürnen solle. Endlich meinte er: »Hansnikel, mit Euch ist nichts anzufangen, als grober Kerl seid Ihr auch bekannt, drum ist's das Beste, man läßt sich gar nicht mit 60 Euch ein. Meint'wegen schimpft, soviel Ihr wollt, ist aber zum Abend der Boden nicht geräumt, red' ich anders mit Euch!« Damit stieg er die Treppe hinab. Hansnikel schaute ihm verblüfft nach; allem Anschein nach hatte das Mädle nicht übel Lust, ihren Zorn am Vater auszulassen, als ein neuer Lärm im Hausflur die Hirtenfamilie ebenfalls hinablockte.

Der Hasenherle, die Wassermaus und Schwarze hatten schon lange auf den Schulzen gepaßt, jetzt, als er herabkam, überflutheten sie ihn mit stürmischen Fragen, wie es in Zukunft mit dem Feuern gehalten werden solle, wo die Schreiners in der Stube untergebracht würden! Das war den Hirtenmädchen Wasser auf ihre Mühle, am lautesten unter Allen schrieen sie: »Keinen Zoll rücken wir zu, und wenn sich ganz Bergheim auf den Kopf stellt, wir lassen unser Recht nicht antasten. Unsertwegen kann die Gemeind' mit den Schreiners machen, was sie will, aus unsrer Ecke lassen wir uns nicht drängen, ein für allemal nicht!«

»Verrücktes Weibervolk!« schrie der Schulz dazwischen, als besonders die Wassermaus und die Schwarze gar kein Ende finden konnten. »Verrücktes Weibervolk, im Narrenhaus kann's nicht toller hergehen – so laßt einen doch auch ein Wort dreinreden. – Recht habt Ihr freilich, das seh ich gut genug, und ich wollt Euch auch gern helfen, aber mir sind die Händ' gebunden, ich kann so wenig machen wie Ihr. Euer Nachbar, der Bergjörg drüben, der ist jetzt gänzlich Herr in der Gemeind', was der will, muß ja geschehen, und er war von jeher mit dem Schreinerslorz gut Freund. Bei dem bedankt Euch, der ganz allein hat Euch 61 die Last aufgehalst, ich und der Kirchbauer haben uns beinah' die Zunge aus dem Hals geredet für Euch, aber was richtet man gegen den aus? – Jetzt merkt, was ich Euch sage! Aufnehmen müßt Ihr die Schreiners und ihnen zurücken in Stube, Ofen, Keller und Stall, da hilft nun einmal nichts! Aber was Ihr ihnen für Eckele geben wollt und wie groß, das ist Eure Sach', dahinein häng' ich mich nicht. Und vergeßt nicht: Plagt die Schreiners, daß sie die Angst kriegen; je ärger, desto lieber soll mir's sein. Aber setzt Euch fest, daß er nicht an Euch kann; zahlt er's Euch heim, denkt nicht, daß Ihr bei mir Schutz findet!« Nach dieser weisen Anordnung stieg er über die Schwelle und ging rasch davon.

Tiefe Stille folgte diesen Worten, mit großen Augen sahen die Hirtenhäusler dem Gewaltigen des Dorfes nach. Was bedeutete das? Hatten sie ihn auch recht verstanden? Billigte er wirklich ihren Widerstand gegen die Aufnahme der Schreinersleute? Erst allmählich konnten sie sich in diese unerwartete Wendung der Dinge finden, die Freude war dann auch desto größer. Der Schulz selber hatte ihren Haß gegen die Schreinersfamilie gerechtfertigt und anerkannt; quälten und plagten sie den Lorenz, thaten sie sich nicht nur selbst Genüge, sie erfüllten zugleich die Absichten eines Großen, der sich gewiß dankbar zu bezeigen wußte – sollte man da nicht fröhlich sein? Selbst Hansnikel und die Hirtenlang stimmten in das Lob des Schulzen ein, das von allen Lippen ertönte, und redeten sich dabei in immer größeren Zorn gegen den Schreiner hinein! Armer Lorenz, wie wird es Dir ergehen, erfüllen die zornigen Hirtenhäusler nur 62 die Hälfte der Drohungen, die sie gegen Dich ausstoßen! Nur der zehnte Theil braucht zur That zu werden, und ihre Absicht ist erreicht, das Leben wird Dir im Hirtenhaus zur Hölle!

Wieder waren sämmtliche Hausbewohner in der Stube vereinigt; hatte sich auch endlich der Lärm gelegt, friedfertige Stimmung bekundete die Ruhe keineswegs. Die Hirtenlang weifte heimlich schimpfend rückwärts, um die Böcke aus dem Gewinde zu entfernen, die Schwarze hantirte an ihrem Kuchen, die übrigen Weiber spannen. Dabei knarrten aber die Knechte an den Rädern, als wollten sie protestiren gegen das unvernünftige Treten, beim Netzen der Finger klirrten die Netzbecher und das Wasser spritzte weithin. Hasenherle spannte Kaninchenfelle aus und schlug auf die Nägel, als wollte er an ihnen seine Kraft erproben; Hansnikel spuckte und knurrte fort und fort: »Sua!« – Ja, man hielt den Zorn gegen den Eindringling sorgfältig zusammen, um ihm einen möglichst heißen Empfang zu bereiten.

Horch! – wurden nicht Stimmen laut, stolperten nicht Schritte in der Hausflur? – Das war er! – Unwillkürlich rückten die Stubengenossen zusammen, um sich auch äußerlich in Positur zu setzen! – So – nun mag er kommen, jetzt kann's losgehen!

Aber er kam nicht! Im Boden über ihren Köpfen knarrte und rumpelte es, Schritte kamen und gingen – zuletzt ward es tief still. Noch gaben die Hirtenhäusler ihr Spiel nicht verloren, er mußte ja kommen. Aber die Nacht brach herein, man mußte Licht anzünden, an das Kochen denken – der Schreinerslorz ließ sich weder hören noch 63 sehen. Ein Topf Wasser erträgt dauernde Erhitzung nicht, entweder das Wasser kocht ein oder läuft über. So auch mit dem Zorn im Herzen; fehlt der Gegenstand, verschwindet entweder die künstliche Steigerung, oder die Galle macht sich nach anderen Seiten Luft. Hansnikel verknurrte seinen Aerger in unzählbare! »Sua!« Das ohnedies menschenfreundliche Gemüth der Hirtenlang erheiterte sich im gleichen Maße, als die Böcke aus ihrem Gewind schwanden, das Mädle tröstete sich, daß die Gerechten nun einmal viel leiden müßten, und Hasenherle erquickte sich an der Faltenwurst der Wassermaus, ohne sich um die neidischen, zornigen Blicke des Wasserchristian zu kümmern. Anders bei der Wassermaus und der Schwarzen; ihr Zorn wuchs durch die Zurückhaltung, die sie sich auferlegen mußten. Als nun der Hasenherle so vertraut bei der Wassermaus saß, überwand der Haß gegen die Nebenbuhlerin jede andere Regung im Gemüth der Schwarzen, vergessen war der Zorn gegen den Schreinerslorenz, ihrer selbst kaum mehr mächtig erhob sie die Hand gegen die Bevorzugte. Die Wassermaus wehrte sich, und soweit war Alles in Ordnung; nun aber trat eine Wendung ein, die dem Kampf eine unerwartete Ausdehnung gab. Hasenherle hatte wohl bemerkt, wie köstlich der Kuchen der Schwarzen gerathen war, und da er für den Augenblick von der Wassermaus nichts mehr zu hoffen hatte, nahm er die Gelegenheit wahr, sich den Rücken frei zu machen und einen Ausgleich mit der Schwarzen anzubahnen. Statt, wie sie mit Recht erwartete, sich kräftigst der beleidigten Wassermaus anzunehmen, hielt er sich vollständig unparteiisch; ja, als die Schwarze zu unterliegen drohte, sprach 64 er beruhigende Worte zu ihren Gunsten. Das war mehr, als die Wassermaus ertragen konnte; außer sich über diese Undankbarkeit, rief sie ihren Christian zu Hülfe, der denn auch nicht säumte, dem Hasenherle die Faltenwurst zu »schmälzen«, wie er sich ausdrückte. Das Getümmel ward so groß, daß sich das Achduliebs'gottle auf dem Hellstein nicht mehr sicher fühlte und ächzend in ihre Kammer schlüpfte. Bis tief in die Nacht währte der Lärm; die Parteien kamen erst auseinander, als Hansnikel im Ernst Anstalten machte, den Schulzen herbeizuholen. »Ach Herr mein Gott, ist das eine Heidenwirthschaft!« seufzte Hansnikel vor dem Einschlafen. »Soll ich's denn nicht erleben, daß wieder Ordnung im Haus wird? – Und nun gar noch die Schreinersgesellschaft dazu, was wird's nun erst? – Ich sag's ja, 's ist 'ne betrogene Welt! Sua! – Gute Nacht!«

 


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