Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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20. Eisenbahnnoth und Eisenbahnsegen.

Beim Beginn des Frühlings ward drüben im Rottensteiner Grund der Bahnbau mit Macht in Angriff genommen, und nun schien es allerdings, als sollten die Befürchtungen der Bergheimer, wenn auch in anderer Weise, zur Wahrheit werden. Die ganze Gegend ward von Arbeitern 186 überschwemmt; rohes, zuchtloses Gesindel legte sich in die Dörfer, wildes, gesetzloses Treiben lockerte Ordnung, Zucht und Sitte. Die Ortsobrigkeit war vollkommen machtlos den meisterlosen Gesellen gegenüber, denen die Ortsnachbarn heimlich die Stange hielten oder sich wenigstens durch ihre wilden Drohungen von Brand und Mord einschüchtern ließen. Den heimathlosen Banden war ja auch Alles zuzutrauen, und die sonst so wachsame Polizei war nirgends mehr zu finden; die Gensdarmen, denen da und dort übel mitgespielt wurde, machten sich unsichtbar, so weit sie konnten. Besonders die Sonntage wurden zu Qualtagen; die Kirche stand leer, desto voller war das Wirthshaus vom frühesten Morgen bis wieder zum Morgen. Da waren die Bahner, wie die Arbeiter genannt wurden, unbeschränkte Herren, Niemand wagte sie in ihrem lästerlichen Treiben zu stören, und des Nachts erschreckten sie die Bewohner durch wildes Toben. Geld hatten sie im Ueberfluß und warfen damit um sich. Das lockte auch die Eingesessenen, Dienstboten entliefen ihren Herrschaften, Taglöhner kündigten ihren Herren den Gehorsam, selbst liederliche Bauern verließen den Pflug. Die Eisenbahn war der große Magnet, der Alles anzog. Ein wahrer Taumel kam über die Bevölkerung. Die Eisenbahn schien eine neue, goldene Zeit für die Besitzlosen heraufzuführen. Wer nicht selbst auf der Bahn arbeiten konnte, nahm für schweres Geld Bahner in Kost und Quartier. Das leicht erworbene Geld – 's fällt einem ja nur so zu, hieß es – lockte zum Genuß – wenden wir uns ab von dem trostlosen Bild.

187 Die Wassermaus, die durch die Befreiung von ihren Kindern womöglich noch liederlicher geworden war, hielt dafür, nun sei die Zeit gekommen, sich für den Verlust des Hasenherle zu entschädigen. Eines Tages brachte sie einen verwilderten Gesellen in's Haus und erklärte: das sei ihr Kostgänger und Hausgenosse. Diesmal wußte sich Hansnikel zu helfen, schnurstracks lief er zum Schulzen; als dieser jedoch den Bahner zur Thüre hinauswerfen wollte, erklärte sie: »Andere ledige Weiberleute haben auch ihre Kostgänger – und Euch zum Trotz behalt' ich den da bei mir!«

»'s ist Jammers genug,« war die Entgegnung, »daß ich der Heidenwirthschaft so zusehen muß, aber im Hirtenhaus leid' ich dies ein für allemal nicht. Entweder schickt den Kerl fort oder räumt noch heute das Hirtenhaus?«

»Weiter wißt Ihr nichts?« lachte sie ihm in's Gesicht. »Nach Euch und der ganzen Gemeind' frag' ich keinen Pfifferling! Grad' recht ist mir's, daß ich aus der Hundshütte da komm', nun erst recht thu' ich, was ich mag!«

Noch am selben Nachmittag zog sie mit Sack und Pack zum Körbstricker. Zufrieden sah ihr Hansnikel nach und sagte: »Sua! – Der Schulz hat's freilich hinter den Ohren, aber ganz zu verwerfen ist er nicht! Sua! Das widerwärtige Weiberleut wären wir los – die Eisenbahn ist doch auch für was gut!«

»Freut Euch nicht zu früh!« meinte Lorenz. »Die kommt wieder, verlaßt Euch drauf!«

»Sua? – Wißt Ihr das auch schon wieder? – 188 Nichts für ungut, Schreiner, aber Ihr habt die Gescheitigkeit auch nicht allein gefressen!« Mit dieser groben Antwort ging er den Hasenherle suchen.

Ja freilich, der Bahnbau war auch für etwas gut, Niemand empfand dies dankbarer als Lorenz. Der Verdienst in der Grundmühle hatte zur Noth hingereicht, die Seinen zu erhalten, weiter nicht, mit dem Bahnbau eröffneten sich ihm bessere Aussichten. Auch Lorenz nahm den Erdpickel in die Hand, legte das Karrentragband über die Schulter, um sich in das Heer der Arbeiter einzureihen, die drüben im Rottensteiner Grund den Erdboden durchwühlten, Berge abtrugen und Thäler ausfüllten. Es war harte Arbeit für ihn! Im Anfang war ihm oft, als müsse er zusammenbrechen unter dem schweren Erdkarren, Pickel und Haue brannten ihm schmerzende Blasen in die Hände. Und dennoch durfte er nicht eine Minute feiern, durfte nicht aus der Reihe treten, den schmerzenden Rücken zu strecken, die brennenden Hände zu kühlen. Aushalten galt hier, aushalten im Sonnenbrand und Regenschauer, ausharren – oder die Bahn verlassen. Oft meinte er, nun müsse er zusammensinken, aber der Gedanke an daheim riß ihn empor; wenn ihm die Schmerzen, die Müdigkeit schier unerträglich dünkten, sprach er die Namen seines Weibes, seiner Kinder in sich hinein, und neues Leben strömte vom Herzen durch alle Glieder. Und die Liebe gab ihm Kraft, daheim ein fröhlich Gesicht zu zeigen, seine Schmerzen, seine Seufzer hinter einem Lächeln zu verbergen. Nur in der Einsamkeit, oft, wenn er Abends zum Tod ermattet heimwankte, setzte er sich seufzend auf einen Stein am Weg 189 und überdachte sein schweres Loos. Was ihn drückte war nicht allein die kaum zu bewältigende, ungewohnte Arbeit. Zum Bergbauer sagte er einstmals: »Bahnbau ist Zuchthausarbeit – meinem ärgsten Feind möchte ich sie nicht anwünschen! Die schweren Anstrengungen sind's nicht, daran gewöhnt sich der Körper mit der Zeit. Aber der tägliche Umgang mit den schlechtesten, verdorbensten Kerlen, das ist eine Strafe, wie's härter keine gibt. Da muß man neben Kerlen stehen, denen jeder Athemzug zur Lästerung wird; da ist man mit Strolchen zusammengespannt, die Reden führen, daß man vor Scham in den Erdboden versinken möchte. Und doch darf man nicht mit Fäusten dreinschlagen, muß mitlachen, will man's mit der wüsten Bande nicht verderben – denn Gott gnade einem, hat man die wilden Kerle gegen sich aufgebracht, je eher man dann von der Bahn bleibt, desto besser!« – Ein Trost war ihm der Erfolg seiner Arbeit! Der Lohn war gut, außerordentlich gut, und da sich Lorenz vom Wirthshaus gänzlich fern hielt, wuchs das Häuflein Papierthaler in seiner Lade von Woche zu Woche. Schon nach einem Vierteljahr hieß er eines Sonntags Margelies ihm folgen und ging hinab zum Ottensmärt.

In keinem Hause wurden wohl die Folgen der gewaltsamen Revolution wohlthätiger empfunden als beim Ottensmärt. Die bereits nachdenkliche Bäurin ward durch den jähen Tod des Bruders tief erschüttert, die Schmach, die auf seinem Namen lastete, brach vollends ihren starren Sinn, gebeugt unterwarf sie sich dem Willen ihres Mannes. Als sie Lorenz und Margelies so freudig erregt auf's 190 Haus zukommen sah, ward sie blaß, nahm ihr Strickzeug und ging still hinaus in die Küche.

Auch Märt sah sehr verlegen drein, scharrte oft mit den Füßen, nestelte an seiner Pfeife, die um Alles in der Welt keine Luft bekommen wollte, und hatte nicht das Herz Margelies oder Lorenz anzublicken, als dieser eine Reihe Papierthaler nach der andern auf den Tisch zählte. Nachdem er die Summe für richtig befunden, schob er die Zinsen bedächtig zurück und meinte: »Die nehm' ich nicht, ich schenk' sie Euren Kindern für den Schreck und Kummer damals. – Weißt was, Lorenz? Ich hab' meinen Hausleuten gekündigt, laß Deine Sachen gleich stehen, in vier Wochen ziehst Du wieder in Dein altes Quartier!«

»Nein, Märt!« entgegnete Lorenz ruhig. »Das Stüble erinnert mich an gar zu großes Leid, und das soll vergessen sein!«

»Ist's Dein Ernst Lorenz?« fragte Märt weich. »Beschönigen will ich nichts, nur das sollst Du wissen: Es hat mir schwer auf dem Herzen gelegen allezeit, ich hab' mich über nichts mehr recht freuen können. Dein Wort ist mir werther als das Geld da. – An Deine Sachen – sie sind gut erhalten – kehrst Du Dich nichts, mein Knecht wird sie gleich bringen. – Das ist ja wohl am Sonntag erlaubt, zumal Du auch morgen in der Frühe an die Arbeit mußt. Ich dank' Dir und werde Dir Dein gutes Wort nicht vergessen!«

Im Hausflur zog die Bäurin Margelies in die Küche und sagte: »Ich bin's nicht werth, daß Du mich anredest – da – nimm ein paar Strümpfle für Deinen Emil, und 191 da ein Häfele Honig für die Kinder. – Ich kann Dir weiter nichts geben. Red' nichts, aber nimm's an – thu's Margelies, daß ich auch zur Ruh' komm'. – So – ich dank' Dir, Margelies, jetzt weiß ich, Du trägst mir nichts mehr nach, – ich dank' Dir!«

Der Wagen mit Lorenzens Hausgeräth erregte nicht wenig Aufsehen; wer je an des Schreiners Redlichkeit gezweifelt, schlug beschämt die Augen zu Boden, die Wenigen jedoch, die sich nicht vom Urtheil der Menge hatten beirren lassen, hielten scharfes Gericht über seine Widersacher. Besonders der Schulz sprach so laut und verständlich, daß der Türkenhenner heimlich die Wirthsstube verließ und auch der Beckenphilpert still nach seiner Mütze griff!

 


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