Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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2. Rückblicke.

An der Wiege war es ihm nicht gesungen worden, daß er einstmals der Barmherzigkeit der Bergheimer anheimfallen würde. In dem schmucken Häuschen links an der Lindengasse, an dessen Wand der Weinstock sich emporzog und mit seinen Ranken einen dichtgefüllten Bienenstand umschlang, vor dessen Fenstern die Zweige fruchtbarer Obstbäume im Winde schwankten und rauschten, erblickte er das Licht der Welt. Der Vater war ein wohlbehaltener Mann; nicht nur Haus und Garten, auch manchen wohlgelegenen Acker, manches fruchtbare Wiesengrundstück besaß er schuldenfrei, dazu verstand er sein Handwerk aus dem Fundament und war weitum berühmt als geschickter Schneider. Sonst wußten die Nachbarn wenig Löbliches von ihm zu berichten, ernste Männer schüttelten bedenklich die Köpfe, so oft sie am Schneiderhaus vorübergingen. Ueber der Hausthür streckte ein gemalter Ziegenbock die Hörner vor, daneben stand geschrieben:

Hier wohnt der Schneider
Friedericus Heider,
Der sich nicht mit Kummer plagt,
Die Sorgen all zum Teufel jagt!
Seht an das edle Schneidersthier,
Das guckt aus meiner Thür herfür,
Das spricht wie ich: meck, meck,
Ihr Sorgen geht mir weg! –
Und kommt sie mir doch in's Haus,
Reit' ich auf'm Bock zum Dach hinaus!

Wie zur Erklärung der letzten Zeilen knarrte auf dem First eine große Wetterfahne: ein springender Ziegenbock, 9 der einen Schneider mit riesiger Scheere trug. Spruch und Fahne kennzeichnen den »Gaisenschneider«, wie er allgemein genannt ward. Eine lustige Seele, immer zu Scherz und Possen aufgelegt, dabei ein offener Kopf, der sich nicht leicht hinter das Licht führen ließ, hätte er es gewiß zu was Rechtem bringen können; aber sein unruhiger Geist, der Mangel an »Sitzfleisch«, wie die Bauern sagten, waren sein Unglück. Es war freilich viel schöner, in der grünen Welt herumfahren, als in der dumpfigen Stube schwitzen; unterhaltender, im Wirthshaus lustigen Seelen Schnurren vormachen und Bären aufbinden, als sich daheim mit den langweiligen Kirchenröcken und Lederhosen plagen – aber dabei ging sein Handwerk zu Grund. Die Bauern murrten und zankten, wenn ihre Kleiderstoffe drei und mehr Wochen unberührt im Schneidershaus liegen blieben; als das nichts half, gingen sie zu andern Meistern. Der Gaisenschneider ließ sich das allerdings nicht anfechten. »Die Bauern meinen,« zankte er im Wirthshaus, »wir Handswerksleute müßten ihre Lastesel und Pudelhunde sein – pros't die Mahlzeit! Bei Anderen mag's gelten, auf den Gaisenschneider paßt das nicht! Ich pfeif' auf die Schneiderei, mit dem verdammten Sticheln und Fädeln verdient man das Salz in der Suppe nicht. Was brauch ich mich für Andere zu plagen? meine Feldgüter nähren allein ihren Mann!«

Uebertrieben war das wohl nicht, aber es war doch ein Fehler in seiner Rechnung, der ihm den Hals brach. Je weniger er arbeitete, desto länger saß er im Wirthshaus; je geringer sein Verdienst, um so größer waren seine Ausgaben. Bald kam ihm vor, der Ziegenbock sehe nicht mehr 10 so lustig drein; als gar die Kinder hinter ihm: »Gaisenreuter!« riefen, fuhr es ihm wie ein Stich ins Herz – das kam davon, er hatte Schulden machen müssen.

Um wieder Oberwasser zu bekommen, verfiel unser Friedericus auf Mancherlei. Zuerst richtete er mit seinen Kühen ein Botenfuhrwerk ein, das ihm nichts trug als Kosten und ein paar ruinirte Kühe. Darnach, als die Hauptstraße durch den Werthagrund gebaut ward, kaufte er einen lebensmüden Gaul, der sollte durch Steine und Erdenfuhren die verlorenen Kühe wie das verlorene Geld ersetzen helfen. Vielleicht wäre es gegangen, aber noch vor dem rechten Beginn der Arbeit stürzte der Gaul und stand nicht wieder auf. Die Bergheimer spotteten: »Der Gaisenschneider hat sich vom Bock auf den Gaul gesetzt, um ja recht bald gänzlich auf den Hund zu kommen!« Zuletzt errichtete er, wie alle heruntergekommenen Hauswirthe gern thun, einen Schnapsschank, damit schnürte er sich vollends die Kehle zu. Höhnend sagten die Nachbarn: »Darfst den Spruch vor der Thür auskratzen, denn gingst Du darnach, hättest Du lang zum Dach hinausreiten müssen!« Den Gefallen that ihnen jedoch der Alte nicht, legte sich vielmehr hin und starb. Am andern Tag war Spruch und Fahne verschwunden, auch der Schnapsschank geschlossen.

Sein Tod kam zu rechter Zeit, er bewahrte die Schneidersfamilie vor gänzlicher Verarmung. Freilich mußten die besten Grundstücke verkauft werden, und der Kirchbauer hatte noch ein bedeutendes Kapital auf dem Uebrigbleibenden stehen – aber die Schneiderin hoffte trotzdem vorwärts zu kommen. Im Anfang schien es auch wirklich, als sollten 11 für die schwergeprüfte Familie bessere Zeiten kommen, aber nicht lange und neue Wetterwolken zogen sich zusammen. Eben als der jüngste Sohn, unser Lorenz, zu einem Schottendorfer Schreiner in die Lehre kam – mit Mühe und Noth hatte die Schneiderin das Lehrgeld zusammengebracht – erkrankte ihre einzige Tochter. Die Schneidersmargareth, ein wundersam schönes Mädchen, hatte sich heimlich mit dem Pfarrfritz in einen Liebeshandel eingelassen. Schon sein Abgang zur Universität griff das zarte Mädchen hart an; als er darauf wegen »demagogischer Umtriebe,« wie das Urtheil lautete zu fünf Jahren Festung verurtheilt ward, brach sie zusammen. Die Krankheit war schwer und langwierig; kaum erholte sich Margareth, so begann die Schneiderin an den Augen zu leiden und die Aerzte befürchteten Erblindung. Um dem Drängen des Kirchbauern, der grade jetzt in dieser ärgsten Noth mit Kündigung seines Kapitals drohte, ein Ziel zu setzen, rief die Wittwe ihren ältesten Sohn Johann, der in der Hauptstadt bei einem Schneider in Arbeit stand, heim; er sollte Haus und Güter übernehmen, heirathen und die Mutter verpflegen. Johann war das wohl zufrieden; sein Schatz, das Unterweißbacher Ritzenbärble, nicht minder. Bald ward eine fröhliche Freierei gefeiert; Johann besonders war voller Zuversicht und berechnete, da die Mitgabe seiner Braut die Schuld des Kirchbauern fast deckte, in wie viel Jahren spätestens er die elterlichen Grundstücke wieder beisammen haben wolle.

Ganz Bergheim nahm aufrichtig Antheil am Glück der Schneidersleute, nur einer ging grimmig herum, der Kirchbauer. Zwischen ihm und dem Gaisenschneider bestand 12 eine alte Feindschaft, deren Grund Niemand kannte; als es mit dem Schneider abwärts ging, söhnte sich zu allgemeiner Ueberraschung der Kirchbauer mit seinem Gegner aus, ja er ward dessen vertrautester Freund. Die Bergheimer wunderten sich, der alte Herrenbauer aber sagte: »Nun ist's vollends um den Gaisenschneider geschehen; gebt Acht, sein neuer Spezial saugt ihm das Mark aus den Knochen!« Wie Recht er hatte, zeigte sich nach dem Tod des Schneiders. Mit dem damaligen Gewinn jedoch noch nicht zufrieden, war des Kirchbauern ganzes Dichten und Trachten darauf gerichtet, auch den letzten Rest der Schreinersgüter billig an sich zu bringen. Diesmal vielleicht weniger aus Haß und Habsucht, sondern weil er Geld brauchte, viel Geld! Noch galt er als dicker Bauer – und doch war er arm, ärmer vielleicht als sein Taglöhner. Bis jetzt hatte er die hohen Summen, die er im Färbeln verspielt, öffentlichen, ihm anvertrauten Kassen entnommen; wurden ihm die Kassen abgefordert, war er verloren. Darum sein Schrecken, als ihm die Freierei des Schneidersjohann die letzte Aussicht auf Rettung zu zerstören drohte. Aber noch gab er sein Spiel nicht auf, und die Schreinersleute sollten bald spüren, daß ein mächtiger Gegner an ihrem Untergang arbeitete.

Als Johann für seine Braut Aufnahme in Bergheim verlangte, lachte der Schulz höhnisch und sagte: »Oha, Johann, so geschwind geht das einmal nicht. Der Ausschuß hat über die Sach' Sitzung gehalten und ist einig worden: das Ritzenbärble kriegt ein für allemal keine Aufnahme. 13 Wir haben arme Leut genug im Dorf, die der Gemeinde zur Last fallen, wir wollen uns nicht auch noch fremde Brut in den Pelz setzen, denn das ist allemal die schlimmste. Muß es durchaus geheirathet sein, halte Dich an Deinesgleichen im Dorf, da wird Dir nichts in den Weg gelegt, eine Fremde kommt aber einmal für allemal nicht in's Dorf!«

Johann war ganz erstarrt, bat, begehrte auf, umsonst, der Türkenhenner lachte ihn nur aus; auch eine Klage half nicht, der Schulz und Gemeindeausschuß blieben im Recht. Freilich, hätte er auch die Aufnahme erzwungen, es war doch zu spät. Der Ritzenmathes war über den Schimpf, den ihm die Bergheimer Gemeinde angethan, so erbittert, daß er den Verspruch mit dem Schneidersjohann rückgängig machte und seine Tochter bald darauf nach Lengsfeld verheirathete.

Soweit im Vortheil säumte der Kirchbauer auch nicht, sein Werk zu vollenden. Schlag auf Schlag folgte Kündigung, gerichtliche Klage und Abpfändung; ehe die Schneidersleute nur recht zur Besinnung kamen, hatten sie die letzten Grundstücke, Haus und Hof verloren. Der Kirchbauer lachte in's Fäustchen, der Profit von den abgepfändeten Grundstücken reichte beinahe hin, die Löcher in den Kassen zu füllen, jetzt war er wieder ein großer Bauer, mochten ihn die Leute auch einen Seelenverkäufer und Blutsauger nennen, deswegen ließ er sich kein graues Haar wachsen. Beweisen konnten sie ja doch nichts, und sonst sollten sie ihm nur kommen.

Um diese Zeit ward der Pfarrfritz begnadigt, kehrte nach Bergheim zurück, verlobte sich mit der Schneidersmargareth und rüstete zur Reise nach Amerika. Johann 14 schloß sich seinem Schwager eng an; beide waren erbittert über die heimischen Zustände, beiden waren die liebsten Hoffnungen durch Bosheit und Niedertracht zertrümmert worden – Zorn und Haß auf das Vaterland war der Kitt ihrer Freundschaft. Der Jammer der alten, halbblinden Mutter rührte ihn nicht, trotzig rüstete auch er zur Abreise nach Amerika.

Zuletzt nach den Feldgütern ließ der Kirchbauer auch das Schneidershaus öffentlich versteigern; als es eine liederliche, blutarme Familie aus Uhlstedt um unbegreiflich hohen Preis erstanden, schlug Johann mit der Faust auf den Tisch und schrie: »O ihr verdammten Hallunken und Spitzbuben! Die eigene Brut tretet ihr mit Füßen und stoßt sie in's Elend, damit der fremden Brut Platz wird. Gottes Fluch über euch, Schulz und Kirchbauer! Ihr aber, ihr einundzwanzig Herren,In Bergheim besaßen das Gemeindevermögen einundzwanzig Berechtigte; die übrigen Bergheimer wurden Hintersitzer genannt. ihr Krautspöpel und Nickmännle, die ihr die ärgsten Schelme und Heimtücker über euch setzet, euch gönn ich's, daß ihr ausfressen müsset, was sie einbrocken. Denket an mich, der Kirchbauer hat euch mit den Uhlstedtern ein Ungeziefer in den Pelz gesetzt, das euch garstig beißen wird!«

Begehrten da der Schulz und Kirchbauer auf! – Aber nicht lange, denn diesmal hatte der Schneidersjohann nur das Eis gebrochen, den Widersachern des Schulzen und Kirchbauern unter den einundzwanzig Gemeindeberechtigten die Zunge gelöst. Die zwei Gewaltigen mußten 15 bittere Pillen verschlucken, besonders der junge Bergbauer führte so stachlige Reden, daß der Schulz ganz außer sich heimkehrte und sein ganzes Haus in Aufruhr brachte.

Aber geholfen war den Schreinersleuten damit nicht. Um die Mutter zu pflegen, mußte Lorenz, der seit einem Jahr auf der Wanderschaft war, heimkehren, Meister werden und ein eigenes Geschäft beginnen. Lorenz hätte freilich gerne erst die Welt gesehen, ehe er den eigenen Hausstand gründete und sich für immer an einen Ort fesselte; allein er war ein guter Bruder und Sohn, ohne Murren fügte er sich in die Wendung seines Geschickes. Seine Ersparnisse reichten hin, Handwerkszeug und einen kleinen Vorrath an Brettern anzuschaffen, mit fröhlichem Herzen führte er bald darauf seine Mutter und ein nettes sauberes Weib in das Hinterstübchen beim Ottensmärt – diesmal hatten die Einundzwanzig der Fremden, obgleich sie ganz arm war, die Aufnahme nicht verweigert.

Aber der Kirchbauer ruhte noch nicht; unter allerlei Ausflüchten wußte er die Auszahlung des Wenigen, was den Schneiderskindern von ihrem Erbe geblieben war, zu verzögern, und da der Pfarrfritz und Johann das Geld nicht entbehren konnten, schlug sich Lorenz in's Mittel. Unter der Bedingung, daß der Kirchbauer Bruder und Schwager sofort bezahle, willigte er ein, sein Erbe auf dem Schneiderhaus stehen zu lassen, ja, er begnügte sich zur Sicherstellung desselben sogar mit einer zweiten Hypothek. Der Kirchbauer lachte in's Fäustchen, sah er doch die Zeit nicht allzufern, da ihm das Schneiderhaus abermals zu einer Goldgrube werden mußte.

16 Lorenz hatte einen schweren Anfang; er war nicht der einzige Schreiner im Ort, und sein Handwerksgenosse, der Schreinersfrieder war reich und ein tüchtiger Geschäftsmann – zwei Vortheile, gegen die schwer aufkommen ist. Doch schlug sich Lorenz durch; er würde sich auch emporgearbeitet haben, hätte sich nicht das Unglück an seine Fersen geheftet. Nach einigen Jahren erblindete die Mutter, dazu lähmte ein Schlaganfall ihre linke Seite und beraubte sie der Sprache – die Unglückliche mußte verpflegt werden, wie ein hülfloses Kind. Den Geschwistern in Amerika glückte es ebenfalls nicht; zwar kam dann und wann ein Brief mit Versprechungen, allein die Hülfe blieb aus. Als endlich der Tod die Aermste erlöste, athmete Lorenz auf; aber nun folgten schwere Geburten, Kinderkrankheiten, zuletzt warf ein hitziges Fieber Lorenz selber nieder. Als er wieder zu Kräften kam, mußte er seinem Hausherrn, dem Ottensmärt, der ihm zweihundert Gulden geliehen hatte, sein gesammtes Hausgeräth und Handwerkszeug verpfänden. Lorenz unterschrieb unbedenklich das gefährliche Papier, auf seinem Vaterhaus hatte er ja noch zweihundertundfünfzig Gulden stehen, damit konnte er den Ottensmärt befriedigen. Als er jedoch den Uhlstedtern sein Kapital kündigte, lachten sie ihm in's Gesicht: »Der Kirchbauer hat seine erste Hypothek eingeklagt, in vier Wochen wird das Häusle verstrichen, sieh selber zu, wie Du zu Deinem Geld kommst!« Und richtig, beim Verstrich reichte der Erlös grade hin, die erste Hypothek zu löschen und die Gerichtskosten zu bezahlen – Lorenz hatte sein Erbtheil sammt vieljährigen Zinsen verloren. Erst später kam an's Licht, daß der Kirchbauer selber das Schneidershaus um 17 einen Spottpreis erstanden und mit großem Gewinn an den Untermerzbacher Uhrmacherle verhandelt hatte. Darüber kam es im Wirthshaus zu großem Lärm, aber der Kirchbauer lachte die Bergheimer aus; an den Schreinerslorenz, der doch am schlimmsten gefahren war, dachte Niemand. Der saß daheim, wußte vor Angst und Verzweiflung nicht wo ein noch aus; soeben hatte ihm der Ottensmärt – wie er selber gestand, auf den Rath seines Schwagers, des Kirchbauern – die zweihundert Gulden gekündigt und gedroht: »Kannst Du in einem Vierteljahr das Geld nicht schaffen, greif ich nach Deinen Sachen!« Vergeblich waren alle Bitten und Vorstellungen, der Ottensmärt blieb auf seinem Sinn; vergebens war auch alle Mühe, das Geld an einem andern Ort aufzutreiben, nirgends fand Lorenz Hülfe. So ging das Vierteljahr herum – heute sollte ihm all sein Hab und Gut abgepfändet werden, mit Weib und Kind sollte er als Bettler in's Hirtenhaus wandern!

 


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