Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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3. Ein trüber Morgen.

Das war es, soweit es ihm bekannt sein konnte, was jetzt leise an Lorenzens Geist vorüberzog. Böse, gefährliche Erinnerungen weckten zum Kummer auch noch Haß und Zorn! War es nicht allein der Leichtsinn, die Bosheit seiner Nebenmenschen was ihn so tief in's Elend stürzte? Der Spruch über der Thür des Vaterhauses war ihm noch nie so verächtlich vorgekommen als heute. Freilich plagte sich der Vater nicht mit Kummer, aber statt die Sorgen zum Teufel hatte er 18 seine Kinder in's Elend gejagt. Und nun gar die Falschheit und Niedertracht des Kirchbauern! Unwillkürlich ballten sich seine Fäuste; fast blutig biß er sich die Lippen, den Fluch, der sich gegen den Kirchbauer, den Ottensmärt, die Einundzwanzig, gegen alle Reichen auf seine Zunge drängte nicht laut hinauszuschreien. Aber wozu auch? – Er wäre ja doch ungehört verhallt, machtlos zerflattert. Was focht ein Fluch die Reichen, Glücklichen an? – Die schliefen ruhig, sicher; erfreuten sich vielleicht im Traum des sichern Glückes im Kasten – was kümmerte sie der verzweifelnde Arme? – Und warum war er so arm und so unglücklich? – Hätte sich sein Geschick nicht anders fügen können? – Wie Messerstiche bohrten sich diese Gedanken in sein Hirn; heftig fuhr er zusammen, als ihm eine Hand sanft über die Stirn strich, und eine Stimme neben ihm flüsterte: »Ich habe groß Unrecht gethan, so schlecht zu reden. Muß Dir das sagen, eh' werd' ich nicht ruhig. Du könntest ja meinen, ich wollte Dir einen Vorwurf machen, daß es so weit mit uns kommen ist. Denk das ja nicht, Lorz, ich bitt' Dich! Ach, ich weiß ja gut genug, Du brauchtest nur die Hand auszustrecken, und an jedem Finger hattest Du ein reiches Mädle. Und jetzt wärest Du geborgen, könntest am Ende den Schreinersfrieder selber auslachen. Aber, Lorenz, ich kann ja auch nicht für meine Armuth; Du hast vorher gewußt, wie's um mich steht, laß mich's jetzt nicht entgelten. – Ich will nimmer murren, will arbeiten, was ich vermag, über die Kinder wachen Tag und Nacht – mehr kann ich nicht, Lorz; wirst Du damit zufrieden sein?«

Lorenz erbebte, hatte die Frau seine verborgensten 19 Gedanken errathen? Er wollte sie unterbrechen, sein Unrecht eingestehen; doch hielt ihn der Gedanke zurück: Alles müsse auseinanderfallen, wenn er jetzt seine Schwachheit zeige. Nach Athem ringend begann er: »Hör' auf, Margelies, laß mich das nimmer hören, ich sag's ernstlich. Wir gehören zusammen und müssen erleiden, was über uns kommt, das ist die Ordnung. Du bist eine brave Frau und mir lieb und werth, damit ist's abgethan, jetzt und immer. Gieb mir Deine Hand, was wir uns gelobt, wir halten es!«

Margelies drückte ihm die Hand und stand geräuschlos auf, es war schon sechs Uhr geworden. Lorenz blieb noch liegen und schloß in stillem Sinnen die Augen, wunderlich wogte es in ihm auf und ab. Er war seiner Margelies im Herzen dankbar, daß sie seinen bösen Gedanken so rasch Stillstand geboten; wohin hätte es ihn führen müssen, wenn sie erst Raum in seiner Seele gewannen? Daneben quälte ihn doch auch die Sorge, ob nicht am Ende eine Absichtlichkeit in ihren Worten gelegen, ob sie ihn durchschaut und besser kannte, als er sich selbst, ob sie ihn nun nicht verachten müsse? Zuletzt aber schüttelte er alle Bedenklichkeiten ab, er hatte eine brave Frau und er wollte ein rechtschaffener Ehemann bleiben – was bedurfte es weiter?

»So, Kind, nun geh' in die Schule und laß Dich's nicht anfechten, wenn Dich Deine Kameraden hänseln,« sagte die Mutter, nachdem das Frühstück still verzehrt war. »Flenn nicht, Du wirst nur mehr ausgelacht. Gieb Dich zufrieden, Du hast ja noch Deine Eltern und der Herrgott 20 lebt auch noch. Geh' jetzt und sei lustig, Du siehst, ich und der Vater sind auch zufrieden.« Damit trocknete sie Marie die Thränen ab und schob sie aus der Thür.

Lorenz legte den Löffel nieder und starrte hinaus in das wilde Schneegestöber. Der alte Jammer quoll in ihm auf; warum konnte er das Leid nicht allein tragen, warum mußten auch die unschuldigen Kinder darunter leiden? Er nahm einen Hobel, legte ihn aber gleich wieder nieder, nicht einmal der Trost der Arbeit war ihm geblieben. Als seine Blicke über das blanke Handwerkszeug glitten, zerdrückte er heimlich den Tropfen, der ihm im Auge zusammenlief. Die Griffe waren glatt und glänzend, wie polirt vom Gebrauch, da und dort hatte seine Hand dem harten Holz Spuren eingedrückt. Wer wird in Zukunft mit den Geräthen schaffen, werden sie wieder in treue, ehrliche Hände kommen? –

Der Wind wirbelte den Schnee von den Dächern und verfing sich heulend im engen Hofraum; die Spatzen verkrochen sich unter den Dächern, kläglich piepend; die Hühner standen mit gesträubten Federn auf dem Miste vor dem Fenster, gaben jedoch bald das Scharren auf und setzten sich in langer Reihe auf die Wagenleitern im Holzschuppen. Drüben in der Scheune lehnten sich die Drescher auf die Flegel und schauten durch das halboffene Thor vergnüglich in das Gestöber. Erröthend trat Lorenz vom Fenster zurück, er schämte sich von fleißigen Menschen müssig gesehen zu werden. Herb empfand er seine Heimathlosigkeit. Den Spatzen gönnt man die Löcher, die Hühner finden einen Unterschlupf, – ihn trieb man auf die Gasse, oder, was noch schlimmer war, in's Hirtenhaus! Er beneidete die 21 Drescher! Sie hatten Arbeit, Nahrung; was sollte aus ihm und den Seinen werden? Er empfand seine Hülflosigkeit wie körperliche Mattigkeit, setzte sich auf den Hackeklotz und stützte den Kopf in die Hände. – Und dennoch war ja die Noth nicht einmal das Schlimmste! Bis heute durfte er stolz auf seinen ehrlichen Namen sein, morgen war auch das vorbei. Seine Habseligkeiten reichten nicht zur Hälfte hin, die Forderung des Ottensmärt zu decken, und konnte er jemals daran denken, seinen Verpflichtungen nachzukommen, wenn ihm Handwerkszeug und Alles genommen ward? »Mein guter, ehrlicher Name!« seufzte er. »Mit mir ist's aus für alle Zeiten! – Bankrotter Schuldner und Hirtenhäusler! – – O mein Gott!«

Margelies hatte die letzten Worte gehört; schoß ihr gleich das Wasser in die Augen, bezwang sie sich doch, legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte leise: »Was Gott thut, das ist wohlgethan, dabei will ich verbleiben; es mag mich auf die rauhe Bahn Noth, Tod und Elend treiben: so wird Gott mich ganz väterlich in seinen Armen halten, drum laß ich ihn nur walten! – Hast Du das vergessen?«

»Zu verwundern wär's kaum; aber sei still, ich werde nimmer seufzen!«

Er wartete, bis die Drescher drüben einen neuen Umgang begannen, dann drückte er sich scheu an der Wand hin in das Vorderhaus. Der Ottensmärt saß mit rothem Gesicht am Tisch; als Lorenz eintrat, verschluckte er eine heftige Rede. Dafür fuhr die Bäuerin zwischen Stube und Küche hin und her; ohne dem Hausmann einen Sitz zu bieten, brach sie los: »Das hat man von seiner 22 Gutherzigkeit! Jetzt kommen wir ums Geld und in Verruf obenein! Daß wir Dir aus der Noth geholfen und so lange Geduld gehabt, davon redet kein Mensch, Alles schreit nur über unsere Garstigkeit. Ich hab' es meinem Märt gleich gesagt, er sollte sich mit Dir nicht zu tief einlassen, der erste Verdruß sei alleweil besser als der letzte, aber der läßt sich ja nichts einreden. – Und jetzt komme nur nicht und bettele, 's ist jedes Wort vergebens, wir können einmal nicht anders und müssen auf unsere Kinder sehen. Ehe wir alles einbüßen, nehmen wir was zu haben ist. Du thust mir auch leid, und Deine Kinder erbarmen mich gar sehr, aber heut zutag darf man eben nicht blind und so in den Tag hineinfreien, man muß auch an die Zukunft denken!«

Lorenz stand still an der Thür und zerknitterte seine Mütze; als endlich die Bäuerin schwieg und der Bauer verlegen mit dem Fuß scharrte, begann er kleinlaut: »Es ist nur leid, daß ich so ungelegen ankomme. Betteln wollt ich nicht, nur anfragen, ob mir der Bauer nicht gegen eine Entschädigung wenigstens das allernöthigste Handwerkszeug auf einige Wochen überlassen wollte?«

»Ha, ha!« lachte die Bäuerin giftig. »Das ist noch das Wahre! Weißt Du nicht, daß man Brod und Seife nicht verborgt? – Ja freilich, das wär' Dir ein gemachtes Fressen, mit fremdem Gut wirthschaften – dann ist das Lumpenleben leicht, hätt' selber beinahe Lust anzufangen. Aber Du bist nicht der einzige Gescheidte in der Welt! Ist Dir die Arbeit nicht zu gering, giebt es mancherlei zu schaffen. Du wirst Dich freilich tappet genug anstellen, 23 aber ich will doch ein Uebriges thun und nichts dawider haben, wenn Du mit Dreschen und Holzmachen Deine übrige Schuld abarbeitest.«

»Kreuzmillionhagel, nimmt's gar kein End'?« schrie der Bauer dazwischen und stampfte mit dem Fuß. »Gelt ich gar nichts im eigenen Haus? Das Wetter schlag' 'nein was mit dem Lorz abzumachen ist, besorg ich selber und Du hältst das Maul!«

Lorenz wartete das Ende dieser Rede nicht ab, langsam schlich er heim.

»Hätte Dir voraussagen wollen, so wird's gehen,« tröstete Margelies. »Der Bauer ist wohl nicht so schlimm, aber seine Alte und der Kirchbauer machen mit ihm, was sie mögen. Willst nicht zum Pfarrer?«

»Wozu? – Was kann er ausrichten? – Ich will's noch einmal mit dem Gemeindevorstand versuchen, vielleicht hat der ein Einsehen!« Margelies entgegnete nichts, ein tiefer Seufzer sagte genugsam, was sie erwartete.

Das Essen stand schon geraume Zeit auf dem Tisch, die Schreinersfamilie war in der Stube versammelt, nur Marie fehlte noch, trotzdem die Schule längst geschlossen sein mußte. Margelies, die oft durchs Fenster sah, ging endlich hinaus und fand das Mädchen bitterlich weinend hinter dem Schleifstein im Hausflur kauern. »Um Gotteswillen, Mädle, was ist passirt?« rief sie erschrocken und zog das Kind aus seinem Versteck. »Warum gehst nicht 'rein? – So red' doch! – Ist Dir was zugestoßen?«

Das Mädchen verbarg ihr Gesicht in der Schürze und weinte nur heftiger; erst auf vieles Drängen klagte sie: 24 »Ach Mutter, Mutter! ich geh nimmer in die Schul', und vor keinem Menschen laß ich mich mehr blicken!«

»So red' doch,« mahnte Margelies, der sich alles Blut nach dem Herzen drängte. »Ist Dir ein Leid geschehen?«

»Denkt, wie ich in die Schul' komm', schreit die Wasserchristel: Guckt das ist jetzt die Bettelmarie und ihr Vater der Bettelschreiner! Alle Kinder deuten darauf mit Fingern auf mich und schimpfen: Bettelmarie, etsch, Bettelmarie! Wie ich mich auf meinen Platz setzen will, rücken die Steinmüllersdorthen und die Eckenkarline weg; mit einem Bettelding setzten sie sich nicht zusammen, haben sie geschrieen und mich geknufft, ich sollt' hinunterrücken. Darauf hab' ich gedroht, ich wollt's dem Herrn Schulmeister sagen – ach Mutter, nun sind sie alle über mich hergefallen, haben mich so lange geknufft und geschlagen, bis ich versprochen hab', ich wollt nichts anzeigen. Und am ärgsten hat's doch der Kirchbauerssepp' trieben – da guck, so hat er mich gezwickt und geplagt!«

Margelies drückte die blauen Flecke an ihre Lippen und überströmte die Arme des gequälten Kindes mit ihren Thränen. Leise fuhr Marie fort: »Ach, Mutter, und das war noch nichts! In der Freiviertelstund' erzählt der Kirchbauerssepp: Wir gehörten eigentlich gar nicht in's Hirtenhaus, es würd' auch nicht lang dauern, so säß der Vater und Du auf dem Hügele im Zuchthaus, ich und die Kleinen aber würden an die Zigeuner verkauft, sein Vater habe es gesagt – und alle Kinder heißen mich jetzt die Zigeunersmarie. Darauf giebt mir die Wasserchristel einen Puff in's Gesicht und schreit: »Und wir lassen euch gar 25 nicht in's Hirtenhaus; Dir kratz ich die Augen aus und Deine Kleinen schlag ich windelweich!« Darüber giebts ein arges Lachen; auf einmal ist der Herr Schulmeister mitten in der Schul' – Keines hat ihn kommen sehen – und ich muß ihm erzählen, wie mir's gegangen ist. Die Andern haben nun freilich ihre Strafe 'kriegt, aber was hilft's? – Ach Gott, Mutter, das wird mir doch hundertfach heimgezahlt! – Mutter, Mutter – wir wollen nicht in's Hirtenhaus, lieber fort, recht weit fort – nur nicht in's Hirtenhaus!«

»Geht jetzt 'rein!« sagte Lorenz leise, als Margelies laut jammernd ihr Kind an das Herz drückte. »Kommt – Margelies sei vernünftig, und Du Marie, gieb Dich zufrieden, ich sorg' dafür, das Dir kein Haar gekrümmt wird und auch das Geschwätz ein End' hat. Kommt 'rein – Sollen die armen Würmer drinnen auch noch Hunger leiden?«

Die Mutterliebe war stärker als das Leid; still schluchzend wischte sie Marie die Thränen ab, dann vertheilte sie mit zitternder Hand die Suppe. So stark sich Lorenz auch stellte, er mußte doch den Löffel niederlegen, als das Gemeindeglöckchen zu bimmeln begann. Langsam strich er sich über Stirn und Augen, ein Zittern ging durch seine Glieder, als er aufstand. Unter der Thür gab ihm Margelies die Hand, legte ihr Gesicht auf seine Schulter und flüsterte: »Befiehl dem Herrn Deine Wege und hoffe auf ihn, er wird's wohl machen! Du gehst einen schweren 26 Gang, aber es soll nun einmal so sein, drum verzage nicht – wir werden auch das überwinden! Und laß Dich nicht in die Hitze bringen, Du richtest damit doch nichts aus!

 


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