Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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7. Ein Ein- und ein Auszug.

Draußen heulte der Decembersturm, wirbelte die Flocken durcheinander, wehte den Schnee in dichten Wolken von den Dächern, zerzauste die Aeste der Obstbäume im Garten und thürmte an windgeschützten Orten lange Schneewälle auf. Darauf achtete jedoch die einsame Frau im halbdunkeln Kämmerlein nicht; mit zitternden Händen zog sie Kasten und Schubfächer auf, erschloß Schrank und Kommode – nicht um sich behaglich des Besitzes zu erfreuen, es galt Abschied zu nehmen von all den liebgewordenen Geräthen, 65 stillen Zeugen glücklicher Stunden wie auch herben Leides. Aber die Körbe neben ihr, zur Aufnahme der Wäsche und Kleider bestimmt, blieben leer; Margelies konnte die Thränen nicht mehr zurückhalten, vor der buntbemalten Lade, einem Erbstück ihrer Mutter selig, kniete sie nieder und legte das Gesicht auf ihre Arme.

Draußen pfiff der Wind und rüttelte an Fenster und Laden, aus der Stube tönte fröhliches Lachen und Kindergeplauder herein. – Wie bald werden die Kinder verstummen, wenn die Noth ihre Wangen bleicht, der Hunger ihnen bittre Thränen auspreßt und sie hinaustreibt in Wind und Wetter, die Barmherzigkeit der Menschen anzurufen! Oder bleibt ihnen auch das erspart, wie lange werden sie noch so unschuldig, herzensfröhlich spielen, lachen und beten? – Margelies drückte den Kopf fester auf die Arme, ein Frostschauer lief über ihren Körper, und in ihrem Herzen quoll die beängstigende Frage auf: Mußte es wirklich so weit mit uns kommen?

»Der Herrgott wird Euch vergelten was Ihr an mir gethan habt, er wird Euch segnen für Eure große Liebe und Treue!« hatte ihr die blinde Schwiegermutter auf dem Todbett in's Ohr geflüstert, noch kurz vor dem Verscheiden rief sie: »Der Eltern Segen baut den Kindern Häuser! Ich segne Euch, Dich Margelies besonders! Du warst mir in Wahrheit eine rechte Tochter, darum wirst Du Freude an Deinen Kindern erleben und Segen die Fülle haben im Alter!« – Wo blieb der Segen? War das Elend die Erfüllung jener Verheißung? Eine unsägliche Bitterkeit kam 66 über Margelies bei der Frage: »Womit haben wir solches Unglück verschuldet?«

Der Kuckuck in der Stube, der die zweite Nachmittagsstunde anrief, riß sie aus ihrem finsteren Brüten. Was half alles Sinnen? Damit war nichts gebessert, und die Umzugsarbeiten machten sich nicht von selbst. Langsam stand sie auf, die Thränen waren versiegt, mit brennenden Augen blickte sie um sich, ihre Wangen glühten und in den Schläfen hämmerte und pochte es. Mechanisch begann sie die Wäsche in die bereitstehenden Körbe zu packen, mechanisch griff sie auch nach Bibel und Gesangbuch, die in ein weißes Tuch eingeschlagen auf dem Kommodensims lagen. Heftig drückte sie beide Bücher an's Herz, aber plötzlich schrak sie zusammen. Wie oft hatte sie aus beiden Büchern gebetet, von Herzen andächtig gebetet – und was hatte es genützt? Trost und Beruhigung, ja, das hatte sie wohl immer gefunden – aber wo blieb die verheiß'ne Hülfe? In der Bibel stand geschrieben: Rufe mich an in der Noth, so will ich Dich erretten und Du sollst mich preisen! – und war es nicht trotz ihres Rufens und Flehens tagtäglich abwärts mit ihnen gegangen, bis – bis zum Hirtenhaus? – – Margelies zitterte, ihre Gedanken verwirrten sich, die Hände ringend warf sie sich über ihr Bett.

Draußen brauste der Sturm, in der Stube flüsterten die Kinder – Margelies hörte von Allem nichts. Erst nach geraumer Zeit ward sie aufmerksam, richtete sich im Bett auf und vernahm, wie Marie die Geschwister ermahnte: »Ja, den Kuckuck dürfen wir freilich nicht mit 67 in's Hirtenhaus nehmen, das ist nun einmal nicht anders, d'rum müßt ihr auch nicht heulen. Was liegt auch an dem Kuckuck? Das ist ja doch nur ein altes, schlechtes Ding, und der Vater hat uns versprochen, wenn wir recht brav sind, kauft er uns einen neuen. So! – flennt nimmer; komm Emil, ich wisch Dir die Aeugle aus, so! nun sind sie wieder hell und lustig – gelt? – Und das dumme Wasser darf nimmer 'rein, das leiden wir einmal nicht! – Guckt, Emil und Tine, Ihr dürft nicht mehr heulen, das thut den Eltern gar so weh, sie bekümmern sich d'rüber, d'rum müßt Ihr recht lustig sein und singen und lachen. – Ja, ja, so ist's recht, Tine, so bist Du ein brav's Mädle, und an braven Kindern hat auch der Herrgott droben im schönen Himmel seine Freude und sagt zu den guten Engelein mit den goldigen Flügeln: Guckt nur einmal an, was das für gute Kinderle sind! Wart, die sollen vom Christkindle was recht Schönes kriegen!«

»Aber Zucker, Nüß' und Aepfel auch?« fragte Emil.

»Hör', ich weiß, was das Christkindle bringt,« fiel ihm Tine in's Wort. »Einen neuen Kuckuck und – –«

»Aachele – aachele!« unterbrach sie Emil.

»Ja, der Herrgott und das lieb' Christkindle werden wohl wissen, was es wird, und bis dahin müßt Ihr eben Geduld haben. Wenn's aber keinen Kuckuck bringt, ist's auch gut, es kommt nur drauf an, daß ihr recht fromm und brav seid, alle Tage betet, –«

»Ich kann mein Sprüchle!« fiel ihr Emil in's Wort, legte die Händchen zusammen und stammelte: 68

»Wie fröhlich bin ich aufgewacht,
Wie sanft hab' ich geschlafen die Nacht!
Hab' Dank Du Vater im Himmel mein,
Daß Du hast wollen bei mir sein.
Behüte mich auch diesen Tag,
Daß ich nichts Böses lernen mag! Amen!«

»So ist's recht, Emil!« lobte Marie. »Besonders das vergiß nicht: Behüte mich auch diesen Tag, daß ich nichts Böses lernen mag! – Guckt, droben im Hirtenhaus sind gar arg böse Kinder, die beten nicht und folgen den Eltern nicht, denkt nur an! Und sie heulen und schrei'n, schimpfen und schlagen! – Gelt, so macht Ihr's nicht auch? Denk't nur die Schand', wenn's hieß': Das ist die Schreitine und das der Heulemil! – Und der Vater und die Mutter bekümmerten sich und weinten wegen Euch!«

»Wollen gut sein!« gelobte Emil. »Aber schimpfen und schlagen laß ich mich nicht und Dich nicht und die Tine auch nicht!«

»Das braucht's auch nicht, dafür ist der Vater da, der wird schon sorgen, daß uns nichts geschieht. Aber Ihr dürft auch nimmer so herumhutschen und so arg viel zerreißen. Die Eltern sind jetzt gar arm, es wird ihnen sauer, daß sie genug Geld verdienen, d'rum müßt Ihr Eure Sachen in Acht nehmen. Herrje, Emil, ist das schon wieder ein Schlitz in Deinen Hosen! wenn das die Mutter wüßt'! – Nu nu, heul' nicht, ich stopf' Dir das Loch zu! Und passirt sonst einmal was mit den Kleidern, dann sagt mir's, ich richte sie wieder her – die 69 Mutter hat so genug zu thun. Ja, wir müssen jetzt recht gut und fleißig sein, damit die Eltern nicht noch mehr Sorgen haben!«

Margelies waren schon lange die Augen übergegangen, tief bewegt flüsterte sie jetzt: »Ja – aus dem Munde der Säuglinge und jungen Kinder hast Du Dir eine Macht zugerichtet! Herr mein Gott, verzeihe mir die argen Gedanken. Ach, ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die Du an mir gethan hast! – Meine Kinder, ach, meine Kinder! – Und ich will jammern und klagen? – Und mein Lorenz! – Gibt's einen braveren, rechtschaffenern Mann? – Ja, jetzt versteh ich's: Ein unverschuldet Unglück ist gar kein rechtes Unglück, wir dürfen's nur nicht dazu machen! – Was ist's doch ein Glück um einen rechten Mann! Zuerst wollten mir seine Worte freilich nicht eingehen, und jetzt helfen sie mir doch zurecht! – Ja, unser Elend ist groß, aber wir werden's überwinden, nach dieser kommen auch andere Zeiten, Bergheim ist nicht die Welt, und zuletzt lebt auch der alte gute, treue Herrgott noch! Und ich will mich zusammennehmen, nicht mehr kleinmüthig thun, meinen Kindern eine treue Mutter sein und meinem Lorenz das Leid tragen helfen, so viel ich kann – das helfe mir Gott!« Noch eine Weile bewegten sich ihre Lippen, ein eigener Glanz lag auf ihrem Gesicht, als sie sich endlich erhob.

In der Stube zog sie ihre Kinder heftig an die Brust und schluchzte. »Ach meine Kinder, meine Kinderle! Gott erhalte Euch gesund und frisch an Leib und Seel', dann 70 komme, was mag, ich will vor nichts erschrecken!« Der verwundert dreinblickenden Marie gab sie einen herzlichen Kuß und sagte: »Du bist mein Herzensmädle! Jetzt aber hilf einpacken, der Vater soll uns nicht müssig antreffen, er soll sehen, daß er sich auf uns verlassen kann!«

Lorenz traf auch richtig Mutter und Tochter in aller Arbeit, sogar die Kleinen wollten sich nützlich machen. Dankbar drückte er Margelies die Hand; ihr gefaßtes, zuversichtliches Wesen, mehr noch ihre durch die That bewiesene Ergebung in das Unvermeidliche war ihm ein Trost, erschien ihm fast wie eine Verheißung besserer Tage. Wer so, durch Arbeit, das Leid überwindet, kann nicht zu Grunde gehen. Lorenz hatte nicht Zeit, diesen Gedanken auszusprechen, vor der Thür erhob sich heftiger Zank, gleich darauf trat der Kirchbauer, die Ottensbäuerin und der Ottensmärt ein. Besonders Letzterer sah sehr erregt und erzürnt drein.

Scheltend wollte die Bäuerin einen Korb voll Weißzeug an sich reißen; doch furchtlos trat ihr Margelies in den Weg und sagte: »Rührt den Korb nicht an! was Euch gehört, soll Euch werden, daran habt Ihr nichts zu suchen!«

»Dacht ich doch, so wird's kommen!« entgegnete der Kirchbauer mit einem höhnischen Blick auf seinen Schwager. »Oha! Hand von der Butter, Margelies, was Euch bleibt, haben wir zu bestimmen!«

»Kirchbauer, Ihr nehmt Euch viel heraus!« sagte Lorenz ruhig. »Läßt sich's der Märt gefallen, daß Ihr ihm im eigenen Haus schandbar über's Maul fahrt – das geht 71 mich nichts an, aber ich habe mit Euch nichts zu schaffen und lasse Euch nicht in meinen Kram reden.«

»Ho ho, nur nicht patzig gethan!« fuhr der Kirchbauer auf. »Wirst bald klein beigeben, wenn Du siehst, wir machen Ernst!«

»Das seh' ich lang'!« lachte Lorenz verächtlich. »Jetzt will ich Euch zeigen, daß ich auch Ernst machen kann. Noch bin ich Herr in der Stube, und wer mir nicht gefällt, dem weis' ich die Thür. Merkt Euch das; so Ihr noch ein Wort in meine Sachen redet, setz' ich Euch an die Luft.«

Der Kirchbauer schlug ein Gelächter auf, die Bäurin schimpfte, und Märt ballte die Fäuste. Ohne sich um den Lärm zu kümmern, wendete sich Lorenz an den Hausherrn: »Märt, mein Hab und Gut hab' ich Dir verpfändet, von dem Zugebrachten meiner Margelies steht nichts im Pfandbrief, das bleibt uns! Ferner muß ich Tisch und Stühle haben, meine Ziegen, mein Futter, meine Erdäpfel kann ich nicht entbehren. Gott soll mich bewahren, daß ich Dich um einen Heller verkürze – d'rum laß von gerechten Männern die Sachen abschätzen und habe mit der Bezahlung Geduld, bis für mich bessere Zeiten kommen. Bei Gott gelob' ich Dir, bleib' ich am Leben, will ich nicht ruhen, bis ich Dir auch den letzten Heller zurück erstattet habe.«

»Hört nur den heuchlerischen Spitzbuben, wie er sich windet, uns noch in letzter Stunde eine Nase zu drehen!« lärmte der Kirchbauer. »Aha! Es ist jetzt genug geschwätzt! Was da ist, gehört und bleibt uns, punktum!«

72 »Habt Euer Punktum zu früh gesetzt! Merkt's, noch ein Wort und ich mach' Euch selber zum Punktum im Schnee draußen!«

»Ha, nun hör ein Mensch!« schrie die Bäuerin. »Das ist doch ganz unerhört! Sollen wir uns von dem Bettelgesindel im eignen Haus das Maul verbieten lassen?«

»Jetzt bist Du gleich still, Du altes Zankeisen, jetzt will ich reden!« rief der Hausherr dazwischen, setzte seine Ehehälfte ziemlich unsanft auf einen Stuhl und fuhr dann, der Verblüfften mit der Faust drohend, fort: »Ja, guck nur! Es ist so, jetzt will ich reden und Deine Maulherrschaft hat ein Ende! Nur nicht gemuckst, mit meiner Geduld ist's gänzlich vorbei! Und jetzt, Kirchbauer, gib Acht, was ich Dir sage!« wendete er sich an diesen. »Du hast seit Jahren den Meister in meinem Haus gespielt, Dich zum Herrn über mich und meine Sachen aufgeworfen, meine Alte gegen mich angestiftet und mit ihr über mein Gut geschaltet, als wär's Dein eigen. Das hat mich oft gegrimmt, oft hat mir's in der Faust gejuckt, dem ungebetenen Vormund zu weisen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat. Aber um des Friedens willen und wegen der Kinder hab ich mich unterdrücken lassen und geduldig diese Heidenwirthschaft ertragen. Jetzt aber, da ich merke, wie ich durch Dich in Unehr' 'kommen bin, jetzt, da Du mich im Gemeindevorstand zum Spott und Gelächter gemacht hast, da ich sehe, wie Du mich als dummen Buben behandelst, mich Deine Keile verklopfen und die Kastanien für Dich aus dem Feuer holen läßt – 73 jetzt ist's aus! Heut sind mir überhaupt über Dich die Augen aufgegangen; was ich lang' nicht glauben wollte – das ist mir gewiß 'worden: Du bist kein ehrlicher Mann! Ja – dreh' nur die Augen, ich sag's noch einmal: An Deinen Fingern hängt Unrath! Was sind das für Geschichten, die heute der Bergjörg in der Sitzung anführte? Warum habt Ihr Euch, Du und der Schulz, so arg verfärbt? warum habt Ihr keine Antwort 'geben? warum ist der Beckenphilpert so Knall und Fall abgesprungen? – Kirchbauer, habt Ihr, Du und der Schulz, mich in Sachen des Gemeindevermögens und der Brückenrechnung hintergangen, ist nicht Alles im Amt geordnet und festgestellt wie Ihr mir vorredet, – dann nehmt Euch in Acht! Unehr' laß ich auf meinen Namen nicht bringen; bist Du zehnmal mein Schwager, ich schone Dich nicht, hast Du zu weit gegriffen. Heut' noch tret ich aus dem Gemeindevorstand und sorg' dafür, daß es alle Leute erfahren. Meine Finger sind rein! – Ich seh', ich war lang' Dein Narr, aber die Geschichte mit dem Lorenz ist der letzte Fall, daß ich mich von Dir in's Feuer treiben lasse – von heute an bin ich selber Herr meines Thuns! Dort ist die Thür, Kirchbauer, geh' gutwillig, mache den Leuten die Freude nicht, daß ich Dich an die Luft setze! – Ich achte Dich nimmer als meinen Schwager und will keinerlei Umgang mehr mit Dir haben – hast mich verstanden, oder soll ich noch deutlicher reden?«

Der Kirchbauer war sehr bleich geworden; jetzt verzerrten sich seine Züge, seine Augen blitzten vor Wuth, 74 als er schrie. »Gottes Donner! bist Du verrückt? Weißt Du, was Du redest? – Ha – Märt, das gedenk' ich Dir!«

»Darauf bin ich gefaßt! Aber jetzt weißt Du, Du bist übrig – wird's?«

Heulend fuhr die Bäurin, die bisher sammt den Schreinersleuten ganz bestürzt Zeuge dieser wunderlichen Unterredung gewesen war, drein. Doch der Bauer ließ sie nicht zu Worte kommen, drückte sie auf den Stuhl nieder und sagte drohend. »Sei still, gleich ganz still, sonst gehst Du, eh' Du's denkst, denselben Weg wie Dein Bruder!«

Als der Kirchbauer knirschend und doch unentschlossen, was er beginnen sollte, seinen Platz behauptete, sagte Lorenz, der nun auch nicht mehr an sich halten konnte: »Ich meine, Ihr müßtet nun wissen, daß Ihr allerseits übrig seid – soll ich Euch vielleicht auf den Weg helfen?«

»Gut, ich geh schon!« knirschte der Kirchbauer. »Heute räum' ich Euch das Feld, aber wir kommen wieder zusammen, und dann will ich verdammt sein, wenn Ihr nicht anders pfeift! Dich, Märt, hab ich von jeher für nichts geachtet, nicht einmal zum Krautspöpel warst Du zu gebrauchen, Du wirst's bald spüren, wie weit Du kommst ohne mich!«

»Gott sei Dank!« rief Märt erregt, »tiefer in Unehren gewiß nicht! Uebrigens ist das ganz allein meine Sache!«

»Du bist und bleibst ein dummer Narr!« zürnte der Kirchbauer. »Mit Dir, Lorenz, hab ich aber nach dem, 75 was heut geschehen ist, noch eine besondere Abrechnung. Du sagst heut: Vielleicht bricht mir noch das Schneidershäusle den Hals? – Ha, ha! warts ab! Vielleicht aber brech' ich vorher Dir vollends das Genick, wie ich's Deinem Vater und Bruder gebrochen hab'! Warst Du demüthig, hätte ich vielleicht in Zukunft von Dir gelassen – nun aber will ich nicht ruhen und nicht rasten, bis ich Dich und Deine Brut völlig unter die Füße getreten habe. – Wer mir einmal in den Weg tritt, der muß nieder, und sollt ich darüber selbst zu Grunde gehen – der Kirchbauer vergißt nichts und vergibt nichts! Dein Vater war Schuld, daß damals der Verspruch zwischen mir und der reichen Leinebauersannemargth von Menselbach zurückging; er hat mich bei dem alten Leinebauer verhetzt und verschwätzt, bis mir der die Thür wies! Ich hab's Deinem Alten vergolten, und so gewiß ich ihn gänzlich ruinirt hätte, wär' er nicht vor der Zeit gestorben, so gewiß zahl' ich Dir heim, was Du mir heut' angethan hast!«

»Ich dank Euch für die Auskunft!« sagte Lorenz, der mehrmals die Farbe gewechselt hatte. »Weiß ich doch jetzt, daß uns Heidersleuten Euer Haß keine Schande macht, und daß mein Vater rechtschaffen an den Leinebauers handelte. Eure lächerlichen Drohungen erschrecken mich nicht, mein Gewissen ist rein, und Ihr seid auch nur ein Mensch. Jetzt aber geht, Euer Anblick regt mein Geblüt auf; wenn Ihr nicht macht, daß Ihr mir aus den Augen kommt, weiß ich nicht, was ich thue!«

»Ja, geh!« schrie auch der Ottensmärt. »Einen 76 Menschen, der sich noch seiner Schlechtigkeit berühmt, leide ich nicht unter meinem Dach. – Hinaus!«

»Brüllt nur, weiter vermöget Ihr doch nichts!« höhnte der Kirchbauer, während doch das Zittern und Beben seiner Glieder schlecht zu dem Spott stimmte. »Ich geh, heute geh ich, aber ich laß nicht von Euch, ich wills noch erleben, daß Ihr allesammt diesen Tag bereut!« Mit tönenden Schritten ging er hinaus.

Abermal fuhr die Bäurin auf, aber auch diesmal ließ sich Märt nicht erschrecken. Er preßte ihren Arm, daß sie vor Schmerz aufschrie und auf den Stuhl zurücksank, dann sagte er: »Nimm Vernunft an, Alte, Deine Zeit ist vorbei. Nur ein Wort und ich jag Dich aus dem Haus! – Was wolltest Du sagen, Lorenz?«

Lorenz blickte verlegen zu Boden, rieb sich mehrmals die Hände und begann endlich: »Ich weiß nicht – es ist am Ende doch auch vergeblich. – Aber – nun ja, ich kann's ja auch sagen! – Ich meine, Ihr redetet eben so mannhaft, es hat das Ansehen, als wolltet Ihr wirklich Ordnung im Haus schaffen – drum habe ich gedacht, Ihr solltet Euch auch meine Sache nochmals überlegen. – Ach Gott, Märt, wenn Ihr die Schande und das Unglück von mir nähmet – ich wüßte nicht, wie ich es Euch danken sollte!« Lorenz konnte nicht weiter reden, das Wasser stand ihm in den Augen; auch Margelies blickte mit gefalteten Händen zu dem Hausherrn auf.

»So – also dazu ward die ganze Komödie aufgeführt? deswegen mußte mein Bruder aus dem Haus, um dem Bettelpack Luft zu schaffen?« schrie die Bäurin und 77 stemmte die Arme in die Seite. »Probir's einmal, und laß mir die Gesellschaft noch eine Nacht im Haus! Ich hab' ertragen, mehr als zu ertragen war – dabei will ich aber sehen, wer Recht behält! – Ja, droh' nur! Und wenn Du mich auf der Stelle erschlägst, ich bin nicht still und ich will einmal nicht und ich geb' nicht nach, bis die da aus dem Haus sind!«

Der Bauer kraute sich verlegen die kurzen Haare. »Lorenz – Du siehst selber, wie die Sachen stehen. – Käm's auf mich allein an, wahrhaftig, Du säßest gut in meinem Haus – aber wie die Sachen liegen, geht's nicht, wahrhaftig nicht. Ging ich zurück – der Drach' da würf' mein ganzes Hauswesen über den Haufen, oder er käm' von Verstand. Um meiner Kinder willen darf ich ihr jetzt nicht Ursache gegen mich geben – wir sind sonst geschlagen auf alle Zeit!«

»Ja, wenn's so steht, dann geht's nicht!« sagte Lorenz bitter, »Ihr seid eben doch ein Hasenfuß und tragt auch das Herz im Hosensack! – Da wär's auch vergeblich, wollt ich Euch nochmal um das nöthigste Handwerkszeug bitten. Aber Tisch und Stühl' muß ich haben und sonst noch dies und das – ruft ehrliche Männer her und laßt's abschätzen – ich habe nun nicht mehr lange Zeit!«

»Du thust mir Unrecht, schwer Unrecht, Lorenz, Du weißt nicht, was ich für ein Hauskreuz auf mir liegen habe. Vom Abschätzen ist keine Rede, wirst selber wissen, was die Sachen werth sind und mich nicht verkürzen. Nimm nur, was Du brauchst, das will ich noch verantworten. Und geh nicht im Zorn von mir, Du thust mir wahrhaftig in 78 der Seele weh; kein Mensch kann Dir's mehr vergönnen, wenn es Dir endlich besser glückt, als ich!«

»Mit Worten ist's freilich leicht, mitleidig und gutherzig sein – aber ich dank Euch auch dafür! Ihr waret stets aufrichtig gegen mich, das will ich nicht vergessen; und zuletzt bitt' ich Euch, Märt, haltet meine Sachen in Ehren, verschleudert sie nicht in alle Welt. Steht mir der Herrgott bei, lös' ich sie selber wieder ein, und wenn ich's vermag, sollt Ihr auch nicht einmal einen Pfennig an den Zinsen verlieren!«

Märt nahm seine gestrickte Strumpfkappe ab und wischte sich damit um die Augen, herzhaft drückte er Lorenzens Hand und sagte blos: »Es gilt!« Ehe die Bäurin abermals dreinfallen konnte, riß er sie vom Stuhl auf. »Sei nur gleich ganz still und sage mir kein Wort! Jetzt' red' ich noch im Guten mit Dir, hilft das nicht, zieh' ich andere Saiten auf. Auf jetzt und in den Stall, 's ist lang schon Fütternszeit!« Damit zog er die Bäurin aus der Thür.

»Für uns gibt es keine Hülfe!« schluchzte Margelies am Hals ihres Mannes. »Ach Gott, mit wie Wenigem wäre uns geholfen – dem Ottensmärt kostete es gar nichts, nur ein Wort, ein wenig Vertrauen und Geduld – und die Schande, das Elend wär' uns erspart! Aber ich will nicht klagen, Lorenz, will Dir das Herz nicht schwer machen! Wer weiß, vielleicht ist's auch grade so am besten. Auf den Märt ist kein Verlaß; gäb' er heut nach, reute es ihn vielleicht morgen wieder, und dann wären wir erst 79 recht übel daran. Und zuletzt – überwinden wir dieses Unglück, können wir doppelt froh darüber sein; was wir dann sind, haben wir nach dem Herrgott nur uns selber zu danken!«

»Ich dank' Dir, Margelies, dafür dank ich Dir vom Grund meines Herzens! Margelies – ist denn wirklich daß Elend so groß? Denk' doch, würden wir wohl mit dem Kirchbauer, mit den Ottensleuten tauschen? – Ja, es ist traurig, daß bei allem Leid noch obendrein ein erbitterter Feind auf unser Unglück sinnt, aber den Kirchbauer fürchte ich nicht, weiß selber nicht, wie das ist, ich kann mich nicht vor ihm fürchten! – Und was den Ottensmärt betrifft, der ist wirklich zu bedauern; wir dürfen es ihm wahrlich nicht allzusehr verübeln, daß er nicht das Herz hat, uns zu helfen; seine Alte ist auch gar zu schlimm. – Da – hör' nur – jetzt geht's drüben schon wieder los!«

Richtig erhob sich eben im Vorderhaus ein arger Zank: Märt machte diesmal wirklich kurzen Prozeß, Lorenz und Margelies hörten die Hausthür heftig öffnen und zuwerfen, sahen die Bäurin heulend aus dem Hof laufen und vernahmen auch, wie ihr Märt nachrief: »Lauf' zum Kuckuck alter Drach'! – Mit dem Kirchbauer bleib' mir vom Hals, und daß Du's weißt, ich laß Dich nicht eher über meine Schwelle, bis Du zahm und demüthig geworden bist!«

»Der arme Märt, da kann er auch lange warten!« lächelte Margelies unter Thränen. »Aber nun müssen 80 wir eilen, es dämmert schon, wie wollen wir heute noch fertig werden?«

»Kurze Haare sind bald gebürstet!« lächelte Lorenz wehmüthig. »Unser Umzug und die Einrichtung droben wird uns nicht lange aufhalten, und die Nacht ist dabei unser größter Freund. Koche nur unser Essen, derweil schaffe ich unser Geräthe in's Hirtenhaus und richte die Betten in unserm Bodenraum, dann ziehen wir mit den Kindern in aller Stille ein – heute wollen wir noch nicht mit dem Hirtenhäuslern zusammenkommen!«

So geschah es auch! Lorenz belud einen Handschlitten mit dem Hausgeräth und nahm die Hülfe dankbar an, als der Knecht des Bergbauern einen Gruß von seinem Herrn ausrichtete und seine Dienste anbot. So war die Arbeit bald vollbracht, das Essen nahm auch nicht viel Zeit in Anspruch, und als eben die Bauern sich zum Gang in's Wirthshaus rüsteten, da und dort eine mitleidige Frauenseele im Stillen dachte: Wie mag es den Schreinersleuten im Hirtenhaus ergangen sein? – wandelten Lorenz und Margelies, je ein Kind auf dem Arm, Marie zwischen sich, die steile Mergelgasse hinauf und überschritten seufzend die Schwelle des Hirtenhauses. Wildes Zanken und Schreien tönte ihnen aus der Stube entgegen; Lorenz drückte die Hand der zitternden Margelies und sagte leise: »Der Herr segne unsern Eingang und verhelfe uns zu einem baldigen, fröhlichen Ausgang! Laß Dich den Lärm nicht anfechten, uns kommt er gelegen, keine Seele bemerkt uns!«

Margelies schauerte zusammen, als sie den dunkeln, 81 kalten Boden betraten, der fortan ihre Heimath sein sollte. Der Wind heulte um das Haus, pfiff durch die Ziegeln und wehte lange Schneestreifen durch die Ritzen der Bretterwand herein. Das Licht, welches Lorenz entzündete, flackerte hin und her, ein plötzlicher Windstoß verlöschte es – die weinenden Kinder mußten im Dunkel zu Bett gebracht werden. Marie beruhigte die jammernden Kleinen, und als sie endlich mit den Geschwistern fest eingeschlafen war, legte Margelies das Gesicht auf Lorenzens Hände und weinte bitterlich. – »Ja, ja, wein' Dich nur aus, 's ist recht so, 's drückt Dir sonst das Herz ab!« sagte Lorenz und strich sanft über ihr weiches Haar. »Mir geht's nicht besser als Dir, möchte am liebsten selber mitmachen! Aber vergiß nicht: Der alte Gott lebt noch, und ist die Noth am größten, ist seine Hülfe am nächsten! Das Schwerste ist nun überstanden, ich ahn's, es wird nun besser! Der Boden sieht freilich noch wüst aus, aber laß Dich's nicht kümmern, die Ritzen vernagle ich, die Lücken in den Ziegeln verstopfen wir mit Stroh – Du wirst sehen, wir wohnen gar nicht so schlecht – und die Hauptsache ist: wir sind allein! – Komm, bete jetzt das Vaterunser, dann wollen wir auch schlafen!«

 


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