Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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14. Neue Störung, ein Gensdarm tritt auf.

Der Nachmittag verlief außerordentlich still; Hansnikel flickte ein paar alte Schuhe, und Lorenz gab dem Christian Anweisung, aus den Kalksteinplatten schöne scharfkantige Würfel zu schlagen. Auf Befehl des Schreiners, dem Niemand mehr zu widersprechen wagte, scheuerte die Wassermaus die hinteren, das Mädle die vordere Kammer, die Hirtenlang, der die Schreinersmarie und die Wasserchristel an die Hand gingen, die Wohnstube. Als beim Abendessen die ganze Bewohnerschaft versammelt war, erklärte Lorenz: »Das unsinnige Feuern hat von heute an ein Ende! Der Ofen ist groß genug, Ihr könnt alle zugleich kochen! Inskünftige hat jede Kochpartei eine Woche die Feuerung zu besorgen. Von Morgen an macht meine Margelies den Anfang, darnach kommen die Hirtenleute, zuletzt die Wassermaus und die Schwarze. Das Fräle geht frei durch, aber der Hasenherle muß Entschädigung geben, will er kochen!« Auch jetzt erfolgte keine Einwendung, nur Hansnikel sagte: »Sua – das wär' keine unebene Einrichtung, 136 da ist Sinn und Verstand drin! Wozu aber das infame Gewasch und Gescheuer und gar das niederträchtige Fensteraufreißen nützen sollen, das mag der Geier wissen!«

Nachts saß Lorenz im ernsten Gespräch beim Bergbauer. »Ja,« erzählte er, »der neue Amtmann, das scheint mir ein richtiger Mann zu sein. Hat er mich doch mit seiner Brille angefeuert, als wollte er mir durch und durch gucken. 's ist ein scharfer Herr, und grausam vornehm ist er auch, aber man kann mit ihm reden, nur muß man seine Sache richtig vorbringen.« Nachdem er dann die Vorgänge im Hirtenhaus berichtet hatte, fuhr er fort: »Ich meine, es wäre Zeit, daß Ihr Einundzwanzig auch einmal nach dem Rechten sähet! Es ist ein Spott und eine Schande vor aller Welt, wie der Schulz und der Kirchbauer wirthschaften; sie thun nicht blos als wären sie's, sie sind wirklich Herren des Dorfes, und was sie wollen, das führen sie durch! Ist es nicht weit gekommen, wenn der Schulz öffentlich sagen darf: Meine Strafgelder und Strafgänge muß mir die Gemeinde ersetzen? Was ist das für ein Gemeindehaushalt, wo solche Dinge vorkommen? Und wenn der Schulz, die höchste Obrigkeit im Dorf, der dazu bestellt ist, Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten, wenn der selber die Unordnung mehrt, wie er selber sagt, die Leute unterdrückt und in's Unglück treibt – was soll dann aus dem Dorf werden? Ich sag's noch einmal, es ist hohe Zeit, daß Ihr Einundzwanzig nach dem Rechten seht! Jetzt geht's freilich noch über die Armuth allein her, aber wartet's nur ab – die Folgen kommen auch über Euch!«

»Schreiner – Schreiner! – – Um Gotteswillen, 137 so hört doch!« unterbrach ihn eine ängstliche Stimme draußen vor dem Fenster.

»Ja, ja! – was ist los?« rief er und sprang erschrocken auf.

»Geht heim, aber gleich! Sind drei Handwerksbuschen da, knüppeldick betrunken. Haben sie uns vom Wirthshaus zugewiesen. Macht voran, wir können uns ihrer nimmer erwehren, 's geht drunter und drüber!«

»Das ist auch eine von den herrlichen Bergheimer Einrichtungen!« knirschte Lorenz. »So lange die Lumpen ein paar Pfennige zu versaufen haben, sind sie dem Wirth recht und angenehm; sind aber die Taschen leer, dagegen die Köpfe voll und toll, dann heißt's: Solchen Unflath kann ich nicht unter meinen Gästen leiden, marsch in's Hirtenhaus!«

»Ist wahr! Gesetz sollte sein: Macht der Wirth die Kerle betrunken, soll er sie auch für die Nacht unterbringen. Soll ich mit?«

»Kann nichts schaden – aber vorwärts! Hört nur, wie sie brüllen!«

Margelies rief um Hülfe, als Lorenz eintrat! Ein Faustschlag warf den Zudringlichsten nieder, den Zweiten schüttelte der Bergbauer, daß ihm fast der Athem ausging, der Dritte ließ von selbst ab und rettete sich hinter den Ofen. So war die Ordnung rasch hergestellt und als dann die drei Burschen, denen die Hirtenlang eine Streu auf dem Fußboden zurechtmachte, demüthig und vollständig ernüchtert auf der Ofenbank saßen, stellte sich heraus, daß sie im Wirthshaus von zwei Männern heimlich Geld zu 138 Schnaps bekommen hatten, mit der Bedingung, daß sie darnach die Hirtenhäusler recht plagten. Lorenz warf dem Bergbauer einen vielsagenden Blick zu, worauf dieser zornig die Fäuste ballte!

Nicht ohne Besorgniß vor den wilden Gesellen suchte man im Hirtenhaus die Betten auf; doch die Nacht verlief ruhig, und als am Morgen Lorenz herabkam, für seine Margelies Feuer anzumachen, waren die Fremden verschwunden!«

Das war denn freilich ein andrer Sonntagmorgen, als der vor acht Tagen! Wer heute hereinkam, hätte gewiß das Hirtenhaus nicht wieder erkannt. Nicht nur war der Boden gefegt und mit weißem Sand bestreut, der Ofen frisch geschwärzt, auch die Fensterscheiben blickten hell, und sogar die Decke war abgewaschen und getrocknet. Erfreulicher noch war die sonntägliche Stille im Haus, die Eintracht und Freundlichkeit der Bewohner untereinander. Die Wassermaus allein saß grollend am Ofen, doch kümmerte sich Niemand darum, selbst ihre Kinder freuten sich offenbar darauf, auf einige Zeit von ihrer Mutter erlöst zu werden. Nach dem Morgengebet saßen die frischen Schreinerskinder fröhlich bei den bleichen Mädchen der Schwarzen, die mit großen Augen ihre reinlichen Anzüge betrachteten und oft verwundert mit den Händen über ihr glattgezöpftes Haar strichen. Marie war eifrig bemüht, den größeren Schwarzen die Anfangsgründe der Strickkunst beizubringen; mit unendlicher Geduld wiederholte das liebe Mädchen ihre Anweisungen, ermüdete nicht, die ungeschickten, widerspenstigen Finger ihrer Schülerin in die rechten Stellungen zu 139 bringen. Dabei ließ sie auch die Kleinen nicht aus den Augen, hatte für Jedes ein freundliches Wort, wußte sie stets zu beschäftigen und bei guter Laune zu erhalten. Als dann das Fräle aus der Kammer hervorächzte, stellte ihr Marie einen Stuhl bereit und trug ihr emsig das Frühstück herbei. »Ach Du lieb's Gottle!« seufzte die Alte dankbar. »Kind, Kind! Du bist allzugut, allzugut! – Wie soll ich's wieder gleich machen?«

Kaum waren die Glocken, die den Beginn des Gottesdienstes verkündeten, verklungen, als Lorenz von einem Ausgang zurückkam und zu Margelies sagte: »Es ist so: Eitel Jammer und Herzeleid bei den Uhrmacherles! Der Kirchbauer hat richtig seinen Consens gekündigt und auch schon eingeklagt! Laß nur – rede nicht ab, 's nützt nichts, ich weiß wohl, was ich thue! hoffentlich ist das auch mein letzter Gang in's Amt!« Damit rüstete sich Lorenz und verließ zugleich mit Christian, der einen Herrn suchen ging, das Haus.

Nachmittag entstand ein großes Halloh im Dorf; vom Schulzenhof führte ein Gensdarm die Schwarze nach dem Hirtenhaus herauf, ein dichter Menschenhaufe, jung und alt bunt durcheinander gemischt, umdrängte die Beiden; aus dem Lachen und Schreien vernahm man dann und wann den Ausruf: »Schwammschwarze! Schwammschwarze!« Margelies blickte bedauernd auf den reinen Fußboden, als der Schwarm dem Gensdarm und der Schwarzen nach in die Stube drängte. Das Fräle ächzte beim Anblick der Uniform eilig in ihr Bett, die Wassermaus heulte und schimpfte, Hansnikel aber ward sich seiner Würde als 140 Hausherr bewußt, und mit der heiteren Ruhe eines guten Gewissens – ein rascher Blick auf den Ofen hatte ihn überzeugt, daß Socken und Schleißen von dem feuergefährlichen Ort entfernt waren – trat er dem gefürchteten lebendigen Arm der Gerechtigkeit entgegen, nahm seine Beutelmütze ab und sagte. »Sua, sua! Ist ja ein seltsamer Zuspruch! – Nu, nehm der Herr Platz, und was hat das eigentlich zu bedeuten mit der Schwarzen, wenn's erlaubt ist, darnach zu fragen?«

Der Gensdarm sah sich erst verwundert im Zimmer um, stellte dann sein Gewehr klirrend in eine Ecke, setzte sich auf den Stuhl, den ihm Hansnikel eifrig nachtrug, wischte sich, um seine Wichtigkeit zu vermehren, nicht vorhandenen Schweiß von der Stirn, dann rief er: »Wo ist die ledige Margareth Schellhorn, auch Wassermaus genannt? – Sie hat sofort ihren Bündel zu schnüren und mir in's Schulzenhaus zu folgen – stante pede – verstanden?« – Die Wassermaus ging heulend in ihre Kammer und Hansnikel sagte: »Sua, sua!« – Der Gensdarm schien von der Wirkung seiner Worte befriedigt, und als er eine ganze Reihe neugieriger Augen erwartungsvoll auf sich gerichtet sah, nahm er geräuschvoll eine Prise, zeigte seinem Publikum ein großes, rothgewürfeltes Taschentuch von allen Seiten, steckte es vorne in seine Uniform, rückte an der Säbelkuppel, zwirbelte den Schnurrbart und begann: »Was demnach die ledige Katharine Dressel, vulgo Schwarze, vulgo vulgo Schwammschwarz genannt, betrifft, so kam bemeldetes Weibsbild vergangnen Montag verwirrt und blutig, ganz sans façon zum Herrn 141 Amtmann und schrie und heulte ihm die Ohren voll von einer Prügelei mit der Wassermaus im Hirtenhaus, und wie sie die Wassermaus dabei übel zugerichtet habe. Da aber der Herr Amtmann aus ihrem Geschrei nicht klug werden konnte, sie auch nicht ordre parirte, sondern fortfuhr zu schreien, ließ sie der Herr Amtmann vom Gensdarm Hagebüchner aus dem Local führen. Mein Herr Collega kannte aber das Weibsbild schon von früheren rencontres her, machte drum keine Umstände und warf sie die Treppe hinab. – bon! – Führt drauf der Teuf – wollt ich sagen. Kommt drauf der Herr Amtmann selber die Treppe herunter, findet das Weibsbild ohnmächtig neben ihrem Korb liegen mit Blut am Mund. Schwerenoth, gab das einen Alarm! Mein Herr Collega Hagebüchner erhält zwei Tage scharfen Arrest, das Weibsbild wird in's Spital transportirt, wo sie den Doctoren zum Possen – sie sagen, sie fänden keine Krankheit an ihr – tagtäglich Blut spuckt! Nun muß Euer Schulz in's Amt, kriegt einen scharfen Verweis, weil er nicht besser auf seine Armen sieht und solche Geschichten im Hirtenhaus vorkommen läßt, zuletzt wird er auch noch um fünf Gulden gestraft – bon – wollt ich sagen –.«

»Noch viel zu wenig!« übertönte eine Stimme das Gelächter. »Wenn's wenigstens fünfzig gewesen wären!« »Très bon, mir auch recht! – Derweil aber spuckt die bemeldete vulgo Schwarze toujours Blut, und die Doctoren wollen aus der Haut fahren, da sie trotz aller Recherchen nicht 'rauskriegen, wo das Blut eigentlich herkommt. Zuletzt verfallen sie darauf, das ausgehustete 142 Blut mit dem Mikroskop zu recognosciren, und kriegen 'raus – na rathet einmal was? – He? – Allez! – Ja, das glaub ich, daß ihr darauf nicht kommt! – Also kriegen 'raus! Das ist nichts anders, als das helle Ochsenblut! – très bon!«

»Sua, sua!!« sagte Hansnikel, die übrige Gesellschaft aber schrie und lachte: »Hurrah, die Schwarze spuckt Ochsenblut! Hat man so was erhört!«

»Aber Herr – Herr – Vettermann! sagte Hansnikel, der sich »Gensdarm« nicht zu sagen getraute, da er das für einen Schimpfnamen hielt. »Um tausend Gotteswillen, wo hat denn das Weiberleut Ochsenblut hergenommen? – wenn's erlaubt ist, darnach zu fragen!«

»Werde sogleich weiter expliciren! Also bekommt der Krankenwärter Befehl, die vulgo Schwarze scharf zu regardiren und richtig attrapirt er sie auch, wie sie aus einem Schwamm Blut saugt und wieder ausspuckt – bon!«

»Daß Dich alle Teufel!« rief Hansnikel. »Ihr Leut, Ihr Leut, solche Einfäll'!«

»Parbleu! macht der Herr Amtmann ein paar Augen, wie er das erfährt, und mein Herr College Hagebüchner stellt sich vor den Herrn Amtmann hin und sagt – und sagt – und sagt: »Bon! Herr Amtmann!« sagt er, und wischt seinen Schnauzbart hüben und drüben in die Höhe und dreht ein paar Augen rrrrraus! – – 's ist ein verfluchter Kerl der Hagebüchner, – standen zusammen in einer Kompagnie – ja – bon! – Drauf muß natürlich die vulgo Schwarze in's Loch bei Wasser 143 und Brod, und heut krieg ich ordre, sie in ihre Heimath abzuliefern. – Das ist die Geschichte, très bon! – Aber Sakra! wo bleibt die ledige Margarethe Schellhorn, vulgo Wassermaus? – Vorwärts, altes Thierchen, 's Heulen kommt zu spät! Ja, ja! vorgethan und lange Finger gemacht, hat Manchen schon in's Loch gebracht, ha, ha, ha! bon! – Vorwärts marsch! – au revoir meine Herren!« Und seinen Schnurrbart zwirbelnd schritt er hinter der Wassermaus aus der Stube.

Lachend, jubelnd und »Schwammschwarz!« schreiend drängten die Zuhörer nach. Hansnikel stulpte die Beutelmütze wieder auf, brannte die erloschene Pfeife an, schüttelte den Kopf und rief: »Sua, sua! Ihr Leut, Ihr Leut solche Einfäll'! – Ein verfluchtes Weibsbild, die Schwarze! Aber hab' ich's nicht immer gesagt: Die Schwarze, hab' ich gesagt, ist so voll schlechter Streiche, wie ein Hund voll Flöh'? – Sua, sua! – Nu sag' mir ein Mensch, ob das nicht 'ne betrogne Welt ist! – Hm, hm! Schwamm – Ochsenblut! – gar noch Ochsenblut! – Die Welt wird alle Tag verderbter! Sua!! – – Aber der Dingrich mit seiner Flinten, der Gensdarm – das ist Euch ein gewichster Kerl! – Was der für grausame Wörter kann – eiskalt ist mir's den Buckel 'neingelaufen – 's war gewiß ebräisch! Und wenn der schon so wälscht, nachher möcht ich erst den Amtmann hören! – Sua, sua! – nu, die Schwammschwarz wird an die Blutsaugerei denken! – Sua!!«

Die Schwarze selber hatte ganz verwundert ihre Kinder angestarrt, drückte sie still an's Herz und schlich 144 hinaus in ihre Kammer. Als ihr später Margelies folgte, um nachzusehen, ob ihr nichts zugestoßen sei, legte sie ihr Gesicht auf ihre Hand und weinte.

Lorenz erstaunte bei seiner Heimkunft nicht wenig über die wunderlichen Geschichten, die ihm Hansnikel mittheilte. – Der Alte war so aufgeregt, daß er die Thatsachen bunt und kraus durcheinander mischte und fast nicht über Schwamm – Ochsenblut – Dingrich und ebräisch – hinauskam. Als Lorenz zuletzt von Margelies aufgeklärt wurde, lachte er auch und meinte: »Ja, solche Streiche bringt freilich blos die Schwarze fertig!« Nachts sagte er zu Margelies: »Gib Dich zufrieden, 's ist Alles in Ordnung! – Jetzt wird's besser, verlaß Dich drauf!«

 


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