Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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11. Ein Erwachen.

»Kann ich helfen?«

»Wer erst fragt, ist der rechte Helfer!« lachte Lorenz, der gespaltene Kalksteinplatten von seinem Handschlitten in den Hausflur trug. »Uebrigens darfst Du zuerst an Dich selber denken, Du bedarfst der Hülfe am allermeisten!«

»Wie meint Ihr das?«

»O Du – –! ich hätte bald was gesagt! – Gib mir einmal aufrichtige Antwort. Was bist Du denn eigentlich? – he? – Siehst Du, Christian, da liegt der Hund begraben! – Nichts bist Du – ein Garnichts! höchstens – wenn's durchaus was sein muß – ein Tagdieb und Lotterbube! – Verstehst Du jetzt, daß Dir viel fehlt und Dir Hülfe noth thut?«

Der Wasserchristian ließ den Kopf hängen; nach einer Weile brummte er: »Kann ich dafür, daß nichts aus mir geworden ist? Warum hat mich die Mutter zu nichts 110 angehalten, warum hat sie mich nichts lernen lassen und mein Faullenzen so gelitten?«

»So? – Bis heute habe ich Dich blos für einen arbeitsscheuen Ofenhocker gehalten, jetzt seh ich, Du bist ein rechter Nichtsnutz und ganzer Lump dazu. Deiner Mutter willst Du Vorwürfe machen, Du? Hast Du sie nicht gezwungen damals durch Dein Stückle im Ungersbaumgarten, daß sie Deine Lumperei geduldig ertragen mußte? Wie konnte sie Dich zur Arbeit anhalten, da sie befürchten mußte, Du könntest den ersten besten Baum, an dem Dich der Weg vorbeiführte, zum Galgen erniedrigen? – Und das ist jetzt Dein Dank für ihre Geduld, für ihre Nachsicht? so belohnst Du Deine Mutter dafür, daß sie Dich lange Jahre gänzlich erhalten hat? – Geh mir aus den Augen – mir wird's übel, wenn ich Dich ansehe!« Damit legte sich Lorenz den Zugriemen über die Schulter und fuhr eilfertig die Mergelgasse hinaus.

Christian lehnte an der Hauswand und sah ihm verblüfft, bestürzt nach; allmählig brannten zwei dunkelrothe Flecke auf seinen Wangen aus. Lorenz hatte den verhüllenden Schleier von seinem Innern gezogen, an dem selber zu rühren er bis heute aus Faulheit und Feigheit nicht gewagt hatte. In ihrer ganzen Erbärmlichkeit und Schändlichkeit stand die erste und einzige selbstständige That seines Lebens vor ihm; alle Entschuldigungen, womit er sein Gewissen beschwichtigt, sein zweckloses Dahinleben beschönigt hatte, erwiesen sich als falsch, ja im Handumkehren wurden sie zu neuen Anklagen. Christian hatte die Empfindung, einen erbärmlicheren Menschen wie ihn müsse es auf der 111 Welt nicht geben, und er sei eigentlich nicht werth, daß ihn die Sonne warm anscheine.

Während er so grübelte und sich selber mehr und mehr verachtete, ging drinnen die Stubenthür, und er hörte im Hausflur die Hirtenlang sagen: »So – geh nur, Mariebärble, daß Deine Herrenleute nicht auf Dich warten. – Drei Viertel Weizenmehl wollen auch nach Einzelberg getragen sein!«

»Mutter, ich muß Euch noch was sagen – drinnen mocht ich nicht wegen dem Herle!« entgegnete eine frische Mädchenstimme. »Guckt, es liegt mir schon lang auf, daß es immer heißt: Der ihre Mutter ist auch im Hirtenhaus. Ihr solltet ausziehen, ich wollt' ja gern den Hauszins für Euch bezahlen!«

»Mädle, bist Du bei Trost, was fällt Dir ein?« rief die Hirtenlang ganz erschrocken. »Ich aus dem Hirtenhaus? – Wo denkst Du hin? – Sind wir nicht mit Ehren da? Laß Du die Leute reden, die verstehen das nicht!«

»Ja, Mutter, nehmt's nicht ungut, eine Ehre ist's halt doch nicht, und – und – und ich hab drunter zu leiden. Thut's meinetwegen und zieht aus!«

»Mädle, Du erschreckst mich! – Was kann's Dir schaden, daß ich im Hirtenhaus bin?«

»Das sag ich Euch ein andermal, glaubt mir nur, es ist so!«

»Ach, Kind Gottes, ja, das ist freilich was anders, da muß ich mir's doch überlegen. – Ja, aber gleich ist's 112 nichts, vom Vater darf ich nicht fort, das Mädle ist oft gar wunderlich und geht nicht gut mit ihm um!«

»Freilich, den Herle dürft Ihr nicht verlassen. Aber ich ruh' doch nicht, im Hirtenhaus sollt Ihr einmal nicht sterben.«

»Bist ein wunderlichs Mädle – nu, wir werden ja sehen! Halte Dich nur sauber und brav! – Ach, Mariebärble, mach's nicht wie Deine Mutter – gelt das versprichst Du mir?«

»Seid außer Sorgen, Mutter, die Schand' thu' ich Euch und mir nicht an!« entgegnete das Mädchen leise. »Nehmt mir's nicht übel, Mutter, ich muß es hart genug empfinden, was es heißt, keinen Vater haben – Gott bewahr Jedes vor dem Schicksal! Adjes, Mutter, und überlegt's Euch mit dem Auszug!«

Christian schauerte und glühte abwechselnd – war das nicht wie auf ihn geredet? Er bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Dort ein Mädchen wollte nicht haben, daß die Mutter im Hirtenhaus bleibe – und er, ein junger, kräftiger Bursche, lag jahrelang darin? – Durfte er sich noch vor einem Menschen sehen lassen?

»So, das saubere Früchtle ist auch noch im Hirtenhaus?« sagte plötzlich Mariebärble neben ihm, und als er erschrocken nach ihr blickte, fuhr sie, die frischen Lippen aufwerfend, fort: »Wird Dir's Faullenzen sauer, Du Tagdieb? – Herrgott, ich mein', Du müßtest Dir selber zur Last werden, müßtest Dich vor Dir selber schämen, wenn Du andere Leute arbeiten siehst!«

»Ich wollt auch arbeiten,« entgegnete er leise, »aber 113 wo ich mich zur Arbeit anbiet', werde ich ausgelacht; alle Leute treiben nur ihren Spott mit mir!«

»Sie sollen wohl noch recht Mitleid mit Dir haben? – O Du Jammerlappen! – Und das magst Du sagen, daß Du zu keiner Arbeit taugst? – Siehst Du, wär ich in Deiner Lage, eh' ich das gestände, eh' biß ich die Zung ab – aber Tag und Nacht wäre ich dran, die Schande von mir zu bringen!«

»Ja, wie soll ich das anfangen! – Ich kann halt einmal dies Arbeiten nicht!«

»So lerne es! – Pfui, lehnt der lange Strick an der Wand, als müsse er das Häusle vor dem Einfallen behüten! Durch's Faullenzen und Maulaufsperren lernt man freilich das Schaffen nicht! Wenn Du sonst nichts zu thun weißt, kannst Du nicht, gleich dem Schreiner, Märmelsteine holen, daß Du mit Steinschlagen wenigstens was verdienst?«

»Ha, Schwenselenz auch 'nein! thu nur nicht so gräulich, kannst Du's einem nicht vernünftig sagen? Und der Schreiner hätt' auch das Maul aufthun dürfen, hab' ihn erst gefragt, ob ich ihm nicht helfen könnte!«

»Ja, wer immer erst fragt, der ist der Rechte!« sagte Mariebärble, hockte den Korb mit dem schweren Mehlsack auf und ging davon.

Christian sah ihr mit leuchtenden Augen nach, einen Stein hatten ihre Worte von seinem Herzen genommen, und mit einer Behendigkeit, die er sich selbst nie zugetraut hätte, brachte er den Holzschlitten seiner Mutter in Ordnung, band ihre Rotthaue darauf und eilte dem Mädchen 114 nach. Als er sie erreichte, fragte er: »Hör, war das Dein Ernst mit dem Hirtenhaus?«

»Hast auch noch gelauscht?« entgegnete sie. »Freilich ist's mein Ernst. Aber jetzt sei still, mit drei Vierteln Mehl auf dem Rücken vergeht einem das Schwätzen, zumal bergauf!«

Christian leuchtete das ein; behaglich an seiner Pfeife saugend, schritt er hinter dem Mädchen drein. Bald aber bemerkte er, wie das Mädchen unter ihrer Last keuchte, und das Knarren ihres Korbes mahnte ihn: Ist's erlaubt ledig neben her zu laufen? hilf doch! – Aber Christian wollte nicht recht dran, der Sack war gar zu rund und lang; endlich konnte er das Knarren doch nicht mehr mit anhören und sagte: »Hör', kannst den Mehlsack auf den Schlitten legen, zum Tragen ist er allzuschwer!«

Erstaunt wendete sie sich nach ihm um. »Das sagst Du, der Henk – der Wasserchristian? Hat sich die Welt gedreht?«

»Mach nur nicht so arg Aufhebens – was ist weiter dabei?«

»Ja, um Alles in der Welt, was hast Du vor, wo willst Du mit dem Schlitten hin?«

»Wo werd' ich hin wollen? – Märmelsteine will ich holen! – Leg den Sack auf!«

Ein zufriedenes, schalkhaftes Lächeln glitt über das Gesicht des Mädchens. Zweifelnd meinte sie dann: »Christian – er ist schwer, 's könnte Dich reuen!«

»Was Du kannst, vermag ich auch!« entgegnete Christian mit Selbstgefühl und nöthigte ihr wirklich den Sack 115 ab. Als er dann den Schlitten anzog, lachte er verächtlich: »Das Säckle? das fahr' ich nach Bautzen und Dich dazu und spür's gar nicht!«

»Wart's ab!« warnte Mariebärble, und das schelmische Lachen zuckte wieder um ihre Lippen, als sie jetzt aufathmend den Schweiß von der Stirn trocknete. Christian konnte kein Auge von dem sauberen Mädchen verwenden, er ließ sogar seine Pfeife erlöschen und merkte es nicht, so stolz war er auf sich und seinen gescheiten Einfall; seine listig zugekniffenen, leuchtenden Augen lachten: »Ja, der Wasserchristian, das ist einmal einer! Man sieht's ihm gar nicht an, was er in sich hat!«

Von ihrer Last befreit, kam das Mädchen von selbst in's Plaudern, klagte über die schlechte Behandlung der Mägde, denen in großen Höfen von den Herrensöhnen gar so schändliche Dinge zugemuthet würden, besonders wenn sich kein Vater ihrer annehme, darnach schalt sie Christian derb aus, daß er sich in seinen besten Jahren in's Hirtenhaus lege, den Geschwistern das Brod verkürze und dabei verlottere und verlumpe.

Zuerst hatte Christian eifrig mitgeredet, bald ward er einsilbig und verstummte zuletzt ganz. Das Mariebärble gefiel ihm von Minute zu Minute besser, desto mehr bissen und brannten ihre Worte; dazu ward auch der Sack von Schritt zu Schritt schwerer. Christian seufzte unter der doppelten Last, die er sich aufgebürdet, seine Wangen glühten vor Scham und Anstrengung. Heimlich blickte er oft auf das Mädchen, ob sie noch immer nicht Anstalten treffe, ihn zu erlösen; mit einem aufrichtigen Seufzer begrüßte 116 er den Feldbirnbaum auf der Höhe, wo sich ihre Wege trennten.

»Ich meine, Bautzen wäre doch ein bisle weit gewesen, nicht?« lachte Mariebärble, als sie sich den Sack wieder auflud. »Aber laß Dich's nur nicht gereuen, der Schweiß ist gesund, der treibt die Mucken aus. Merk's, was ich Dir sagte, und thu' darnach, es ist Zeit, daß Du ein Mensch wirst. – So, hab Dank – wenn ich kann, will ich's gleich machen!«

Christian setzte sich auf seinen Schlitten, blickte ihr schnaufend nach und murrte: »Hol' der Geier die Mehlsäck' und die Mädle! – Aber schön ist sie und brav, und Recht hat sie auch, und die Arbeit wär' 'ne schöne Sach', wenn nur –.« Er vollendete den Satz nicht, schlüpfte in den Zugriemen und fuhr eilfertig nach der Steingrube.

»Alle Tausend! bist Du's selber oder ist's Dein Geist?« rief der Schreiner verwundert. »Was führt Dich daher?«

»Steine will ich holen, wenn's erlaubt ist!« entgegnete Christian verdrossen. »Guckt doch nicht, als wär ich ein Wunderthier, sagt mir lieber, wo ich anpacken soll!«

»Hast's ja auf einmal arg eilig, wie lang wird's aber dauern?« meinte Lorenz. »Nun – ein Anfang ist immer ein Anfang – geh nur her, an Anweisung soll es nicht fehlen!«

»So, Schreiner, das wäre gethan!« sagte Christian selbstzufrieden, als die beladenen Schlitten bereit standen. »Nun wollen wir auf dem Heimweg die Pfeifen anzünden!«

»Bist ein Mordkerl, Du! Hast Du denn heute auch 117 schon eine Pfeife Tabak verdient? – Sieh, meine Pfeife ist mir auch das halbe Leben, aber so lange ich im Hirtenhaus bin, schlüge ich mir eher das Maul auf einem Stein auf, eh' ich einen Zug thät'!«

Christian sah Lorenz groß an, schob seine Pfeife langsam in die Tasche zurück und fuhr in tiefen Gedanken hinter dem Schreiner drein.

Als sie sich dem Dorfe näherten, tönte ihnen wilder Lärm aus dem Hirtenhaus entgegen; die Weiber heulten und schrieen, dazwischen hörten sie auch den Schultheißen wettern und schelten. Lorenz beschleunigte seine Schritte, überließ Christian allein das Abladen der Steine, und als er die Schwelle überschritt, sagte er heimlich lächelnd: »Der Schulz ist ja ganz aus Rand und Band! – Hm, hm! – Wie's scheint, war mein Gang in's Amt nicht vergeblich!«

 


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