Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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16. Revolution.

»Daß sich Gott erbarm'! mit meinem Alten ist's nicht richtig!« weinte die Kirchbäurin am Morgen im Eckenhaus. »Ich kann das Elend daheim nicht mehr ertragen! – Gestern Nachts, wie mein Alter heimkommt, fällt er mitten in der Stube längslang hin. Als ich ihn aufheb', ächzt er: »Geh, Alte, Du hältst mich nicht, das ist das Schneidershäusle! Ja – das Schneidershäusle! – vielleicht bricht mir's doch noch den Hals!« – D'rauf macht er Licht und schließt sich in die obere Stube, die ganze Nacht geht er auf und ab und hört auf kein Klopfen und Rufen. Nur manchmal lacht er: Das Schneidershäusle bricht mir den Hals! Dann flucht er auf sich, den Schulzen, auf alle Welt – manchmal hör' ich ihn auch weinen! Ach, um Gotteswillen, Hanfrieder, was ist los, was hat das zu bedeuten?«


Es mochte gegen zehn Uhr Morgens sein, da trat der Kirchbauer mit einem Trinkglas aus der Hausthür. Eben bog um die Hausecke eine Kutsche, auf dem Bock neben dem Kutscher der Amtsdiener. Der Kirchbauer griff mit der Hand nach der Stirn und stürzte schwer die acht eisigen Steinstufen hinab. Blutend und röchelnd fand ihn die Bäurin, als sie vom Eckenhaus heimkehrte. Heftig bewegte der Gestürzte den linken Arm, unruhig gingen seine Augen hin und her, er schien etwas sagen zu wollen, aber nur unverständliche Laute brachte er hervor. Jammernd rief die Bäurin den Knecht und die Kinder; als der Bader an 156 das Krankenbett trat, sagte er: »Faßt Euch, Bäurin, den Bauer hat der Schlag getroffen! Seine rechte Seite ist gelähmt und die Sprache verfallen! – Er wird nicht lange zu leiden haben!«


Am Wirthshaus stieg der Amtmann aus, fragte nach dem Hirtenhaus, ging auch sogleich die Dorfgasse hinauf, während der Amtsdiener nach dem Schulzen lief. Im ersten Schrecken dachte der Türkenhenner daran, sich krank melden zu lassen; allein dadurch hätte er seine Sache nur verschlimmert. So fuhr er seufzend in seine Sonntagsjacke und kam gerade noch recht, den Amtmann am Arm festzuhalten, der eben daran war, in das Hirtenhaus zu fallen. Die Hirtenhäusler erstaunten nicht wenig, als der vornehme Herr, der mit seiner Brille so scharf dreinschaute, »als wolle er durch neun Paar lederne Hosen durchgucken!« wie sich Hansnikel ausdrückte, sich so genau nach allen Bewohnern und ihren Verhältnissen erkundigte und dabei gar nicht so ungeschickt fragte, wie es sonst dergleichen Herrn in der Art haben. Als er gar dem Schreinerslorenz freundlich auf die Achsel klopfte, Margelies die Hand drückte und ihr herzlich dankte, daß sie sich der verlassnen Kinder angenommen, kam Hansnikel fast eine Rührung an; schon hatte er seine Beutelmütze in der Hand und wollte eine Klage wegen des Beiles und Obstes anbringen, aber ein wüthender Blick des Schulzen schreckte ihn ab. Noch hatte der Amtmann den Schulzen nicht angeredet, auch auf dem Heimweg würdigte er ihn keines Wortes, nur dann und 157 wann streifte er ihn mit einem finstern Seitenblick – dem Henner ward es grün und gelb vor den Augen.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von der Ankunft des Amtmanns durch's Dorf und erweckte verschiedenartige Empfindungen, angenehme wohl kaum; als darnach das Gemeindeglöckchen bimmelte, fuhr mancher Nachbar heftig zusammen, und der Gang in's Wirthshaus ward so schwer und lang, er schien gar kein Ende nehmen zu wollen.

Die obere Stube im Wirthshaus war gedrängt voll, und all die Männer blickten erwartungsvoll auf den Amtmann, der eifrig seinem Schreiber dictirte. Endlich befahl er die Thüre zu schließen, die Brillengläser funkelten über die Versammlung, dann erhob sich der Amtmann und hielt eine lange Rede, wie sie die Bergheimer wohl selten gehört hatten. Schon die gewaltige Stimme allein drang in die Seele, mehr noch erschütterten die Worte, die bei allem Ernst, aller Strenge doch ein so edles Herz, ein so liebevolles Gemüth bekundeten. Der Amtmann trug nicht erst die Kirche um das Dorf herum, er ging auf den Kern der Sache ein, berichtete, wie er erst gestern genauere Kunde von den heillosen Zuständen erhalten habe und schilderte dann in grellen Farben, was er im Hirtenhaus gefunden. Zuletzt rief er: »Siebzehn Menschen – ich sage: Siebzehn Menschen sind auf den Raum einer mittelgroßen Wohnstube beschränkt, Männer, Weiber und Kinder durcheinander. – Und noch nicht genug des Jammers! Es wurde die Klage laut, zu den Bewohnern, siebzehn an der Zahl, solle noch eine Familie von sechs Köpfen kommen! – Ist dem so?«

158 Schweigend saßen die Männer dem glühenden Mann gegenüber, der Schulz hatte den Kopf tief auf die Brust sinken lassen. Mit Verachtung im Ton und Blick fuhr der Amtmann fort: »Also auch das bestätigt sich! – Und das geschieht in einem deutschen Dorf im neunzehnten Jahrhundert! – Ich will vorläufig nicht untersuchen, auf welche Art die Familien dahin gebracht wurden und werden, daß sie zuletzt das Hirtenhaus als letztes und einziges Rettungsmittel ansehen müssen, ich enthalte mich eines Urtheils über die Ortsobrigkeit, die so ihre Pflicht vergessen konnte – hierüber behalte ich mir weitere Schritte vor. Aber meine tiefste Verachtung muß ich aussprechen über eine Gemeinde, in der solches geschehen kann! Verachtung, Schande den Männern, die das geschehen lassen! Ich bin sonst kein Freund vom Befehlen, ich freue mich, wenn die Männer die Ordnung der Gemeindeangelegenheiten selbst in die Hand nehmen, wenn sie auf eignen Füßen stehen. Aber Ihr verdient solche Freiheit nicht; wie widerspenstige Pferde müßt Ihr in scharfe Zucht genommen werden; Nachsicht wäre Sünde gegen Euch und Eure Armen! Und so befehle ich, daß der Verwilderung im Hirtenhause durch scharfe Ueberwachung der Zuchtlosen ein Ende gemacht wird, daß die Kinder in Familien untergebracht werden, und, sollte sich für die überzähligen Bewohner keine andere Herberge finden lassen, im Frühjahr unverzüglich der Bau eines neuen Armenhauses in Angriff genommen wird!«

Die Bergheimer ließen die Köpfe hängen, manche ballten die Faust in der Tasche, zu entgegnen wagten sie nichts. Nur der Bergbauer stand auf und seine Augen glänzten, 159 als er begann: »Herr, nichts für ungut, Sie gehen zu weit und thun uns Nachbarn schwer Unrecht. Wieder einmal muß der Gaul büßen, was der Fuhrmann versehen hat! Sie beschimpfen uns, weil wir nicht hinderten, daß der Schulz den Karren in den Dreck schob! – Konnten wir's hindern? Sie sind noch nicht lang im Amt, vor Ihnen war ein Anderer da, der dachte gerade umgekehrt wie Sie: Der Amtmann müsse Herrgottle für die Bauern spielen, vorschreiben, wie sie die Schwefelhölzle anpacken müßten, daß sie sich die Finger nicht verbrennen. Als Handlanger brauchte er die Schulzen, und wie sich jeder Schulz ein Herrgott im Kleinen däuchte und auf den Amtmann schwor, schlug der wieder hinten und vorn aus wie ein kitzliches Pferd, rührte man an einen Schulzen. Kam eine Klage ein über schlechtes Dorfregiment, fühlt' er sich selber gekränkt, und statt durchzugreifen und das Uebel abzustellen, tückt' er sammt dem Schulzen den Kläger auf alle Weise. Ist's da zuletzt den Bauern zu verdenken, wenn sie auch stöckisch werden und weder Hand noch Fuß regen, so lange ihnen das Wasser nicht an die Gurgel reicht? – Und noch einmal sag' ich, Sie thuen uns schwer Unrecht! Wie Sie vom Gemeinderegiment denken, konnten wir nicht wissen, und Proben haben Sie auch noch keine gegeben, und doch waren wir Männer einmüthig gesinnt, heute eine Deputation an Sie zu schicken, daß endlich eine andre Ordnung aufkäm'.«

Der Bergbauer wischte sich den Schweiß ab; er war auf eine heftige Entgegnung gefaßt, als aber der Amtmann schwieg, fuhr er fort: »Unser Armenwesen ist traurig 160 bestellt, sell ist nicht zu leugnen; aber meinen Sie wirklich, daß mit dem Bau eines neuen Armenhauses geholfen wäre? – Und wenn das dritte Haus im Dorf ein Armenhaus wird, stehen wir auf dem alten Fleck, und das Elend ist so groß wie zuvor. Ich meine, da muß ganz anders eingegriffen werden! Je schöner die Armenhäuser werden, desto verlockender ist's für die Armen, 'nein zu kommen! Gar kein Armenhaus mehr, das wär' das Rechte – höchstens noch einen Zufluchtsort für Alte und Gebrechliche. Ich meine, den Armen ist am besten geholfen, wenn man sie nicht erst verlumpen läßt. – Zu rechter Zeit dem Bedürftigen auf eine freundliche Weise unter die Arme gegriffen, die ärgsten Steine aus dem Weg geräumt, daß sie wieder Muth kriegen, sich selber zu helfen – da liegt's nach meiner Meinung!«

»Fahren Sie fort!« rief der Amtmann, als der Bergbauer stirnrunzelnd schwieg.

»Ja, 's muß auch 'raus – hat mich lange genug gewürgt! Daß unser Armenwesen so im Argen liegt, hat zum guten Theil die Regierung selber verschuldet. Wir sind so lange und so oft von oben herunter gezwungen worden, schlechte Leute, die ganz was anderes verdient hätten, zu unterstützen, daß wir alle Lust am Geben verloren haben. Soll man sich nicht erzürnen, wenn man helfen muß und weiß doch voraus, die Gabe ist weggeworfen, stützt Faulheit oder gar Schlechtigkeit, wird Bedürftigeren entzogen? – – 's ist löblich, daß sich die Regierung der 161 Armuth annimmt, aber allzuviel Regierung ist vom Uebel auch in der Sach'! Zwingt uns nicht mehr jeden Lumpen, der nicht arbeiten mag oder Alles durch die Gurgel jagt, auf den Hals; laßt uns in der Armenversorgung auch ein Wort dreinreden. – Die rechtschaffne Armuth wird's Euch danken! Ich meine nicht, die Liederlichen dürfe man im Elend umkommen lassen, Mensch bleibt Mensch! Aber wenn die Nachbarn mit ihrem Gut, mit ihrem sauern Schweiß andern Menschen beispringen sollen, dürfen sie wohl verlangen, daß die auch ihre Kräfte gebrauchen, nicht dem Herrgott die Tage abstehlen oder die Almosen in den Wirthshäusern verthuen. Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen! sagt schon das Sprüchwort! – Also meine ich: den unverschuldet Verarmten zu rechter Zeit liebreich unter die Arme gegriffen und gleich ordentlich, daß sie wieder Muth und Freudigkeit kriegen; den Lässigen und Schlechten aber nur dann geholfen, wenn sie sich der Aufsicht und Zucht der Gemeinde unterwerfen! – Noch ist die Armuthei nicht so gefährlich in Bergheim, wie es den Anschein hat – wir bedürfen keines neuen Armenhauses, eine bessere Ordnung und Einrichtung, die fehlt!«

Der Amtmann spielte nachdenklich mit einem Bleistift. Plötzlich sah er dem Bergbauer voll in's Gesicht: »Ordnungen, Gesetze sind todte Formen, der Geist muß sie erst beleben. – Wer bürgt, daß solche Einrichtungen auch in Ihrem Sinn geübt werden? Wer bürgt, daß die Gemeinden ihre Freiheit nicht mißbrauchen und nun erst die verschämten Armen verkommen lassen, die Unverschämten in unerträgliches Joch spannen?«

162 »Sie wollen sagen: Der Bauer ist aus hartem Holz geschnitzt, ist zäh, er thut nur, was er muß! – 's ist was Wahres dran! Wir sind hart wie unser Boden, dem wir die Ernten abzwingen müssen; wir sind streng, wie's unser Boden gegen uns ist – der verträgt auch keine liederliche Arbeit, und Sudelei straft er unbarmherzig durch Mißwachs. Und thun wir freiwillig nichts mehr – ei, wer hat's zu verantworten als die, so uns Bauern behandeln wie unmündige Kinder, uns mit Gesetzen und Verordnungen einschnüren, daß wir uns nicht regen noch bewegen können? – Und trotzdem ist's nicht so schlimm; wir Bauern haben auch ein Herz, so gut als die Reichen und Vornehmen, nur unsre Art ist anders! – – – Daß die neuen Ordnungen recht geübt werden – ei dafür eben dächte ich, wäre die Obrigkeit da. Beruft nur die richtigen Leute in die Armenverwaltung und haltet die Augen offen, ich meine, dann kann's nicht fehlen!«

Der Amtmann entgegnete, wie das nicht so leicht gehe; für solche neue Ordnungen müsse erst ein Boden geschaffen werden. »Ei ja freilich!« fiel ihm da der Bauer in's Wort, »so macht einen Anfang, Boden ist schon da, nur an der Bearbeitung fehlts. Ich mein's auch nicht so, als müsse mit einem Schlag eine neue Welt dastehen – aber eben der Anfang! – Probiren Sie's einmal, stehen Sie ab vom neuen Armenhaus und helfen Sie uns eine andere Einrichtung mit den Armen treffen – 's wird schon gehen! Und ja, was ich eigentlich sagen wollte. Das Armenwesen ist nicht der einzige Schaden in unsrer Gemeinde, nicht einmal der größte! Der Schulz und der 163 Kirchbauer waren bis heute Herren im Dorf, nach ihrer Pfeife mußte Alles tanzen, und mit dem Gemeindegut haben sie geschaltet nach Belieben. Seit Jahren ist keine ordentliche Rechnung gelegt worden, und wo die Gelder für den Eichenschlag damals beim Brückenbau hingekommen sind, weiß bis heute kein Mensch. Räumen Sie da auf, Herr Amtmann, schaffen Sie da Ordnung, und es wird gar Manches von selber anders im Dorf!«

Lautloses Schweigen lag auf der Versammlung, die meisten Augen senkten sich vor dem durchdringenden Blick des Amtmanns, der Schulz war ganz in sich zusammengesunken. Der Amtmann befahl, den Kirchbauer herbeizurufen, aber der war menschlicher Gerechtigkeit entrückt. Den Schulzen enthob er seines Amtes, nahm ihm die Papiere und das Gemeindesiegel ab und übertrug dem Bergbauer einstweilen das Dorfregiment. Als er dann in Begleitung des Bergbauern und Herrnbauern in die Stube des Kirchbauern trat, ging ein Zittern durch den Körper des Kranken, noch ein tiefer Seufzer – und der Kirchbauer war verschieden.

 


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