Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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24. Finden und Scheiden.

Lorenz blickte durch das Fenster im Schulzenhaus sinnend hinaus in den dicken, schweren Novembernebel, der undurchdringlich und unbeweglich auf der stillen Erde lag. Leise sagte er, fast wie zu sich selbst redend: »Ja, unser Hansnikel wird den Kuckuck wohl nimmer schreien hören – ich fürchte, mit ihm ist's aus, eh' wir's denken.«

»Ist er wirklich so krank?« entgegnete der Schulz theilnehmend.

»Krank – er liegt manchmal einen Tag, dann ist er wieder frisch und wohl auf. – Schulz, der Hansnikel stirbt an einer innerlichen Krankheit, seit er beim Generalsupertent so schlecht an'kommen, ist er wie zerbrochen.«

»'s war aber auch ein verrückter Einfall! – Möcht' nur wissen, wer ihn auf den dummen Gedanken 'bracht hätt'.«

»Wer kann das sagen? – Wahrscheinlich Niemand, so aufzutreten sieht wenigstens dem Hansnikel ganz gleich. Höchstens hat ihn vielleicht der Hasenherle noch in seiner Meinung bestärkt. Uebrigens, wißt Ihr's schon? – Der Hasenherle hat sich mit dem Mädle versprochen. – Könnt Euch denken, was die Wassermaus für Gesichter schneidet!«

»Da kommen die Rechten zusammen! Geht mir mit 215 dem Hasenherle, ich kann den alten Schleicher nicht ersehen. Nächstens red' ich auch ein Wörtle mit ihm, der hat nichts im Hirtenhaus zu thun. – Aber der Hansnikel will mir nicht aus dem Sinn. Hätt' ich denken können, daß der seine Dummheiten so ernsthaft nähm', daß es ihm so nah' gehen könnte, ich hätt' ihm ja wahrhaftig sein Beil aus meiner Tasche anstählen lassen!«

»'s ist wunderlich, die meisten Menschen sind von Herzen gut, helfen gern und thuen Niemand gern weh' – und doch kränken sie ihre Nebenmenschen so oft und gehen vorbei, wo Hülfe Noth thut. Und daran ist blos die leidige Bequemlichkeit Schuld! – Man will ja gern beistehen, aber das hat morgen auch noch Zeit; und weil man weiß, man will Niemand Unrecht thun, geht man gleichgültig auch da vorbei, wo man mit einer Kleinigkeit was gut machen oder verhüten könnte. Ist's zu spät – dann möcht' man wohl' – s' ist aber eben zu spät! – So ist's auch mit dem Hansnikel! Mich dauert er von Herzensgrund! Er ist freilich ein wunderlicher, grober Kauz, aber rechtschaffen durch und durch, und die beste, aufrichtigste Seele von der Welt, kein falscher Blutstropfen ist in ihm. Ich habe wahrhaft Respekt vor ihm, seit ich weiß, daß es ihm im Grund um nichts anderes zu thun ist, als um sein Recht; ist das gleich eine verkehrte, eingebildete Sache, 's zeigt, was an dem Menschen ist. Und ich kann's nimmer mit ansehen, daß der Mensch sich verhärmt, weil er sich rechtlos glaubt; was ich schon lang' hätte thun müssen, wär' ich nicht blind gewesen, ich will's nicht länger aufschieben. Ich will seine Geräthe verstählen lassen, und 216 Ihr, Schulz, thut mir wohl den Gefallen, und sagt ihm, die Gemeinde habe es machen lassen – die Nothlüge ist ja wohl keine Sünde!«

Der Schulz stand eine Weile stille vor dem Fenster, dann gab er Lorenz die Hand und sagte: »Lorenz, von Euch muß man immer nur lernen. Gönnt mir die Freude, und überlaßt das Anstählen mir – 's ist ja dann nicht einmal mehr eine Lüge, wenn ich sage: Ich hätte sein Recht eingesehen. – Gilt's? – ich dank Euch! – – Und wie ist mir denn? – war nicht Hansnikel am selben Tag beim Generalsupertent, als im Rottensteiner Durchstich der Erdbruch niederging? – Ei freilich! – Und so ist's nun in der Welt! Derselbe Tag, der für Hansnikel so schlimm auslief, machte Euer Glück!«

»Glück? – Nun ja, ich darf nicht klagen – aber Schulz, solchen Tag möcht ich um alles Glück der Welt nicht wieder erleben!«

»Nu, wer weiß? Bist Du nicht seit der Zeit ein gerühmter, angesehener Mann 'worden? Sogar in die Zeitungen ist's kommen, daß Du durch Deine Herzhaftigkeit mehr denn hundert Menschen und einen großmächtigen Brückenbau vor dem Verschütten bewahrt hast, dazu bist Du gleich Schichtmeister, darnach gar Abtheilungsschichtmeister geworden – der Tausend, Lorenz, um solchen Preis, mein' ich, wäre das Bisle Angst und Gefahr wohl zu ertragen.«

Lorenz lachte. »Das Bisle! – Ja, ja, hinter dem Ofen ist gut davon reden – aber steckt nur drin! 's ist nicht nur so, daß man sein Leben in die Schanze schlägt, 217 wenn man Weib und Kinder zu ernähren hat! – Ja, die Ingenieure sagen, mein Schlag, der das Gerüst niederwarf, hätte dem Bergrutsch eine andere Richtung gegeben, ohne das wäre die ganze Masse über die Brücke gekommen. Kann sein, ich weiß es nicht, ist mir auch einerlei, an die Brücke habe ich nicht gedacht, und für die hätte ich auch keinen Finger geregt. Blos meine Kameraden zu retten, setzte ich mich der Gefahr aus, und ich danke meinem Gott, daß ich das in Wahrheit sagen kann, wär's anders, wie wollt' ich meiner Margelies, meinen Kindern in die Augen sehen? – – Ja, ja, Schulz, das war eine schwere Wahl – ausreißen oder dableiben! Ich rühm' mich dessen nicht, was geschehen ist, aber zufrieden bin ich, daß ich erst nach dem Schlag davonlief! – Und zum Glück ist mir's ja auch ausgeschlagen, 's wäre Sünde, wollt ich das leugnen. Und Ihr wißt noch gar nicht, daß auch auf den Winter für Arbeit gesorgt ist. Im Rottensteiner Bahnmeistershaus ist eine große Schreinerswerkstätte eingerichtet worden, es sollen dort die Fußböden, Fenster und Thüren für die Bahnwärtershäusle hergerichtet werden – und denkt, die Bahnverwaltung hat mich zum Werkführer bestellt!«

»Alle Tausend! – Na, ich wünsch' Euch von Herzen Glück!« rief der Bergbauer mit aufrichtiger Theilnahme und drückte Lorenz die Hand. Nachdenklich setzte er nach einer Pause hinzu: »Aber nun seh' ich kommen, was ich schon lang' befürchtete.«

»Ich dank' Euch! – ja, ich gedenke noch in der Woche nach Rottenstein zu ziehen!«

Eine Weile war es still, Lorenz blickte aufmerksam in 218 den Nebel draußen, der Schulz stützte nachdenklich den Kopf in die linke und trommelte mit der rechten Hand nachdrücklich auf der Tischplatte. »So ist's,« sagte er endlich, »die Guten, die man festhalten möchte, ziehen fort, die Schlechten allein wird man nie los. – Lorenz,« fuhr er fort und legte ihm die Hand auf die Schulter, »Lorenz, ich habe Euch achten gelernt, Ihr seid ein richtiger Mann – thut's nicht, bleibt bei uns!«

»Früher hätte ich's auch nicht für möglich gehalten, daß ich jemals Bergheim verlassen könnte – jetzt ist's anders, ich gehe mit Freuden. Nach dem, was mir in Bergheim widerfahren, bin ich da nicht mehr heimisch.«

Der Schulz nickte und ging, wie über etwas nachsinnend, langsam in der Stube auf und ab. »Ich kann Euch darin nicht ablegen, und doch solltet Ihr die Gemeinde nicht entgelten lassen, was Einzelne verschuldeten. Lieber Gott, es waren das überhaupt traurige Zeiten für's Dorf, und es mußten alle Nachbarn darunter leiden. – Jetzt soll's aber besser werden, von Grund aus besser – und dazu habe ich gar sehr auf Euren Beistand gerechnet.«

»Ich? – wie meint Ihr das? – Habt Ihr vergessen, daß ich nur ein Hintersitzer bin? Die Einundzwanzig würden mich schön heimschicken, wollte ich mir 'rausnehmen, ein Wort in ihre Sachen dreinzureden! – – Nein, nein! – ich vergeß' nicht, was dem Hintersitzer und – Hirtenhäusler! – zukommt!«

»Vom Hirtenhaus seid still, der Aufenthalt da schändet Euch nicht. Und auch sonst wird es anders. Lorenz! – denkt dran, ich hab's gesagt: Die Herrlichkeit der 219 Einundzwanzig geht zu Ende! 's ist eine neue Zeit im Anzug, alte Einrichtungen und Ordnungen reichen nicht mehr aus, 's ist ein ganz anderes Leben jetzt, das verlangt seine eigne Art und Ordnung. In Ottenberg, Uhlstedt, in Lindenthal drüben, selbst in Rattenstein, wo sich doch die Berechtigten so arg gegen die Hintersitzer stemmten, mußten sie sich mit denen vergleichen – uns steht das Gleiche bevor. – Ich gesteh's Euch aufrichtig, 's ist nicht leicht, solch ein wichtiges, und was noch mehr besagen will, ehrenvolles Recht aufzugeben, auf das unsre Vorfahren stolz waren, und das, richtig gebraucht, so viel Gelegenheit gibt, Gutes zu thun, nicht blos für heut und morgen, sondern solches, das bleibt und auch noch den Nachkommen wohlthut. Auf der andern Seite ist freilich wieder die Gefahr allzugroß, daß, wer die Macht hat, sie blos zum eignen Vortheil benützt und die Schwachen unterdrückt – wie wir's ja erlebt haben. – Drum sag' ich selber, es ist in der Ordnung, daß das Dorfregiment Allen in gleicher Weise zukommt, den Armen und Geringen so gut als den Bauern. Besonders wegen der Armuth bin ich ganz dafür! Bis jetzt hatten wir Einundzwanzig alle Lasten allein zu tragen, so auch die Armen allein zu erhalten. Wird das nun anders, hat auch der Geringe zur Unterstützung der Heruntergekommenen beizutragen, – ich meine, das wäre ein Sporn für sie, selber darauf zu achten, daß die Armuthei nicht allzusehr über Hand nimmt. – – Das sind freilich nur Gedanken; aber mag sie nun zum Guten oder Schlimmen ausfallen, die Veränderung kommt, und das bald! Da wird's nun viel Feuer und Rauch geben, sowohl bei den 220 Berechtigten, wie bei den Hintersitzern. Diesen wässert schon lang das Maul nach dem Gemeindegut, sie werden das Ganze in Anspruch nehmen; jene wieder geben schon die Herrschaft im Dorf nicht gern auf, sie werden Zeter schreien, sollen sie obendrein auch nur einen Theil ihres Gutes fahren lassen. – Da thuen dem Dorf verständige, redliche Männer Noth – und Ihr, Lorenz, wäret ganz der Mann, die Hintersitzer zu vertreten und sie auf den rechten Weg, der ja auch da in der Mitte liegt, zu leiten. – Lorenz bedenkt das und bleibt! – Ist dann Ordnung, steht Ihr uns Bauern in Allem gleich – ein Sitz im Ausschuß kann Euch nicht fehlen. Ihr waret selber arm, müßt darum am besten wissen, wie der Armuth wahrhaft zu helfen ist – bedenkt, was Ihr da Gutes schaffen könnt. – Kommt, gebt mir die Hand, Ihr bleibt ein Bergheimer!«

Lorenz war mächtig bewegt. Nach einigem Sinnen begann er: »Was Ihr da sagt, kann einem zu schaffen machen. Zunächst dank' ich Euch für das gute Zutrauen, das Ihr auf mich setzt; ich brauch' Euch wohl nicht zu sagen, daß es für mich kein größeres Glück gibt, als meinen Nebenmenschen beizuspringen, und daß, wo mich auch der Herrgott hinstellen wird, ich meine Schuldigkeit zu thun beflissen sein werde. Was aber meinen Auszug anbelangt muß ich doch auf meinem Sinn bleiben. Ihr sagt, ich hätte ein Ansehen im Dorf – für den Augenblick mag das vielleicht wahr sein. – Aber das kommt nicht daher, weil mich die Nachbarn als rechtschaffnen Mann achten, weil sie wirklich Respekt vor mir haben, sondern weil mir 221 das Glück ganz gegen ihre Berechnung in letzter Zeit günstig war. Nicht daß ich mich wegen meiner Kameraden in so grausame Gefahr begab, ist's, was sie loben, sondern daß mir die Sache gelungen ist und mir Vortheil – den sie obendrein wahrscheinlich himmelhoch überschätzen! – gebracht hat, das ist's, was sie preisen und rühmen. Laßt mir ein andermal auch nur eine Kleinigkeit mißrathen, laßt sie nur erfahren, daß mich der Glücksfall noch nicht reich gemacht hat – und wie sie mich jetzt nicht genug zu rühmen wissen, werden sie mir dann desto größere Verachtung bezeigen. Nein – meines Bleibens ist nicht in Bergheim! Ich will mir nicht bei jeder Gelegenheit von dem ersten besten Lumpen in's Gesicht werfen lassen: Was willst denn Du, Du Hirtenhäusler! Eine Zeit lang könnte ich vielleicht darüber lachen, zuletzt würde es mich doch unglücklich machen. Ein Reicher kann ruhig seinen Posten behaupten, wenn auch ein Makel auf seinem Namen liegt – Geld und Gut deckt Alles zu. Anders bei uns Armen! Das rechtschaffenste Leben löscht eine Schande nicht wieder aus, auch wenn sie unschuldig erlitten wurde; sie ist ein Graben, der nicht zu überspringen ist. Ich aber will jedem Menschen frei in's Gesicht sehen, frei heraus meine Meinung sagen dürfen, ich will die Achtung, die ich verdiene für mich, Frau und Kinder, ich will für das angesehen sein, was ich bin: Für einen ehrlichen, rechtschaffnen Mann!«

»Habt Ihr Euch das nicht in Bergheim erzwungen? Und, Lorenz, kann nicht das Gerücht von – von – von Eurem Unglück auch in die neue Heimath nachfolgen?«

»Daß es geschieht, dafür werden meine Feinde 222 sorgen!« sagte Lorenz mit gerunzelter Stirn. »Denkt nicht, daß ich das vergessen hätte. Aber dort ist doch Niemand, der mich in der Schande gesehen, dort habe ich selber den Ort meines Elends nicht täglich vor Augen, ich habe Hoffnung, die ganze trübe Zeit vergessen zu machen. – Redet mir nicht zu, es nützt doch nichts! – Man hat mich gezwungen, mein Leben wieder von vorn anzufangen – es soll nun auch ein ganz neues Leben daraus werden, darum muß ich fort.«

»Der Kirchbauer und Türkenhenner haben ein Elend über das Dorf gebracht, es ist nicht auszusagen!« rief der Schulz nach einer langen Pause. »Ihr möget Recht haben, verübeln wenigstens kann ich's Euch nicht, wenn Ihr Euch von Bergheim wegsehnt. Aber was anderes laß ich mir nicht abschlagen: Wir wollen Du zusammen sagen und Freunde sein für alle Zeit!«

Beiden Männern ward es feucht in den Augen, als sie sich die Hände schüttelten mit den Worten: »Auf Du und Du, so lang' wir leben!«

Als darnach der Bauer seiner Magd befahl, Bier zu holen, sagte Lorenz: »Laß' das sein, das Trinken auf unsre Brüderschaft besorgen wir ein andermal, jetzt will ich heim, weiß nicht warum, der Hansnikel kommt mir nicht aus den Gedanken!«

»Noch eins, Lorenz, muß ich Dir sagen. Ueberleg Dir den Auszug aus dem Hirtenhaus noch einmal. – Ich meine, in Rottenstein wirst Du nicht für immer bleiben wollen – drum spar' Dir einen Umzug und bleib' im Hirtenhaus, bis Du bestimmt weißt, wohin.«

223 »Ich muß mich wundern, daß Du mir so was ansinnst! – Nein, aus dem Hirtenhaus je eher, je lieber!«

»Das weiß ich! hab' auch nicht zuerst Deinetwegen gebeten: Bleib da!« lächelte der Schulz. »Sieh, bist Du fort, geht die alte Teufelswirthschaft drüben wieder los, und all' unsre Müh' war vergeblich. – Du weißt, ich kann noch immer nicht durchfahren, wie ich wohl möchte. Aber bis zum Frühjahr hoff' ich, soll sich manches ändern, drum bleib noch so lange hier – dann halte ich Dich selber nicht mehr auf!«

»Das ist was anders, wenn der Gemeind' und den Hirtenhäuslern ein Dienst damit geschieht, ist der Vorschlag der Ueberlegung werth. – Aber meine Margelies hat sich so sehr auf den Auszug gefreut! – – Hm, hm! – Nu, ich will mit ihr reden. Jetzt aber muß ich heim, mir ist, als könnte mit dem Hansnikel was passiren, und die Freude mit dem Beil möchte ich ihm doch noch machen. – Adje für diesmal!«

Seine Besorgniß war begründet; traurig kam ihm Margelies entgegen und sagte: »Eben wollt' ich Dich holen! – Beim Hansnikel steht's schlecht, geh' zu ihm, er hat nach Dir verlangt.«

In der Stube saßen die Kinder still beisammen, die Schwarze und das Bettelfräle weinten, nur die Wassermaus saß theilnahmlos, verdrossen in der Ecke. Eben kam der Hasenherle aus der Kammer des Kranken und sagte ärgerlich: »'s ist ein wunderlicher Heiliger, mein Alter, thut Euch auf einmal, als möcht' er gar nichts mehr von mir wissen. – Geh't 'nein, er fragt alle Augenblicke nach Euch!«

224 Als Lorenz die Thür öffnete, sagte Hansnikel: »Sua, Mädle, mit mir ist's aus – aus ist's, sua! – Ich hab's ja gewußt! – Guck, wie ich bei der letzten Leich' aus dem Grab steig, zerbricht mein Leiterle und ich fall' zurück – das ist eins! – Hernacher, wie ich in's Bahrhäusle geh', regt sich die Bahr' und kommt ganz für sich selber auf mich zu. Sua, sag ich, sieht's darnach aus? – Sua, sua, nu' fehlt noch eins, nachher ist's ganz gewiß! – – Ja, ja, heul nur – und 's kam auch! Wie ich das Bahrtuch in die Leichenladen leg', schlägt mir der Ladendeckel aus der Hand, und meinst, ich bring' ihn wieder auf? – nicht rühran! – Sua, sua, sag ich, nu weiß ich, was's bedeut't! Mein letztes Grab hab' ich gegraben, nu' ist die Reihe an mir, sag' ich, sua! – – Mädle, heul nicht, einmal muß's sein, und ich sterb' gern! 's ist eine betrogne Welt heutzutag', keine Treu' und kein Glauben mehr unter den Leuten, Recht und Gerechtigkeit ist nirgends mehr zu finden, und die Großen hängen zusammen wie Pech, vom Schulmeister bis zum Supertent, – 's ist 'ne betrogne Welt, das sag' ich – sua! – Und der Supertent, der Supertent! – Mädle, Du weißt's auch, ich und der Supertent sind Leut' und gehören zusammen – und fein hab' ich mein' Sach' fürbracht – und wollt doch nichts wie mein gutes Recht – – aber wie mich der behandelt hat – 's war weder löblich noch fein! – Mädle, der Supertent ist ein Nagel zu meinem Sarg, sua! – – Ja, die Menschheit tügt (taugt) heutiges Tages durch die Bank nichts, nur den Schreiner zieh ich mir aus – das ist einmal ein Mann, so einer steht nicht wieder auf, das sag ich, sua! 225 – Und wo er nur bleibt, der Schreiner? – Dem hab' ich Unrecht gethan, der hat's wahrhaftig gut mit mir gemeint – ach, wenn ich ihm nur noch einmal in die Augen gucken könnte. – Mädle, das ist ein andrer Kerl als Dein Hasenherle! – Ja, hätt' ich mich dem anvertraut, hätt' ich mich an den gehalten, ich wär heut' nicht der elende, rechtlose Mensch!«

»Ach, Hansnikel,« sagte Lorenz gerührt, »quält Euch doch nicht mit solchen trüben Gedanken.«

»Seid Ihr's, Schreiner?« unterbrach ihn der Kranke und haschte nach seiner Hand. »Seid Ihr wirklich da, Lorenz? – geht näher 'ran, daß ich Euch in's Gesicht sehen kann – sua! – Ja, ja, Schreiner, mit mir ist's aus – aus ist's; drum verlaßt mich nicht, 's wird nimmer lang mit mir dauern. – Und ich sterb' gern, Schreiner – 's ist nichts mehr auf der Welt! – Und ich dank' meinem Herrgott, daß er meinen letzten Wunsch erfüllt und Euch zu mir führt – ich mein', 's müßt sich leichter sterben, weiß ich Euch in der Näh' – sua! – Ja, was ich sagen wollt': Ich hab' Euch grausam Unrecht gethan, Schreiner, hab' Euch auch für falsch und schlecht gehalten wie alle Leut' und bin Euch aus dem Weg 'gangen und hab' dem Hasenherle mehr vertraut als Euch – wollt Ihr mir's nicht nachtragen? – Sua, sua – 's ist schon gut – und ich dank Euch auch, sua! – – Und ich weiß jetzt, Ihr allein waret zu allen Zeiten aufrichtig gegen mich, habt meiner Uhr zu einem rechtschaffenen Ort verholfen, habt mir immer und in allen Stücken meine Ehr' gegeben – wenn Ihr auch mein Recht nicht einsehen konntet 226 – das dank' Euch der liebe Herrgott und vergelts Euch! – – Ja, Schreiner, 's ist 'ne falsche, betrogne Welt, und was Ihr thut: Werdet nicht Todtengräber und nicht Calicant! – 's weiß der liebe Gott, Euch wollt' ich ja die Aemtle von Herzen gönnen, Euch vor jedem Andern – aber nehmt sie nicht, Ihr habt nichts wie Aerger und Trübsal davon! Kein Mensch rechnet Euch zur Geistlichkeit – und was bedeutet die Geistlichkeit ohne Todtengräber und Calicant? – 's Obst auf'm Gottesacker kriegt Ihr nicht – und wer hat am meisten auf'm Gottesacker zu thun? – Und was gar Schaufel, Rotthaue und Beil betrifft, so läßt sich der Schulz und die ganze Gemeinde lieber 'nen Finger abschneiden, als daß sie Euch Recht gibt!«

»Gebt Euch zufrieden, Hansnikel, und denkt doch nicht an's Sterben!« sagte Lorenz herzlich. »Ganz so schlecht ist die Welt doch nicht, der Schulz ist zur Einsicht 'kommen, morgen gleich werden Eure Geräthe verstählt!«

»Lorenz – Schreiner! – – Ich bin ein armer Mensch – wollt auch Ihr Euren Spott mit mir treiben?«

»Habt Ihr nicht eben gesagt, ich sei stets aufrichtig gegen Euch gewesen? – Seid nur ruhig, 's ist die lautere Wahrheit, ich bürg Euch dafür, morgen wird Euer Geräth in Stand gesetzt!«

Hansnikel starrte Lorenz eine Weile in's Gesicht, dann legte er sich langsam zurück, faltete die Hände, und während ein paar große Tropfen seine Wangen herabrollten, flüsterte er: »Sua – sua!! – Mein Herrgott im Himmel droben, hab' Dank, daß Du mich noch das hast erleben lassen! – Nun muß ich doch nicht als rechtloser, 227 verspotteter Mensch sterben! – sua! – sua sua!!« Seine Augen schlossen sich, er schien zu schlafen; allmählich verklärte ein glückseliges Lächeln sein welkes, runzliches Gesicht und von Zeit zu Zeit kam wie ein Seufzer ein leises. »Sua!« über seine Lippen – immer schwächer und schwächer. Wohl nach einer Stunde schlug er plötzlich die Augen auf und sagte: »Sua, sua! – Das hat wohlgethan! – Schreiner, das ist Euer Werk – das vergeß' ich Euch all' mein Lebtag nicht – sua! – – Das Geräth wär' in Ordnung – und mag mich der Supertent tausendmal 'nen verrückten Narren schimpfen, ich bin der Hansnikel Völker, Todtengräber und Calicant von Bergheim, und ich sag: Der Todtengräber gehört doch zur Geistlichkeit, und das Obst kommt ihm allein zu, punktum! – sua!!« Lorenz beugte sich über den Kranken – sein Athem stand still. Sanft drückte er dem Entschlafnen die Augen zu, nach einem langen Blick in das stille Gesicht ging er hinaus.

 


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