Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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19. Der Eisenbahnschrecken.

War auch der Vergleich mit der Kirchbäurin angenommen, äußerlich die Ruhe hergestellt – in der Stille gährte es doch noch in vielen Köpfen. Die Hetzereien des Türkenhenner trugen ihre schlimmen Früchte, die heimliche Unzufriedenheit der Nachbarn, die nicht vergessen konnten, daß der Henner von fünfzehnhundert Gulden gesprochen, statt deren sie nur den dritten Theil erlangten, brachte noch viel Rumor und Zank im Wirthshaus. Da kam von außen her abermals eine neue Zeit – und bei ihrem Wehen war das Alte bald vergessen.

Schon öfter war die Rede gegangen, durch den Rottensteiner Grund solle eine Eisenbahn gebaut werden, und so oft das Gerücht auftauchte, gerieth Bergheim in Aufregung. Warum? ist schwer zu sagen. Ein wunderliches Gemisch von abergläubischer Furcht vor der unverständlichen und darum grauenhaften Erfindung der Feuerwagen, die man naturgemäß mit dem Teufel in Verbindung brachte, und einer tief eingewurzelten Scheu vor jeder Neuerung, die die bequemen alten Gewohnheiten stören, den liebgewordenen Schlendrian unterbrechen könnte, kam dabei zu Tage. Und als nun wirklich die Ingenieure mit Stangen und Fähnlein den Rottensteiner Grund durchzogen, ihre Meßketten über Saatfelder, Wiesen und Gärten hinwegschleppten und den künftigen Bahnkörper absteckten, saßen die Bergheimer Nachbarn in voller Bestürzung beisammen. »Wißt ihr's schon?« berichtete der Mäurerslang, der von der Hauptstadt heimkehrend sogleich in's Wirthshaus eilte. »'s ist gewiß, ganz gewiß mit der Eisenbahn!«

180 »Daß sich Gott im Himmel erbarm!« jammerte die Wirthin, der vor Schrecken fast die eben gefüllten Biergläser aus den Händen gefallen wären.

Große Aufregung unter den Gästen folgte diesen Worten; als sich die erste Bestürzung etwas gelegt, begann der alte Schäferspeter: »Ich muß dumm fragen – wie ist's eigentlich mit den Eisenbahnen?«

»Narr, verstehst denn das Wort nicht?« belehrte ihn der Michelsschneider. »Von Eisen wird eine Schlittenbahn gebaut, wer weiß wie weit, die ist spiegelglatt Sommer und Winter, drauf sausen die Schlitten den einen Berg 'runter und gleich den andern 'nauf. So geht's immerfort!«

»Dummheit!« brummte der Nickelspaule, der im Winter viele Bücher las und sich auch eine Zeitung hielt. »Mit der eisernen Schlittenbahn, sell (das) hat Grund. Aber drauf fahren richtige Wägen mit Rädern, und vorndran ist eine Rauchchaise, die plustert den Rauch mit arger Gewalt 'raus, und bei jedem Plusterer gibt der Rauch den Wägen 'nen Stoß – und fort geht's, wie tausend Million!«

»Gott behüt' und bewahr' uns in Gnaden!« seufzte Peter. »Das geht über die Natur! – Ein Wagen, der plustert, und Rauch, der stößt! – Hat man je so was erlebt?«

»'s wird halt ein Rauch darnach sein!« meinte der Schneider.

»Ihr versteht mit 'nander nichts!« rief Paule, selber ganz erstaunt über seine Weisheit. »Was gibt denn der 181 Flinten die Gewalt – he? – Nichts anders als der Rauch vom Pulver!«

»Daß Dich der Hund beißt!« sagte der Grundmüller ganz erstaunt. »Jetzt glaub' ich, daß der Rauch stößt! Hab' ich einmal meine Flinten überladen, krieg' ich auch Ohrfeigen beim Schuß, daß mir's Feuer vor den Augen kugelt!«

»Holla, nichts ist's!« schrie eine vorlaute Stimme. »Da ging ja die ganze Geschichte hinter sich! Wenn ich meinem Alten seine Flinte losschießen muß, lieg ich alsfort auf'm Buckel!«

»Narr, halte die Flinte hinter Dich und schieß' rückwärts, nachher liegst Du gleich auf der Nasen!« entgegnete Paule überlegen. »Drum eben wird die Rauchchaise verkehrt vorgespannt. Auf allen Bildern sieht man auch, wie der Rauch zurückfährt, drum muß ja die Chaise vorwärts!«

»Geht weg, das ist Teufelswerk!« sagte der Schäferspeter und stand auf. »Ich dank' meinem Herrgott, daß ich so alt bin, ein gutes Ende nimmt das einmal nicht. Wünsch' eine geruhsame Nacht!«

»Der Peter hat Recht, wenngleich das mit dem Teufelswerk dummer Aberglaube ist!« meinte der Schneider, den die Nachbarn einen Krickler (Krittler, nachdenkenden Menschen!) nannten. »Was geht allein für Eisen auf bei solchem Bahnbau – möcht' wahrhaftig wissen, wo zuletzt das ewige Eisen herkommen soll!«

»Schmied, daß Du Dir noch einen richtigen Vorrath Eisen einlegst!« schrie der Eckenhanfrieder. »Um tausend 182 Gotteswillen, ihr Nachbarn, was soll d'raus werden? womit wollen wir inskünftig unser Geräth beschlagen?«

»Und was erst solch ein verfluchter Feuerwagen für Holz fressen mag!« klagte der Wagnerspaule. »Mir wird's grün und blau bei der Geschichte! Unsre paar Hölzle (Wäldchen) werden bald weggeputzt sein!«

»Und's Vieh und's Getreid' führt uns die Eisenbahn vor der Nas' fort – wir können zusehen, wo wir Nahrung finden,« sagte der Schneider.

»Gerste auch?« fragte der dicke Dorfmüller.

»Die erst recht!«

»Der Geier hol' die Eisenbahn!« schimpfte der Dicke und leerte ein Seidel auf einen Zug. »Nun wird's Bier auch noch aufschlagen und ist so schon fast nimmer zu bezahlen!«

»Und der Tabak!« knurrte der Mäurerslang.

»Und erst gar der Schnaps!« seufzte der Steinmüller aus der vorderen Ecke.

»Und denkt an,« fuhr der Michelsschneider fort, »was für ein grausam's Geld solch' eine Eisenbahn kosten muß. – Alles Geld wird aus dem Land gezogen, alle Kapitalien werden gekündigt, und – –«

»Schneider, bist Du nicht gleich still, setzt's was!« unterbrach ihn der Eckenhanfrieder in hellem Schrecken. »Herrgott von Bentheim! Ihr Nachbarn, das wird doch nicht wahr sein?«

»Ja, wenn's nur das wäre!« sagte Paule gewichtig. »Aber das Elend liegt noch ganz wo anders! – Nehmt an, was für Eisen bei der Bahn zusammenkommt, 183 hunderttausend Millionen Centner, das ist noch gar nichts! Nun ist aber das Eisen magnetig, und die Magnetigkeit zieht's Wetter an – denkt an die Blitzableiter! Hat aber schon ein dünnes Dräthle solche Gewalt über's Wetter, wie soll's erst bei solchen himmelargen Eisenhaufen werden? Ihr Nachbarn, paßt auf, alles Wetter legt sich in unsern Grund, Hagelschläge und Wolkenbrüche nehmen kein End', und die Gewitter machen's Unglück voll!«

»Paule, hört auf, 's wird einem ganz schlecht!« jammerte die Wirthin und schlug die Hände zusammen. »Ist nur die Hälfte wahr, sind wir ruinirt auf ewige Zeiten!«

Aber dieser ließ sich nicht stören. »Und gar erst der Feuerwagen! Rechnet's aus, was der den Tag über für einen Qualm in die Luft plustert: – Und wo soll der Rauch zuletzt hin? – Ich frag' Euch: wohin?«

Da es die Nachbarn natürlich nicht wußten, fuhr er selbstbewußt fort: »Nirgendshin! – Da bleibt er! – Ja, ja, 's ist nicht anders, oben an den Himmel legt er sich, daß nicht Sonne, nicht Mond durchkann, und die zweite ägyptische Finsterniß ist fertig!«

»Hoho Paule, Ihr schneidet auf!« schrie die vorwitzige Stimme von vorhin. »Der Schulmeister hat gesagt, in Engelland gebe es seit zwanzig Jahren nichts als Eisenbahnen, und es stehe noch auf dem alten Fleck!«

»Bist fertig, Du Grünschnabel?« erwiderte Paule verächtlich und holte ein Zeitungsblatt aus der Tasche. »Da – lest's selber! – Da steht's schwarz auf weiß: Verwichen war wieder ein Nebel in London, so dick und schwarz, am 184 Tag mußten sie die Laternen anzünden! Nu – was sagt ihr jetzt – he?«

»Daß sich Gott erbarm!« jammerte die Wirthin.

»Und die Eisenbahn wird nicht gebaut, das sag' ich, der Eckenhanfrieder!« schrie dieser plötzlich und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Die Bahnkerle können mir nicht ausweichen, sie müssen über meine Dammsbrücker Grundstücke bauen – daran steupert sich die ganze Geschichte! – Nicht zollbreit von meinem Boden geb ich her, und wenn sie ihn mit Gold zudecken! – Hans will ich heißen mein Lebtag, kommt der Bau zu Stand'!«

Erstaunt blickten die Nachbarn auf den Hanfrieder, und sein Ansehen stieg gewaltig. Man drängte sich um ihn, drückte seine Hand, lobte seine Klugheit und mahnte zur Standhaftigkeit. Getröstet ging für heute die Gesellschaft auseinander.

Und am Hanfrieder lag's nicht, daß der Bahnbau dennoch zu Stande kam. Aber die Bahnbeamten lachten ihm in's Gesicht, als er sich weigerte, den abgesteckten Baugrund abzutreten, und drohten mit Expropriation. Spornstreichs lief er zum Advokaten, allein als er zurückkam – die ganze Gemeinde erwartete ihn im Wirthshaus – warf er seine Mütze auf die Erde und schrie zornig: »Nun ist's aus, rein aus! Die Eisenbahn? – Spaß! Der Teufelsschwanz kommt hintennach, Exprobation heißt er, und die Exprobation, wenn die über Hand nimmt, – ich sag' nichts, ihr werdet's erleben, was draus entsteht!«

Die Nachbarn waren ganz erstaunt, es dauerte auch lange, ehe sie aus den verwirrten Reden Hanfrieders klug 185 werden konnten. Unterdeß hatten sie sich die Sache mit der Eisenbahn überlegt und waren zu dem Schluß gekommen, so schlimm könne es doch nicht damit sein, sonst wäre sie gewiß längst verboten, und kein Mensch gäbe das Geld zum Bau her. Auch der Lehrer hatte sich alle Mühe gegeben, die Bergheimer aufzuklären und zu beruhigen. Als nun in einer Ecke eine bekannte vorwitzige Stimme schrie: »Hoho! Hans wollte er heißen, würde die Bahn gebaut – nun wird gar ein Exprobationshans draus!« brach ein allgemeines Gelächter los, und: Exprobationshans, Exprobationshans!« schrieen und jubelten die Nachbarn, bis der Hanfrieder zornmüthig heimging. Als ihm aber darnach die Bauverwaltung sein ganzes Dammsbrücker Gut abkaufte – der Bahnkörper mußte grade über den Hof weggeführt werden, und die Grundstücke wurden zu Entschädigungen für weitere Expropriationen verwendet – und ihn so gut bezahlte, daß er auch seine Bergheimer Grundstücke schuldenfrei machen konnte, söhnte er sich mit der Eisenbahn, der Expropriation, ja selbst mit seinem Namen aus – Exprobationshans heißt er heute noch!

 


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