Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8. Neue Ordnung und erster Sturm.

Aber der Sturm tobte heulend um den hochgelegenen Giebel, draußen im Garten knarrten und ächzten die Grillenpflaumenbäume, die morschen Bretter des Daches 82 rasselten, Thüren klapperten, ja ein Brett riß der Wind halb los und warf es klappend auf und nieder – da war es kein Wunder, daß der Schlaf die müden Augen floh, zumal ja auch die Sorge, der Kummer im Herzen nicht weichen wollte. Lorenz und Margelies waren dem Sturm fast dankbar, der ihre Seufzer übertönte und willkommene Ursache bot, die innere Unruhe zu verbergen. Endlos, endlos dehnte sich die Nacht; als endlich summende Glockenschläge vom Kirchthurm drunten die fünfte Morgenstunde verkündeten, stand Lorz leise auf und kleidete sich im Dunkeln geräuschlos an.

»Was willst?« fragte Margelies. »'s ist ja noch viel zu früh zum Aufstehen!«

»Laß nur,« war die Antwort. »Will in der Stille eine Einrichtung treffen und den ersten Sturm allein überstehen. Bleib bei den Kindern, ist's Zeit, ruf ich Dich!« Vorsichtig entzündete er das Oellämpchen, schützte das flackernde Flämmchen durch vorgehaltene Hand gegen den Wind und schritt vorsichtig hinab.

»Hörst nichts?« murmelte draußen in der Stubenkammer die Hirtenlang schlaftrunken und stieß die Schwester an. »'s muß was in der Stube sein. Sieh doch einmal nach!«

»Dumm's Ding!« entgegnete das Mädle völlig munter. »Weißt nicht, was das ist? – Hab' das ErdhühnleMit dem Namen »Erdhühnle« bezeichnen die Bergheimer ein eigenartiges huschendes Geräusch im Zimmer, ähnlich, als wenn ein Vogel einen Ausgang sucht. Verkündet einen nahen Sterbefall. 83 schon den ganzen Morgen flättschern hören. – Vater – 's Erdhühnle regt sich in der Stube, 's gibt 'ne Leich'!«

»Sua?« meinte Hansnikel zufrieden und dehnte sich behaglich. »Sua! – Nu, Zeit wär's auch, 's ist lang genug nichts vorgekommen!«

»Ach Du lieb's Gottle!« ächzte das Bettelfräle zitternd. »Das bedeutet mich, 's ist nicht anders, jetzt muß ich dran, vergeblich war mir's nicht die Tage her so wunderlich!«

Eine Weile ward es still in der Kammer; mit sehr gemischten Empfindungen lauschte die Schlafgesellschaft dem fortdauernden Geräusch in der Stube. Plötzlich rief die Hirtenlang, die sich über die glücklichen Aussichten der Schwester ärgerte. »Ist mir ein schönes Erdhühnle, das tappt ja wie ein Gaul! – Nichts ist mit einer Leich', Du alte Hex'!«

Richtig ward soeben ein Tisch ziemlich laut an eine Wand gestoßen, was sich weder für das Erdhühnle noch den Erdschmied geschickt haben würde. »Ach Du lieb's Gottle!« seufzte das Bettelfräle erleichtert, Hansnikel aber murrte: »Sua – da habt ihr's! Ich sag's ja, 's ist 'ne betrogene Welt, nicht einmal auf Zeichen und Ahnungen ist heutzutage ein Verlaß!«

Die Schwestern standen nun doch auf, das Mädle brummend, die Hirtenlang innerlich erfreut; ganz erstaunt 84 und verblüfft über das, was sie in der Stube erblickten, blieben sie in der Thüre stehen. Lorenz hatte nämlich den Tisch der Wassermaus in die Mitte der Ostwand näher nach der Schwarzen hin, Hasenherle's Tischchen und Stuhl dagegen in die Südostecke gerückt und stellte eben seinen eignen Tisch an Hasenherles Platz.

»Ha, um tausend Gottes willen! – Schreiner – seid Ihr verrückt?« rief die Hirtenlang und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Was macht Ihr für Streich'?«

Das Mädle, die jetzt den Schreiner dafür verantwortlich machte, daß es nichts mit dem Erdhühnle war, schrie zornig: »Das ist mir eine schöne Bescherung! – Das leiden wir nicht – und das leiden wir einmal nicht – und ein für allemal, das leiden wir eben nicht!«

Lorz mußte lachen, rückte noch einige Spinnräder und anderes Gerümpel aus dem Weg, setzte sich dann fest auf einen Stuhl am eignen Tisch und sagte: »Guten Morgen zusammen! – So, nun wär's geschehen! Und wenn Ihr noch so arg lärmt – ich will den sehen, der mich von dem Platz wegbringt!«

Der Streit erweckte auch die Insassen der hinteren Kammern; verwundert drängten sie in die Stube und starrten mit großen Augen bald den Schreinerslorenz, bald die Hirtenmädchen an. Kaum hatten sie begriffen, um was es sich handelte, als ihre Augen vor Zorn zu funkeln begannen; besonders die Wassermaus und der Hasenherle waren außer sich, da sie bemerkten, daß die Veränderung in der Stube allein auf ihre Kosten 85 ausgeführt sei. Nothdürftig bekleidet drängten sie vollends in die Stube, schon öffnete die Wassermaus den Mund zur Vertheidigung ihres Rechtes, als ihr Lorenz zuvor kam und sagte: »Guten Morgen zusammen! – Und seh' ich Euch gleich an, daß mir Niemand danken wird, ich sage nochmals von Herzen: Guten Morgen und Gott grüß Euch allzusammen! – Ich weiß wohl, Ihr sehet mich ungern, und das kann ich Euch im Grund nicht verübeln; aber ihr haltet mich auch für einen Eindringling, und darin habt ihr Unrecht. Gott sei Dank, ich kann in Wahrheit sagen: es ist nicht meine Schuld, daß ich Euch den Raum verengere! Ich lebe auch der Hoffnung, daß ich Euch nicht allzulange zur Last fallen werde, ich will ja schaffen, was ich vermag, um baldmöglichst wieder frei zu werden. Drum ertragt, was einmal nicht zu ändern ist – 's ist mir und meiner Margelies auch nicht leicht geworden, in's Hirtenhaus zu ziehen. Wir wollen gute Hausgenossenschaft halten, in Frieden zusammenleben, uns helfen und beistehen und einander nicht vergeblich das Leben verbittern. Ist's recht? – Kommt, wir wollen uns darauf die Hand geben!«

»Ja, alle fünf Finger geb' ich Euch hinter die Ohren!« schrie Hasenherle. »Ich pfeif' auf Eure Redensarten! Ist das Verträglichkeit und Nachbarlichkeit, so mir nichts, dir nichts! die Ordnung in der Stube umzustürzen und sich auf Kosten der Hausleute den schönsten Platz auszusuchen? – Nichts da, Schreiner, weg von dem Ort, der gehört mir! – Weg, sag' ich, oder ich brauch' Gewalt!«

»Wenn man's so betrachtet, habt Ihr nicht ganz Unrecht!« entgegnete Lorenz gelassen. »Aber hört mich erst 86 an, wir wollen im Guten auseinanderkommen. Meine Margelies will für die Leute stricken und flicken, dazu braucht sie Licht; Ihr aber seid die ganze Woche nicht daheim, überdies arbeitet Ihr nichts an Eurem Tisch, drum könnt Ihr mit der Ecke wohl zufrieden sein. Die Wassermaus ist auch nicht schlecht gefahren bei dem Tausch, hat ein Fenster ganz allein für sich – drum seid vernünftig und macht kein Geschrei. Kann ich Euch sonst gefällig sein, soll's nicht an mir fehlen!«

»Hol' Euch der Geier!« platzte die Wassermaus heraus. »Wollt Ihr schon den Herrn spielen? Nichts da! Gleich macht Ihr Platz – thut Ihr's nicht gutwillig, helf' ich mir!«

»Seid nicht so hitzig, Wassermaus, Euch kann's doch wahrhaftig gleich sein, ob Ihr da oder dort sitzt! Thut mir den Gefallen und erhebt keinen Lärm – wir wollen uns in Güte auseinandersetzen.

»Und wir leiden's nicht – und wir leiden's nicht – und wir brauchens nicht zu leiden!« schrie das Mädle.

»Bist Du still?« fuhr sie Hansnikel an. »Verrücktes Weiberleut'! sei froh, daß wir den Heppelehepp los sind! Sua, sua! – der Lorenz ist nicht von gestern!«

»Guckt doch an, was sich der Lorz 'rausnimmt!« lärmte die Schwarze. »Man könnt' Wunder denken, was er für ein großer Hans wär!«

»Denkst, Du kannst hier den Herrn spielen?« sagte der Hasenherle drohend. »Oha, Schreinerle! Deine Mucken vertreiben wir Dir! Bei mir kommst Du an den Unrechten, ich zeig Dir den Meister!«

87 »Beim Schulzen beschweren wir uns,« fiel die Schwarze ein; »der wird Euch sagen, was Ihr seid!«

»Platz da!« schrie die Wassermaus, der die Verhandlung zu lang währte. »Aus dem Weg, gleich im Augenblick, oder ich gerath' Euch in die Haare!«

»Oha, nicht so hitzig!« erwiderte Lorenz. »Damit richtet Ihr bei mir nichts aus, ich fürchte Euch miteinander nicht. Jetzt sagt: Wollt Ihr Euch in die Ordnung fügen?«

»Fügen? Ha, ha, ha!« lachte die Wassermaus. »Was bildet Ihr Euch ein? Alles bleibt beim Alten, das ist die Ordnung und Ihr möget sehen, wie Ihr unterkommt. Wir sind für uns, treiben, was wir mögen, habt Ihr's gehört, Schreiner, treiben, was wir mögen. Wem's nicht gefällt, ei, dort hat der Zimmermann ein Loch gelassen – draußen ist sein! Wenn's Euch nicht recht ist, befragt Euch weiter – der Schulz hat uns das selber gesagt!«

»Euer Ungestüm und Eure Unart zeigen, daß ich recht that, als ich in der Stille ausräumte, der Lärm wäre sonst nur noch größer geworden!« entgegnete Lorenz. »Da mit guten Worten bei Euch nichts auszurichten ist, so will ich anders mit Euch reden. Warum ich selber nicht zwischen die Wassermaus und die Schwarze einrückte, ist leicht einzusehen, ich will sie mir und meinen Kindern, so weit es geht, vom Leib halten. – Ihr, Hasenherle, braucht deswegen nicht zu meinen, es wäre mir absonderlich viel an Eurer Nachbarschaft gelegen. – Beim Schulzen habe ich keine Hülfe, das weiß ich lang – drum eben helf ich mir selber. Daraus könnt ihr ersehen, daß ich mich vor dem Schulzen nicht im Geringsten fürchte – er ist kein 88 Herrgott und vermag auch nicht Alles. – Ihr Wassermaus, habt in der Hitze neben das Brett gebohrt. Wir sind nicht für uns, sondern auf einander angewiesen, darum darf nicht Jedes thun und treiben, was ihm grade einfällt, es muß auch darauf Bedacht nehmen, daß es den Hausgenossen nicht in die Quere kommt. Darum muß eine feste Ordnung bestehen, und nach der muß sich Jedermann richten. Verstanden? – Und somit sage ich Euch: ich verlange Ruhe im Haus; Zank und Streit, am Ende gar Prügeleien leide ich nicht; unfläthige Redensarten, schlechte Späße sind von heute an abgethan; die Kinder müssen in Zucht und Ordnung gehalten werden, damit ist aber nicht gesagt, daß nun Jedermann an ihnen herumstoßen und herumknuffen darf. Hat ein Kind was Dummes angerichtet, steht's allein den Eltern zu, das Kind zurechtzuweisen. Was meine Kinder im Besonderen betrifft, sage ich voraus: Merke ich einmal, daß Ihr sie zu schlechten Dingen anleitet, sei es in Worten oder Werken, dann sei Euch Gott gnädig, dann ist mir's wahrlich nicht zuviel, ich schlage Euch miteinander windelweich! – So, das ist ungefähr die Ordnung, die von heute an im Haus gilt! Wer dagegen ist, komme an mich – anders bin ich nicht zu zwingen! – – 's kommt Niemand?« fuhr Lorenz fort und stand auf. »'s ist gut, so bleibt's dabei, wie ich gesagt habe. Von heute an muß Ordnung im Haus sein!«

»Sua!! – Sua!!!! – Sua!!!!!!« schrie Hansnikel und drückte Lorenz herzhaft die Hand. »Ganz mein Wort! – Sua! – Sua!! – Ordnung muß sein, das sag' ich, sua! – Eine verfluchte Heidenwirthschaft im Haus, Zank 89 und Streit alle Tag, dabei nichts nach mir gefragt, grob über's Maul gefahren, von einer Eck' in die andere gesteckt, zuletzt gar an den Thürpfosten, mein Beil nicht angestählt, kein Obst kriegt man, zur Geistlichkeit wird man nicht gezählt – das Donner schlag auch 'nein! Aber aus ist's mit der Wirthschaft, Ordnung muß sein, das sag' ich, der Hansnikel, Todtengräber und Calicant in Bergheim, sua! – Und nun nicht gezückt, sonst setzt's was! Ordnung muß im Haus sein – sua, sua!!«

»Ich danke Euch, Hansnikel!« sagte Lorenz herzlich, wenn er auch ein leises Lächeln nicht unterdrücken konnte. »Ich danke Euch! – Steht Ihr mir bei, soll es im Hirtenhaus bald anders aussehen!«

Ganz verblüfft blickten der Hasenherle, die Wassermaus und die Schwarze drein; hatten sie sich auch sonst nicht viel um den alten Hansnikel gekümmert, heute empfanden sie doch, daß sein Uebertritt zu Lorenz den Streit zu Gunsten des Letzteren entschied. Der Schulz hatte ja freilich gesagt: Plagt ihn, daß er die Angst kriegt! aber zweideutig genug auch hinzugesetzt: Zahlt er Euch heim, denkt nicht, daß Ihr bei mir Schutz findet! Wenn nun jetzt gar Hansnikel für den Schreiner zeugte, was konnten ihnen dann Klagen und Beschwerden helfen? Murrend und heimlich scheltend gingen sie endlich daran, sich nach der neuen Ordnung einzurichten, und während der Hasenherle eine Partie Hasenfelle zusammenschnürte, knurrte er: »Ist ein alter FrackBergheimer Redensart für: es ist eine alte Geschichte.: Gewalt geht vor Recht!«

90 Lorenz holte nun auch Weib und Kinder herab; Margelies zitterte, als Niemand ihren Gruß erwiederte, als sie überall finsteren, feindseligen Blicken begegnete. Desto wohler that es ihr, als ihr die Hirtenlang mit herzlichem: »Willkomm!« entgegentrat, Hansnikel gute Nachbarschaft versprach, und das Bettelfräle ihre Hand fast zerdrückte. Das Mädle hielt sich mürrisch ferne, das Erdhühnle kam ihr noch immer nicht aus dem Sinn, und dann konnte sie es Lorenz nicht verzeihen, daß er den Hasenherle aus ihrer unmittelbaren Nähe vertrieben.

 


 << zurück weiter >>