Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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26. Hoffen und Harren.

Lorenz und Margelies waren glücklich, sie selbst gestanden sich dies mit dankbarer Freude; lag ja noch ein Schatten auf ihrem Leben, so war es ein gewisses Bangen vor der ungewissen Zukunft. Vor lauter Arbeit waren sie noch nicht dazu gekommen, einen bestimmten Plan in's Auge zu fassen. Lorenz hatte allerdings daran gedacht, ob es nicht das Beste sein würde, wenn er sich gleich in einer größeren Stadt festsetzte? Die feineren Arbeiten waren von jeher seine Lust, was ihm noch am Können fehlte, mußte eben nachgeholt werden – gewiß, dort war er am rechten Platz. Vor allen Dingen kamen aber dort seinen Kindern die Schulen zu gut, sie konnten was Tüchtiges lernen, auch die Mädchen vermochten wohl einmal auf eigenen Füßen zu stehen, fanden sie keine Freier. – Lorenz war eigentlich schon fest entschlossen, fürchtete aber, Margelies würde dagegen sein, würde, selbst wenn sie in seinen Plan willige, sich nicht an das Stadtleben gewöhnen können und dort nicht glücklich sein. So quälte sich Lorenz und verschob die Unterredung mit seiner Frau von einem Tag auf den andern, – es pressirt ja nicht! tröstete er sich.

Mit Margelies war eine große Veränderung vorgegangen. Ihrer Rechtschaffenheit hatte früher doch viel äußerliches Wesen angehangen, oft hatte sie den Schein höher gehalten als die Sache und besonders dem Urtheil der Leute allzugroßes Gewicht beigelegt. Das war jetzt überwunden! Sie achtete die Meinung ihrer Nebenmenschen auch jetzt nicht gering, aber sie gestattete ihr keinen bestimmenden Einfluß auf das eigne Denken und Handeln 239 mehr. Sie hatte gelernt, den Dingen, Begebenheiten und Meinungen auf den Grund gehen, und wie sie fand, daß gar Manches, was die Leute laut lobten, bei einer ernsten Prüfung nicht bestand, dagegen viel Gutes und Rechtes, was in der Stille geschah, bemäkelt und gelästert wurde, dennoch durch seine Folgen für sich zeugend – da ward sie zuerst traurig, bald aber kam eine desto größere Freudigkeit über sie. Jetzt erst erkannte und verstand sie ihren Lorenz völlig. Nicht mehr an Aeußerlichkeiten hing ihr Herz, jetzt suchte sie ihr Glück ganz wo anders; freilich, je freier und unabhängiger der Welt gegenüber sie sich fühlte, desto ernster und strenger ward sie gegen sich selbst. Schon lange bemerkte sie, wie es in Lorenz arbeitete, mit dem zarten Gefühl des liebenden Weibes ahnte sie, was ihn bewegte, warum er nicht mit der Farbe herausging. Eines Abends, da er wieder sinnend in's Licht starrte, legte sie ihr Strickzeug in den Schooß, strich ihm sanft die Haare aus der Stirn und sagte: »Lorenz, warum quälst Du Dich allein mit Deinen Gedanken? warum sagst Du nicht, was Du vorhast?«

»Margelies – was soll das heißen?«

»Ach, Lorenz,« lächelte sie und ergriff seine Hand, »meinst, ich merke nicht, was Dich drückt? – Gesteh's nur, Du sorgst Dich um die Zukunft, möchtest weit fort, vielleicht in eine Stadt – ist's nicht so?«

»Margelies! – – Wie kommst Du darauf?«

»Weiß ich's? – mir ist eben, es müsse so sein! – Warum bist Du nicht offenherzig? Meinst, ich könne erschrecken, ungern fortgehn? – Früher – ja, da hätte es 240 wohl sein können, jetzt sind andere Zeiten! – Wo Du bist, da ist meine Heimath; weiß ich Dich zufrieden, bin ich glücklich! – Du hast Proben Deiner Liebe und Treue gegeben, Lorenz, hast's bewiesen, daß Dir Weib und Kinder über Alles gehen – sollt ich nun undankbar sein, Dich hindern wollen, da ich doch weiß, daß Du bei Allem, was Du thust, nur unser Bestes im Auge hast? Nein, Lorenz, so klein bin ich doch nicht mehr. – Sag's herzhaft, was Du denkst, an mir sollst Du kein Hinderniß finden!«

Diesmal verbarg Lorenz sein Gesicht an der Schulter seines Weibes, und es dauerte lange, bis er endlich zu Worte kommen konnte. Margelies hörte ihn aufmerksam an, gab ihm die Hand, sah ihm voll in die Augen und sagte: »Was Du willst, ist mir All' recht! Ich bin ja freilich nicht für die Stadt aufgezogen, im Anfang wird mir's dort auch ungewohnt genug vorkommen, aber das gibt sich! Wenn nur wir zusammenbleiben und unsre Kinder um uns haben – was liegt dran, ob wir da oder dort wohnen? Unser Herrgott ist überall zu finden, die Rechtschaffenheit ist auch nicht an besondere Oerter gebunden – triff in Gottes Namen Deine Einrichtungen. – Nur, Lorenz, versprich mir: Was Du thust, thu's mit Freuden!«

Damit war die Sache abgethan. Lorenz nahm sich vor, gleich am nächsten Sonntag in die Hauptstadt des Landes zu gehen, sich nach einer Gelegenheit umzusehen und Erkundigungen einzuziehen. Aber er kam nicht dazu! Am Sonnabend fuhr ein Wagen vor das künftige Bahnmeistershaus, dicht am nördlichen Ausgang des Rottensteiner Durchstichs gelegen, das diesen Winter als 241 Schreinerswerkstätte gedient hatte, und mehrere höhere Bahnbeamte stiegen aus. Nach genauer Prüfung der Arbeiten und Bücher, die zur vollsten Befriedigung der Herren ausfiel, trat der Aelteste von ihnen, ein lebhafter kleiner Herr mit schneeweißem Haar und goldner Brille, zu Lorenz, schüttelte ihm kräftig die Hand und sagte: »Freue mich außerordentlich, den Mann kennen zu lernen, dem die Bahn so viel Dank schuldet; freue mich um so mehr, da ich mich durch den Augenschein überzeugte, daß Sie Ihren Ruf in der That noch übertreffen. – Leider geht nun Ihr Contrakt mit der Bahnverwaltung zu Ende – darf ich fragen, ob Sie schon einen Plan für die Zukunft gefaßt haben?«

Lorenz sah betroffen dem alten Herrn in die freundlichen Augen, dann berichtete er kurz sein Vorhaben.

»Hm – nicht übel!« entgegnete der Herr. »Noch eine Frage: Haben Sie nie daran gedacht, für immer in den Dienst der Bahn zu treten?«

»In Wahrheit ist mir der Gedanke noch nicht gekommen!«

»So überlegen Sie! – Die Bahn ist Ihnen Dank schuldig, es ist ihr eignes Interesse, Männer von Ihrer erprobten Treue und Gewissenhaftigkeit in ihren Diensten zu haben – mit einem Wort, Herr Heider, die Bahn möchte Sie festhalten, und ich habe den Auftrag, Ihnen dies mitzutheilen. – Unter welchen Bedingungen wären Sie wohl geneigt, eine dauernde Anstellung anzunehmen? – haben Sie nicht irgend einen Wunsch?«

»Ich weiß nicht – es kommt so unerwartet,« stotterte Lorenz und blickte verlegen zu Boden. »Hm – ja, der 242 Vorschlag ist der Ueberlegung werth – und auf alle Fälle bin ich der Verwaltung für ihr Zutrauen dankbar! – Hm! – ich bin einfacher Schreiner und verstehe eben nichts als mein Handwerk, was könnte ich für ein Amt übernehmen? – Bahnwärter? – Nichts für ungut, Herr, das ist nichts für mich, da ist mir mein Handwerk lieber. – Nochmals meinen Dank für die gute Meinung, aber es wird nichts sein!«

»Nichts übereilen, nichts übereilen!« mahnte der lächelnde Herr. »Die Verwaltung braucht Leute von gar verschiedener Begabung und mancherlei Kenntnissen – bei uns ist keine Kraft verloren. – Ueberlegen Sie – haben Sie wirklich gar keinen Wunsch, durch den uns und Ihnen geholfen wäre? – Sprechen Sie frei!«

Lorenz sah sinnend vor sich nieder, ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf. »Ja – wenn ich als Bahnmeister in dem Haus da wohnen könnte!« sagte er, setzte aber gleich hinzu: »Ach, das war dumm! Nichts für ungut, Herr, ich seh' ja selber ein, das geht nicht!«

»Nun, nun, wer weiß?« lächelte der Herr und drückte Lorenz zum Abschied die Hand. »Bestimmte Zusicherung kann ich Ihnen jetzt natürlich nicht geben, aber entscheiden Sie nicht über Ihre Zukunft, bis Sie mich gesprochen haben – ich komme nochmals zu Ihnen! – Geduld, Herr Heider, und – Hoffnung!«

Klopfenden Herzens sah Lorenz dem Wagen nach – sollte es möglich sein, daß sich sein Leben noch so erfreulich gestaltete? – Bahnmeister! – und wohnen in diesem Häuschen! – Das Blut klopfte ihm in den Schläfen! – – Aber das war ja doch nicht möglich, die Herren werden 243 ihn bald vergessen haben – darum ruhig! Auch ohne diese Stelle durfte er unverzagt der Zukunft entgegen gehen. Bald hatte er seinen Gleichmuth wieder gefunden; Margelies sagte er nichts von der Unterredung, wegen der Stadt beschwichtigte er sie, die Sache wolle überlegt sein.

Und als nun Woche um Woche verging, der alte Herr nichts von sich sehen noch hören ließ, da gab Lorenz jede Hoffnung auf. Nicht ohne manchen Seufzer; das Haus war gar so nett und freundlich hergerichtet, wie würde Margelies aufgelebt sein in diesen heiteren Räumen, wie würden sich seine Kinder des Gartens vor dem Haus, des nahen Waldes erfreut haben – aber es sollte eben nicht sein, darum fort mit den unnützen Gedanken. Lorenz war von Herzen froh, daß er nicht auch bei Weib und Kindern eitle Hoffnung erregt hatte.

Da – am letzten Tag – rollte die bekannte Kutsche vor das Haus, und der freundliche alte Herr stieg aus, diesmal allein. Lorenz lächelte über sein anfängliches Herzklopfen, als er mit dem Herrn die letzten Geschäfte ordnete und ihm die Bücher übergab. Zuletzt nahm der Greis seine Brille ab, putzte sie lange und sorgfältig, nahm Lorenzens beide Hände und sagte mit bewegter Stimme. »Und nun, mein lieber, lieber Herr Heider, meine herzlichsten Glückwünsche! – Von heute an sind Sie Bahnmeister und werden unverzüglich Ihren Dienst antreten! – Verzeihen Sie mir, daß ich Sie so lange in Ungewißheit gelassen – ich wollte mir die Freude nicht entgehen lassen, Ihnen selbst Ihre Anstellung mitzutheilen. Nochmals meine herzlichsten Glückwünsche! – Wir werden oft zusammenkommen 244 im Dienst, noch öfter hoffe ich Sie zu treffen außer Dienst. Ich kenne Ihren bewegten Lebensgang, meine Schicksale haben manche Aehnlichkeit mit den Ihrigen, auch ich weiß, was es heißt: Beharren im Unglück, den Kopf oben behalten, wenn man vor der Welt in Schmach und Schande steht bis an den Hals – ich weiß Sie zu schätzen! – Wir müssen uns genauer kennen lernen – ich hoffe, wir werden Freunde sein! – Glück auf im neuen Leben, Herr Bahnmeister, und damit Gott befohlen!«

Wie ein Träumender schritt Lorenz heimwärts. War denn das noch die alte Welt, oder war er auf einmal ein neuer Mensch geworden? So blau war der Himmel, so glänzend die Sonne noch nie gewesen, und selbst das Brausen des Frühlingssturmes in den blattlosen Baumwipfeln, die eilends am Himmel dahinziehenden Wolken mutheten ihn an wie heitere Grüße, beglückende Vorzeichen. Eine verzehrende Ungeduld brannte in ihm, er beneidete den Wind um seine Flügel, mit den Wolken um die Wette hätte er davon fliegen mögen, heim zu Weib und Kindern. Schneller und schneller wurden seine Schritte, und als Bergheims Thurmspitze zu seinen Füßen auftauchte, nahm er seine Mütze ab und faltete die Hände. Im Weiterschreiten seufzte er: »Ach Margelies, ach meine Kinderle! – jetzt kann ich Euch fröhlich in die Augen schauen, ihr braucht Euch des Vaters nimmer zu schämen!«

Margelies kam ihm entgegen, hastig entdeckte er ihr sein Glück, dann lagen sich die Gatten stumm in den Armen, nur dann und wann flüsterte Margelies: »Lorenz, mein lieber, lieber Lorenz!«

245 »Der Schreinerslorenz ist Rottensteiner Bahnmeister 'worden!« ging es von Haus zu Haus, und große Bewegung entstand ob dieser unerwarteten Kunde. Wohl die meisten Nachbarn erfreuten sich dieser Wendung der Dinge, gönnten den Schreinersleuten von Herzen das Glück, ja einige waren sogar nicht wenig stolz darauf, daß ein Bergheimer Bahnmeister ward. Zu diesen gehörte der Ottensmärt, der nachträglich seiner Alten noch eine kleine Strafpredigt hielt. »Siehst Du,« sagte er, »wärst Du selligsmal nicht so ein geiziges Zankeisen gewesen, jetzt hätten wir die Ehr', daß der Rottensteiner Bahnmeister aus unserm Haus käm, obendrein brauchten wir uns nicht mit dem nichtsnutzigen Hasenherle 'rumzuärgern.« – Andere Nachbarn waren auch voller Neid und Mißgunst und redeten, wie es ihnen eben der Bosheitsteufel einblies. Diesmal konnte auch der Türkenhenner nicht schweigen; giftig lachend sagte er Nachts im Wirthshaus. »Auf der Eisenbahn mag ein schönes Volk zusammen kommen, daß sich Gott erbarm'! Wenn sie ihre Bahnmeister aus den Hirtenhäusern zusammenlesen, wo mögen erst die andern her sein?«

»Darauf geb' ich nicht viel,« entgegnete der Schulz gelassen, »wo die Leut' eigentlich hin gehören, das ist die Sach', Henner! Mir wenigstens ist ein rechtschaffner Hirtenhäusler tausendmal lieber, als ein großmäuliger Hans, der mit knapper Noth am Zuchthaus vorbei 'kommen ist!« – Drauf ging der Henner ganz still heim. 246

 


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