Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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21. Neues Leben.

In ihrem Stübchen kniete vor der Kommode Margelies und räumte, von Mariechen unterstützt, mit überfließenden Augen und zitternden Händen ihr Weißzeug in das Gefache. »Ja, ja, Mariele,« sagte sie, und ihre Stimme bebte, »es ist wohl nur altes, schlechtes Gerümpel, aber halte es werth Kind, darin steckt unsre Ehre und unser guter Name. Sieh, nachdem der Ottensmärt unser Hab' und Gut an sich zog, waren wir ihm von Rechtswegen nichts mehr schuldig – und für das Geld, das wir ihm heut' hinuntergetragen haben, hätten wir uns freilich gar viel schönere Sachen anschaffen können. Aber, Kind, der Ottensmärt hatte uns doch auch mit gutem Geld aus der 192 Noth geholfen, drum meinte Dein Vater, es sei billig, ihn auch mit gutem Geld zu bezahlen. Besser, sagte er, geringes Geräthe und ein fröhlich Gemüth, als Pracht um sich und ein Loch im Gewissen! – Ach, Marie, Dein Vater ist so brav, so gut! – Halte ihn in Ehren, hörst Du, er hat's verdient!«

Drunten in der Wohnstube – sie war ausnahmsweise ganz leer, nur die Hirtenlang saß nähend am Fenster – war Lorenz beschäftigt, seine Werkbank aufzustellen und sein Handwerkszeug zu ordnen. Tine und Emil blickten voller Glückseligkeit auf die Kuckucksuhr, die an der Wand tickte, und als es im Gehäuse schnarrte und rasselte, der Kuckuck aus seinem Häuschen hervorkam, mit tiefen Verbeugungen die Stunde anrief, da klatschten sie in die Händchen, hüpften von einem Bein auf's andere, und Tine schrie: »Aachele, der Kuckuck ist da, der Kuckuck ist da! – Nun ist Alles gut!« Lorenz lehnte an seiner Werkbank, und fast ward es ihm feucht im Auge bei dem Jubel der Kinder. Stille nahm er ein Stück Werkzeug nach dem andern vom Gestell, leise strich er daran auf und ab, als wolle er wegwischen, was sich in der Zwischenzeit angesetzt; ein leises Lächeln umspielte seine Lippen, als sein Lieblingshobel in seinen Händen erwarmte. War das ein gutes Vorzeichen?

Da trat Margelies mit gerötheten Wangen und Augen, durch deren Thauperlen um so reiner und heller die Liebe strahlte, rasch auf ihn zu, verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter, drückte ihm die gefüllte und schon angerauchte Tabakspfeife in die Hand und schluchzte: »Lorenz, Du treuer, guter Lorenz! Ich kann Dir nichts thun, nichts 193 geben – nimm wenigstens Deine Pfeife! Ich kann es nimmer ersehen, daß Du Dir das versagst! Nimm sie, mir zur Freude, und laß Dir's schmecken! Du darfst's jetzt mit Ehren!« Fest drückte der Mann sein treues Weib an sich, dann nahm er die Pfeife, und die Kinder jubelten noch lauter als vorhin, wie sich die blauen Wölkchen zur Decke emporkräuselten.

Die Hirtenlang wischte sich verstohlen die Augen bei dem Gedanken: Wäre doch meinem Mariebärble auch so ein Mann beschert, als die Thür aufging, und Mariebärble, hinter ihr der Wasserchristian, in die Stube trat. Groß war das Staunen der Hirtenlang; ihre Freude über das unverhoffte Wiedersehen ihres Kindes ward jedoch ein wenig gedämpft, als sie bemerkte, daß Mariebärble und Christian wohl nicht blos durch Zufall zusammen hergeführt wurden. Sie hatte Christian nie leiden können, und auch jetzt traute sie ihm noch nicht, wenngleich der Schreiner, der öfter mit ihm in Dammsbrück zusammentraf, stets seines Lobes voll war. Sie erschrak um so mehr, da Mariebärble und Christian jetzt in einem Haus zusammen dienten. Mariebärble, die ahnte, was in ihrer Mutter vorging, seufzte leise; Christian, den eben der Schreiner fragte, ob er nicht auch die Eisenbahnzeit benutzen wolle, schneller ein Stück Geld zu ersparen, machte ihrer Verlegenheit durch seine Antwort ein Ende. »Ja, ich habe auch schon daran gedacht,« sagte er, »aber seht, Schreiner, mein Herr hat mich angenommen, wie ich nichts bedeutete, jetzt sitzt er in Noth, beinahe alle Dienstleute sind ihm davon gelaufen, da kann ich's nicht über's Herz bringen, von ihm zu gehen. Zum andern ist 194 freilich auf der Eisenbahn ein leichter Verdienst, aber ledigen Burschen läuft auch das Geld wieder wie Wasser durch die Finger. Zum dritten – ja das ist die Hauptsach' – 's Mariebärble will's nicht haben! – – Ja,« wendete er sich voller Verlegenheit an die Hirtenlang, während das Mädchen nicht wußte, wie sie ihr glühendes Gesicht verbergen sollte, »ja, ich und Euer Mariebärble haben uns gern und wollen uns heirathen, wenn unser Herr uns sein Hausmannshäusle in ein paar Jahren einräumt. – Und Euch nehmen wir zu uns und wollen Euch auf den Händen tragen, und Ihr sollt's gut haben auf Eure alten Tage. – Braucht keine Angst zu haben, Schwieger; ich fall' nicht in mein altes Wesen zurück, und auch darum seid außer Sorgen, wir halten uns brav. – Ihr kennt Euer Mariebärble nicht, solch' ein Mädle gibt's auf der Gotteswelt nicht wieder. Und Ihr müßt wissen, nächst dem Herrgott und dem Schreiner hab' ich ihr's zu danken, daß ich ein Mensch 'worden bin, und das vergeß' ich ihr nicht, weil ich lebe. Drum macht ein freundlich Gesicht, daß unser Glück voll wird!«

Die Hirtenlang wußte vor Ueberraschung sich nicht zu helfen und brach in lautes Weinen aus. Der Schreiner lehnte sinnend an der Werkbank und betrachtete seine Pfeife. Endlich begann er: »Du hast Dich bis heute brav gehalten, und wenn Dir das, was Du da gesagt hast, aus dem Herzen kommt, bedarfst Du meines Beistandes nimmer. Margelies, geh, hol' ihm seine Pfeife!«

Christians Augen leuchteten, begierig griff er nach dem geliebten Rohr. Plötzlich legte er die Pfeife auf den 195 Tisch, kraute sich die Haare und sagte: »Schreiner, Ihr bringt mich da in grausame Versuchung – um ein Haar hätt' ich einen erzdummen Streich gemacht. Allen Respekt vor Euch, aber ich bin nimmer mein eigner Herr, und – und – kurz und gut, ich nehm' die Pfeifen nicht eher, bis sie mir das Mariebärble gibt. Nichts für ungut!«

Lorenzens Augen leuchteten, herzhaft schüttelte er Christian die Hand. »So, das war rechtschaffen, das wollt' ich hören. Jetzt trau' ich Dir! – Lange, laßt das Heulen, ich bürg' für den Christian, das wird ein rechter Ehemann! Jetzt kommt, wir wollen zusammen einen Kaffee trinken, der Tag ist's werth!«

Glückliche Menschen saßen im Hirtenhaus zusammen, und Abends im stillen Stübchen drückte Lorenz seine Margelies nochmals an's Herz und sagte: »Ja, es beginnt eine neue, bessere Zeit!«

Von da an ging Lorenz freier, aufrechter; eine innere Befriedigung leuchtete aus seinem Gesicht, und bei aller Freundlichkeit gegen Jedermann war doch sein Wesen ernster, gemessener, sogar seine Sprache kürzer und bestimmter. Das Bewußtsein eines geprüften und bewährten Charakters sprach sich darin aus. Bei seiner Arbeit hielt Lorenz wacker aus, bald sammelte sich abermals ein Häuflein Papierthaler in der Kommode, es wuchs um so rascher, da Margelies und Marie, zwei geschickte Näherinnen, wacker verdienen halfen. Fast noch mehr als früher schloß sich Lorenz ab. Was sollte er in Gesellschaft, im Wirthshaus? Seine Familie war seine Welt, nur in dem Kreis seiner Lieben fühlte er sich ganz glücklich. Das Leid hatte die 196 Gatten noch fester vereint, ihre Liebe vertieft, veredelt, die gegenseitige Achtung erhöht. Beiden schien, als hätten sie sich jetzt erst kennen gelernt, und in der That hatte ihnen erst das Unglück die Tiefen ihres beiderseitigen Wesens erschlossen und sie da Schätze finden lassen, von denen sie früher keine Ahnung hatten. Am Werth des einen entflammte sich das Streben des andern, seiner Neigung immer würdiger zu werden, und so fühlte sich eines im andern gebessert, erhoben. Noch im Alter öffneten sich ihnen still im Gemüth Blüthen, die sonst nur unter dem heiteren Himmel der Jugend zu gedeihen pflegen. Schon die größere Achtung nöthigte zu rücksichtsvollerem Wesen auch im gewöhnlichen Verkehr; das in ihnen lebendige Dankgefühl äußerte sich in tausend Aufmerksamkeiten. Waren die Gatten zusammen, glänzten nicht allein die Augen, unwillkürlich ward die Sprache milder, wählte man herzlichere Worte; auch durch das Aeußere, nette Kleidung, sanftere Bewegungen, suchte man zu erfreuen; an den Augen sah man sich die Wünsche ab, und kleine Bedürfnisse waren befriedigt, ehe sie nur recht zum Bewußtsein kamen. Kerngesund in ihrer innersten Natur, mit feinem Gefühl für das Schickliche und Wohlanständige begabt, lag ihnen Alles fern, was geziertem, weichlichem Wesen ähnlich sah, darum konnten sie sich auch dieser neuen Art von Herzen erfreuen. Und die schöne zarte Weise im Umgang verjüngte ihre Herzen, wirkte veredelnd auf Geist und Gemüth; es lag eine Wahrheit darin, wenn die Bergheimer halb im Spott, halb im Zorn behaupteten, die Schreiners hätten etwas Vornehmes an sich. Natürlich kam diese innere 197 Umänderung und Erhebung besonders den Kindern zu gut, die sich geistig und körperlich herrlich entwickelten. Mariechen, die Ostern confirmirt worden war, konnte jetzt schon Niemand ohne herzliche Theilnahme und Rührung ansehen, und das Bettelfräle sagte oft: »Mädle, Mädle, Deine Augen, Deine Blitzaugen! Wo hast Du die nur her? – Gott sei dem Burschen gnädig, der einmal zu tief da 'nein guckt! – Ach Du lieb's Gottle, Mädle, Du wirst noch manches Herzweh anstellen auf dieser Welt!« Es war aber nicht blos der Glanz der Schönheit, der ihr alle Herzen zuführte. Eine glückliche Mischung von Milde und Kraft, liebevollster, selbstlosester Hingabe und wieder fast trotzigem Selbstbewußtsein war der geheimnißvolle Zauber, dem Niemand widerstehen konnte.

War es nun Lorenz zu verübeln, wenn er sich bei Weib und Kind am wohlsten fühlte, wenn er nächst einem gemeinschaftlichen Kirchgang kein größeres Glück kannte, als an stillen Abenden mit den Seinen durch die grüne Gotteswelt zu wandern? oder daheim sich an ihrer Liebe, an ihrer Heiterkeit zu erfreuen? O, wer einmal den Segen eines rechten Familienlebens kennen gelernt, den locken nicht mehr die eitlen Vergnügungen der Welt draußen!

Und der Segen eines rechten Familienlebens ward auch noch von anderen Hirtenhausbewohnern dankbar empfunden. Die Schwarze war nicht mehr zu erkennen, so still und ergeben trug sie ihr schweres Leiden; das Bettelfräle hatte seine Gänge nun ganz aufgegeben, aß am Tisch der Schreinersleute und hütete die Kinder, wenn Mutter und Tochter arbeiteten, und die Hirtenlang erklärte täglich, 198 man sei jetzt wie im Himmel, und wenn das Mädle zur Vernunft käme, wolle sie sich ein besseres Leben gar nicht wünschen!

 


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