Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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9. Neuer Sturm und ein Kirchgang.

Dabei war es allmählig Tag geworden, und Hansnikel begehrte sein Frühstück. Die Hirtenlang ging hinaus, Feuer anzumachen, kehrte aber sogleich zurück und klagte, die Wassermaus habe sich im Ofen eingenistet und lasse sie nicht herzu. Hansnikel rieb sich den Wirbel, sah den Schreiner betrübt und verlegen an, nickte mächtig und sagte: »Sua, nun haben wir's! – Das ist 'ne schöne Geschicht'! – Was fangen wir jetzt an?«

»Wie ist denn die Einrichtung,« fragte Lorenz, »das Schüren geht doch herum?«

»Ja freilich – das ist's ja eben!«

»Wie so?«

»Nu,« erklärte die Hirtenlang mit großer Zungenfertigkeit, »also zuerst schüren und kochen wir, sind wir fertig, thun wir die Asche heraus, nachher kommt die Wassermaus. 91 Die macht's grade so. Nachher kommt die Schwarze, zuletzt das Bettelfräle, wenn sie was hat, und zu allerletzt der Hasenherle, ist er daheim.«

»Und so treibt ihr's bei jeder Mahlzeit,« fragte Margelies ganz erstaunt, »dreimal des Tages kocht und feuert jede Partei für sich?«

»Ja wie denn sonst?« entgegnete die Hirtenlang. »Und bis heute hat kein Mensch an der Ordnung gerührt – was wird's aber nun?«

»Das sag ich!« fiel nun Hansnikel erregt ein: »Nun wird Jedes zuerst feuern wollen, und wegen dem Ofen gibt's wieder Mord und Todtschlag.«

»Solch eine Verrücktheit ist mir noch nicht vorgekommen!« rief Lorenz laut lachend. »Habt nur Geduld Hansnikel, das wollen wir bald abstellen! Laßt jetzt die Wassermaus gewähren, hernach aber kommen wir, das heißt natürlich, wenn es Euch recht ist, daß meine Margelies und Eure Mädle zusammen kochen. Auf die Art ersparen wir Zeit und brauchen nur das halbe Holz.« Besonders das Letztere leuchtete den Hirtenleuten ein, und der Vorschlag ward angenommen. Lorenz jagte darnach, als die Wassermaus ihr Feuer gelöscht hatte, die Schwarze und ihren Beistand, den Hasenherle, vom Ofenloch und sorgte, daß Margelies und die Hirtenmädchen ungestört das Frühstück bereiten konnten. Margelies hatte Mitleid mit dem Bettelfräle und versprach ihr, in Zukunft wolle sie ihr bischen Essen mitbereiten. Diese unerwartete Theilnahme, vielleicht noch mehr die herzliche Güte, die aus jedem Wort und Blick der schönen, jetzt so traurigen Frau hervorleuchtete, rührte die Alte zu 92 Thränen, schluchzend drückte sie Margelies die Hand und kroch dann auf den Hellstein. Auch für die Schwarze bat Margelies, und Lorenz erlaubte ihr, trotz der Einsprache des Mädle, das Feuer mit zu benützen. »Ein andermal kocht ihr dafür am Feuer der Schwarzen!« tröstete er.

»Ja, die Schwarze wird Euch was husten und das zugeben!« entgegnete die Hirtenlang ungläubig.

Während sich die Hirtenleute den Kaffee schmecken ließen, holte Margelies das Gesangbuch und legte es mit bittendem Blick vor Lorenz. Dieser nickte, blätterte in dem Buch, wollte eben mit Vorlesen beginnen, als er häßlich gestört wurde.

Die Schwarze hatte in ihrer Ecke den Kaffe gerüstet, auch den Kuchen aufgetragen und winkte jetzt den Hasenherle zu sich. Glückselig lächelnd wollte der alte Fuchs sich an der Wassermaus vorbeidrücken, aber auf einen Wink der Mutter stellte ihm der Wasserchristian ein Bein, und der Herle stürzte, so lang er war, in die Ecke, warf die Mädchen der Schwarzen von den Stühlen und hätte um ein Haar den Tisch auch umgestoßen. Aufspringend gab er dem Henker eine schallende Ohrfeige, die dieser nicht säumte, mit Zinsen zurückzugeben.

Plötzlich fuhr ein Arm zwischen die beiden Erzürnten, eine nervige Faust packte Christian und beförderte ihn mit Blitzesschnelle aus der Thüre; ehe sich der Herle von seinem Staunen erholte, stand Lorz schon wieder mit flammrothem Gesicht vor ihm, packte ihn bei den Schultern und setzte ihn so wuchtig auf die Ofenbank, daß es krachte. »Vermaledeite Gesellschaft!« rief Lorenz sodann und blickte mit 93 funkelndenAugen um sich. »Könnt Ihr nicht einmal am lieben Sonntag von Eurer Unart lassen? Seid Ihr Hottentotten? Und habt Ihr schon vergessen, was ich vorhin sagte? Hütet Euch, ich mache keine Umstände! Heute bin ich noch glimpflich mit Euch verfahren, das nächste Mal kommt's besser. Ruhe und Ordnung im Haus zu allen Zeiten, besonders aber beim Gebet – schreibt Euch das hinter die Ohren! – Bei Gott, ich mache ganz und gar keine Umstände mit Euch! Und Euch, Hasenherle, sag' ich noch besonders: Nehmt Euch in Acht! s' ist eine Schande, wie Ihr Euch betragt! Habt Ihr sonst kein Ehrgefühl mehr, solltet Ihr Euch wenigstens vor den Kindern schämen. Und um der Kinder willen muß Euer Umgang mit den liederlichen Weibsleuten ein Ende haben – merkt Euch das! – Ganz still dort in der Ecke, gegen mich richtet Ihr zusammen nichts aus – drum nur gleich still und nicht gemuckt, oder ich säubere die Stube! – Ordnung muß im Haus sein!!«

»Ich dank Euch, Lorenz!« sagte Hansnikel und wischte sich mit der Strumpfkappe die Augen. »Das hat einmal gut gethan bis in die kleine Fußzehe 'nein! So ist's recht, sagt's nur dem Gesindel und räumt aus – 's war fast nimmer auszuhalten mit der Gesellschaft. Und der Schulz – daß sich Gott erbarm! – der stützt ja noch die losen Leute! Und auf Euer Gebet, ja, darauf freu' ich mich noch besonders, in der Heidenwirthschaft ist es einem ganz aus der Gewohnheit 'kommen. Sua – Lorenz, ich dank Euch, und gebt nur nicht nach – sua!«

»Verlaßt Euch drauf, ich räume aus!« entgegnete Lorenz zornig. »Hülfe von draußen haben wir nicht zu erwarten, 94 drum helfen wir uns selber. – Es soll bald anders bei uns aussehen!«

Das mochten auch die Gedanken der übrigen Hirtenhäusler sein, denn sie blickten scheu und betreten zu Boden; so sehr auch der Zorn in ihnen wühlte, sie wagten keine Entgegnung, nicht einmal die Wassermaus. Am niedergeschlagensten war wohl Hasenherle; bedächtig rieb er einen gewissen Körpertheil, und die lang herabhängende Unterlippe schien zu klagen: Mit den guten Bißlen im Hirtenhaus ist's Matthäi am letzten! Aber auch Hansnikel hatte bald Gelegenheit, die Erfahrung zu machen, daß der neuerungssüchtige Geist ihm selber unbequem werden könne. Als Lorenz nach dem Frühstück, auf die verdorbene Luft in der Stube schimpfend, ein Fenster öffnete, brummte Hansnikel sehr verdrießlich: »Sua sua, hm – ei, ei! Ich sag's ja, 's ist 'ne betrogne Welt! – Hm, hm! – der Lorenz hat doch auch seine Mucken!«

Margelies hatte unterdeß in aller Stille einen großen Waschzuber gerüstet; als sie damit in die Stube zurückkehren wollte, fragte sie der Wasserchristian, der vor Frost bebend neben dem Ofenloch lehnte: »Darf ich wieder 'nein?«

»Ach lieber Gott, Du bist ja ganz durchfroren!« rief Margelies erschrocken. »Gleich geh' in die Stube und wärm' Dich, Du kannst Dir ja eine Krankheit holen.«

»Ja – aber – aber Euer Lorenz! – Ich – ich hab' das Herz nicht!«

»Geh' nur 'nein, er wird Dich nicht fressen, Deine Albernheiten mußt Du freilich lassen, da versteht er keinen Spaß, und besonders Dir läßt er gewiß nichts durchgehen. – 95 Sag mir nur, Christian,« fuhr sie herzlich fort, als er die Augen niederschlug, »wie kannst Du solch ein Lumpenleben ertragen? Bist so jung, gesund und kräftig, die ganze Welt steht Dir offen, wie Du da stehst, könntest Du ein Bursch' sein, alle Welt müßte Respekt vor Dir haben. Statt dessen stiehlst Du dem Herrgott die Tage ab, läßt Dich füttern, machst Dich zum Spott und Gelächter! Christian, siehst Du denn nicht ein, welch' elendes, erbärmliches Leben Du führst? Denkst Du gar nicht daran, wo das noch hinführen soll? – Kehr um Christian, eh's zu spät ist! Hast's nicht in der Schule gelernt: Müssiggang ist aller Laster Anfang? – Aber jetzt geh' hinein und wärme Dich – und denk' drüber nach, was ich Dir gesagt habe!«

Christian sah Margelies groß an – so hatte noch Niemand zu ihm geredet, die milden treuherzigen Worte drangen ihm tief in die Seele und trieben eine hohe Röthe in seine Wangen. Er schien etwas sagen zu wollen, verschluckte es aber, strich sich mit dem Handrücken über die Augen; in der Stube setzte er sich still in einen Winkel und hing seinen Gedanken nach.

»Sua sua, – hm, hm! – Na, was zu arg ist, ist zu arg – das Scheuern, das hat nun grad noch gefehlt!« knurrte Hansnikel, als Margelies, von Marie unterstützt, den Fußboden aufzuwaschen begann. Auch die übrigen Hirtenhäusler wollten Einsprache erheben, aber ein drohendes: »Was soll's?« des Lorenz, brachte sie rasch zur Ruhe; ja, die Hirtenlang ward von dem Eifer angesteckt und griff wacker mit an.

Da Hansnikel über Frost klagte, erbot sich Lorenz für ihn 96 die Bälge zu treten, was mit Dank angenommen ward. – Noch ehe die Glocken zu läuten begannen, kletterte Lorenz zum Kirchboden empor; es war ihm ein Trost, allein zu sein, er fürchtete den ersten Kirchgang als Hirtenhäusler.

Mächtiges Balkenwerk flocht sich sonderbar durcheinander, so fest aber auch die Sparren und Säulen standen, so schwer auch das ungeheure Dach darauf lastete, sie schütterten und bebten doch, so gewaltig war die Schwungkraft der Glocken im anstoßenden Thurm. Brausend quollen die Klänge durch eine Mauerluke herein und erfüllten den geschlossenen Bodenraum mit gewaltigem erschütterndem Summen, Klingen und Dröhnen. Lorenz kam sich vor wie verloren in diesem Tonmeer; langsam schritt er an das kleine Dachfensterchen und zuckte zusammen, als er das Hirtenhaus auf seinem Bergvorsprung erblickte. Von allen Seiten eilten jetzt geputzte Menschen dem Gotteshaus zu, Zufriedenheit lag auf ihren Gesichtern, die heiteren Grüße, die sie tauschten, zeugten von innerer Fröhlichkeit – und er stand einsam und verlassen am Dachfensterchen im Kirchenboden, Niemand nickte ihm zu, Niemand gedachte seiner – wer kümmerte sich um den Hirtenhäusler? Lorenzens Gedanken wurden immer trüber, er war selber froh, als ihn die Klingel des Schullehrers aus seinem Sinnen riß. Knarrend hob sich der schwere Blasebalg; kaum hatte Lorenz den Fuß von dem Trittbalken gezogen, so mischte sich ein ernster, tiefer Ton in das Klingen und Brausen vom Thurm. Gewaltsam wurden die Glocken im Schwunge gehemmt, noch einige heftige Schläge der Klöppel – dann ward es drüben still. Dafür quollen aus dem Boden empor 97 gar wundersame Klänge, und je kräftiger die Orgelakkorde anschwollen, desto rascher sanken die Bälge zusammen. – Lorenz mußte sich zusammennehmen, daß es drunten nicht an Wind gebrach. Als nun der Gemeindegesang begann, ward die Orgel schwächer, und Lorenz summte die Melodie leise vor sich hin – aber die fromme Weise konnte seine Sorgen nicht bannen.

Die Orgel schwieg, nun begann die Predigt. Lorenz hätte jetzt auch in die Kirche hinabsteigen dürfen, aber die Angst seiner Seele war zu groß, als daß er andächtig auf die Predigt hätte hören können. Seufzend lehnte er die Stirn wiederum an das Dachfensterchen, starrte hinein in die Wolken, die in krausen Formen am Himmel dahinjagten, hinab in die stattlichen Bauernhöfe. Welche Reichthümer bargen die gewaltigen Scheuern, welcher Ueberfluß war in den Häusern und Böden aufgespeichert! – Eine Kleinigkeit – ein unmerkbarer Theil von diesem Ueberfluß – und ihm war geholfen. – Drunten saßen die Nachbarn im Gotteshaus, behaglich verhüllt in stattliche Gewänder lauschten sie der Predigt, erfreuten sich dabei im Stillen ihres Glückes, ihres gesicherten Wohlstandes daheim. – Daß aber dieses eine Gabe Gottes sei, ihnen beschert nicht allein zu eignem Nutzen und Vergnügen, sondern auch daß sie der Liebe Raum gäben in ihrem Herzen, mit dem Gottessegen Arme, geängstete Seelen erfreuten – daran dachten sie nicht. Was kümmerte sie die Noth der Armen? Saßen sie selbst doch sicher und warm!

Was sollte nun aus ihm und den Seinen werden? Woher Nahrung und Kleidung nehmen? – Sein Handwerkszeug 98 hatte ihm der Märt abgepfändet, der Schreinersfrieder hatte ihm schon früher einen Gesellenplatz in seiner Werkstatt verweigert, auswärts als Geselle eintreten ging um Frau und Kinder willen nicht – wie hätte er sie jetzt im Hirtenhaus allein lassen können? – so blieb ihm nichts als Dreschen und Holzmachen! Würde er aber auch diese schweren, ungewohnten Arbeiten auf die Dauer ertragen? – »Das ist keine Frage, es müßte wohl gehen,« seufzte er, »aber wird mich auch ein Bauer dazulassen?« – Und gab es sonst gar keine Aussicht auf Verdienst? – hatte er nicht so mancherlei gelernt? – Ja freilich, dies und das versprach lohnende Beschäftigung, aber dazu gehörte Werkzeug, Material, und das eben fehlte ihm. Er biß die Zähne zusammen über die Herzlosigkeit seiner Nachbarn, die ihm im Wasser Hände und Füße banden und doch verlangten: schwimm! – Aber müssen sich nicht auch andere arme Leute, so hülflos wie er, durchschlagen? – wie fassen's die an? – Ja, die einen schnitzten Löffel und Quirle, die andern machten Besen aus Birkenreisern – aber jene mausten das Holz und diese die Reiser, und dennoch verdienten sie das Salz in der Suppe nicht. – Und stehlen? – Lorenz schauerte zusammen! – »O Gott im Himmel,« betete er, »lege mir auf, soviel ich tragen kann, nur steh mir bei, daß ich nicht Schaden am Gewissen nehme, nur davor behüte und bewahre mich!«

Wieder riß ihn die Klingel des Organisten aus seinen Gedanken, aber die sanften Akkorde, die jetzt heraustönten, legten sich weich in seine Seele. Drunten sang die Gemeinde: »Befiehl Du Deine Wege, und was Dein Herze 99 kränkt, der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt!« – Lorenz war tief ergriffen, und als er sich erinnerte, daß er einstmals gelesen, in welch großer Noth der fromme Paul Gerhardt dieses Lied dichtete, sprach er leise vor sich hin: »Ei, ist der fromme Herr in seinem Elend, das gewiß nicht kleiner war, als das meinige, nicht verzagt, warum sollte ich so arg kleinmüthig thun? Wacht nicht derselbe Gott, der ihn nicht zu Schanden werden ließ, auch über mich und mein Weib und meine Kinder? Ja ja, ich sage auch: Befiehl dem Herrn Deine Wege und hoffe auf ihn, er wird Alles wohl machen!« Ein paar Tropfen rollten über seine Wangen, als er auf dem stillen Kirchenboden kräftig in den Gesang drunten einstimmte:

Auf, auf! gib Deinem Schmerze
Und Sorgen gute Nacht!
Laß fahren, was Dein Herze
Betrübt und traurig macht!
Bist Du doch nicht Regente,
Der Alles führen soll;
Gott sitzt im Regimente
Und führet Alles wohl!

Langsam stieg er das knarrende Trepplein hinab in die leere Kirche. Zwar schauerte es ihn wieder durch und durch, als er des Hirtenhauses gedachte, allein er ließ den Kleinmuth nicht wieder aufkommen. »Wir werden auch das überstehen!«flüsterte er. »Gott fehlt es ja nicht an Mitteln und an Wegen, er wird auch für uns einen Ausweg finden.

Auf dem Heimweg wartete der Bergbauer auf ihn. »Ihr werdet Arbeit suchen,« redete er ihn an, »und mir fehlt grade ein Drescher – wollt Ihr mitthun? – Und 100 noch was! In meinem Bergacker liegen die schönsten MärmelsteineIn der Umgegend von Bergheim wird eine Art Kalkstein, der sich glatt spalten läßt, in Würfel von verschiedener Größe geschlagen, diese werden dann auf besonderen Mühlen zu Kugeln vermahlen, die sauber in bunte Farben polirt, weithin verführt und »Märmel« genannt werden. – holt Euch Platten herunter, eh' der Boden fest zufriert. Das Märmelsteinschlagen ist wohl eine saure Arbeit, habt Ihr aber erst den Vortheil weg, lohnt sich's. Und sagt Eurer Margelies, sie soll' heut Nachmittag zu meiner Alten, ich denke, sie hat ihr auch eine Arbeit zurechtgelegt.«

Lorenz drückte dem Bergbauer bewegt die Hand und erzählte seine Erlebnisse im Hirtenhaus. »So ist's recht!« sagte Jörg beim Abschied. »Fahrt nur durch und schafft Ordnung; braucht Ihr Hülfe, soll's an mir nicht fehlen!«

Seine Freude erhielt einen argen Stoß, als er sah, daß ihn Margelies erwartete. Weinend zog sie ihn bei Seite und klagte: »Lorenz, ach ist das ein Elend! Kaum warst Du aus dem Haus, geriethen die Wassermaus und die Schwarze wieder übereinander, dabei stießen sie Reden aus, eiskalt ist mir's den Rücken hinab gelaufen. Und die Kinder treiben es schier ärger, als die Alten. Lorz – da bleibe ich nicht! Ehe ich zusehe, daß meine Kinder verdorben werden, eh' will ich Alles ertragen, meinetwegen betteln, wenn's nicht anders sein kann – nur fort aus dem Haus!«

Lorenz war heftig erschrocken und stampfte zornig mit dem Fuß. »Unverbesserliches Gesindel! Aber wartet, ich 101 bring Euch doch noch zur Ordnung. Und Du, Margelies, sei vernünftig, mach das Unglück nicht größer, als es ist. Wo wollen wir hin mitten im Winter? Bedenk' was Du Deinen Kindern auflegen willst. Danke Gott für das Obdach und habe Geduld, nach und nach wird sich Alles machen. Wo sind die Kinder?«

»Wo sollt ich mit ihnen hin – in die Betten habe ich sie gesteckt!«

»Die armen Würmer! – Komm, wir holen sie!«

Vor der Bodenthüre blieben sie stehen. Drinnen klagte eine weinerliche Stimme: »Ich aufstehen will, ich nimmer im Bett bleib', hab' Hunger, ich will 'raus, und ich muß 'raus!«

»So hab' doch noch ein Linsele Geduld,« bat Marie, »wenn der Vater von der Kirch' kommt, holt uns ja die Mutter.«

»Ja, die Wasserchristel muß auch nicht in's Bett!« zankte Tine. »Ich bleib auch nimmer liegen!«

»So, Tine, auf die Wasserchristel berufst Du Dich?« entgegnete Marie. »Schämst Du Dich nicht? hast nicht gehört, wie ungezogen sie vorhin war, was sie für garstige Reden führte? Pfui, schäm Dich Tine! willst wohl auch so ein garstiges Mädle werden? Wenn das die Mutter gehört hätte! Und ja, der liebe Gott hat's gewiß gehört, und nun wird er zu den lieben Engelein sagen: Ach, das sind keine guten Kinder, die folgen ihrer Mutter nicht und wollen nicht in den Betten bleiben – da darf ihnen halt auch das Christkindle nichts bringen, aber den Herrscheklos 102 will ich schicken mit einer langen, langen Ruthen! – Ja, ja, seht Ihr, so sagt er gewiß! – Und nun heult nicht, folgt nur schön, dann ist's ja gut! Und wenn Ihr brav seid, geh ich mit Euch in's Dorf und zeig Euch unsern Kuckuck – und jetzt spielen wir Versteckeles. So – steckele, steckele such! – Tine – Emil, wo bin ich jetzt?«

»Margelies,« sagte Lorenz bewegt, als fröhliches Lachen heraustönte, »ist's recht, immer zu klagen? Sollen wir Gott nicht danken, daß er uns mit solchen Kindern gesegnet? – Hab' keine Sorg', die verderben nicht so bald! Aber ich versprech' Dir, es soll auch besser werden unten. Heute noch geh ich zum Schulzen, hilft das nichts, klopfe ich im Amt an. – Jetzt hol' die Kinder, Du hörst, sie haben Hunger, und ich auch!«

 


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