Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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27. Aus dem Hirtenhaus.

Die Wassermaus konnte das Glück der Schreinersleute nicht mit ansehen, sie verließ ohne Abschied das Haus und ließ sich nicht wieder blicken, als Lorenz zum Auszug rüstete. Die Hirtenlang dagegen ging weinend herum, das Bettelfräle gar setzte sich auf den Hellstein und schrie schluchzend: »Ach Du lieb's Gottle, Du lieb's, lieb's Gottle! Nu geht Alles fort, Alles! Die Margelies und die Kinderle – Alles, Alles! – Ach Du lieb's Gottle, erbarm Dich mein, nimm mich zu Dir! – was soll aus dem Bettelfräle werden?«

Margelies sah gar nicht so glücklich aus, als man hätte erwarten sollen, und als das Bettelfräle so jämmerlich heulte und die Hände rang, verhüllte sie ihr Gesicht in die Schürze und weinte mit ihren Kindern, die bestürzt am Ofen standen und bald zur Mutter, bald zum Hochsitz des Fräle, von dem man nur die Füße sehen konnte, aufblickten. Da legte sich eine Hand auf ihre Schulter und Lorenz sagte innig: »Margelies, warum quälst Du Dich allein mit Deinen Gedanken? warum sagst Du nicht, was Du vorhast? – Meinst, ich merke nicht, daß Du das Fräle mitnehmen möchtest?« – – Schluchzend warf sich Margelies an seine Brust und flüsterte: »Lorenz, das vergeß ich Dir nie – niemals!« Lorenz aber rief: »Heda, Fräle, fix vom Ofen 'runter! Euer bisle Hab und Gut ist schon draußen auf dem Wagen, laßt Euch von der Margelies ein wenig in Ordnung bringen, dann setzt Euch mit ihr und den Kindern auf. So lang uns der Herrgott Brod beschert, sollt auch Ihr keine Noth leiden, Ihr bleibt bei 247 uns, bis Euch der Herr selber heimruft. – Vorwärts – wir warten auf Euch!«

Damit ging er schnell hinaus. Während nun das Fräle wunderbar schnell hinter dem Ofen hervorkam und vor Freude nichts hervorbringen konnte als: »Achachachachaachele! – ist's denn wahr?« und Marie ihre Haare und Kleider ordnete, lärmten die Kleinen: »Aachele! – Der Kuckuck geht mit, und's Fräle geht mit, nu ist Alles beisammen – aachele!«

Unter der Thür umarmte die Hirtenlang noch einmal die Margelies und flüsterte ihr in's Ohr: »Gottes Segen kann Euch nicht fehlen! – geht's Euch wohl, vergeßt mich nicht! – Und sag' meinem Mariebärble, in vier Wochen zieh' ich auch aus, ich will ein eigner, freier Mensch sein!«

Der Wagen mit den beiden Frauen und den jubelnden Kindern fuhr voraus, Lorenz schritt mit dem Schulzen, der ihm das Geleite gab, in ernsten Gesprächen hinterdrein. Auf der Einzelberger Höhe beim Feldbirnbaum gab der Schulz dem Freund die Hand und sagte: »So leb' wohl – hier wollen wir scheiden! Traurige Zeiten haben wir zusammen überstanden, aber sie hatten auch ihr Gutes, wer weiß, ob wir ohne das Freunde geworden wären!«

»Einmal! – Zum andern hab' ich aber auch gelernt, worauf's ankommt im Leben, im Hirtenhaus bin ich erst ein Mann geworden, und ja, auch das rechte Eheglück haben ich und Margelies dort gefunden! – Es war ein harter, gefährlicher Durchgang, nicht Jedem möchte solche Prüfung zum Heil ausschlagen – uns ist das Leid zum Segen geworden – Gott sei's gelobt!«

248 »Ich freue mich Deiner Reden! – Ja, trag' Bergheim das Leid nicht nach, vergiß es nicht, es bleibt ja doch Deine wahre Heimath!«

»Heimath? – Jörg, meine Heimath ist nicht mehr ein einzelnes Dorf. – Da bin ich daheim, wo ich mit meinen Kräften und Gaben der Welt nützen, durch meine Arbeit Weib und Kinder versorgen kann. – Bergheim bleibt mir immer werth als der Ort, von dem ich ausflog, aber meine Heimath ist's nicht mehr!«

»Das faß' ich nicht; aufrichtig, solche Reden thuen mir wehe! Wenn Du so denkst, wirst Du auch Deine Freunde bald vergessen haben!«

»Umgekehrt, Jörg! Je weniger ich an einem Fleck Erdboden hänge, desto fester halte ich meine Freunde. Ach, Jörg, die Menschen vergessen's gar so leicht: Das Leben wird erst lebenswerth durch die Menschen!«

»Freilich, freilich! Hergegen machen sie einem auch oft das Leben zur Last, besonders, wenn man Schulz ist!«

»Ist Dir wieder was in die Quer' 'kommen?«

»Nichts Besonderes – 's gibt so Plage genug, und ist Dein Wegzug nichts? – Ich kann Dir nicht sagen, wie weh' mir um's Herz ist. – Lorenz, es war mein aufrichtiger Wille, den Armen gründlich zu helfen – ich geb's auf, 's ist doch nicht möglich, sie wollen sich selber nicht helfen lassen!«

»Ich erwartete so was! Merke: Du mußt nicht alles Elend bessern wollen, sonst wächst Dir's über den Kopf, es wird Dir angst, und Du legst die Hände ganz in den Schooß. Du hast das Elend nicht geschaffen, drum hast 249 Du's auch nicht zu verantworten. – 's ist auch nicht jedes Unglück in Wahrheit so groß, wie's aussieht! Hilf, wo Du kannst mit der That, ohne Reden, damit laß Dir genügen. – Zum andern heben Du und ich und alle Gutgesinnten und alle Mächte der Welt die Armuth und ihre Folgen nicht auf. Beruhte sie allein auf äußerlichen Dingen, dann ließe sich dagegen ankämpfen, aber die Armuth erwächst gar oft – ich sage meistens! – aus dem innersten Wesen der Menschen selbst, darum ist alle Mühe dagegen verloren!«

»Wofür arbeiten wir dann noch?«

»So meine ich nicht! Keine Arbeit ist vergeblich, nur nichts Unmögliches mußt Du wollen, dann wird Dir auch die Freude an Deiner Arbeit nicht fehlen. Springe den Unglücklichen bei, hilf der Noth ab, suche die Armuth zu vermindern, wo Du kannst, das Uebrige überlasse Gott! – Solche Arbeit ist recht, löblich, auch nicht umsonst, auch wenn Du's nicht gleich siehst. – Ist Deine Klage nicht auch ein Murren wider Gott, der nun einmal die Menschen so geschaffen, daß jeder seine eignen Wege gehen will? – Sie sind nun einmal so; jeder schleppt sein Unglück auf die eigne Art und meint, so wär's am leichtesten, und wenn Du ihm hundertmal sagst: So ist's besser und leichter – er sieht die Sache eben immer mit seinen, nicht mit Deinen Augen an. Es ist richtig, dieser Eigensinn bringt viel Leiden über die Welt – aber ich meine, wär's anders, wär's noch schlimmer, die Verwirrung, das Elend wäre gar nicht zu übersehen! – Wenn mir auch einmal die Verkehrtheit der Welt zu Kopf steigen und mich 250 unmuthig machen will, da kommt mir unser Herr Christus vor, hebt warnend den Finger auf und sagt: Selig sind die Friedfertigen. Darnach werde ich im Herzen still und fröhlich. Ich denke, mit den Friedfertigen hat der Herr Christus eben die gemeint, die sich der Welt als der Schöpfung Gottes erfreuen, die Unvollkommenheiten still ertragen und sich damit trösten, daß ein Größerer und Weiserer als sie wohl wissen werde, warum das eben so und nicht anders ist. Dann getröste ich mich auch der Mangelhaftigkeit des menschlichen Wesens, denke daran, daß auch ein vom rechten Weg abgekommener Mensch ein Kind Gottes ist, so gut wie ich, trotz seiner Fehler von seinem Schöpfer eben so geliebt wird, wie ich. – Siehst Du, dann wird mir's gar still im Herzen, dann kann ich alle Menschen lieben, und nichts wird mir zu schwer für sie. Ich thue, was ich kann – damit laß ich mir genügen; was ich erreiche, darum kümmere ich mich nicht!«

»Ja, wenn alle Menschen wären wie Du! – Ich danke Dir, ich will nicht mehr klagen und auch thun, was ich kann!«

»So meine ich! Du beschämst mich mit Deinem Lob, ich bin ja auch noch lang nicht, was ich sein sollte. – – Der Wagen ist weit voraus, ich muß nach. – Du in Bergheim, ich in Rottenstein oder sonst wo, wir wollen schaffen, so lange wir können und Beide nicht vergessen: Der einzige Weg, auf dem wir den Armen wahrhaft beistehen können, das ist das Handeln und Feststehen in der Wahrheit und in der Liebe! – Lebe wohl!« 251

 


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