Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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5. Das Hirtenhaus und seine Bewohner.

Kommt man vom Werthagrund die Hauptstraße Bergheims herauf, so erblickt man am obern Ende des Dorfes auf einem felsigen, brombeerumbuschten Felsenhang, der jäh zum Lindenbrunnen und Lindenbach abstürzt, ein niedriges, langgestrecktes Gebäude, dessen verwahrlostes Dach und kleine, schartenähnliche Fenster ihm ein ruinenhaftes Ansehen geben. Wirklich bedrohlich für den harmlosen Wanderer hängt die südliche Giebelseite mit ihren halberblindeten, theilweise scheibenlosen Fenstern über die Mergelgasse herein, und die lose unter der Schwelle hervorquellenden Steine der Grundmauer scheinen nur auf passende Gelegenheit zu warten, dem Haus voran in die Gasse hinabzustürzen. Kam man dagegen von Westen her die Mergelgasse herab, so glich das Hirtenhaus, das war das Gebäude, auf ein Haar einem verlassenen Schafstall oder invaliden Streuschuppen. Von hier aus führt ein schmaler Weg zwischen kleinen, durch Flechtwerk aus Tannenästen geschiedenen Miststätten zur roh zusammengenagelten, nur mit Holzklinke und Kettenschloß verschließbaren Hausthür. – Achtung! der Eingang ist nicht 38 ohne Gefahr! Hinter der hohen Schwelle gähnt ein tiefer Abgrund, und schon manch Unachtsamer that einen bösen Fall hinab in den dunkeln Hausflur. Zum Glück besteht der Boden nur aus festgetretener Erde, ein Fall ist darum wenigstens nicht grade lebensgefährlich. – Hat sich das Auge an das Halbdunkel gewöhnt, so entdeckt der Besucher rechts eine löcherige Lehmwand, links scheint sich die Finsterniß in's Unendliche fortzusetzen; Kettenrasseln und dumpfes Ziegenmeckern deuten jedoch an, daß sich dort hinten wohl ein Stall befinden könne. Gerade der Thür gegenüber gähnt das Ofenloch dem Eintretenden entgegen, und da es niemals verschlossen ist, erhellt das Tageslicht das Innere eines ungeheuren Kachelofens, der schon mehr einem Backofen ähnelt. Daneben führen drei wackliche Steinstufen zu der vielfach mit Papier verklebten Stubenthür empor.

Betritt ein Fremder das Hirtenhaus, so bleibt er gewöhnlich, erschrocken über den Dunst und das vielgestaltige Leben im Zimmer, unter der Thür stehen. Statt des Grußes ruft dann eine knarrende, ärgerliche Stimme aus der Ecke rechts: »Ha, so geht doch weg! der Perpendikel kommt!« – Gewöhnlich ist diese Warnung vergeblich, noch vor dem Schluß der Anrede erhält der Fremde einen empfindlichen Stoß in's Gesicht, an der Wand über ihm thut es einen Ruck, und die Stimme knurrt noch verdrießlicher. »Sua!«Der Endvokal des Sua (so) ist einer der unbeschreiblichen Laute, an denen die oberfränkische Mundart so reich ist. Das a in sua hat den gleichen Klang wie das e in der Verkleinerungssilbe le – beide Laute sind ein ganz helles, kurz abgestoßenes a. – Hab's gedacht, so wird's gehn, nun steht sie schon wieder!« 39 Gleich darauf schlürft ein gebeugtes Männlein, dessen zahnloser Mund kaum noch den Pfeifenstummel zu halten vermag, und um dessen dünne Beine kurze Lederhosen von unbeschreiblich glanziger Farbe schlottern, durch den Nebel auf die Thüre los und bringt eine Schwarzwälderuhr in Gang, die so an den Thürpfosten befestigt ist, daß der Perpendikel halb über die Thüröffnung hinausschwingt.

Dem Männlein mit seinem runzelvollen, vertrockneten Gesicht, mit den seit Verlust der Zähne tief zurückfallenden Lippen, sieht man gar nicht an, daß sich in seiner Person der vornehmste Bewohner des Hirtenhauses darstellt. Hansnikel ist fast so alt und nicht minder baufällig als das Hirtenhaus, in dem er das Licht der Welt erblickte und auch noch vor seinem Einsturz zu sterben gedenkt. Er und seine Familie allein wohnen mit Ehren hier, denn lange Jahre, bis zur Einführung der Stallfütterung, war Hansnikel der Hirt des Dorfes. Darnach als das Viehhüten aufhörte, ernannte die Gemeinde den treuen Diener zum Todtengräber und Balgtreter; als besonderes Zeichen ihrer Dankbarkeit gewährte sie ihm zugleich auf Lebenszeit freie Wohnung im Hirtenhaus. Zuerst konnte sich Hansnikel gar nicht in die Veränderung finden, er kam sich vor wie verlassen und verloren; hörte er eine Peitsche knallen, schrak er zusammen, oft betrachtete er Hirtentasche, Hut und Horn mit Thränen in den Augen. Wie sich aber die Beschwerden des Alters merklicher bei ihm einstellten, söhnte er sich mit seinen neuen, minder anstrengenden Aemtern aus, ja sie wurden bald sein Stolz und seine Freude. Trotzdem er nun sein gutes, gesichertes Auskommen hatte, trotz seines 40 zufriedenen, fröhlichen Sinnes, empfand auch er die Unvollkommenheit alles Irdischen; mancher Kummer drückte ihn, und lachte auch die Welt über seine Trübsale, die in ihren Augen keine waren, er empfand sie als volles, schweres Leid. Zunächst schnitt ihm der Verfall des Hirtenhauses, für dessen Erhaltung auch nicht das Geringste geschah, in's Herz; sodann füllten sich allmählich die Räume, in denen er lange Jahre allein, glücklich, unbeengt gehaust, mit allerlei Volk, dem ehrliche Menschen am liebsten weit aus dem Weg gingen, das ihn nur ärgerte und plagte und ihn sogar von seinem Lieblingsplatz, dem Hellstein hinter dem Ofen, vertrieb. Hansnikel pflegte zu sagen: »Mir und meiner Uhr geht's Einem wie dem Andern: in die schlechtesten Ecken werden wir gesteckt und stoßen doch überall an!« Und das war wörtliche Wahrheit! Da Hansnikel die Uhr hütete wie ein Drache, wollte sie keine Partei in ihrer Nähe dulden; da er sie in der eigenen Ecke rechts von der Thür nicht unterbringen konnte, blieb ihm für das alte Gehäuse kein andrer Platz, als der Pfosten zwischen der Stuben und Kammerthür – für eine Uhr mit langem Perpendikel eine gefährliche Stelle. Die Uhr ward denn auch zum Stein des Anstoßes für alle Hausgenossen, viele Streitigkeiten, unzählige Feindschaften entstanden ihretwegen. Zwar hatte es Hansnikel nach schweren Kämpfen durchgesetzt, daß jeder Aus- oder Eingehende in der Thür warten mußte, bis der Pendel nach der andern Seite hinausschwang, um dann mit raschem Sprung den günstigen Augenblick zu benutzen – wer konnte aber für ein Versehen? Täglich kamen Unglücksfälle vor, und der Zank nahm kein Ende! Passirte es nun, daß Hansnikel 41 selber das Gesetz vergaß und die Uhr zum Stehen brachte, dann war großer Jubel unter den geplagten Hausgenossen. – Auch die neuen Aemter brachten ihm viel Verdruß. Die Gottesdienste, die hauptsächlichsten kirchlichen Verrichtungen konnten ohne den Hansnikel gar nicht vollbracht werden; aber trotzdem sie seine Wichtigkeit, ja Unentbehrlichkeit recht wohl kannten, wollten ihn weder Pfarrer noch Schulmeister für ein »Stück Geistlichkeit« gelten lassen; so oft er auch in Güte oder Zorn seine Berechtigung zu dieser»Ehre« nachwies, lachten sie ihn aus, ja der Schulmeister schalt ihn einen Narren! Dafür zankte Hansnikel im Wirthshaus. »Was bedeutet der Schulmeister in der Kirch', wenn ich keinen Wind mach'? – Nichts ist er und nichts kann er!« – Sodann war Hansnikel in seinem Gewissen überzeugt, die Früchte von den Obstbäumen im Gottesacker kämen einzig und allein dem Todtengräber zu; sein Rechtsgefühl empörte sich, daß sie der Schulmeister allein erntete. Als billig denkender Mann wünschte er in Güte mit dem Lehrer auseinanderzukommen, darum machte er ihm einstmals in aller Freundschaft den Vorschlag: »Das Obst gehört zwar von Rechtswegen dem Todtengräber allein, aber die Geistlichkeit muß doch zusammenhalten, drum wollen wir hinfür das Obst mit einander theilen!« Statt nun mit Freuden auf diesen Vorschlag einzugehen, wie Hansnikel erwartet hatte, lachte ihn der Lehrer aus und warf ihn, als er grob werden wollte, gar vor die Thür. Darüber ward Hansnikel dem Lehrer spinnefeind, spuckte aus, so oft die Rede auf ihn kam und nannte ihn verächtlich einen groben Kerl! An seinem vermeintlichen Recht hielt er trotzig fest, selbst 42 da, als ihn der Pfarrer, an den er sich hülfesuchend wendete, barsch abwies. Oft genug hatte er den Satz gehört: Recht muß doch Recht bleiben! jetzt legte er sich das in seiner Weise zurecht: »Drum! Hilft mir Niemand, helf' ich mir selber!« Und ohne die geringsten Gewissensbisse mauste er jahraus jahrein im Gottesacker Obst, soviel er nur erlangen konnte. Trotzdem war es ihm eine rechte Herzensfreude, konnte er die Gräber so nahe an die Bäume bringen, daß sie absterben mußten. Geduldig hieb er die dicksten Wurzeln durch, bei jedem Streich murrend: »Sua – Du grober Kerl – wieder einer weniger – jetzt sind wir bald quitt – Du hast nichts und ich hab' nichts, sua!!« – Auch mit der Gemeinde lag Hansnikel im Hader. Bei seiner Anstellung als Todtengräber waren ihm als Inventarstücke Rotthaue, Schaufel und Beil übergeben worden. Im Lauf der Zeit nützten sich diese Geräthe natürlich ab, und Hansnikel verlangte, der Schultheiß solle sie frisch verstählen lassen. Mit dieser Forderung kam er übel an; der Schultheiß knurrte ärgerlich: »Weiter wißt Ihr nichts?– Unsinn! Der Gemeinde eine neue Last aufbürden – das fehlte grade noch! Nichts da! Habt Ihr die Geräthe für Euch gebraucht und abgenützt, könnt Ihr sie auch wieder herstellen lassen.«

»Sua?« entgegnete Hansnikel schwer gekränkt. »Für mich gebraucht? – Hab' ich die Gräber für mich gemacht?«

Trotz dieses triftigen Grundes blieb der Schulz auf seiner Meinung, das erweckte auch Hansnikels Eigensinn. Schaufel, Rotthaue und Beil wurden immer kleiner und nichtsnutziger, aber Hansnikel behalf sich; wurden ihm, 43 besonders im Winter bei gefrorener Erde, die Arbeiten blutsauer, tröstete ihn der Gedanke, für sein gutes Recht zu leiden. Stieg er schweißtriefend aus dem vollendeten Grab, betrachtete er wohlgefällig schmunzelnd sein Werk und brummte in den Bart: »Sua – wieder eins fertig ohne den Schulzen! – Schulz, Schulz! da guckt her – hab ich das für mich gemacht?«

Von seinen vielen Kindern – er war schon lang Wittwer – waren ihm nur zwei Mädchen geblieben, die zusammen den kleinen Haushalt führten und dabei sich und dem Vater das Leben blutsauer machten. Die Aelteste, eine kurze, runde, kinderlose Person, obgleich schon lange über die Jugendblüthe hinaus, doch noch immer »das Mädle« genannt, fand als Todtenfrau (»Anziehere« sagen sie in Bergheim!) reichlichen Verdienst, war gewissermaßen die Collegin des Vaters und darum sein Liebling. Darüber bekümmerte sich mit Recht die jüngere Schwester, Hirtenlang genannt, deren – vaterlose! – Tochter in Einzelberg diente; konnte sie doch in Wahrheit von sich sagen, daß sie ihre Kindespflichten treuer erfülle als die bevorzugte Schwester. Daneben beneidete sie das Mädle um ihr Amt, um das gute Essen in den Leichenhäusern, um den schönen Verdienst beim Leichenanziehen und Leichenladen.Wer die Leiche zum Friedhof geleiten soll, muß in Bergheim besonders geladen werden, selbst die Kinder der Verstorbenen, wenn sie nicht mehr im Haus wohnen. Dieses Einladen der Leichenleute ist ein sehr einträgliches Geschäft, da die Todtenfrau außer ihrem Lohn im Trauerhause auch noch von jedem Geladenen ein großes Stück Brod mit auf den Weg bekommt. 44 Besonders nach Leichentrünken, von denen das Mädle stets seelenvergnügt heimkehrte, war die Hirtenlang übel gelaunt, fuhr knurrend im Haus herum, und Hansnikel hatte Mühe, die feindlichen Schwestern auseinander zu halten. – Das Mädle nun steckte, grade wie ihr Vater, voller Aberglauben, wollte schauderhafte Dinge erlebt und gesehen haben und erzählte, wurde sie in Trauerhäuser gerufen, zur Erhebung der Leidtragenden so schreckliche Geschichten, daß den Zuhörern die Haare zu Berge stiegen. In Folge dessen ward sie im Dorf mit einer gewissen Scheu angesehen, Niemand mochte mit ihr umgehen, dennoch hütete man sich ängstlich, es mit ihr zu verderben; ging doch das Gerede, das Mädle könne mehr als Brod essen, und es sei nicht gerathen, mit ihr in Verdruß zu kommen. Sie selbst ahnte von solchen Gerüchten nichts; die Hirtenlang wußte darum, hütete sich aber wohl, den Leuten die dummen Gedanken auszureden, die auch ihr gar manchen Nutzen brachten. Auch gegen die Schwester schwieg sie; nur wenn sie in Zank geriethen, machte sie Gebrauch von ihrem Wissen, dann schalt sie das Mädle: »Du alte Hex!« Sonst war die Hirtenlang in allen Dingen streng rechtschaffen, dabei weichen Gemüthes; ihre einzige Lust und Freude war ihr Kind, ihr Mariebärble. Allabendlich schloß sie das Mädchen in ihr Gebet ein; mit thränenden Augen seufzte sie oft: »Mach' sie brav, mein Herrgott, mach' sie brav und rechtschaffen und bewahr' sie vor meiner Sünde!«

Hansnikel mit seinen beiden Töchtern hatte sich in der Südwestecke der Hirtenstube festgesetzt und diesen Platz behauptete er standhaft gegen alle Angriffe. Nur in der 45 Schlafkammer, deren Thür, wie schon gesagt, ebenfalls vom Uhrpendel bestrichen ward, mußte er einen Eindringling dulden. Er wollte lange nichts davon hören, zuletzt gab er doch den Bitten der Hirtenlang nach und räumte dem »Achdulieb'sgottle!« eine Ecke in der Kammer ein. Das Achdulieb'sgottle war eine uralte Frau, die ganz allein in der Welt stand, sich seit langen Jahren durch Bettel ernährte und nach ihrem stehenden Seufzer: »Ach Du lieb's Gottle!« genannt wurde. Das gebeugte Mütterchen trübte kein Wässerchen und steckte den Kindern der Hausgenossen heimlich die besten erbettelten Bissen zu.

Zwischen den beiden Südfenstern stand ein anderes, kleines, arg verstaubtes, sonst gewöhnlich ratzenkahles Tischchen daneben ein einzelner, lebensmüder Holzstuhl. Beides gehörte dem Hasenherle, schimpfweise auch Heppelehepp genannt. Letzterer Name brachte seinen Inhaber stets in arge Wuth, weshalb er nur bei Spöttereien oder im Zank angewendet wurde; nur große Leute durften sich herausnehmen, auch im gewöhnlichen Gespräch Heppelehepp zu brauchen, mußten dafür aber ein Glas Schnaps spendiren, durch welche Salbe das verwundete Ehrgefühl des Hasenherle sofort geheilt ward. »Hasenherle« war eigentlich mehr ein Titel als ein Name, bezeichnete unsern Mann nach Stand und Beruf. Da er es so meisterlich verstand, sein Gesicht in rührende Runzeln zu legen, mit den Augen zu zwinkern, die Lippen einzukneifen und, wenn es darauf ankam, mit Händen, Ellbogen und Knie'n zu zittern, (»schlottern« heißt es in Bergheim) ward er Herle, d. i. Großvater, genannt. Da er durch einen Handel mit Hasen und anderem 46 Wild, wie auch dessen Fellen, sein unstetes Herumstreunen beschönigte, fügte man seinem Namen noch eine genauere Bestimmung an, die man seinem Beruf entnahm, und so entstand: Hasenherle! Ob ihm der Name gefiel, ist schwer zu sagen, da er sich nie darüber aussprach; dulden mußte er ihn gern oder ungern, denn die meisten seiner Kunden kannten ihn eben nur als Hasenherle. Leute, die in Geschäftsverbindung mit ihm standen, behaupteten, er sei ein alter Fuchs und habe es faustdick hinter den Ohren, verstehe es meisterlich, den Leuten nach dem Maul zu schwätzen, ihre schwachen Seiten herauszufinden und zu benutzen, dabei sei er um so gefährlicher, je unschuldiger und dümmer er sich stellte. Wie gesagt, was er auf seinen Gängen, die sich über das ganze Land ausdehnten, trieb und vollbrachte, wußte so recht Niemand, nur als vielbegehrter Freiersmann war er weithin bekannt, und unter den großen Bauernfamilien kam selten eine Verheirathung zu Stande ohne den Hasenherle. Dieser Umstand verschaffte ihm großen Einfluß in allen Häusern, wo ledige Söhne und Töchter auf Versorgung warteten; so wenig man den alten Schleicher im Grund leiden mochte, so sehr hütete man sich, es mit ihm zu verderben, war doch mehr als ein Beispiel da, daß er Familien, die ihn gereizt, in große Nachtheile und Unannehmlichkeiten gebracht hatte. Nur bei jungen Eheleuten die er zusammengeführt, soll es öfter vorgekommen sein, daß sie ihn mit Schimpf und Schande aus dem Hause jagten und ihm nachriefen: er solle sich zum Teufel scheeren, er allein sei an ihrem Unglück Schuld. Gewöhnlich kommt er nur Sonnabends in das Bergheimer Hirtenhaus, um schon 47 am Tag darauf seine Wanderung wieder aufzunehmen, am eigenen Tisch sitzt er auch dann selten, warum? – wird sich gleich zeigen.

Neben dem Hasenherle in der Südostecke hatte sich die Wassermaus, ein lediges Frauenzimmer von vierzig und einigen Jahren, eingenistet und saß dort hinter ihrem Tisch, giftig wie eine Kröte und bissig wie ein Kettenhund. Es ging ein wenig eng her in dieser Ecke, denn die Wassermaus mußte den Platz mit ihren drei Kindern theilen. Der älteste Sohn, ein hochaufgeschossener, bleicher Geselle, verdient wohl etwas genauer betrachtet zu werden, denn trotz seiner großen Jugend – vergangene Kirmis feierte er seinen zwanzigsten Geburtstag – und trotzdem er gar nichts gelernt als Trinken, Rauchen, Kegelschieben und Kartenspielen, brachte er vor langen Jahren schon ein Heldenstück fast fertig, das in solcher Jugend sonst selten gewagt wird und das ihm einen bösen Namen eintrug. Nach seiner Confirmation sollte nämlich unser Wasserchristian, wie es bei Buben seines Standes so Brauch ist, zu einem Herrn in Diensten kommen. Christian gerieth deswegen jedoch in solche Verzweiflung, daß er den Strick vom Graskorb seiner Mutter löste, in die Baumgärten rannte und sich an den ersten, besten, handlichen Ast hing. In der Eile wahrscheinlich versah er sich indeß; statt um den Hals, legte er die Schlinge über die rechte Schulter und unter dem linken Arm hindurch; und als er nun hülflos zwischen Himmel und Erde schwebte, nicht leben und nicht sterben konnte, erhob er ein mörderliches Geschrei. Das hörte der Ungerskasper; mit großem Erstaunen mag er wohl diese seltsame, brüllende und strampelnde Frucht 48 betrachtet haben! Kurz entschlossen schnitt er aber den Strick durch, drehte ihn dreifach zusammen – und Christian versicherte hernachmals: »Da will ich mich doch lieber zehnmal hängen, als dem Ungerskasper einmal in die Hände fallen!« Von da an hieß der Wasserchristian in Bergheim und Umgegend: der Henker! Die Wassermaus erschrak heftig, als sie hörte, was ihr Christian vorgehabt; weinend schrie sie: »Ach Du lieber Gott, Christianle, Christianle, was machst Du mir für Streich'! Wenn Du Dich halt durchaus zu keinem Herrn getraust, warum sagst Du's nicht lieber, eh' Du mir das anthust? – 's ist ja Alles recht, Du sollst bei mir bleiben, so lang Dir's gefällt – nur thu' mir das nicht wieder!« Das rührte den Christian; langsam wischte er sich das Wasser aus den Augen und dachte, um den Preis seien der Schrecken und die Schläge am Ende zu ertragen. Er blieb nun richtig im Hirtenhaus, stahl dem Herrgott die Tage ab, ließ sich von der Mutter füttern, und es war eigentlich ein Wunder, daß er bei solchem Lumpenleben nicht auf schlimme Dinge gerieth. Christian befand sich außerordentlich wohl, er war der zufriedenste Mensch unter der Sonne und hatte nur den einzigen Wunsch, daß es doch immer so bliebe! Aber auf der Erde ist nun einmal nichts beständig. Zu seinem unendlichen Erstaunen war plötzlich ein Schwesterchen da und kaum nach Jahresfrist auch ein zweites. Damit hatten seine guten Tage ein Ende, und zum erstenmal in seinem Leben schämte sich Christian: es war doch gar zu ärgerlich, als Kindswärterin im Dorf herumzulaufen. Die Wassermaus ward es nun auch überdrüssig, ihren faulen Schlingel zu füttern; er bekam nicht 49 nur schmalere Bissen, sie waren überdieß mit bösen Worten gewürzt – Christian dachte manchmal ernstlich daran, nun doch noch einen Dienst zu suchen – bis heute konnte er sich jedoch noch nicht dazu entschließen, verschob vielmehr die Ausführung von einem Tag zum andern.

Die Wassermaus ging im Sommer auf den Tagelohn, im Winter verdiente sie ihren Unterhalt durch einen Hausirhandel mit getrocknetem Obst, Mehl, Gries &c. nach den nahen Walddörfern. Böse Zungen sagten ihr nach, der Handel sei das Mäntele, mit dem sie ihr Betteln und Mausen verdecke. Thatsache ist: sie besuchte selten einen Ort zweimal und mit der Polizei kam sie häufig in Zwiespalt. Auf Dieberei ertappt ward sie nur einmal. Als sie im Herrnhof dem Hühnerstall einen stillen Besuch abstattete, kam der Herrnbauer dazu; auf der Flucht hatte sie das Unglück, sammt den Eiern in den Lindenbach zu stürzen. Trotz seines Aergers mußte der Herrenbauer lachen, ließ sie laufen und rief ihr blos nach: »Das ist mir doch eine verfluchte Wassermaus!« Daher ihr Name.

Obgleich schon dreimal angeführt, hat sie die Heirathsgedanken noch keineswegs aufgegeben; in letzter Zeit richtete sie ihre Hoffnung auf den Hasenherle, und das Bestreben, ihn an sich zu ziehen, verbitterte dem armen Christian nicht nur vollends das Leben, es verwickelte sie auch mit ihrer Nachbarin in die verdrießlichsten Händel.

In der nordöstlichen Ecke der Stube, fast vom Ofen versteckt, steht das Tischchen der Schwarzen und läßt nur einen schmalen Gang in die hintern Kammern frei. Zu verwundern ist, wie die Schwarze mit ihren zwei Kindern in 50 dem engen, dunkeln Raum auskommen kann; freilich behauptet die Wassermaus, das Eckchen sei ganz besonders für die Schwarze geschaffen, im Dunkeln sei gut munkeln. Eine Lichtfreundin ist allerdings die Schwarze nicht zu nennen, das Laster scheut ja überall das Licht – mit einem Worte: Die bleiche verfallene Person, deren Gesicht noch jetzt Spuren früherer Schönheit zeigt, ist eine Unglückliche, die Sünde ist ihr Gewerbe, ganz Bergheim kennt den Zweck ihrer Gänge in die Hauptstadt. Ansehnliche Häuser im Dorf darf sie nicht betreten, weit gehen ihr die Menschen aus dem Wege, und die Kinder deuten mit Fingern auf sie. Sie selber hat viel mit Doctoren und Apotheken zu thun, schleicht stets matt und müde herum, besonders wenn ihr eine Arbeit zu nahe kommt, rettet sie sich schleunigst in ihr Bett. Wunderlicher Weise denkt auch sie in neuerer Zeit ans Heirathen, und da sie mit ihren Absichten der Wassermaus in's Gehege tritt, gibt es dort hinter dem Ofen viel Zank, Lärm und Streit. So zerbrochen und hülflos auch die Schwarze in gewöhnlichen Zeiten herumschleicht, so herzhaft und kraftvoll wehrt sie sich gegen die Angriffe der Wassermaus; in solchen Zeitpunkten ist sie nicht wieder zu erkennen, besonders die Kraft ihrer Lungen setzt in Erstaunen, und die Wassermaus muß ihre Siege oft theuer bezahlen. Und hatte wirklich die Wassermaus Grund zur Eifersucht gegen die Schwarze? – Gewiß, nur allzuviel! – War der Geldbeutel der Schwarzen gefüllt – und sie brachte ihn selten ganz leer aus der Hauptstadt heim – dann ließ sie es sich sammt ihren Kindern wohl sein; nun hatte aber der Hasenherle von je eine Schwachheit für gute »Bißle«, 51 bereitwillig folgte er darum den Lockungen der Schwarzen und ließ sich geduldig füttern. Deswegen verachtet er jedoch die Wassermaus keineswegs; weiß er bei ihr ein gutes »Bißle« im Vorrath, kehrt er mit der unschuldigsten Miene zu ihr zurück. Gegenwärtig hat ihn einmal die Wassermaus wieder »gänzlich eingenommen«, wie das Mädle verdrießlich brummt.

 


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