Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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28. Schluß.

Fünf Jahre sind verflossen.

An einem sonnigen Sonntagnachmittag im Juli schritt ein Mann auf wenig betretenem, mit den braunen, vorjährigen Nadelleichen dicht bestreuten Waldpfad langsam unter den schlanken Fichten dahin, deren Zweige sich erst hoch oben ausbreiteten, ineinanderflochten und ein dichtes Gewölbe bildeten, in dessen grüner Dämmerung es sich gar angenehm wanderte. Kein Lüftchen kühlte die Hitze, tiefes, erhabenes Schweigen lag auf dem regungslosen Wald; nur dann und wann schallte das Klopfen des Spechtes weithin durch den Forst, manchmal erhob sich auch mit schwerem Flügelschlag ein Rabe und zog krächzend tiefer hinein in den Wald. Eben hatte der einsame Wanderer die Höhe des sanft ansteigenden Hügels erreicht, der Hochwald verschwand, steil stürzte der Berg in's Rottenthal hinab, und der kniehohe, kräftig aufsprossende Fichtenstand, der den Hang deckte, gestattete eine weite Umschau.

Vom jenseitigen Berghang zogen sich die schimmernden Schienenstränge der Eisenbahn im sanft geschwungenen Bogen über das Thal, das eine Brücke in kühnen Bogen übersprang, und verschwanden zu den Füßen des Bergheimer Schulzen in einer tiefen Felsschlucht. Dicht vor dem Eingang der Schlucht leuchtete aus den Zweigen gewaltiger Eichen und Buchen, die es halb versteckten, das schmucke Rottensteiner Bahnmeistershaus hervor, davor, zwischen Haus und Schienen, fesselte ein wundernetter Blumengarten die Blicke des Beschauers. Aber nicht die Farbenpracht der Spiegel, nicht die dunkelglühenden Blüthensträuße 252 hochstämmiger Rosenbäume, nicht die Guirlanden der Kletterrosen, die sich wie Blumenketten von einem Bäumchen zum andern zogen, lockten das glückliche Lächeln auf das Gesicht des Bergjörg. Drunten auf der Brücke stand ein schlankes Mädchen und winkte ihm mit ihrem weißen Tuch; als Antwort schwenkte der Schulz seine Mütze und eilte den Berg hinab.

Kaum ist das Schreinersmariechen wieder zu erkennen, so herrlich ist sie aufgeblüht; selbst den Schulzen kam eine Rührung an, als ihm die Jungfrau am Ausgang des Waldes die Hand reichte. »Potz Kuckuck! bist Du ein Mädle 'worden!« sagte er. »Und so vornehm! – Darf man denn noch Du sagen?«

»Ach geht, Schulz, Ihr seid ein Spötter! – Gelt, das ist nicht Euer Ernst? – Kommt, die Mutter und das Fräle erwarten Euch, die Hochzeit kann auch nicht lange mehr ausbleiben.«

»So laß Dich nur erst recht ansehen, Du Blitzmädle – Seit wann bist wieder aus der Stadt heim?«

»Seit vierzehn Tagen!«

»Ich dacht', Du bliebest gleich drinnen! – Aber was sag' ich, 's ist ja ebenso! – Na, Mariele, ich wünsch Dir von Herzen Glück, Du bist's werth! – Aber wo ist Dein Wilhelm? – und wann ist Hochzeit? Hättet's heute in Einem weg machen sollen!«

»Ach, wo denkt Ihr hin? wir sind noch viel zu jung! Mein Wilhelm ist da, ist beim Kirchgang, heut' noch reist er aber ab, er soll noch ein paar Jahre sich draußen versuchen, die Welt sehen und noch lernen. Ich bleibe so 253 lange bei seinen Eltern und kommt er brav zurück – dann – dann ist Hochzeit!«

»Und hast Du das Herz, Deinen Schatz von Dir zu lassen, Mariele? Jungen Herren, besonders wenn sie so reich und vornehm sind, ist nicht gar viel zu trauen!«

»Leicht wird mir's auch nicht,« sagte das Mädchen und ihre Augen füllten sich mit Thränen, »aber nicht deswegen. Kann er mich vergessen, wird er mir untreu, dann habe ich nichts an ihm verloren, dann ist's besser, ich trag das Leid allein für mich, als wenn wir zusammen ein elendes Leben führen müßten!«

»Ich sag's ja,« entgegnete der Schulz, »Du bist der andere Schreinerslorz, der Herrgott geb' Dir seinen besten Segen!«

»Aber, Mariele, ist das auch eine Art, so werthen Zuspruch unter den Bäumen aufzuhalten?« rief eine muntere Stimme vom Haus her, und Margelies, wo möglich noch stattlicher und frischer denn früher, eilte auf den Freund los. Hinter ihr keuchte das Bettelfräle drein, freilich noch mehr zusammengebückt, aber aus ihrem runzlichen Gesicht leuchtete das helle Glück, und ihr: »Ach Du lieb's Gottle!« klang gar zufrieden.

Kaum hatten sich jedoch die alten Bekannten begrüßt, so entstand in den Felsen der Schlucht ein Heidenlärm, in den Büschen krachte und rauschte es, drei Kinder, zwei Mädchen von zwölf und acht Jahren und ein Bube im gleichen Alter, stürzten in den Garten, aus vollem Hals schreiend: »Sie kommen, sie kommen!« Kaum waren die Wildfänge zu bewegen, dem Schulzen die Hand zu geben, 254 dann nahm Tine, das ältere Mädchen, das Fräle unter dem Arm, die kleine Schwarze zog Margelies am Rock, Emil hängte sich an den Bergjörg, und alle drängten und baten so eindringlich, wer konnte ihnen widerstehen? – lachend zog der Schwarm dem Hochzeitszug entgegen.

Durch die Rebenspaliere, die die Südfenster mit ihrem dichten Grün fast verdeckten, fielen einzelne Sonnenstreifen in's geräumige Zimmer, leuchteten wie Goldfunken vom dunkel lackirten Fußboden und blitzten auf dem funkelnden Geschirr der blüthenweiß gedeckten Tafel. Die Einrichtung des Zimmers war einfach, aber das Sopha, das Pianoforte, der wohlgefüllte Bücherschrank, die Stutzuhr auf der polirten Komode waren nicht nur Zeugen eines behaglichen Wohlstandes des Bewohners, sie bekundeten auch im Verein mit den weißen Vorhängen und den wohlgepflegten Blumen im Fenster seinen Sinn für das Angenehme und Schöne. Daß aber der Bahnmeister auch seine Vergangenheit nicht vergessen hat, verkündet eben der Kuckucksruf aus seinem Arbeitszimmer, und werfen wir einen Blick hinein, so sehen wir wirklich die alte Kuckucksuhr über dem großen, vielbenützten Schreibtisch ticken; daneben aber hat auch die alte, unscheinbare Werkbank mit sämmtlichem Werkzeug Platz gefunden, und ist so das Zimmer so recht ein Bild alter und neuer Zeit!

Unterdessen ist es lebendig im Haus geworden, der erwartete Hochzeitszug ist eingetroffen, und die Gäste haben auch schon Platz genommen. Der Ehrenplatz gebührt natürlich dem Brautpaar, und dort finden wir in der kleidsamen Uniform der Bahnwärter den Wasserchristian 255 und neben ihm das glückstrahlende Mariebärble. Beide blicken manchmal fast ein wenig stolz um sich, und sie haben ein Recht dazu, Mariebärble schmückt der jungfräuliche Ehrenkranz, und auch Christian trägt am linken Arm ein kleines Kränzchen. Neben ihnen sitzt ein anderes Brautpaar, viel schöner noch und nicht minder glücklich: Marie und ihr Wilhelm. Beide essen wenig, sie drücken sich nur immer die Hand und blicken sich in die Augen – die Scheidestunde rückt ja immer näher. Neben dem stattlichen Bräutigam, er ist trotz seiner Jugend schon Oberingenieur bei der Bahn, sitzt die Hirtenlang, eifrig bemüht, ihn zu trösten und zu erheitern. Der Margelies, der auch das Wasser in die Augen kommt, so oft sich ihre Blicke auf das junge Ehepaar und das Brautpaar neben ihnen richten, macht die Wassermaus viel zu schaffen, die gar zu gern durch ihre scharfe Zunge die Freude gestört hätte; es wurmte sie doch, daß die Hirtenlang bei ihrem Christian versorgt werden sollte, während sie im Hirtenhaus zu Bergheim bleiben mußte. Aber daran war nun einmal nichts zu ändern, Lorenz selber hatte den jungen Leuten den Rath gegeben: »Laßt Euch mit der Wassermaus gar nicht erst ein, gut thut sie doch nicht bei Euch, und Ihr habt nichts als Verdruß und Aerger. Ihr könnt ihr ja sonst dann und wann unter die Arme greifen, ihr ist das jedenfalls auch das Liebste!« Als sie heute aber gar nicht zur Ruhe kommen wollte, drohte der Bergjörg: »Wenn Ihr nicht gleich das Maul haltet, müßt Ihr bei Gott aus dem Hirtenhaus!« Das half, denn die Wassermaus will nun einmal im Hirtenhaus sterben. Ganz glückselig blickt das 256 Bettelfräle drein und versichert dem stattlichen Bahnmeister, der die Tafelrunde beschließt, alle Augenblicke: »Ach Du lieb's Gottle! 's ist zu herrlich, allzu herrlich! Und ein Jammer ist's, daß man alle Tage älter wird! Ach Du lieb's Gottle, ich bet' ja nicht um langes Leben, aber die Hochzeit von unserm Mariele, wenn ich die noch erleb' – nachher will ich gern sterben!«

Die heitere Unterhaltung – der Schultheiß hatte eben berichtet, der Hasenherle komme ganz auf Hansnikels Sprünge, rechne sich zur Geistlichkeit und mache Ansprüche auf das Obst im Gottesacker, werde aber vom Hasenfräle gar kurz gehalten – unterbrach das Geläute auf dem Telegraphenthürmchen, welches das Nahen eines Zuges verkündete. Der Schreiner erhob sein Glas: »Die neue Zeit ist strenger in ihren Forderungen als die alte; wie ihre Maschinen nach der Uhr arbeiten, verlangt sie's auch von den Menschen. Fordert sie aber strengen Dienst, so lohnt sie ihn auch wieder, bricht die Scheidewände nieder, die den Menschen einengen und am vollen Gebrauch seiner Kräfte hindern. – Wie wir versammelt sind, haben wir Alle der Neuzeit viel zu danken, besonders aber ich und das junge Ehepaar dort – ob wir ohne die Eisenbahn wohl so glücklich beisammen säßen? – Darum ein Hoch der freien neuen Zeit! und nun leert die Gläser auf das Wohl der beiden Brautpaare, deren Vergangenheit und Zukunft so eng mit der Eisenbahn verknüpft ist!«

Christian mußte nun in den Dienst, hatte Bahnübergänge zu sperren, und die ganze Gesellschaft begleitete ihn in's Freie. Als der Zug vorüber war, sagte Christian: 257 »Herr Oberingenieur, 's ist wunderlich, aber Sie dürfen mir glauben, die Arbeit ist doch das Schönste an meinem Ehrentag!«

»Ich verstehe!« lächelte dieser. »Es ist das die Freude der Selbstüberwindung, der wahren Pflichttreue; erst durch die Unterordnung unter das Allgemeine, dem jedes persönliche Interesse nachstehen muß, verdienen wir wahrhaft die Freuden des Lebens!«

»Ja, ja, so wird's sein!« meinte Christian mit einem Seitenblick, der zu sagen schien: »Donnerwetter, das ist mir zu hoch! Das Mariele hat sich einen grausam gelehrten Schatz 'rausgesucht – aber gut ist er, und kein Linsele stolz, man muß ihn gern haben!«

Nun kam eine große Trennung über die Gesellschaft; nach herzlichem Abschied vom Ingenieur, Margelies drückte ihn weinend an sich, gingen die Weiber und Kinder, auch der Bergjörg, mit dem Brautpaar hinab in ihre Wohnung, wohin auch Lorenz und Marie nachzukommen versprachen, wenn sie Wilhelm zur nächsten Bahnstation geleitet.

Eine Weile schritten die Drei still neben einander auf der Bahn dahin. In der Mitte des Durchstichs blieb Lorenz plötzlich stehen und sagte: »Hier an dieser Stelle habe ich den schrecklichsten Augenblick meines Lebens durchlebt, ich gehe nie vorüber, ohne die Hände zu falten und still zu beten – hier muß ich Dir eins sagen. Ich und Dein Vater sind seit dem Tag, da er mir die Anstellung als Bahnmeister überbrachte, Herzensfreunde geworden; Deine Eltern haben darnach Marie zu sich genommen und 258 gehalten wie ihr Kind – Du weißt, wie Du bei uns angesehen warst! – Daß Du und Marie jemals ein Paar werden könntet, habe ich nie erwartet, aber als Deine Eltern selbst für Dich um meine Marie anhielten, – da, Wilhelm, habe ich gemeint, das sei des Glückes fast zu viel! – Und doch drückt mich je länger je mehr eine große, große Sorge! – Wilhelm, Du bist – laß mich reden! – Du bist ein Mensch, von Gott besonders begabt, bist reich, vornehm, unter den reichsten und vornehmsten Fräulein hättest Du wählen können – Wilhelm, unter Gottes freiem Himmel, hier vor Deiner Braut frage ich: Dünkst Du Dich nicht doch im Stillen etwas Besseres als das arme Bahnmeistersmädle? ist es nicht ein augenblickliches Wohlgefallen, was Dich zu ihr zieht, ist Dir noch nie, nur ganz, ganz leise der Gedanke kommen: Das wird wenigstens einmal eine bequeme Frau?«

»Kennst Du mich so wenig? – Eigentlich sollten mich solche Zweifel kränken – aber ich weiß ja, ich bin doch Dein Wilhelm! Und nun nur 'runter mit, was Dir noch auf dem Herzen liegt, ich weiß ja doch, wozu das nur die Einleitung war. Du wolltest mir doch nur sagen, daß Du nach meinem Reichthum, nach meinem vornehmen Stand gar nichts fragst, daß Dein Mariele für den Besten noch viel, viel zu gut ist, und daß Du lieber tausendmal in's bitterste Elend zögst, eh' Du Dein Kind verachtet und verunehrt sehen möchtest – –«

»Wilhelm, ich habe mich nicht in Dir geirrt – ja das wollte ich Dir sagen!« unterbrach ihn Lorenz und zog ihn an sein Herz. »Ja, Wilhelm, ich bin auch stolz, 259 und ehe ich mein Kind um äußere Dinge wegwerfe –:nein, Du bist brav, in Deinen Händen ist mein Mariele gut aufgehoben. Merke Dir, Wilhelm, was Du auch Deiner Braut zu bieten hast, Reichthum und ein angenehmes Leben, das ist in ihren und meinen Augen Spreu, Wind; was uns stolz macht, bist nur Du allein, Du und Dein gutes, braves Gemüth. Das läßt Dir auch meine Margelies sagen: Du bist uns wie ein eigen Kind, aber nur Du, und auch Du nur, wie Du jetzt bist! – Hier wollen wir scheiden! Ich sage nicht, halte Dich wacker, Du mußt wissen, was Dir der Preis gilt, der nur einem braven, rechten Mann aufbewahrt wird. – Macht Euch jetzt das Herz nicht zu schwer – Eure Zukunft liegt ja in Euren Händen! – Gott segne Euch! – Ich traue Euch, ich weiß, Ihr werdet glücklich sein! – Und Du, Wilhelm, wirst es nie bereuen, ein Weib zu haben, die ein schweres Jahr im Hirtenhaus verlebte! –«

 


 


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