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Dreißigstes Kapitel.
Auf der Heimkehr.

Wie mir später mitgeteilt wurde, blieb ich vier Tage bewußtlos. Während dieser Zeit soll ich im Fieberwahn immer aufs neue die Geschichte der Meuterei und all unserer Leiden erzählt haben, wenigstens versicherte mir der Schiffsarzt lachend, als ich nach wiedererlangter Besinnung davon anfangen wollte, er kenne meine Reise auf dem ›Grosvenor‹ mit allen Einzelheiten von Anfang bis zu Ende schon ganz genau. Selbst so fernliegende Vorfälle, wie das Ingrundbohren der Schmake hatte ich nicht vergessen zu erzählen. Er wußte in der Tat alles.

Doch ich darf nicht vorgreifen und muß den Faden wieder aufnehmen.

Als ich die Augen öffnete, befand ich mich in einer kleinen, sehr behaglichen Koje und lag im Bett. Ich wußte nicht, wo ich war und konnte mich auch auf gar nichts besinnen. Alles, worauf mein Blick fiel, war mir fremd, und besonders das konnte ich durchaus nicht begreifen, was das schwirrende Geräusch der Maschine zu bedeuten hatte.

Ich schloß die Augen wieder, um mir besser zurückrufen zu können, was eigentlich mit mir vorgegangen sei; mein Kopf war aber so wirr, daß ich mich fast für einen abgeschiedenen Geist gehalten hätte; doch ließ sich mein reger Appetit und heftiger Durst damit nicht in Einklang bringen.

Nach einigen Minuten wurde die Tür meiner Koje geöffnet und ich sah einen Mann mit rotem Gesicht und schottischer Mütze in derselben stehen. Er kam gleich auf mich zu und rief mit heiterer Stimme: »Na, wieder lebendig? Sehen sich verwundert um? Nichts so gut als Neugier zeigt bei einem Kranken, daß das Blut wieder richtig zirkuliert.«

Dann fühlte er meinen Puls und fragte mich, ob ich wüßte, wer er wäre.

Ich sagte: »Woher soll ich das wissen, ich habe Sie noch nie gesehen.«

»So, das gefällt mir; mich noch nie gesehen, und ich bin doch jeden Tag so und so oft hier gewesen. Hungrig, was?«

»Sehr.«

»Durstig?«

»Noch mehr.«

»Und wie steht's sonst?«

»Ganz gut, bis auf den eigentümlichen Umstand, daß ich mich nicht besinnen kann, wer ich bin und was eigentlich mit mir passiert ist.«

»So, so,« sagte er, indem er mich einen Augenblick nachdenklich ansah, dann aber mit einem heiteren Lächeln auf seinem jovialen Gesicht fortfuhr: »Das wird sich wohl bald ändern, wollen wir schon kriegen; werde Ihnen etwas Bouillon schicken durch eine Person, die besser als ich imstande sein wird, Sie schnell wieder auf die Beine zu bringen. Aber ich bitte mir aus, keine Aufregung, hübsch ruhig sein, nicht zu viel sprechen.«

Damit nickte er mir freundlich zu und ging. Ich machte wieder die Augen zu und dachte nach, was er wohl gemeint haben könne, meine Gedanken gingen aber wirr durcheinander, es war, als wäre ich eben erst geboren.

Nach zehn Minuten etwa hörte ich wieder meine Türe gehen; ich sah hin, und wie ein Schlag durchfuhr mich's, meine Geisteserstarrung wich von mir, ich erkannte meine Mary. Mit einem Aufschrei streckte ich meine Arme nach ihr aus, und die Tasse, welche sie trug, schnell aus der Hand stellend, flog sie auf mich zu, warf sich über mich, legte ihren Kopf auf meine Brust und schluchzte herzbrechend.

»Ach du mein Engel, mein geliebtes Kind,« flüsterte ich, mit vor Tränen erstickter Stimme, »bist du es wirklich? Dem gnädigen Gott sei Dank. Eben noch fehlte mir jede Erinnerung, nun ich aber dich wieder in den Armen halte, kehrt mein Gedächtnis zurück.«

Ohne ein Wort hervorbringen zu können, schmiegte sie sich noch eine kleine Weile an mich, während ich ihr zärtlich die Wange streichelte; dann aber hob sie plötzlich den Kopf und sagte mit einem rührend liebevollen Ausdruck:

»Ich dachte, ich würde nie wieder mit dir sprechen können, ach, du warst so krank. Was habe ich in den Tagen gelitten und ausgestanden! Aber ich bin recht schlecht; ich habe dem Doktor versprochen, mich ganz ruhig zu benehmen, dich nicht aufzuregen und nun bin ich doch so schwach gewesen. Ach Gott, wenn es dir nur nicht geschadet hat, daß ich mich nicht beherrschen konnte. Nun sei auch recht ruhig, mein Liebling, hier trink schnell, das wird dir gut tun, warte, ich will dir die Tasse halten; siehst du, so; nein, sei still, sei artig. Wie danke ich dem lieben Gott, daß er mir Kraft gegeben hat, dich zu pflegen, und daß ich dich jetzt füttern kann.«

Während sie so sprach und mich ganz behandelte wie ein Kind, betrachtete ich sie mit unaussprechlichem Entzücken; ihre Worte, der Tonfall ihrer Stimme, waren für mich eine so liebliche Musik, wie ich sie im Leben nie schöner gehört hatte.

Es fehlte mir etwas, als sie nicht mehr sprach, während sie mir die Tasse an den Mund hielt; nachdem ich ein paar Schluck getrunken, fragte ich: »Wie lange ist es her, daß wir an Bord dieses Schiffes sind?«

»Vier Tage. Ich will dir alles erzählen, aber trinke dabei.«

Um ein Haar hätte sich die ganze Brühe über mich ergossen, denn ich mußte lachen, weil sie mir in ihrer Sorge, daß ich vielleicht noch mehr sprechen wolle, die Tasse ordentlich mit Gewalt gegen die Lippen drückte. Sie erschrak über mein Lachen, fuhr mit der Tasse zurück und sagte: »Nein, lachen darfst du auch nicht, die Geschichte ist gar nicht lächerlich, und du sollst dich durchaus nicht aufregen. Also, nachdem ich auf Deck gebracht war, sammelten sich eine Menge Menschen um mich und leuchteten mir mit ihren Laternen ins Gesicht. Eine Frau faßte mich am Arm und wollte mich in die Kajüte führen; ich sagte ihr aber, daß ich auf dich warten wolle. Da erfuhr ich, daß du ohnmächtig in den Armen des Hochbootsmanns lägest, ich hörte sogar Stimmen, welche äußerten, du wärest tot. In diesem Augenblick war mir, als müsse ich umsinken; mir flimmerte es plötzlich vor den Augen, doch ich nahm alle Kraft zusammen und stürzte wieder nach der Treppe. Da sah ich, daß man dich herauftrug. Ich rief nach dem Schiffsarzt. Man zeigte ihn mir. Er erwartete dich schon. Händeringend flehte ich, er möge sich deiner annehmen, dich mir wieder geben. Was ich in der Angst alles gesagt habe, weiß ich nicht; der gute Mann war gleich sehr freundlich zu mir, sprach mir Mut ein und versicherte, daß er tun würde, was in seinen Kräften stände. Darauf stieg er ein paar Stufen hinunter und half dich heraufschaffen. Als man dich dann einen Augenblick auf Deck niederlegte, warf ich mich weinend über dich; ich dachte wirklich, du wärest tot, wie du so still und bleich dalagst. Der Doktor aber hob mich auf und sagte, vorderhand gehörtest du ihm, und er müsse dich zu Bett bringen, ich solle mich nach der Kajüte begeben, dorthin würde er mir Nachricht bringen. Ich sah ein, daß ich vernünftig sein müsse, und ließ mich hinunterführen. Die Leute waren alle rührend gut zu mir, und als endlich auch der Doktor kam und mir mitteilte, er hoffe dich in wenigen Tagen wieder munter zu sehen, da ließ ich mich bereden, in die Koje zu gehen, die man mir anwies, und mich niederzulegen. Ich dachte nicht, daß ich schlafen könnte, aber ich bin dann, während ich immerfort für dich betete, doch eingeschlafen und am andern Tage erst sehr spät, aber vollständig gestärkt erwacht. Gegen meine Bitte, dich pflegen zu dürfen, hatte der Doktor nichts einzuwenden, und so bin ich auch kaum von deiner Seite gewichen. Es ist wirklich hart für mich, daß du gerade zum Bewußtsein kommen mußtest, als ich dich eben einmal auf ein paar Minuten verlassen hatte.«

Während sie dies erzählte, gab sie mir ab und zu einen Schluck aus der Tasse, und ich war glücklich, zu erkennen, daß, wenngleich die geistigen und physischen Leiden Spuren auf ihrem schönen Gesicht zurückgelassen hatten, sie im ganzen doch wohl und gesund aussah. Nur eins kam mir fremd an ihr vor, nämlich ein sehr schlecht sitzendes, schwarzseidenes Kleid, das sie anhatte. Auf meine Frage lachte sie heiter und teilte mir mit, daß es ihr von einer Dame geliehen worden sei.

»Warum stehst du auf?« rief ich, als sie sich jetzt plötzlich erhob.

»Weil ich fort muß,« entgegnete sie, »der Doktor hat mir nur unter der Bedingung erlaubt, dich zu besuchen, daß ich nicht länger als fünf Minuten bei dir bleibe.«

»Ach was, Unsinn! Ich denke nicht daran, dich jetzt fortzulassen. Deine Anwesenheit gibt mir alle Kraft zurück, die ich verloren habe. Wie schäme ich mich meiner Schwäche. Ich, ein Seemann, der abgehärtet sein sollte gegen alle Arten von Entbehrungen, so plötzlich zusammenklappen wegen eines Schiffbruchs! Es ist ein Skandal. Liebchen, du bist ein viel besserer Seemann als ich. Ich werde mir Nadel und Zwirn kaufen und in die Zeitung setzen, daß ich Flickarbeit übernehme. Ich bin zu nichts weiter fähig.«

»Sprich nicht so dummes Zeug; sei still, oder ich gehe auf der Stelle.«

»Versuch's doch einmal, ich halte dich fest.«

»Ach du armer Schelm, du sagtest doch noch eben, ich wäre stärker als du.«

»Das sage ich auch noch, denn wenn du nicht in vielen Momenten so stark gewesen wärest und mir wieder neuen Mut gemacht hättest, wären meine Kräfte viel eher zu Ende gewesen. Du allein warst mein Halt, du allein warst es, die ...«

Sie schloß mir den Mund mit der Hand und rief: »Nun sollst du aber kein Wort mehr sprechen, du unartiger Mensch, du! Wer war es denn, der uns rettete? Wer hat denn all die schrecklichen Pläne der Meuterer zuschanden gemacht, für uns gewacht, tagelang kaum die Augen zum Schlafe geschlossen, den furchtbaren Stevens und den andern riesenhaften Kerl im Kampf getötet und dann nach übermenschlicher Anstrengung und Arbeit das Schiff durch den furchtbaren Sturm geführt? Nein, Liebster, was du geleistet hast, würde einen andern wohl umgebracht oder ihn wahnsinnig gemacht haben. Ein wahrer Held bist du gewesen, und so lange es Gott gefällt, uns für einander zu erhalten, wirst du in meinen Augen auch immer ein Held bleiben.«

Sie gab mir plötzlich einen Kuß, zog ihre Hand aus der meinen, sprang nach der Tür, drehte sich noch einmal schelmisch lächelnd um und rief: »Jetzt wird aber ganz artig geschlafen.«

So schnell war sie zur Tür hinaus, daß ich gar nicht mehr zu Worte kam. Ich armes, elendes, unglückliches Geschöpf, daß ich ihr nicht nachlaufen konnte, daß ich hier einsam und verlassen liegen mußte! Der Doktor war doch ein unglaublich dummer Mensch, daß er sich einbildete, ihre Unterhaltung könne mir schaden. Hätte er nicht das einfältige Verbot gegeben, würde ich mich jetzt nicht ärgern, dachte ich. Unsinn, infamer, es ist doch zum Lachen, um mich nicht aufzuregen, reizt er meinen Appetit und zieht die Speise zurück, wenn ich zulangen will. Das ist die rechte Art, einen Kranken zu behandeln. In meinem Groll kam mir schließlich der Gedanke, aufstehen zu wollen. Ich machte mich auch sofort an den Versuch; aber du lieber Gott, wie kläglich fiel er aus, kein Glied wollte parieren, jedes kleine Kind hatte mehr Kraft, wie ich. Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal und dachte, welche Tageszeit es wohl sein möchte, und ob ich hoffen könnte, daß sie mich heute noch einmal besuchen würde. Während ich mich aber noch bemühte, durch das runde Fenster über mir nach dem Himmel zu sehen, schlief ich ein.

Mein Schlaf dauerte mehrere Stunden, dann erwachte ich, nicht wie das erstemal, wirr und ohne jede Erinnerung, sondern wie neugeboren, mit einem köstlichen Gefühl der Erquickung und wiedergewonnener Kraft.

Als ich die Augen aufschlug, standen drei Personen an meinem Lager; die eine war meine Herzallerliebste, die andere der Doktor, und der dritte ein hagerer, ältlicher, sonnverbrannter Herr, in weißer Weste mit goldenen Knöpfen und leichter, blauer Jacke.

Der Doktor fühlte meinen Puls und sagte dann: »Na, Miß Robertson, der junge Mann hat jedenfalls wieder Appetit, wenn Sie ihm eine Tasse Brühe holen wollen, wird er sie mit Dank annehmen.«

Sie warf mir hinter dem Rücken der beiden andern eine Kußhand zu und ging mit strahlendem Lächeln hinaus.

»Dies ist Kapitän Craik, Mr. Royle,« fuhr der Doktor fort, auf den Herrn in der weißen Weste deutend, »Kommandeur des Schiffes ›Peri‹.«

Ich streckte ihm sofort die Hand entgegen und sprach ihm meinen wärmsten Dank für die Menschenfreundlichkeit und Güte aus, mit der er uns aufgenommen hatte.

»Sprechen Sie nicht davon,« erwiderte er, »ich preise mich glücklich, daß es mir vergönnt war, zwei so wackere Seeleute, wie Sie und Ihren Hochbootsmann, vom Untergang zu retten, und Ihre reizende Verlobte aus allen Schrecknissen und Gefahren zu befreien. Miß Robertson hat mir ihre ganze Geschichte erzählt, und ich kann nur sagen, Sie haben mit wahrem Heldenmut ein Seemannsstück ausgeführt, wie es schwieriger nicht gedacht werden kann; ich gratuliere Ihnen herzlich dazu.«

Ich dankte ihm für seine freundlichen Worte und versicherte ihn, daß ich, für meine Person, nur den kleineren Teil seines Lobes in Anspruch nehmen dürfte, der Mann, dem verdientermaßen die höchste Bewunderung gebühre, sei der Hochbootsmann.

»So mögen Sie die Ehre teilen,« sagte er lächelnd. »Der Hochbootsmann ist schon der wahre Held hier auf dem Schiff. Meine Mannschaft betet ihn förmlich an. Wenn Sie für ihn nichts Besseres im Sinne haben, so können Sie ihn mir überlassen; ich weiß den Wert solcher Leute zu schätzen.«

Damit ging er nach der Tür und rief; gleich darauf kam mein treuer Gefährte herein. Ich reichte ihm die Hand, und der brave Kerl drückte sie mir mit wahrhaft leidenschaftlicher Herzlichkeit.

»Sir!« rief er und seine Stimme zitterte, »dies ist ein glücklicher Augenblick für mich. Als ich dachte, ich würde Sie nicht mehr lebend wiedersehen, ging es mir so zu Herzen, daß ich heulen mußte wie ein altes Weib. Ich hätte den alten Herrgott da oben nicht mehr verstanden, wenn er Sie hätte sterben lassen, gerade in dem Augenblick, als all die schwere Not, die Sie haben durchmachen müssen, ein Ende nahm, und Sie der Hoffnung entgegengingen, das tapfere, hochsinnige Mädchen zu heiraten, welches Ihnen der Allmächtige, wie ich mir so dachte, in den Weg geführt hatte, damit Sie sich miteinander ausfinden sollten. Nachdem, was wir beide miteinander erlebt hatten, hätte ich wahrhaftig lieber meinen rechten Arm und ein Bein, ja meinetwegen auch mein rechtes Auge noch obendrein verloren, als Sie jetzt sterben zu sehen, nun Sie Ihr Leben eigentlich erst beginnen und genießen sollen im Hafen der Ehe und des Glücks, mit einer so schönen und so richtigen, echten, braven Seemannsfrau.«

Während dieser langen Rede standen dem guten Burschen fortwährend Tränen in den Augen; er sah bald mich, bald Mary an, und als er geendet hatte, wischte er sich mit dem Rücken der Hand über die Augen. »Na, na, lieber, alter Freund,« rief ich und schüttelte ihm noch einmal herzlich die Hand; »Sie haben viel zu viel gesagt, Ihr Herz ist wieder einmal mit Ihnen durchgegangen, aber wir verstehen uns beide, Sie wissen am besten, welchen Dank ich Ihnen schulde.«

Weiter sagte ich nichts; alles Übrige hatte Zeit, bis wir einmal allein waren. Ich bemerkte noch, daß er eine Sammetweste trug und eine Tuchmütze in der Hand hielt, die reich mit Tressen besetzt war. Solche Gegenstände konnten nur aus dem Vorderkastell stammen; es mußten Geschenke der Mannschaft sein, und ich schloß daraus, daß der Kapitän nicht zu viel gesagt hatte, als er mir erzählte, der Hochbootsmann sei der reine Abgott seiner Leute geworden.

Ich erkundigte mich jetzt nach dem Steward, worauf der Kapitän Craik mir mitteilte, es ginge ihm den Verhältnissen nach ganz gut, er wandere harmlos auf dem Deck umher und lächle die Leute an, spräche aber fast nie ein Wort.

Hierauf fragte ich, wohin die Reise des Schiffes ginge und vernahm zu meiner großen Freude, daß es auf der Heimreise von Jamaika nach Glasgow begriffen sei.

»Ich hoffe, Sie in sieben Tagen an Land setzen zu können,« fügte der Kapitän hinzu, »und bedaure nur, daß es mir nicht auch vergönnt ist, Mr. Robertson mit Ihnen zusammen der Heimat zuzuführen. Vor einigen Jahren sah ich ihn das letztemal in Liverpool, wo ich geschäftlich mit ihm zu tun hatte. Er war ein liebenswürdiger, alter Herr. Damals hatte ich nicht gedacht, daß er so traurig enden und es mir vorbehalten sein würde, seine Tochter mitten auf dem atlantischen Ozean in einem offenen Boot aus gefahrvoller Lage zu retten.«

»Ja, Gott sei gelobt, Sir, der Sie uns sandte,« rief ich. »Was wir alles erlebt und durchgemacht haben, wissen Sie ja; aber schwerlich können Sie den Mut, die Seelengröße, die Geistesstärke ermessen, welche dieses junge Mädchen, meine jetzige Braut, unter allen Verhältnissen bewahrte. Gebührende Bewunderung vermag nur der ihr zu zollen, der alle diese Erlebnisse mit ihr teilte. Sie ist ein seltenes, unvergleichliches Geschöpf.«

»Ja, gewiß,« erwiderte der Kapitän lächelnd, »Sie sind ein beneidenswerter Mann; die junge Dame besitzt einen ganz eigenartigen Zauber; nichts hat mir in den letzten Tagen größeren Genuß gewährt, als sie erzählen zu hören. Sie haben das Glück gehabt, die Liebe eines Mädchens zu gewinnen, auf die jeder stolz sein könnte, und dann ist es auch nebenbei gar nicht zu verachten, daß sie eine so reiche Erbin ist.«

»Das will ich meinen,« lachte der Doktor. »Weiß Gott, Herr, Sie müssen ein Sonntagskind sein, daß Sie unter Mord, Totschlag, Schiffbruch und was weiß ich alles, solche herrliche Perle fanden. Das passiert nicht jedermann.«

»Was sie an Vermögen besitzt, weiß ich nicht,« entgegnete ich. »Ich weiß nur, daß ihr Vater Schiffsreeder war, und daß ich sie unter den traurigsten Verhältnissen der Welt als die hingebendste, liebevollste Tochter kennen und dann als das anmutigste, unerschrockenste, tapferste Mädchen lieben lernte. Ich würde sie geheiratet haben, wenn sie auch nichts besessen hätte als die Kleider, die sie auf dem Leibe trägt.«

»Freilich, freilich,« sagte der Doktor, »so spricht die Liebe immer, aber Brot gehört doch auch dazu, von der Liebe allein kann niemand leben.«

»Ach was, Doktor,« fiel der Kapitän hier ein, »in solchen Dingen können Sie alter Hagestolz gar nicht mitsprechen, was verstehen Sie von Liebe und besonders von der Liebe eines Seemanns?«

»Aber mein teurer Sir, Sie werden doch nicht sagen wollen, daß ein Goldstück nicht mehr wert ist, als ein Kupferpfennig? Eine Erbin nicht besser, als ein armes Ding?«

»Nehmen Sie's nicht übel, aber Ihr Gleichnis hinkt. Ich habe immer gefunden, daß eine gute Frau, gleichviel ob arm oder reich, für jeden rechtschaffenen Mann ein besonderes Geschenk des Himmels ist, für das er seinem Schöpfer nicht dankbar genug sein kann. Übrigens wollen wir das Thema jetzt ruhen lassen und unserer Wege gehen, denn ich höre Miß Robertson zurückkehren.«

Sie reichten mir beide die Hand und verließen meine Koje, als meine Braut wieder eintrat und mir die stärkende Bouillon brachte.


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