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Achtzehntes Kapitel.
Befreit.

Die Leute waren inzwischen fieberhaft geschäftig, den letzten Proviant in das Seitenboot zu verstauen. Sie pfiffen lustige Lieder und lachten und scherzten in bester Laune, als ob sie im Begriff ständen, eine Vergnügungsreise anzutreten.

Und ich! Mein Gott, welche Folterqualen stand ich aus! Was geschah in diesem Augenblick dort unten oder was war vielleicht schon geschehen? Lag der Elende, von der Eisenstange des Hochbootsmanns getroffen, tot im Kielraum, oder hatte er den Hochbootsmann vielleicht im Schlafe überrascht und umgebracht? Jede Minute wurde mir zur Stunde; eine Ewigkeit verging; die Sonne sank allmählich im Wasser; die meisten Leute waren schon in die Boote gestiegen, nur vier sah ich noch auf Deck, sie blickten zuweilen nach mir, zuweilen in die Kajüte, zuweilen nach vorn, aber keiner von ihnen sprach.

Plötzlich – ich erschrak, als ob mir ein Geist erschienen – sah ich den Zimmermann eilig um die Küche herumkommen und nach der Fallreepstreppe schreiten.

»Macht, daß ihr ins Boot kommt, Jungens!« schrie er.

Wie Ratten, die ein sinkendes Schiff verlassen, sprangen sie einer nach dem andern ins Langboot, zuletzt der Zimmermann; sie warfen die um ein Rußeisen geschlungene Bootsleine los, nahmen das Seitenboot ins Schlepptau und stießen ab. In wenigen Minuten waren beide Boote ungefähr drei Kabellängen entfernt, hier hielten sie an; sämtliche Leute starrten jetzt erwartungsvoll durch das Halbdunkel nach dem Schiff herüber.

Während dies alles geschah, hatte ich dagestanden wie einer, in dem das Leben plötzlich erloschen ist; das Entsetzen hatte mich komplett gelähmt. Als ich den Zimmermann zurückkehren sah, war ich vollkommen überzeugt, daß er den Hochbootsmann getötet hatte. Allmählich aber fand ich, daß sein Benehmen zu dieser Annahme nicht stimmte. Wenn der Hochbootsmann ihn angegriffen und er diesen dabei totgeschlagen hatte, so würde er sicherlich nicht das Schiff verlassen, ohne noch eine besondere Rache an mir zu nehmen, denn er mußte dann mich als den Urheber der Verschwörung gegen sein Leben erkannt haben.

Was bedeutete denn aber sein ruhiges Wesen bei der Rückkehr, seine völlige Nichtbeachtung meiner Person, als er das Schiff verließ? War der Hochbootsmann in seinem Versteck gestorben? Bei diesem Gedanken erstarrte mir alles Blut in den Adern. Ja, das war es, er war gestorben, der Zimmermann hatte freies Spiel bei seiner Tat gehabt, und während ich hier stand, stürzte das Wasser in den Kielraum.

Halb wahnsinnig flog ich förmlich über das Deck nach der Vorderluke und schrie hinein:

»Heda! Hochbootsmann!«

Keine Antwort.

»Heda! Hochbootsmann!« rief ich noch einmal mit aller Kraft, die mir die Angst gab.

Wiederum keine Antwort, nur einen dumpfen, dröhnenden Ton glaubte ich von unten herauf zu vernehmen.

»Hallo! Hochbootsmann! So antworten Sie doch um aller Heiligen willen,« brüllte ich zum drittenmal.

Jetzt hörte ich deutlich einen knirschenden Laut, wie wenn jemand etwas zerträte.

»Donner und Wetter! Mann! So geben Sie doch nur ein Lebenszeichen von sich; ich bin es, Royle ist es, der Sie ruft.«

»Sind die Lumpenhunde abgezogen?« erklang nun endlich zu meiner Erlösung die ruhige Stimme des Gerufenen, und seine Gestalt kam unter der Luke zum Vorschein.

Ein tiefer Atemzug entrang sich meiner Brust bei seinem Anblick. »Gott sei gelobt, daß Sie da sind,« keuchte ich, »aber warum lassen Sie mich denn fortwährend schreien und vor Angst beinahe verrückt werden? Ich dachte schon, Sie wären tot.«

»Das tut mir leid,« antwortete er, »aber ich mußte doch erst wenigstens zwei zustopfen, ehe ich kommen konnte, jetzt ist nur noch eins zu verstopfen.«

»Was denn? Was meinen Sie?«

»Nun, was denn anders als Bohrlöcher. Warten Sie noch ein paar Minuten, dann komme ich rauf, jetzt muß ich das letzte noch schnell verpfropfen.«

Damit verschwand er wieder in dem dunkeln Raum.

Während ich ihn hämmern und klopfen hörte, bemächtigte sich meiner eine neue verzehrende Angst. Mir fiel ein, daß Stevens vergessen hatte, den Bootskompaß mitzunehmen, jeden Augenblick konnte er das bemerken und noch einmal an Bord zurückkehren. Schon wollte ich in meiner Ungeduld dem Hochbootsmann zurufen, er solle sich beeilen, als er aus der Luke heraufstieg.

»Sind Sie fertig?« rief ich.

»Jawohl.«

»Alles dicht?«

»Fest wie eine Kokosnuß.«

»Dann kommen Sie schnell; die Brise ist zwar schwach, aber doch hinreichend, die Segel zu füllen. Wir wollen die großen Raaen stellen und dem Schiffe Fahrt geben. Die Halunken warten, um uns untergehen zu sehen; sie haben ihr Segel noch nicht gesetzt. Die Dunkelheit wird sie nicht gleich erkennen lassen, was wir tun. Los denn! Hurra!«

Wir sprangen beide nach dem Großmast, unterwegs blieb ich aber doch einen Augenblick stehen, um einen Blick nach den Booten zu werfen. Sie befanden sich noch in derselben Entfernung, in der sie nach dem Abstoßen beigelegt hatten, da sah ich, daß sie jetzt dicht nebeneinander lagen und, wie es mir schien, durch Umladen das Seitenboot erleichterten.

»Wir haben keine Zeit zu verlieren, Mr. Royle,« mahnte der Hochbootsmann, »kommen Sie. Ist der Steward da?«

»Ja, er ist unten.«

»Dann bitte, holen Sie ihn, ich werde hier inzwischen alles vorbereiten.«

Ich lief nach der Kajüte und rief dem Steward; er kam sofort.

»Mach, daß du auf Deck kommst,« rief ich ihm hastig zu, »du wirst den Hochbootsmann oben finden – Miß Robertson!«

Sie hatte meine letzten Worte schon gehört und ihre Tür geöffnet; sie vermochte kein Wort hervorzubringen, der Blick aber, mit dem sie mich ansah, überwältigte mich beinahe.

Einen Augenblick war ich vor Erregung sprachlos, dann aber reichte ich ihr die Hand und sagte: »Nun, Steuermann, ans Rad!«

Sie war schon fast oben, noch ehe ich ausgesprochen hatte.

Der Hochbootsmann hatte inzwischen auf der Steuerbordseite die großen Brassen losgeworfen und als ich herbeieilte, holten er und der Steward schon an. Ich warf das ganze Gewicht meines Körpers nun ebenfalls auf das Tau und zog mit der Kraft von zweien.

Zwischendurch rief ich Miß Robertson zu:

»Steuerbord das Ruder!« und wir sahen, mit welch unerwarteter Kraft und Gewandtheit sie in die Spaken griff, das Schiff folgte sofort.

»Bei Gott, das Mädchen ist ein Wunder!« rief der Hochbootsmann ganz Feuer und Flamme.

Dasselbe konnte ich von ihm sagen. Ich dachte, doch auch Kräfte zu haben, aber gegen ihn kam ich mir wie ein Kind vor. Wie Eisenknoten traten seine Muskeln auf den nackten Armen hervor; er arbeitete mit der Kraft eines Riesen.

Langsam kam die große Raa herum, und mit ihr gleichzeitig gingen auch die über ihr stehenden Segel in den Wind.

Ich sprang nun nach der Luvseite, um dort am Tauwerk noch etwas in Ordnung zu bringen, stutzte aber plötzlich und horchte; gleich darauf gellte mein Schrei über Deck:

»Sie sind hinter uns drein! Sie verfolgen uns!«

Furchtbares Gebrüll, untermischt mit schrecklichen Flüchen, drang von den Booten zu uns herüber, und unmittelbar darnach hörten wir auch schon das Schlagen und Knarren der Riemen des Seitenboots. Dasselbe wurde mit solcher Gewalt vorwärts getrieben, daß wir bald den Schaum leuchten sahen, der an seinen Backen hoch emporspritzte.

Das Langboot schien erst sein Segel zu takeln; diese Arbeit konnte aber nicht lange dauern, und sobald sie beendet war, mußte es für das Boot, da es sich windwärts von uns befand, ein leichtes sein, uns einzuholen.

Als das Seitenboot näher kam, erkannte ich, daß vier Mann ruderten und ein fünfter steuerte. Die Stimme des letzteren war die von Stevens.

Das Schiff hatte gerade Fahrt genug erlangt, um dem Steuer zu gehorchen. Ich rief Miß Robertson zu, dasselbe stetig zu halten, und nahm alsdann mit dem Hochbootsmann und dem Steward Stellung gegen unsere Verfolger, die auf die Steuerbord-Püttingen zuruderten.

Jeder von uns war mit einer kurzen, aber wuchtigen Eisenstange bewaffnet. Die meinige hatte ich vorderhand beiseite gelegt, um in der Führung des Revolvers nicht behindert zu sein. Mit einer wahren Wollust dachte ich an den heißen Empfang, der den Halunken bevorstand, und hohnlachend hörte ich die Flüche des Zimmermanns auf uns, und seinen Schwur, mit uns ein schnelles Ende machen zu wollen.

Fester faßte ich meinen Revolver, um den Bösewicht zu erschießen, sobald er in meinen Schußbereich käme; diese Absicht gab ich aber aus Haß und Rachsucht bald wieder auf, da ich mir sagte, daß, wenn ich ihn auf seinem Sitz im Boote niederschoß, die andern vor Schreck sofort umkehren und fliehen würden. Das wollte ich aber nicht, die Schufte sollten alle miteinander dranglauben. In meiner Stellung im Schiff fühlte ich mich so überlegen, daß ich beschloß, sie ruhig erst längsseit und in die Püttingen kommen zu lassen. Die Vernichtung aller fünf Kerle schien mir um so mehr geboten, als ich durch dieselbe den Insassen des Langboots, welche nunmehr auch auf uns zukamen, einen heilsamen Schrecken einzujagen hoffte.

Ich warf schnell noch einen Blick auf Miß Robertson, sie steuerte so ruhig wie ein alter wetterfester Seemann, dann sandte ich noch ein kurzes Stoßgebet zum Himmel um ein glückliches Bestehen des Kampfes, und wandte meine volle Aufmerksamkeit dem Boote zu.

Es rauschte heran, die Leute warfen die Ruder hinein, der Mann am Bug packte ein Rußeisen, schlang die Bootsleine hindurch, zog sie kurz und befestigte sie mit unglaublicher Schnelligkeit. Dann zogen alle ihre Messer und enterten in die Püttingen. Es waren, wie ich jetzt sah, außer Stevens der lange Johnson, Cornish, Fisch und der Holländer.

Ich allein war ihnen sichtbar; der Hochbootsmann und der Steward standen etwas weiter zurück mit erhobenen Eisenstangen, bereit, den ersten Kopf zu zerschmettern, der sich über der Schanzkleidung zeigen würde.

Dem Zimmermann gelang es, einige Schritte von der Stelle, auf welcher ich stand, die Schanzkleidung zu ersteigen. Er war im Begriff, von dieser mit hochgeschwungenem Messer auf mich niederzuspringen, als ich ihn mit dem Rufe: »Du mörderischer, verräterischer Hund, nimm deinen Lohn!« über den Haufen schoß.

»Und jetzt kommst du dran!« brüllte ich Johnson entgegen, indem ich auch ihm eine Kugel sandte; er hielt sich an einer Want und wollte eben auf Deck springen. Ich hatte zwar seinen Kopf gefehlt, ihn doch aber so getroffen, daß er mit tiefem Stöhnen die Want losließ und rückwärts über Bord stürzte. Man hörte das schwere Aufschlagen seines Körpers auf das Wasser.

Jetzt waren wir nicht einmal mehr drei gegen drei, sondern nur noch drei gegen einen, denn der Hochbootsmann hatte sein Eisen mit furchtbarer Gewalt Fisch auf den Kopf geschmettert, als er sich über der Schanzkleidung erhob; der Elende stürzte tot ins Boot zurück. Der Steward aber, mit einem ungeheuer langen Schlachtmesser bewaffnet, hatte dieses dem Holländer bis ans Heft in den Leib gestoßen und es darin stecken lassen. Er war daran, seinen Stoß auch noch mit einem Schlag der schnell von ihm aufgenommenen Eisenstange nachzuhelfen, als der mit Kopf und Armen schon über das Geländer hängende Tote ins Wasser glitt.

Von allen fünf Männern war jetzt nur noch Cornish am Leben. Er wollte einen Stoß gegen den Hochbootsmann führen, dieser aber schlug ihm mit einem krachenden Hieb auf das Handgelenk das Messer aus der Hand.

Waffenlos und durch den erhaltenen Schlag vollkommen unfähig, weiter zu kämpfen, schrie er nunmehr: »Gnade, schont mein Leben!«

Dieser Ruf und die sichtbare Ungefährlichkeit des Gegners ermutigte den Steward, ein neues Wunder seiner Tapferkeit zu zeigen. Er stürzte sich wie wild geworden auf den unglücklichen Cornish, umfaßte seine Beine und warf ihn von der Schanzkleidung herunter. Der schwere Mann schlug so dröhnend auf das Deck nieder, daß ich dachte, er hätte die Wirbelsäule gebrochen, denn er blieb liegen, ohne sich zu rühren.

Trotzdem ließ ich ihm die Hände binden und sagte: »Lassen wir ihn vorläufig liegen, kommt er wieder zu sich, können wir ihn vielleicht noch brauchen.«

Während der Hochbootsmann und der Steward Cornish banden, horchte ich in die Dunkelheit hinaus; ich sah und hörte aber nichts von dem Langboot. Schließlich holte ich das Nachtglas, und dieses zeigte mir das Boot nach längerem Suchen als einen dunklen Punkt weit hinter uns. Dies war dem glücklichen Umstande zu verdanken, daß sich der Wind während der Kampfesszene aufgefrischt und uns gute Fahrt gegeben hatte.

So war denn mit Gottes Hilfe vorläufig alles zu einem guten Ende gediehen. Ich stürzte zu Miß Robertson und rief: »Wir sind gerettet, alle Gefahr ist vorüber, das Langboot ist weit hinter uns und kann uns nicht mehr einholen!«

»Gott sei gepriesen für seine Gnade,« entgegnete sie ruhig, dann aber verließen sie ihre Kräfte, da sie nur durch ihre starke Willenskraft und die fortwährende Erregung bis jetzt erhalten worden waren, sie wankte und griff nach den Spaken des Rades; ich hatte gerade noch Zeit zuzuspringen und sie in den Armen aufzufangen.

»Hallo, Hochbootsmann!« schrie ich, »schnell eine Flagge, Miß Robertson ist ohnmächtig geworden!«

Er war mit ein paar Sprüngen zur Hand; ich legte das arme Mädchen behutsam auf das Deck nieder, und die Flagge unter ihren Kopf.

Während ich dies tat, bat ich den Hochbootsmann, dem Steward zu sagen, daß er ein Glas Brandy bringen solle.

Mit der linken Hand auf dem Rade, um den Lauf des Schiffes stetig zu erhalten, kniete ich an Miß Robertsons Seite; ich hielt ihre kalten Hände zärtlich in meiner Rechten und mußte mich mit aller Gewalt bezwingen, um nicht zu heulen wie ein Schulbube, weil sie so blaß und still dalag.

Der Hochbootsmann kehrte sehr schnell mit dem Steward zurück; er übernahm das Rad, und ich versuchte, dem ohnmächtigen Mädchen etwas Brandy einzuflößen. Nachdem mir das gelungen war, spritzte ich ihr Wasser auf die Stirn und rieb ihr die Hände; endlich hatte ich die Freude, sie wieder zum Bewußtsein zurückkehren zu sehen. Ich führte sie in ihre Kajüte, hielt mich aber keinen Augenblick dort auf, denn ich wußte, daß ich ihr nichts weiter helfen könnte und Ruhe das Haupterfordernis für sie war; abgesehen hiervon, wartete meiner auch noch genug Arbeit auf Deck. Wenn wir auch einer Gefahr entgangen waren, so konnten wir doch unversehens in eine andere stürzen. Denn das Schiff war unter vollen Segeln; der Barometer stand niedrig und wenn sich ein Sturm erhob und uns in unserem jetzigen Zustand traf, so war hundert gegen eins zu wetten, daß wir scheiterten, weil wir zu wenige waren, um schnell die Segel bergen zu können.

»Nun, alter, braver Freund,« sagte ich zum Hochbootsmann, indem ich ihm herzlich die Hand schüttelte, »was meinen Sie, daß wir zunächst tun müssen?«

»Natürlich Segel kürzen, so lange der Wind noch leicht ist,« antwortete er; »vor allen Dingen aber müssen wir Cornish aus seinen Banden befreien und auf die Beine bringen; er ist wieder bei sich und muß uns helfen.«

»Ja, das wollen wir tun,« stimmte ich zu; »Steward kannst du steuern?«

»Nein, Sir.«

»Verdammt,« rief der Hochbootsmann, »ich möchte doch lieber ein Mondkalb sein, als so ein Steward. Kerl, du mußt steuern, das hilft dir nichts.«

»Aber ich verstehe rein gar nichts davon.«

»Dann mußt du es eben lernen,« schrie ich ihn an. »Komm her und fasse in die Spaken, siehst du, so und nun hier auf die Windrose gesehen, ja freilich,« lachte ich, »das kannst du nicht, erst muß die Kompaßlampe brennen.« Ich zündete diese an und fuhr dann fort: »Nun, also, betrachte dir hier die Windrose; siehst du, daß sie Südost weist?«

»Ja, Sir.«

»Gut, je nachdem also die Buchstaben, S.O. nach der linken oder rechten Seite von dem schwarzen Strich hier, dem Steuerstrich abweichen, drehst du das Rad links oder rechts. Das ist nicht schwer zu begreifen, was, hast du verstanden?«

»Ich denke ja, Sir.«

»Ich werde öfter kommen, nachzusehen, wie du deine Sache machst, paß also gut auf.«

Damit verließ ich ihn und begab mich mit dem Hochbootsmann zu Cornish.

Als dieser uns kommen sah, schrie er:

»Töten Sie mich, wenn Sie wollen, quälen Sie mich aber nicht länger, der Strick schnürt mir das Blut alles auf eine Stelle.«

»Das kann dir nicht schaden, du Lump,« schnarrte ihn der Hochbootsmann an, »weißt du denn, ob wir nicht extra hierherkommen, um dich zu ersäufen? Halt dein Maul und winsele uns nichts von deinem Blute vor, in fünf Minuten wirst du keins mehr brauchen.«

»Dann sei Gott meiner Seele gnädig,« stöhnte der Unglückliche und ließ seinen Kopf, den er aus den Speigaten erhoben hatte, mit einem verzweiflungsvollen Blick auf uns zurückfallen.

»Ersäufen ist eigentlich für einen wie du bist viel zu gut,« fuhr der Hochbootsmann fort, »du mußt gepeitscht, dann eingesalzen und hinterher gevierteilt werden.«

Da unsere Zeit kostbar war und mir der arme Teufel auch leid tat, sagte ich nunmehr:

»Wir wollen dein Leben schonen unter der Bedingung, daß du uns versprichst, nach besten Kräften zu arbeiten und uns zu helfen, das Schiff in einen Hafen zu bringen.«

»Ich will alles tun, was Sie verlangen, wenn Sie nur mein Leben schonen.«

»Sie werden doch nicht so töricht sein, dem Halunken zu trauen, Mr. Royle,« sagte der Hochbootsmann, seine Rolle weiterspielend, »sehen Sie doch nur diese blutdürstigen, auf Mord sinnenden Augen an.«

»Stellen Sie mich doch auf die Probe,« flehte der Gequälte.

»Ja, Probe, das kennt man schon,« hohnlachte der Hochbootsmann (den ich, nebenbei gesagt, von jetzt ab auch mit seinem Namen Forward nennen werde), »du warst der Busenfreund von Stevens, und ich halte es für klüger, wir lassen dich noch ein paar Stunden in deiner Lage und überlegen indessen, ob wir dir trauen dürfen.«

»Na, dann schlagen Sie mich lieber gleich tot, denn in ein paar Stunden bin ich von den Stricken zerschnitten.«

»Gut,« nahm ich nunmehr wieder das Wort, nachdem ich getan, als überlege ich, »wir wollen einen Versuch mit dir machen, und wenn du ehrlich gegen uns handelst, wirst du keine Ursache haben, dich zu beklagen; aber wenn wir nur im geringsten merken, daß du falsches Spiel treibst, so werden wir dich ohne weiteres töten, das merke dir. Und nun, Forward, befreien Sie ihn.«

Das war schnell geschehen, als wir ihn aber auf die Beine stellten, zeigte sich, daß er sich kaum aufrecht halten konnte; erst als er ein Glas Brandy heruntergegossen hatte, kam er wieder einigermaßen zu Kräften.

»Dank Ihnen, Sir,« sagte er, sich streckend und reckend und sein dick verschwollenes, braun und blau aussehendes Handgelenk reibend, »Sie können mir glauben, ich werde rechtschaffen arbeiten und alles tun, was ich kann. Sie dürfen mir vertrauen. Stevens hat uns verführt. Ich bin viel lieber hier wie in dem Langboot.«

»Gut, gut,« sagte ich, ihm weitere Worte abschneidend, »wir werden ja sehen. Forward, ich dächte, wir schaffen jetzt zuerst das Boot, in dem die Kerle kamen, an Bord, wir könnten es doch brauchen, denn das andere, welches hier ist, hat Stevens ja unbrauchbar gemacht.«

»Da haben Sie recht, Mr. Royle, das wollen wir vor allem andern besorgen,« entgegnete er eifrig, und stieg behende wie eine Katze hinab in die Püttings. Plötzlich hörte ich einen schweren Fall ins Wasser.

»Gott und Vater!« schrie ich auf und stürzte in dem Glauben, er sei verunglückt, schon nach einer Rettungsboje, als ich ihn rufen hörte: »Hallo, da ist ja noch einer,« wonach gleich ein zweiter schwerer Aufschlag aufs Wasser erfolgte.

Ich lief nun an die Schanzkleidung und rief: »Sagen Sie ums Himmels willen, was treiben Sie denn, erschrecken Sie einen doch nicht so, baden Sie?«

»Den Teufel auch,« schrie er herauf. »Es war einer von den Schuften in den Püttingen hängen geblieben und hier im Boot lag noch einer, die warf ich ins Wasser. Ich werde jetzt das Boot unter die Davits führen, werfen Sie mir die Läufer mit den Hißtaljen zu.«

Das geschah. Forward befestigte das Boot an den Taljen und kam dann wieder herauf. Es war für uns drei ein schweres Stück Arbeit, das Boot in die Höhe zu winden, denn es war noch gefüllt mit all den verladenen Vorräten. Schließlich brachten wir es aber doch an seine Stelle und gönnten uns keuchend ein wenig Ruhe.

Auf einmal begann Cornish: »Bitte um Verzeihung, Mr. Forward, ich dachte, Sie wären tot.«

»So, wirklich, Jim Cornish?«

»Sie waren doch ertrunken, Sir?«

»Na, ich bin nicht der erste Ertrunkene, der wieder lebendig geworden ist.«

»Wir dachten doch alle, Sie wären über Bord gefallen und umgekommen. Waren Sie denn nicht über Bord?«

»Das brauche ich dir nicht auf die Nase zu binden, jetzt bin ich jedenfalls hier.«

»Wahrhaftig, ich war entsetzt, Sie zu sehen, Sir.«

»Na, vielleicht bin ich auch nicht von Fleisch und Bein, wer weiß? Sehen ist noch nicht glauben, sagen die alten Weiber.«

»Ich glaube sonst nicht an Gespenster, aber wie ich Sie sah, Sir, da dachte ich doch, ich hätte eins vor mir, und der lange Johnson hielt Sie auch dafür, als er unterwegs schwor, Sie wären einer von den dreien, die wir an den Brassen hantieren sahen.«

In diesem Augenblick betrat Miß Robertson das Deck. Ich ging ihr rasch entgegen und bat sie, sich doch noch einige Zeit und wenn auch nur auf eine Stunde Erholung zu gönnen.

Nein, nein,« entgegnete sie, »lassen Sie mich Ihnen helfen; ich bin jetzt schon wieder ganz bei Kräften, ich kann wieder steuern, seien Sie ganz unbesorgt um mich, ich weiß, Sie müssen Segel einnehmen für den Fall, daß ein starker Wind käme.«

Als ihr Auge auf Cornish fiel, erschrak sie und faßte meinen Arm. Sie flüsterte ängstlich: »Wer ist das? Sind die aus dem Langboot doch noch an Bord gekommen?«

Ich gab ihr eine kurze Erklärung und erneuerte dann meine Bitte, sie möge nach ihrer Kajüte zurückkehren und noch etwas ruhen; aber sie erklärte, sie würde das Deck nicht verlassen, selbst wenn ich ihr die Erlaubnis zum Steuern verweigerte. Sie sprach so eindringlich und sah mit ihren schönen Augen so bittend zu mir auf, daß ich schließlich nachgeben mußte.

Voller Eifer eilte sie hinweg, das Rad dem Steward abzunehmen, der ihr seinen verantwortlichen Posten mit der größten Bereitwilligkeit überließ.

Ich forderte nun den Hochbootsmann auf, ans Bergen der Segel zu gehen. Cornish fragte ich, ob er sich stark genug fühle, ins Takelwerk zu steigen, und als er dies bejahte und eine Kraftprobe ablegte, indem er sich mit seinem ganzen Gewicht an eine Webeleine der Besanwanten hing, begannen wir, die drei Oberbramsegel zu beschlagen.

Dem Steward stellte ich nicht erst das Ansinnen, ins Takelwerk zu steigen, denn unzweifelhaft wäre er schon in einer Höhe von zwanzig Fuß schwindlig geworden und heruntergestürzt. Er war auch in anderer Weise nützlich zu verwenden.

Cornish begab sich in das Besantakelwerk, Forward und ich in das des Großmastes. Die Brise war noch sehr angenehm und das Schiff glitt still dahin. Als wir auf der Oberbramraa angekommen waren und ich mich umsah, lenkte ich die Aufmerksamkeit des Hochbootsmanns auf das Aussehen des Himmels im Nordwesten, denn dort blitzte es schwach und der bleiche Schein genügte, um eine große Wolkenbank zu erkennen, die sich weit nach Norden erstreckte.

»Es wird uns gelingen, die kleinen Segel zu bergen, ehe das heraufkommt,« sagte er, »wie wir aber die großen Segel alle reffen wollen, selbst wenn wir die ganze Nacht arbeiten, ist mir noch nicht klar.«

»Freilich werden wir die ganze Nacht fleißig schaffen müssen,« erwiderte ich, »aber was macht das jetzt, da wir nur für uns arbeiten? Verkürzen wir uns die Zeit, indem Sie mir erzählen, wie es Ihnen in Ihrem Versteck ergangen ist.«

»Nun, Sie wissen, daß ich so eine Art Brechstange mitnahm, um dem Kerl, der da zum Anbohren kam, damit den Schädel einzuschlagen. Als ich mir aber die Sache näher überlegte, schien es mir doch gefährlich, den Menschen zu töten, denn die Leute konnten sich einfallen lassen, auf ihn zu warten. Ich hielt es für besser, mich zu verstecken, wenn ich den Schuft kommen hörte, und die Löcher zu verstopfen, sobald er wieder fortgegangen war.«

Hier spritzte er seinen Tabakssaft von sich und trocknete sich die Lippen an dem Segel.

»Gut also, ich hatte mein Messer und eine Schachtel Streichhölzer bei mir, und die waren mir sehr nützlich. Ich machte mir eine Leuchte, indem ich mir eine Duchte Garn auskämmte und diese ansteckte; da fand ich etwas, was meinen Augen schöner erschien, als wenn mir eine Fünfpfundnote vor den Füßen gelegen hätte, nämlich einen Besenstiel, der auf den Kohlen lag. Den schnitt ich in Stücke und spitzte diese zu. Ich wußte, daß wer auch kommen mochte, einen Stangenbohrer anwenden mußte und kannte daher die Größe, welche die Bohrlöcher haben würden. Endlich aber, Gott weiß, mir war die Zeit schon lang genug geworden, höre ich, wie einer die Vorderluke runterspringt. Wie der Blitz fuhr ich hinter die Querwand, in der ein Stück Planke herausgebrochen war und bald sehe ich da, wie der Zimmermann erscheint, einen Lichtstumpf anzündet und sein Mordwerk beginnt. Er pustete und schwitzte dabei wie ein achtbarer Handwerker, der um seinen ehrlichen Lohn arbeitet. Mit der Zeit drang das Wasser herein; dann bohrte er ein zweites Loch; auch durch dieses sah ich das Wasser kommen; darauf bohrte er noch eins; nun blies er sein Licht aus und stieg wieder hinauf. Meine Finger zitterten ordentlich vor Verlangen, ihm mit der Hebestange eins auf den Kopf zu geben, doch bemeisterte ich mich zum Glück. Sobald er weg war, steckte ich mir meine Leuchte an, paßte die Stücke von dem Besenstiel in die Löcher ein und verstopfte die Lecks so sauber, wie er sie gemacht hatte. Ich fürchtete, man möchte mich oben hören, wie ich die Pflöcke einkeilte, das war aber auch meine einzige Sorge, denn dem Schiff hatte die ganze Sache nichts geschadet; es ist so dicht, wie es gewesen ist, und ich denke, wenn es nicht mehr Wasser einnimmt, als durch die Pflöcke kommen kann, wird es mit dem Sinken keine Eile haben.«

Ich lachte, und wir schüttelten uns die Hände. Oft denke ich zurück an jenen Augenblick. Ich sehe noch alles deutlich vor mir: das unheimliche, schwarze Wasser um uns her, das Leuchten der Blitze am Horizont, den schwarzen Schiffsrumpf mit dem düsteren, durch das Oberlicht dringenden Schein der Kajütenlampe, das mutige, reizende Mädchen am Rade und uns beide auf schwindelnder Höhe einander herzlich die Hände schüttelnd.


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