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Zwanzigstes Kapitel.
Das Langboot.

Unser nächstes Geschäft war, das Schiff in einen westlicheren Kurs zu bringen. Ehe wir aber an diese Arbeit gingen, sahen wir uns den Himmel an.

Die Wolkenbank, welche um Mitternacht niedrig und zusammengeballt gewesen war, hatte sich jetzt so weit ausgedehnt, daß sie beinahe über unsern Köpfen stand. Die ganze große, eigentümlich gleichförmige Wolkenmasse war bleifarben und fortwährend durchzuckt von Blitzen; Donner ließ sich aber noch nicht hören.

»Da drin steckt mehr, als uns vielleicht lieb sein dürfte,« murmelte der Hochbootsmann.

Ich hatte dasselbe Gefühl; besonders unheimlich war mir noch die schleichende Langsamkeit, mit der das herankam. Die ganze Nacht hatte es gebraucht, um uns näher zu rücken.

»Ich überlege mir, Forward,« sagte ich, »ob wir das Schiff herumbringen sollen oder nicht. Was meinen Sie?«

»Ich denke, wir können es wagen, wir sind ja fest genug, um uns dicht an den Wind zu legen, finden Sie das nicht auch?«

»Na, das ist so eine Sache,« erwiderte ich; »wenn Sie meinen, wollen wir dicht beim Winde brassen, aber ich bin ziemlich überzeugt, wir werden später unsere liebe Not haben, vor den Wind zu kommen.«

»Ja, das kann sein, ordentlich blasen wird es wohl, bis in die Mitte des Ozeans werden wir wohl gejagt werden.«

»Das vermute ich auch; ich wünschte, wir wären weiter nördlich von den Bermudas; nun jedenfalls wollen wir inzwischen darauf zusteuern und versuchen, eine der Inseln zu erreichen.«

»Es sind Felseninseln, nicht wahr? Ich habe sie nie gesehen.«

»Ich auch nicht, aber es soll sich eine Schiffswerft der Yankees dort befinden, wie ich gehört habe. Nun wollen wir uns aber nicht weiter aufhalten und auf gut Glück wenden.«

Da das Schiff nur wenig Fahrt machte bei dem schwachen Winde und der geringen Leinwand, die ihn fangen konnte, dauerte das Manöver ziemlich lange. Nachdem es aber endlich ausgeführt war und nun nichts weiter für uns zu tun blieb, übergab ich Cornish das Rad und schickte den Steward in die Küche, uns Frühstück zu bereiten. Forward bat ich, noch einmal einen Blick auf die Pflöcke in den Bohrlöchern zu werfen, damit sie nicht etwa, falls das Schiff sehr schwer arbeiten sollte, herausgedrückt würden.

Ich stellte nun Miß Robertson vor, daß es nichts mehr gäbe, was sie noch auf Deck zurückhalten könnte und dankte ihr für ihre großen Dienste, die sie uns geleistet hatte. Diesmal ließ sie sich willig von mir bis an die Tür ihrer Kajüte führen.

»Wollen Sie mir versprechen, sich jetzt hinzulegen und zu schlafen?« sagte ich.

»Legen will ich mich wohl,« erwiderte sie, »ob ich schlafen kann, weiß ich nicht.«

»Hoffentlich gelingt es Ihnen, wenn Sie sich sagen, daß Sie Ihrer Gesundheit nicht durch Mangel an Ruhe und Schlaf schaden dürfen; jetzt, wo Sie sich wieder pflegen können. Das Leben liegt hoffnungsvoll vor Ihnen und jede Stunde kann uns ein Schiff zuführen, welches uns aufnimmt. Bitte denken Sie doch daran.«

»Ja, das will ich tun,« sagte sie lächelnd wie ein artiges Kind und reichte mir ihre Hand, die ich ehrerbietig küßte. Als ich wieder auf Deck zurückkehrte, bot sich mir ein ebenso wunderbarer, wie beklemmender Anblick.

Die Sonne war hinter dem ungeheuren Wolkenwall aufgegangen, und während sie selbst hinter diesem unsichtbar blieb, warf sie doch tausend golden glänzende Strahlen hinter dem Rande der dicken Mauer hervor. Dieses wundersame Licht hatte aber nur die Wirkung, den Wolkenball noch unheimlicher zu machen.

Auch der Ozean erschien nicht weniger düster als der Himmel; ein Schatten so tief wie die Nacht lagerte darauf und unter der schweren, bleiernen Decke über ihm sah er geradezu beängstigend aus.

Nach der Wetterseite blickend, wo der Schatten auf der See am tiefsten war, glaubte ich einen dunklen Gegenstand zu erkennen, ähnlich einem Schiff mit schwarzem Segel. Ich machte Cornish darauf aufmerksam und auch er sah es; um Genaueres unterscheiden zu können, holte ich mein Teleskop. Als ich dasselbe kurze Zeit auf den Fleck gehalten hatte, stieß ich überrascht und bestürzt den Ruf aus: »Es ist das Langboot!«

Cornish drehte sich so schnell um, als ob er von hinten einen Schlag bekommen hätte. »Mein Gott,« sagte er, »denen ist das Urteil gesprochen, wenn das Wetter kommt.«

»Wem denn?« fragte Forward, der mir eben zugerufen hatte, daß unten alles in bester Ordnung sei.

»Nun kommen Sie nur hierher, dort ist das Langboot!« Er war mit ein paar Sprüngen an meiner Seite, sah umher, konnte aber nichts entdecken, bis ich ihm das Glas gab, dann sagte er:

»Kein Zweifel, Sie haben recht; nun wohl, so werden wir noch einen Kampf zu bestehen haben, es steuert auf uns zu und wenn es nur etwas mehr Wind bekommt, wird es uns wahrhaftig überholen.«

»Letzteres ist möglich,« erwiderte ich; »einen Kampf mit uns haben sie aber wohl kaum im Sinn. Ich denke, das Aussehen des Wetters gefällt ihnen nicht, sie werden uns gern entern wollen, um ihr Leben zu retten, nicht aber um das unsere zu nehmen.«

»Ganz sicher,« stimmte Cornish ein; »ich glaube, daß keiner von ihnen mehr zum Meutern aufgelegt sein wird, nun Stevens tot ist. Ich will mein Leben verwetten, daß sie fleißig arbeiten würden, gerade so, wie ich es getan habe, wenn Sie um ihretwillen beidrehen und sie wieder aufnehmen wollten.«

Weder ich noch der Hochbootsmann erwiderte hierauf etwas.

Daß sie augenblicklich ganz gefügig sein würden, wenn wir sie aufnahmen, davon war auch ich überzeugt. Der bedeutende Kraftzuwachs hätte uns nur willkommen sein können; aber es waren nun einmal Schufte, denen man nicht über den Weg trauen durfte. Hatten sie erst wieder ein Gefühl der Sicherheit, nach glücklich überstandenem Sturm, so waren der Hochbootsmann und ich keine Stunde mehr des Lebens sicher; so lange wir da waren, blieb für die Bande die Furcht bestehen, über kurz oder lang den englischen Gerichten ausgeliefert zu werden. Wir wären reine Toren gewesen, hier Mitleid walten zu lassen.

Die Blitze nahmen jetzt an Stärke zu und zum erstenmal hörten wir das dumpfe Grollen des Donners.

»Das bedeutet,« sagte Forward, »daß es noch ein gutes Stück fern ist. Wenn der Mensch, der Steward, sich nur beeilen wollte, daß man noch frühstücken könnte, ehe es losgeht.«

Noch während er sprach, erschien aber schon der Steward mit einer großen Kaffeekanne. Er setzte sie auf das Oberlicht und brachte auch bald Fleisch, Butter und Brot. Mit wahrem Heißhunger fielen wir über die Mahlzeit her.

Da ich zuerst fertig war, übernahm ich das Rad und schickte Cornish, sich ebenfalls zu stärken; dann befahl ich dem Steward frischen Kaffee zu kochen und ihn warm zu stellen, auch für die Robertsons ein gutes Frühstück bereitzuhalten.

Als ich am Rade stand, mußte ich oft gähnen, die Augen waren mir vor Müdigkeit ordentlich wund, das erschreckend drohende Aussehen von Himmel und Wasser hielt mich aber völlig wach.

Jeden Augenblick wurde es dunkler, eine Totenstille trat ein, das Schiff lag bewegungslos auf dem Wasser.

Forward kam jetzt zu mir. Er starrte eine Weile in der Richtung des Langboots und sagte dann:

»Sehen Sie einmal dorthin, das Langboot scheint im Regen zu verschwinden.«

Ich wandte mich um und sah es schon nicht mehr. Das Wetter kam, es ging los. Der Horizont war aschgrau von Regen, es sah aus, als ob kochender Dampf dem Meer entstiege.

»Das Schöpfen wird ihnen warm machen,« bemerkte Forward grimmig.

»So lange bis sie alle kalt sind,« fügte ich herzlos hinzu, » das Wetter übersteht das Boot nicht. Bitte, nehmen Sie doch einen Augenblick das Rad, ich will mir meine Ölsachen holen.«

Nach wenigen Minuten war ich wieder zurück und nun ging auch er, um sich für das Wetter passend zu kleiden.

Kaum war er fort, so fuhr ein greller Blitz herab, der das ganze Schiff in Brand zu stecken schien, begleitet von einem betäubenden Donnerschlag.

Ich war noch ganz geblendet und dachte in meinem Schrecken, ob auch die Blitzableiter alle in Ordnung sein möchten, als schon wieder ein Blitz mit furchtbarem Geknatter niederzuckte und Deck, Spieren und Takelwerk mit einem bläulichen Lichtschein übergoß; der unmittelbar folgende Donner machte ein Getöse, als ob ein Gestirn vom höchsten Himmel herabgestürzt wäre.

Gleich danach entlud sich prasselnd der Regen. Ich weiß kaum, was schrecklicher zu sehen und zu hören war, der Regen oder Donner und Blitz. Es war ein Wasserfall, der aus ungeheurer Höhe herabstürzte und das Wasser in Schaum verwandelte; ein dichter, undurchdringlicher, nasser Schleier verhüllte dem Blick See und Himmel. Ich hielt mich geduckt am Rade und der inzwischen zurückgekehrte Hochbootsmann klemmte sich unter das Gitter. Nicht allein der Regen ergoß sich über uns, sondern auch Hagel beinahe in Eiergröße wirbelte auf uns, wie die Schlegel einer Trommel, und dabei wehte kein Lüftchen.

Es war so dunkel geworden, daß ich die Windrose im Kompaßhäuschen nicht mehr zu erkennen vermochte. Zwanzig Minuten wohl stand ich wie taub und blind, inmitten des unbeschreiblichen und überwältigenden Lärms, den der prasselnde Hagel, das fast ununterbrochene Rollen des Donners und das diesen begleitende Geknatter der Blitze verursachte.

Indessen, so plötzlich das Wetter über uns hereingebrochen war, so schnell zog es auch vorüber und ließ uns in atemloser Windstille, durchweicht, zerschlagen und betäubt zurück.

Nach der Wetterseite zu wurde es jetzt heller und ich fühlte einen schwachen Luftzug auf meinem nassen Gesicht, auf der Leeseite aber raste und tobte das Unwetter in der Ferne weiter.

Ich wischte mir das Wasser aus den Augen, blickte umher, und sah auf der See den Wind kommen.

»Nun, Forward,« rief ich, »aufgepaßt!«

Er kam unter dem Gitter hervor und faßte nach dem Geländer.

»Da kommt er!« schrie er, »und beim heiligen Popanz, das Langboot obendrein!«

Ich konnte nur einen kurzen Blick in die bezeichnet Richtung werfen und sah richtig das Langboot, in Schaum gehüllt, auf uns zujagen. Im nächsten Augenblick traf der Wind den ›Grosvenor‹, er holte über, daß die Leeschanzkleidung sich auf das Wasser legte.

»Gott sei Dank, daß wir die Marssegel noch fest machen konnten,« sagte ich, »sonst wäre es jetzt mit uns vorbei.«

Ich überlegte eben, ob ich vor den Wind gehen sollte; wurde aber von meinen Erwägungen durch das Langboot abgezogen, welches in diesem Augenblick unter vollem Segel dicht hinter unserm Stern vorüberflog. Zweimal, ehe es uns erreichte, machten die Insassen den Versuch zu wenden, um uns längsseit zu kommen und jedesmal stockte mir der Atem, denn ich wußte, sowie es breitseit gegen den Wind kam, mußte es unbedingt kentern.

Es war entsetzlich zu sehen, wie das Boot auf Anrufsweite von uns hilflos dahingefegt wurde. Sieben Mann befanden sich darin. Zwei schrien und tobten unter verzweifelten Geberden und flehten um Hilfe, die übrigen aber saßen mit verschränkten Armen still und stier da, mit gesenktem Kopf vor sich niederblickend, als wären sie schon gestorben.

Nur wenige Minuten zeigte sich uns dies Bild, dann war es verschwunden; Gischt und Schaum ließen uns nichts weiter erkennen, denn auch wir stürmten jetzt durch die Wogen mit den Leepüttings unter Wasser.


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