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Siebzehntes Kapitel.
Der Tag der Entscheidung.

Ich hatte keinen Grund, anzunehmen, daß die Winke, die ich bei meiner Unterhaltung mit Stevens hatte fallen lassen, seine Handlungen beeinflussen würden, aber wenn sie nichts nützten, so konnten sie auch nichts schaden.

Einige der Leute waren am Nachmittag betrunken und zwei hatten einen verzweifelten Boxerkampf, im übrigen aber sangen sie bis sie müde wurden und aßen zum Abendbrot wieder Schweinebraten und Geflügel. Diejenigen, die bei Sinnen geblieben waren, hielten die Betrunkenen in Ordnung, und so blieb die Schwelgerei auf das Vorderdeck beschränkt.

Ich dachte, was der Hochbootsmann von dem Lärm über seinem Kopfe wohl denken würde, und ob er wohl eine Uhr habe, die ihn über die Zeit orientiert erhielt. Sein Aufenthaltsort war schrecklich, der Raum war mit Kohlen angefüllt, dunkel wie die Nacht und wimmelte von Ratten.

Ein fürchterlicher Gedanke durchzuckte plötzlich mein Gehirn: was sollte werden, was würde entstehen, falls er gerade schlief, wenn der Mann zum Anbohren herunter kam und ihn dort liegen fand? Aber es hatte keinen Zweck, sich jetzt noch alles mögliche Unglück auszumalen. Wenn es uns bestimmt war, zu sterben, nun, dann mußten wir uns eben mutig in das Unabänderliche fügen.

Um elf Uhr ging ein frischer Wind auf, der die ganze Nacht über anhielt, ich ließ aber alle Segel, die das Schiff tragen konnte, stehen, und bis Mittag des nächsten Tages hatten wir vortreffliche Fahrt.

Darauf wurde der Wind schwächer und ging nach Norden herum, ich machte mir aber nichts daraus, denn ich zeigte dem Zimmermann eine Strecke auf der Karte, welche ihm überzeugend bewies, daß, wenn wir jetzt auch nicht mehr als vier Knoten die Stunde machten, wir doch bis zum nächsten Tage der Küste von Florida nahe genug sein mußten, um beilegen zu können.

Nach der am gestrigen Tage gefeierten Orgie wunderte ich mich, daß die Leute sämtlich heute wieder ganz frisch waren, aber freilich, die Aufregung tat auch bei ihnen das ihrige. Mit größter Anstrengung arbeiteten sie alle an den Vorbereitungen, die nötig waren, um das Langboot aus seinen Stützen zu heben und über Bord zu bringen.

Den ganzen Tag schwelgten sie in Speisen aller Art, doch tranken sie sehr wenig oder doch nicht genug für einen Rausch. Wenn sie hätten zugreifen wollen, im Schiffsraum gab es Spirituosen zur Genüge, um sie alle miteinander an einem Tage zu töten.

Gegen Abend bekamen wir nicht weniger als fünf Schiffe in Sicht; zwei steuerten nach Süden, drei nach Norden. Der Anblick dieser Schiffe gab Stevens die feste Überzeugung, daß wir uns der Küste näherten. Er sagte mir, er zweifle nicht, daß sie von Westindien kämen, was, wie er dächte, doch wohl kaum mehr als vierhundert Meilen entfernt sein könne.

Ich hütete mich natürlich, ihm seine Täuschung zu nehmen. Miß Robertson besuchte ich nur ein paar Minuten, um ihr meine Warnung zu wiederholen, sich nicht auf Deck zu zeigen; ich tat dies nach dem letzten Vorgang mit starkem Herzklopfen, indessen war sie freundlich wie sonst, ja eher noch freundlicher.

Die Leute vertrieben sich den Abend mit Possen aller Art und machten einen Heidenlärm. Ein Mann saß auf dem Gangspill und spielte Harmonika, die andern tanzten nach seinen Melodien; zwei hatten sich als Weiber verkleidet; sie trugen Leinwandhauben und anstelle der Röcke Wolldecken um ihre Hüften.

Solche Scherze werden auf einem Schiff oft getrieben und sind ganz harmlos, so lange geordnete Disziplin herrscht. Unter den Verhältnissen, in denen wir uns befanden, sah ich jedoch dem Spiel mit Besorgnis zu. Für Matrosen ist es nur ein kleiner Schritt von anständiger Heiterkeit zu zügelloser Ausschweifung.

Während meiner kurzen Unterhaltung mit Miß Robertson stellte ich ihr die sonderbare Frage, ob sie glaubte, ein Schiff steuern zu können.

Sie bejahte das mit großer Bestimmtheit.

Ich lachte und meinte: »Sie sagen ›ja‹, weil Sie es versuchen wollen, wenn ich Sie bitte, es zu tun.«

»O nein,« erwiderte sie, »ich sage ›ja‹, weil ich es in der Tat verstehe.«

»Wo haben Sie es denn gelernt?« erkundigte ich mich erstaunt.

»Nun, während unserer Reise nach dem Kap der guten Hoffnung; da stand ich oft bei dem Steuermann und sah zu, wie er das Rad bewegte; Kapitän Jenkinson bemerkte mein Interesse an der Sache und ließ mich zum Spaß das Rad öfter in die Hand nehmen, dabei wies er mich an und gab mir zum Scherz auch Befehle.«

»Gut,« rief ich, »nach welcher Seite also würden Sie zum Beispiel die Spaken drehen, wenn ich Ihnen sagte, Sie möchten das Ruder Steuerbord setzen?«

»Nach der linken,« antwortete sie sofort.

»Und wenn ich sagte: hart über?«

»Wehte der Wind von links, so würde ich das Rad so weit nach rechts drehen, als es ginge. O,« lachte sie, »Sie können mich nicht in Verlegenheit setzen, ich kenne alle Ausdrücke und bin wirklich ein ganz guter Steuermann.«

Ich entgegnete ihr heiter, daß ich nach ihrem gut bestandenen Examen gar keinen Zweifel mehr daran hege, und daß sie uns von höchstem Nutzen sein und ganz ihren Mann stellen würde, sobald die Boote uns verließen und wir mit dem Hochbootsmann und dem Steward allein sein würden.

An diese Unterhaltung mußte ich denken, während ich dem Tanz der Leute zusah. Wenn Stevens geahnt hätte, welche Hilfe das Mädchen leisten konnte, welcher Mut in ihm steckte, er hätte es sicher nicht so unbeachtet gelassen. Aber auch nicht einmal hatte er in der ganzen letzten Zeit nach ihr oder ihrem Vater gefragt. Er schien die Existenz dieser beiden vollständig vergessen zu haben. Je mehr die Reise sich ihrem Ende nahte, um so unruhiger war er geworden; beständig lief er hin und her, traf Anordnungen hier und dort, kontrollierte den Kompaß und die Fahrgeschwindigkeit und hielt Unterredungen mit den Führern der Mannschaft. Mich mied er, so viel er konnte.

Ich blieb fast die ganze Nacht auf Deck und sah die Sonne aufgehen, die Sonne des Tages, an welchem die Entscheidung fallen sollte. Mit welchen Gefühlen ich sie höher und höher am Horizont aus den Fluten aufsteigen sah, vermag ich nicht zu sagen. Mein ganzes Denken war ein einziges, inbrünstiges Gebet.

Der Tag versprach schön zu werden, trotzdem der Barometer die ganze Nacht über langsam gefallen war.

Um acht Uhr morgens brannte die Sonne so heiß, daß einem das Pech in den Ritzen der Deckdielung an den Stiefelsohlen kleben blieb.

Von Westen her kam eine lange Dünung mit mäßigen, sich weit folgenden Wogen. Der Himmel zeigte ein blendendes Blau, mit einigen Wolken hoch oben, und der Wind war mild und erfrischend.

Die Leute verhielten sich still; sie suchten beständig den Horizont ab, augenscheinlich in der Furcht, daß sich ein Schiff nähern könnte, man sah ihnen ihre innere Unruhe an; sie warfen auch das Logg aus, dasselbe ergab sieben Knoten, in Wirklichkeit machten wir aber höchstens fünf.

Als ich um Mittag mit meinem Sextanten auf Deck erschien, um die nötigen Beobachtungen zu machen, scharten sich alle zusammen und sahen mir zu; außer dem Mann am Rade fehlte keiner.

Mir verging fast der Atem, denn plötzlich schoß mir der furchtbare Gedanke in den Kopf, ob ihnen am Ende die wirkliche Lage des Schiffes bekannt sei, ob sie wußten, daß ich sie betrog, ob sie das die ganze Zeit über schon gewußt hatten. Mich fröstelte ordentlich.

Doch nein; als ich sie mir näher anblickte, fühlte ich mich beruhigt. Der Ausdruck ihrer Gesichter zeigte die unverkennbare Neugierde, die höchste Spannung, zu erfahren, ob die Reise nunmehr wirklich beendet wäre, oder ob sie sich noch einige Zeit würden gedulden müssen, ehe sie das Schiff verlassen konnten.

Als ich mit meinen Beobachtungen fertig und im Begriff war, das Deck zu verlassen, rief mir einer von den Leuten zu:

»Sagen Sie uns, wie die Sache steht.«

»Das könnt ihr erst erfahren, wenn ich meine Messungen ausgearbeitet habe.«

»Arbeiten Sie dieselben doch hier aus.«

»Was sollte das für einen Zweck haben? Ihr versteht ja doch nichts von der Sache, indessen, wenn es euch Spaß macht, will ich es auch hier oben tun und mir das dazu Nötige heraufholen.«

Ich begab mich demgemäß nach meiner Kajüte, nachdem ich meinen Sextanten auf das Oberlicht gelegt hatte. Als ich zurückkam, fand ich die ganze Gesellschaft den Sextanten betrachtend, wie ein wildes Tier, keiner aber hatte ihn berührt.

Während ich nunmehr meine Berechnungen machte, standen sie alle um mich herum; sie verhielten sich ganz still, trotzdem aber, muß ich gestehen, war mir ihre Gegenwart störend, denn das Bewußtsein, sie unter ihren eigenen Augen gröblich zu täuschen, machte mich einigermaßen verwirrt. Da ich zwei Rechnungen im Kopfe trug, die richtige und die falsche, war meine Arbeit keine leichte. Nachdem ich aber endlich gefunden, daß unsere wirkliche Lage in gerader Linie genau achtundneunzig Meilen Ost-Nordost von Bermuda betrug, entfaltete ich die Karte, nannte ihnen die für meinen Plan passende Länge und Breite, legte meinen Finger auf diese Stelle und sagte:

»Da, nun könnt ihr sehen, wo wir sind.«

»Bitte, machen Sie ein Zeichen mit dem Bleistift an die Stelle,« sagte Johnson, »damit es alle sehen.«

Ich tat nach seinem Wunsch, dann stand ich auf und überließ den Leuten die Karte; sie beugten sich über dieselbe und fuhren mit ihren Fingern darüber hin, indem einer dem andern Erklärungen machte.

»Gibt es noch Fragen, die ich beantworten kann?« wandte ich mich an Stevens.

»Maats, habt ihr irgendwelche Fragen an Mr. Royle zu stellen?« rief er.

»Wann werden wir das Schiff beilegen?« erkundigte sich Fisch.

»Das macht, wie ihr wollt,« entgegnete ich.

»Na, ich bin nicht dafür, zu dicht ans Land zu gehen,« meinte er.

»Wie weit sagten Sie, daß wir jetzt noch von Florida wären?« wünschte Johnson zu wissen.

»Ungefähr fünfzig Meilen.«

»Das wäre also gerade das, was wir wünschen,« rief er aus.

»Gewiß,« sagte ich, »aber ihr wollt ja das Schiff nicht vor Dunkelwerden verlassen, wie?«

Die Leute sahen sich untereinander an, als wenn sie nicht sicher wären, ob sie mir das verraten dürften; ihr Benehmen war so auffällig, daß, wenn ich noch nichts gewußt hätte, ich jetzt entschieden hätte merken müssen, daß sie Heimlichkeiten vor mir hatten.

Schließlich übernahm der Zimmermann die Antwort, indem er sagte: »Wir haben über diesen Punkt noch nichts Festes beschlossen. Wie steht der Wind?«

»Ungefähr Nord,« entgegnete ich.

»Nun, Maats,« rief er darauf, »ich dächte, wir brassen dicht beim Winde, bis wir bereit sind, beizudrehen.«

»Da haben Sie ganz recht,« stimmte Johnson bei, »wir würden dabei wenig Fahrt machen und jedem uns etwa begegnenden Schiffe unauffällig erscheinen.«

»Ja, ja, tun Sie das,« gab auch ich meine Meinung ab, »das ist kein schlechter Gedanke.«

So wurde also das Steuer niedergesetzt, und als die Leute an die Arbeit gingen, begab ich mich in meine Kajüte, unterwegs dem Steward zurufend, daß er mir Sherry und Brot bringen solle.

Ich wünschte keins von beiden, aber ich wollte ihn sprechen, und Stevens, der mir ungeheuer aufpaßte und in letzter Zeit, wie ich bemerkt hatte, Gespräche zwischen mir und dem Steward zu belauschen suchte, konnte nichts darin finden, wenn ich mir eine Erfrischung bringen ließ.

Als der Steward mit dem Bestellten gekommen war und wieder gehen wollte, faßte ich ihn am Arm, zog ihn in die hinterste Ecke der Kajüte und raunte ihm zu:

»Ist dir dein Leben etwas wert?«

Er sah mich betroffen an, wurde vor Schreck ganz blaß und stotterte: »Wie soll ich das verstehen, Sir?«

»Nun, heute abend, wenn es dunkel wird, werden die Leute die Boote besteigen und das Schiff verlassen, vorher dasselbe aber anbohren, um es auf den Grund gehen zu lassen; sie beabsichtigen, uns nicht mitzunehmen.«

»Himmlischer Vater,« murmelte er zitternd, als wenn ihn fröre, »sollen wir an Bord bleiben und mit untergehen?«

»So ist es; aber der Hochbootsmann, den sie ertrunken glauben, befindet sich in einem Versteck im Kielraum, um den zu töten, der das Anbohren besorgen wird. Wenn wir entschlossen handeln, so können wir unser Leben retten und uns von den Schurken befreien. Wir sind zwar nur drei, aber wenn der Fall eintritt, daß wir kämpfen müssen, müssen wir eben kämpfen, als wenn wir zwölf Mann wären, das merke dir. Sind die Kerle einmal in den Booten, so darf keiner von ihnen lebendig wieder an Bord kommen. Mit jedem Schlage muß ein Mann fallen. Keine Gnade, keine Schonung für dieses Teufelsgelichter; denn werden wir überwältigt, so sind wir geliefert und einem schrecklichen Tode gewiß verfallen.«

»Ich will mein bestes tun, Sir,« antwortete er mit einem Gesicht, welches alles andere, nur keinen Heroismus ausdrückte, »sagen Sie mir nur, wie ich mich benehmen soll, ich habe noch niemals gekämpft und kann kein Blut sehen.«

»Dann wirst du das eben lernen, denn bei allem, was mir heilig ist, sage ich dir: wenn ich die geringste Feigheit an dir bemerke, wenn du nicht zuspringst wie eine Tigerin, der man ihre Jungen nehmen will, so schieße ich dir eine Kugel durch den Kopf.«

Hierbei zog ich meinen Revolver aus der Tasche und drohte ihm damit. Er duckte sich entsetzt und stammelte atemlos:

»Ach Gott, ich will ja alles tun; was für eine Waffe werden Sie mir denn geben, Sir?«

»Such dir eine; die erste beste eiserne Hebestange genügt, es liegen genug herum. Und nun fort mit dir. Nicht ein Blick, nicht ein Wort von dir darf verraten, was ich dir sagte, sonst bist du ein toter Mann. Geh jetzt wieder an deine Arbeit und zeige dein gewöhnliches Gesicht, wenn dich einer sieht.«

Er schlich fort, so weiß wie ein Gespenst. Indessen, wenn er auch ein Feigling war, so gab ich es doch nicht auf, ihn im gegebenen Moment zu einem Teufel zu machen. Feiglinge werden oft zu schrecklichen Gegnern. Die Angst macht sie toll und verrückt und in ihrer blinden Raserei richten sie oft mehr Schaden an als tapfere, überlegte Männer.

Ich hielt mich nicht lange unten auf, denn ich war zu besorgt und wünschte, das Tun der Mannschaft zu beobachten.

Die Brise war inzwischen schwächer geworden, der heiße, dunstige, blaue Himmel und das glasige Aussehen des Horizonts deutete auf Windstille. Die unteren Segel schlappten bei jeder Bewegung des Schiffes und dicht bei dem bißchen Wind liegend machten wir so gut wie gar keine Fahrt.

So günstig es für das Vorhaben der Leute war, wenn Windstille eintrat, so schlimm war es für mich, denn der wesentlichste Teil meines Planes, sobald die Leute die Boote bestiegen hatten, das Schiff vor den Wind zu bringen, wurde dann unausführbar.

Der Barometer stand zwar sehr niedrig, aber das konnte auch mehr Wind bedeuten, als ich mir wünschte, vielleicht einen Sturm, der die Leute auf dem Schiff zurückhielt und sie zwang, ihre Absicht, es zu verlassen, auf unbestimmte Zeit zu verschieben.

Sie waren zu ihrem Mittagessen gegangen, verhielten sich heute aber so still dabei, daß das Schiff ganz verödet erschien. Stevens war vorn und aß ausnahmsweise mit den Leuten. Als ich einmal durch das Oberlicht in die Kajüte blickte, bemerkte ich, daß Miß Robertson zu mir aufsah. Ich beugte mich nieder, bat sie, ohne Sorge zu sein, ihre Kajüte aber nicht zu verlassen, ehe ich sie nicht riefe; mir war der schreckliche Gedanke in den Kopf gefahren, die Leute könnten am Ende, wenn sie sie sehen, plötzlich auf die Idee kommen, sie mitzunehmen.

Sie sagte mir, sie hätte nur ein Glas Brandy für ihren Vater holen wollen. »Ach, er ist so elend und schwach und spricht so verwirrt,« schluchzte sie, sich plötzlich abwendend, und eilte in ihre Koje zurück.

Unmittelbar darauf nahm der Steward ihre Stelle am Oberlicht ein und sagte flüsternd:

»Sir, Sie sollen sich über mich nicht zu beklagen haben.«

»Das will ich dir auch raten.«

»Ich werde an Weib und Kind denken, und das wird mir Kraft und Mut geben, mich zu wehren.«

»Den Teufel auch, Kerl, du sollst dich nicht nur wehren,« schnaubte ich ihn an, trotzdem ich kaum ein Lachen unterdrücken konnte, über die Art, wie er sich bei seinen letzten Worten in die Brust zu werfen suchte, »sondern du sollst auch jeden angreifen und auf der Stelle niederschlagen, der dir in den Weg kommt. Tust du das nicht, dann sei dir Gott gnädig, und wenn du etwa denkst, dir mit Brandy mehr Mut machen zu wollen, so sage ich dir zum voraus, bei der geringsten Trunkenheit, die ich an dir merke, übergebe ich dich dem Koch und der mag dann seine Rache an dir noch kühlen, soviel er will.« Diese Drohung schien mir zur Stärkung seines Mutes genügend.

Die Leute blieben sehr lange bei ihrem Mittagessen; sie waren so still, daß mich plötzlich der Gedanke erschreckte, es möchten am Ende mehrere in den Kielraum gestiegen sein, um schon jetzt das Schiff anzubohren. Nach ruhigem Nachdenken sagte ich mir aber, daß sie doch kaum so übereilt handeln würden. Allerdings konnte lange Zeit vergehen, ehe sich das Schiff mit Wasser füllte, selbst wenn es mit einem Stangenbohrer an verschiedenen Stellen angebohrt wurde, aber vor Abend erhob sich vielleicht ein solcher Wind, daß sie nicht wagen durften, die Boote zu besteigen, oder falls sie schon in den Booten waren, im Schiffe wieder Schutz suchen mußten.

Ohne an Mittagbrot zu denken, blieb ich auf Deck und beobachtete unablässig das Wetter.

Ein Leichtmatrose kam, um das Rad zu übernehmen, als er aber fand, daß das Schiff keine Fahrt hatte, setzte er sich auf das Hackebord, zog eine Pfeife hervor und rauchte. Ich nahm keine Notiz von ihm.

Kurz darauf kam Stevens das Hauptdeck entlang und stieg auf das Hüttendeck.

»Eine Totenstille und verflucht heiß,« sagte er, nachdem er die Hand über die Augen gelegt und den Horizont abgesucht hatte.

»Soll das Schiff, wie es steht und liegt, verlassen werden?« fragte ich ihn.

»Wie denken Sie darüber?« erwiderte er, gleichgültig in das Takelwerk blickend.

»Ich würde es in gehörige Ordnung bringen.«

Er lehnte sich an das Geländer, verschränkte seine Arme und fragte: »Warum?«

»Weil, wenn es auf dem Wasser treibend, von einem andern Schiff angetroffen werden sollte, es viel natürlicher aussehen würde, wenn alles so ist, als ob es nach einem Sturm verlassen worden wäre.«

»Darin liegt etwas Wahres.«

»Soll ich befehlen, die Segel zu kürzen?«

»Wenn Sie wollen,« entgegnete er mit spöttischem Lächeln.

Ich tat, als bemerke ich sein sonderbares Benehmen nicht, denn ich wünschte dringend, so viel Segel als möglich einholen zu können, solange noch Kräfte vorhanden waren, die Arbeit zu besorgen. Darum rief ich: »Alle Mann Segel kürzen!«

Die Leute starrten mich an und lachten, aber keiner rührte sich, nur einer rief mir zu:

»Jawohl, das könnte uns gerade fehlen.«

Ich sah den Zimmermann an, der mich höhnisch anschielte, und ging wieder nach hinten. Ich war ein Narr, daß ich das nicht vorausgesehen hatte. Was machte sich die Mannschaft daraus, ob das Schiff mit allen Segeln oder vor Top und Takel auf den Grund ging.

Zu unruhig, herunterzugehen, um die schreckliche Angst, die mich verzehrte, nicht merken zu lassen, steckte ich mir meine Pfeife an und setzte mich in den Schatten des Besanmastes.

Die schrecklichsten Vorstellungen und Gedanken fingen an, mich zu quälen; mit Gewalt suchte ich sie zu verbannen, es nutzte aber nichts. Schließlich begann ich zu beten. Ich betete mit aller Inbrunst, deren mein Herz fähig war, zu Gott für das liebliche verlassene Mädchen, welches ich mit seinem Beistand schon einmal aus Not und Tod gerettet hatte, ich rief seine Hilfe, seinen Schutz an, bat flehentlich um Stärke, Kraft und Mut, und um einen glücklichen Ausgang der schweren Stunden, die vor uns standen. Nach diesem Gebet fühlte ich mich ruhiger.

Erst um sechs Uhr befahl der Zimmermann, das Langboot zum Niederlassen bereitzumachen. Bald nach diesem Befehl bemerkte ich mit freudigem Herzklopfen, daß das Wasser im Nordwesten dunkel wurde wie von dem Schatten einer daraufliegenden Wolke. Das konnte nur herannahender Wind sein. Die Leute merkten nichts davon, denn sie waren ganz bei ihrer Arbeit. Trotz allem Fleiß ging dieselbe aber doch nicht so schnell vonstatten, als sie sich wohl gedacht hatten. Die Vorbereitungen, das große Boot über Bord zu bringen, verlangten Zeit. Noch ehe das Boot am Windezeug hing, traf schon die ankommende Brise das Schiff. Der Zimmermann drehte sofort bei. Ich wurde um nichts mehr gefragt.

Anscheinend gleichgültig stellte ich mich an die Steuerbordseite des Hüttendecks, beobachtete die Leute und zählte sie. Es fehlte kein Mann. Dies war mir eine große Beruhigung, denn nun wußte ich, daß noch keiner im Kielraum war. Wenn ich gut aufpaßte, konnte es mir nunmehr nicht entgehen, sobald sich ein Mann entfernte.

Es war schon sieben Uhr vorbei, als das Langboot zu Wasser geführt wurde. Drei Mann sprangen hinein und nahmen die Kisten und Tonnen in Empfang, die ihnen zugereicht wurden. Einige Mann begaben sich zum Seitenboot, um es auch herunterzulassen.

In diesem Augenblick vermißte ich den Zimmermann; mir stockte der Atem; ich ließ angstvoll mein Auge überall umherschweifen; er war nirgends zu sehen. Ich horchte nach unten hin in dem Glauben, er möchte in die Kajüte gegangen sein, aber alles war dort still. Kein Schatten eines Zweifels, er, der das Anbohren des Schiffes erdacht hatte, er war nun selbst gegangen, die schwarze Tat auszuführen.

Es war ein furchtbarer Moment. Wenn der Hochbootsmann ihn tötete – –! Großer Gott, fast sämtlich Leute waren noch auf Deck; wenn er nicht zurückkehrte, gingen sie ihn sicherlich suchen; er war ihr Führer, es war nicht anzunehmen, daß sie das Schiff ohne ihn verlassen würden. Das Haar sträubte sich mir auf dem Kopf, der Schweiß perlte in großen Tropfen auf meinem Gesicht, ich biß mir die Lippen halb durch, um meine Aufregung nicht zu verraten, und wartete auf – – ich weiß nicht was!


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