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Einundzwanzigstes Kapitel.
Der Sturm.

Ich wußte nicht recht, was ich von dem Wetter denken sollte, denn wenn der Wind auch stark war, so war er doch nicht so heftig, wie er während jener drei Tage gewesen, die ich in einem früheren Teil dieser Geschichte beschrieben habe.

Es gelang dem Schiff, bei nur wenig Abtrift, seinen Kurs nach Westen zu halten; die drei dicht gerefften Marssegel trug es so gut als möglich, ich glaube aber, daß wenn noch ein einziges Segel mehr gestanden hätte, als es der Fall war, das Schiff sich auf die Seite gelegt und nie wieder aufgerichtet haben würde, so ungestüm war der erste Anprall des Windes.

Da ich aus Erfahrung wußte, daß so plötzlich heftig auftretende Gewitter oft die Vorläufer eines Orkans sind, so übergab ich dem Hochbootsmann das Steuer, stellte Cornish an die Vormarssegelschoten und mich, für meine Person, an die der Besan, um für den Fall der Not die Segel sofort von ihrer Spannung befreien zu können, denn traf uns eine plötzliche Bö, so konnte im Handumdrehen das Schiff zum Wrack werden.

So vergingen etwa zwanzig Minuten, und da während derselben der Wind beständig blieb, so rief ich Cornish wieder von seinem Posten ab. Um nichts zu versäumen, falls ein Schiff in Sicht kommen sollte, hißte ich eine Notflagge halbmast. Darauf nahm ich das Teleskop und suchte damit sorgfältig Luv- und Leeseite ab, konnte aber kein Schiff entdecken.

»Wir müssen doch im Kurs irgend einer Art von Schiffen sein,« meinte Forward, der mit Spannung auf das Ergebnis meiner Untersuchung gewartet hatte. »Ich dächte, die Dampfer von Liverpool nach New-Orleans und die westindischen Postschiffe müssen dieses Wegs kommen.«

»Nicht ganz so weit nördlich,« antwortete ich. »Aber wenn auch der eigentliche große Verkehrsweg etwas abseits von uns liegt, so müssen wir doch binnen kurzem jedenfalls Schiffe zu sehen bekommen.«

»Angenommen, es käme bald ein Schiff in Sicht, Sir, was würden Sie dann tun?« fragte Forward.

»Den Kapitän bitten, mir ein paar Mann zu überlassen, um das Schiff in den nächsten Hafen zu führen.«

»Und wenn er die Bitte nicht erfüllt?«

»Dann müssen wir versuchen, ob ein anderes Schiff uns Hilfe gewährt. Übrigens muß ich Ihnen sagen, daß ich nicht recht daran glaube, daß selbst bei gutem Willen uns irgend ein Schiff wird Unterstützung geben können, denn die meisten führen selbst nur das allernotwendigste an Mannschaft. Uns aufzunehmen, ja, dazu werden alle bereit sein, aber ich möchte doch nur im höchsten Notfall unser Schiff mit seiner wertvollen Ladung den Wellen preisgeben. Erreichen wir glücklich die Bermudas, dann dürfen wir hoffen, Mannschaft zu bekommen, mit welcher wir imstande sind, das Schiff nach England zu bringen.«

»Wenn sich das machen ließe, wäre es schon gut, denn das bin ich auch überzeugt, auf hoher See gibt kein Kapitän uns auch nur einen Hosenknopf ab und allein wollen Sie es ja nicht wagen, direkt nach England zu steuern.«

»Kommen Sie schon wieder mit Ihren abenteuerlichen Gedanken, Forward. Ich habe Ihnen doch auseinandergesetzt, daß das absolut nicht ausführbar ist. Man liest ja wohl in Büchern von solchen Heldentaten, aber Papier ist eben geduldig. Ich selbst habe einmal von einem Fall gehört, wo ein Gentleman eine Reise von Timor zur Insel Bathurst auf dem Rücken einer Schildkröte unternahm. Würden Sie das für möglich halten? Nun wohl, ich glaube immer noch eher, daß eine solche Reise glücken könnte, als die, welche in Ihrem Kopfe spukt.«

»Na, ich werde nicht mehr davon reden,« brummte er, »lassen Sie uns also jetzt die Frage erledigen, wer von uns sich zunächst schlafen legen soll. Wollen Sie gehen, so bleibe ich noch am Rade, ich halt's schon noch aus.«

Ehe ich ihm antwortete, prüfte ich noch einmal Wetter und Segel und da ich fand, daß beides zu keiner besonderen Besorgnis Anlaß gab, sagte ich, ich würde gehen und begab mich todmüde und gähnend nach unten. Ich mochte etwa dreiviertel Stunden geschlafen haben, als ich aufwachte, weil an mir wie toll gezerrt wurde. Noch völlig schlaftrunken, glaubte ich nicht anders, als die Meuterer wären wieder an Bord gekommen und einer von ihnen wäre über mich hergefallen. Das machte mich wenigstens soweit munter, daß ich den Entschluß faßte, mein Leben so teuer als möglich zu verkaufen. Ich versetzte daher meinem vermeintlichen Angreifer mit der Faust einen furchtbaren Stoß auf den Magen, wurde aber durch sein Stöhnen und Ächzen bald gewahr, daß ich den Steward vor mir hatte. Das brachte mich sofort zur vollen Besinnung und ich schrie: »Was ist denn los? Was willst du?«

»O, Sir,« wimmerte er, sich den Magen haltend und nach Luft schnappend, »das Schiff sinkt, wir gehen alle zugrunde, ich soll Sie raufholen, Gott sei uns gnädig!«

Bei diesen Schreckensworten sprang ich in solcher Eile vom Lager auf, daß ich der ganzen Länge lang zu Boden schlug; ich erhob mich aber sofort wieder und stürzte in wilder Hast die Treppe hinauf. Kaum steckte ich jedoch den Kopf aus der Treppenbedachung heraus, so glaubte ich, er würde mir von den Schultern geblasen. Die Wut und die Gewalt des Sturmes war derart, wie ich es bisher noch nicht erlebt hatte.

Ich sah den Hochbootsmann und Cornish sich mit aller Macht gegen das Rad stemmen, und um zu ihnen zu gelangen, mußte ich mich auf Hände und Knie niederlassen. Als ich bei ihnen war, hielt ich mich am Geländer fest und sah mich um.

Das erste, was ich bemerkte, war, daß das Großsegel losgerissen war und in tausend Fetzen herumflatterte; die Fock war mitten durchgerissen, und die Besan donnerte, als ob Kanonenschüsse abgefeuert würden.

Die Spieren waren noch alle da, die Leebrassen aber waren losgeworfen, und das Schiff jagte vor einem Orkan her, der so heftig war wie ein Tornado; alles umher war kochender Schaum.

Dies also war der Sturm, den das Gewitter während der Nacht heraufgebracht hatte. Der erste Sturm, den wir erlebt hatten, war mit diesem verglichen, die reine Sommerbrise gewesen.

Die Wolken lagen wie ungeheure bleierne Walzen am Himmel; an einzelnen Stellen hingen sie tintenschwarz auf das Wasser herunter; keine Spur von blau war sichtbar, aber trotzdem war es heller, wie zur Zeit, als ich schlafen ging.

Die See wurde mit jedem Augenblick schwerer und bei dem furchtbaren Stampfen des Schiffes schlugen große Sturzseen über das Vorderdeck. Das fürchterliche Schlagen der Besan machte, daß der Mast vom Mastkragen bis zur Mastspitze sich wie ein Stück Fischbein bog. Obgleich betäubt und erschreckt von dem allen, bewahrte ich doch meine Geistesgegenwart. Es war augenscheinlich, daß der Besanmast über Bord gehen mußte, wenn das Segel nicht von seinem unteren Halt befreit wurde. Ich kroch deshalb auf allen Vieren nach den Schoten und warf sie los.

Das half, das Segel riß, die eine Hälfte schlug gegen den Hauptmast, die andere peitschte sofort in Lumpen zerfetzt, die Lüfte.

Nunmehr rekognoszierte ich den Hauptmast, dieser stand noch fest, wie ich zu meiner Beruhigung sah, dagegen bemerkte ich, daß der Fockmast durch das Hin- und Herschlagen der gespaltenen Fock stark ins Schwanken gebracht wurde, ich löste also auch hier die Schoten des Segels. Darauf begab ich mich wieder zum Rade.

»Ich sah ihn kommen, den Sturm,« brüllte mir Forward ins Ohr; »ich hatte gerade noch Zeit, das Ruder hart überzusetzen und Cornish zuzurufen, die Leebrassen loszuwerfen.«

»Es ist ganz unmöglich, daß wir vor dem Winde bleiben,« erwiderte ich so laut schreiend, als ich konnte. »Das Schiff wird unfehlbar in kurzer Zeit durch die See von hinten überspült und heruntergedrückt werden. Es bleibt uns nichts übrig, als beizudrehen, so lange wir noch können.«

»Sehen Sie einmal dorthin!« schrie auf einmal Cornish.

Da war allerdings etwas, was des Hinblickens wert war. Ein großes Dampfschiff, als Brigg getakelt, lag beigedreht in gerader Linie vor uns; sein Bugspriet stand quer über unsern Pfad. Bei Nacht oder Nebel würden wir, vom Sturm getrieben, direkt hineingerannt sein.

Wir stellten das Ruder ein wenig steuerbord und kamen dadurch, daß wir in eine Höhe mit dem Dampfer gelangt waren, auf etwa eine Viertelmeile an ihm vorbei. Wir durften es nicht wagen, das Schiff auch nur noch einen Strich weiter zu wenden, wenn wir nicht Gefahr laufen wollten, zu kentern. Dadurch wurde es für uns unmöglich, dem Dampfer näher zu kommen; es war schrecklich, die Hilfe vor Augen zu haben und doch sich sagen zu müssen, daß sie so unerreichbar war, als wäre sie tausend Meilen fern.

Wir sahen einen Mann auf der Kommandobrücke und zweifellos beobachteten uns auch noch mehr Menschen, die für uns nicht sichtbar waren. Gott weiß, welche Empfindungen in ihnen der Anblick unseres vor dem Sturm dahinrasenden Schiffes wachrief. Unsere zerlumpten Segel und die halbmast gehißte Notflagge flehten beredter um Hilfe, als es irgend eine menschliche Stimme vermocht hätte.

»Wir wollen jetzt auf jede Gefahr hin beizulegen versuchen,« stieß ich, halb wahnsinnig gemacht, durch unser tolles Rennen, hervor, denn immer weiter entfernten wir uns von dem Schiff.

Vorläufig blieb das Beidrehen nur ein frommer Wunsch, denn der Hochbootsmann vermochte es nicht, das Rad allein zu regieren, vier Hände waren mindestens erforderlich, den Andrang der See gegen das Ruder zu überwinden, das Wenden zu bewirken. Ich lief nach der Kajütentreppe und rief den Steward; als derselbe nach geraumer Zeit endlich zum Vorschein kam, stürzte er, von einem starken Windstoß getroffen, wieder die Treppe herunter.

Ich sprang ihm nach, packte ihn am Jackenkragen, zerrte ihn in die Höhe und trieb ihn dann, mit meinen beiden Händen auf seinem Rücken, hinauf und an das Rad.

»Hier, fest in die Spaken gefaßt!« fuhr ich ihn an. »Du arbeitest um dein Leben, Kerl!«

Darauf gingen Cornish und ich daran, die Raaen back zu brassen, um den Lauf des Schiffes zu hemmen und es allmählich beizulegen.

Es war dies für uns zwei eine fast übermenschliche Arbeit. Wir konnten uns kaum auf den Beinen erhalten, der Sturm raubte uns den Atem und trieb uns das Spritzwasser in die Augen, daß wir kaum zu sehen vermochten; Sturzseen drohten uns jeden Augenblick über Bord zu schwemmen. Wir mußten uns beim Ziehen an den Brassen soweit hinten überlegen, daß wir mit dem Rücken fast langgestreckt auf dem Deck lagen, und als wir auch hiermit noch nicht viel ausrichteten, befestigten wir die Taue am Gangspill, steckten zwei Speichen in dasselbe und versuchten auf diese Weise die Raaen herumzubringen.

Forward hatte unsere Not wohl bemerkt, denn der Steward kam uns plötzlich zu Hilfe. Ich blickte nach dem Rad herüber, um zu sehen, wie er allein damit fertig würde und muß sagen, daß ich abermals von der Riesenkraft und Leistungsfähigkeit dieses Mannes ganz betroffen war. Wie aus Eisen gegossen stand er da: die Zähne aufeinandergebissen, breitbeinig, die muskulösen Arme fest in die Spaken gestemmt, sein ganzes Gewicht dem mächtigen Druck entgegenstellend, den die schweren Wogen auf das Steuer ausübten. Er war ein wahrer Herkules.

Was wäre ohne ihn aus uns geworden? Dank seiner Ausdauer brachten wir das Schiff in die richtige Lage. Nach den langen Mühen und Anstrengungen lag es nunmehr verhältnismäßig ruhig, schlingerte aber fürchterlich und wälzte sich wie ein Schiff, welches halb voll Wasser ist.

Ich blickte jetzt umher nach dem Dampfer. Nahe konnte er nicht sein, denn unsere Fahrt vor dem Winde her, war zu schnell gewesen, und es hatte zu lange gedauert, dieselbe zu hemmen, aber ich erwartete doch wenigstens, ihn in Sicht zu finden. Indessen all mein Suchen war vergeblich, öde und leer war der Horizont, keine Spur des Schiffes war mehr zu sehen, nichts in der ganzen Ferne war um uns her, als die tobende See, die der Schatten der bleiernen, schweren Wolken fast schwarz färbte.


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