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Achtes Kapitel.
Die Meuterei.

Während ich in meiner Kajüte war, hörte ich die Leute das Boot aufhissen und dann den Befehl von Duckling, die großen Brassen auf Lee anzuholen. Als das Schiff wieder voll braßte, sah ich gerade dem Schlitzfenster meiner Koje gegenüber das Wrack liegen. Ich betrachtete es einige Minuten mit eigentümlicher Bewegung; die Erinnerung an den einsamen Toten im Deckhause ließ mir den schwarzen Schiffsrumpf wie einen ungeheuren Sarg erscheinen. Immerhin hatte ich aber jetzt auch beim Anblick des verstümmelten Fahrzeugs ein Gefühl der Beruhigung in dem Bewußtsein, daß es eben nur noch einen Toten barg.

Ein starkes Überholen des ›Grosvenor‹ entzog das Wrack wieder meinen Blicken, und ich wechselte nunmehr nicht ohne innere Aufregung meine Kleidung, denn das jetzt mir bevorstehende Zusammentreffen mit Coxon erfüllte mich doch mit Unruhe. Überdies war ich auch neugierig, den alten Herrn und das Mädchen zu sehen und zu erfahren, welchen Empfang ihnen Kapitän Coxon hatte angedeihen lassen. Ich erinnere mich, daß ich damals daran dachte, in welcher fatalen Lage sich das junge Mädchen befand. Es fehlte ihm an allem; es hatte kein weibliches Wesen zur Seite, welches ihm behilflich sein, Gesellschaft leisten oder mit Kleidung aushelfen konnte. Total durchnäßt bedurfte das arme Kind doch gerade jetzt letzterer dringend. Ich zerbrach mir den Kopf, wie hier Rat zu schaffen sei. Bis Valparaiso konnte sie unmöglich nur mit dem, was sie auf dem Leibe hatte, auskommen, und daß der Kapitän rein dieses Umstandes wegen vorher einen Hafen anlaufen würde, stand durchaus nicht zu erwarten. Das liebe hübsche Gesicht mit dem schönen blonden Haar und den sanften traurigen Augen tat mir gar zu leid; wie gern hätte ich es mich dankbar anlächeln sehen für eine Hilfe, die ich brachte.

Unter diesen Gedanken zog ich mir eben einen Stiefel an, als laut an meiner Türe gepocht wurde und der Zimmermann Namens Stevens eintrat; er trug eine kurze schwere Kette mit Fußeisen an jedem Ende und ein großes Vorlegeschloß. Ihm folgte Duckling, welcher, vor mich hintretend, sagte: »Kapitän Coxon hat befohlen, Sie in Eisen zu legen; Zimmermann, legen Sie die Fesseln um seine verdammten Knochen.«

Ich sprang von der Kiste empor, auf welcher ich saß, nicht in der Absicht, Widerstand zu leisten, sondern nur um Duckling meine Meinung zu sagen; aber er mißverstand meine Bewegung, denn er zog einen Revolver hervor, richtete denselben auf meinen Kopf und rief: »Beim Ewigen, wenn Sie irgend welchen Widerstand leisten, schieße ich Sie nieder; besinnen Sie sich also!«

»Ich beabsichtige durchaus nicht, mich zur Wehr zu setzen,« schnaubte ich ihn zornig an, »nur sagen wollte ich Ihnen, daß Sie ein ganz erbärmlicher, feiger Wicht sind, mich hier so zu überfallen; nein,« lachte ich höhnisch, »Sie haben sich verrechnet, ich werde Ihnen keine Veranlassung bieten mich zu morden, denn ich will leben bleiben, um Sie und Ihren Herrn seiner Zeit zur Rechenschaft zu ziehen!«

Damit setzte ich mich wieder auf meine Kiste, verschränkte die Arme und hielt dem Zimmermann meine Füße mit den Worten hin: »Mann, tun Sie, wie Ihnen befohlen wurde.«

Als die Fesseln um meine Beine geschlossen waren, äußerte der Maat mit einem haßerfüllten, grimmigen, kurzen Auflachen: »So, Sie falscher, meuterischer Hund, ich schätze, für die übrige Reise werden Sie uns nun keine Unruhe mehr machen.«

Dieser Hohn war mehr, als ich zu ertragen vermochte. Kaum wissend, was ich tat, warf ich mich plötzlich auf ihn, packte ihn an der Kehle und schmetterte ihn so heftig zu Boden, daß sich der noch in seiner Hand befindliche Revolver entlud. »Zimmermann,« schrie ich darauf wütend, »öffnen Sie die Tür.« Der Mann tat das sofort und ging gleichzeitig weg. Duckling lag vorläufig ziemlich betäubt auf der Diele, mit Bestimmtheit konnte ich aber erwarten, daß er sich sofort auf mich stürzen würde, sowie er wieder zur Besinnung kam. In meinem gefesselten Zustande mußte er dann leichtes Spiel mit mir haben. Einem so ungleichen Kampfe vorzubeugen, hob ich ihn in die Höhe und schleuderte ihn mit furchtbarer Gewalt durch die offene Tür gegen den Kajütentisch. Er fiel schwer zur Erde, ich aber schlug meine Tür ins Schloß und setzte mich völlig erschöpft und schwer atmend wieder auf meine Kiste.

So saß ich nur wenige Minuten, als die Tür leise ein wenig geöffnet wurde, eine Hand ein Gefäß auf den Boden stellte und eine Stimme flüsterte: »Man wird Sie hier nicht lange lassen, Sir.« Dann wurde die Tür wieder behutsam geschlossen. Ich nahm das Gefäß und fand es mit Brandy gefüllt; selten tat mir ein Trunk so wohl. Wie ich später erfuhr, war es der Hochbootsmann gewesen, der mir das Labsal gebracht hatte.

Ich versuchte jetzt über meine Lage nachzudenken; am unangenehmsten war mir die Ungewißheit derselben, denn ich konnte nicht ermessen, welche Quälereien der Haß und die Rache des Kapitäns aussinnen und welche Folgen mein Verfahren mit Duckling haben würde. Ich war ganz gefaßt darauf, letzteren plötzlich bei mir eindringen und sich auf mich werfen zu sehen. In Erwartung eines Kampfes mit diesem Wüterich, dem gegenüber ich doch jetzt beinahe wehrlos war, ergriff ich einen meiner schweren Seestiefel, um mit demselben den Kopf des Schurken zu bearbeiten, sobald er eintreten sollte. Indessen nach Verlauf einer Viertelstunde verflüchtigten sich die Kampfesbilder, in denen mein Geist mit einem Widersacher lebte, denn ich sah ihn durch mein Fenster, wie er das Hauptdeck entlang schritt. Hierbei bemerkte ich, daß er einen schönen blauen Fleck unter dem rechten Auge und eine tüchtige Beule auf der Stirn hatte, was mich mit großer Genugtuung erfüllte. Außer dem Maat konnte ich auch noch mehrere Leute auf dem Vorderdeck sehen, die sich mit einer gewissen Erregtheit, heftig gestikulierend, unterhielten und dabei mitunter nach Mr. Duckling, manchmal aber auch nach meinem Fenster blickten.

Die Behandlung, die man mir angedeihen ließ, war ebenso gemein wie brutal; es lag eine bodenlose Hinterlist in der Art und Weise, wie der Kapitän mich durch Duckling hatte überfallen lassen; es war ein Akt niedrigster Feigheit und Rachsucht, mich wie einen gemeinen Verbrecher in Eisen zu legen, anstatt mich einfach, in der herkömmlichen Weise, in Arrest zu schicken. Dies erbitterte mich außerordentlich, und mein Groll gegen die beiden Menschen erhielt noch mehr Nahrung durch den Umstand, daß meine Fesseln genau solche waren, wie man sie für widerspenstige Neger auf Schiffen zu benutzen pflegt. In gewissem Maße tröstete mich das Bewußtsein, daß die Mannschaft mit mir sympathisierte und ich voraussetzen durfte, daß sie nicht dulden würde, daß man mich mit Grausamkeit behandelte. Freilich war mir auch andererseits der Gedanke an eine Meuterei der Leute zu meinen Gunsten kein angenehmer, denn der Kapitän schwor dann ganz sicherlich, daß ich der Anstifter gewesen wäre, und Duckling konnte dies nur Wasser auf seine Mühle sein. Im Falle einer gerichtlichen Untersuchung vermochte ich nicht zu leugnen, daß ich die Leute durch eine Ansprache auf meine Seite gezogen und, dem Willen des Kapitäns entgegen, Anordnungen getroffen und Befehle erteilt hatte, als ob ich Herr des Schiffes gewesen wäre. Diese Tatsache mußte allerdings sehr gegen mich sprechen, und mochte auch im übrigen manches meine Handlungsweise entschuldigen, so mußte ich mich doch immerhin darauf gefaßt machen, bis zum endlichen Urteilsspruch im Gefängnis zu sitzen und mich in meinem Beruf vollständig ruiniert zu sehen. Dies waren keine sehr angenehmen Vorstellungen, und wenn mir dabei Gedanken kamen, die ich mich scheue, hier wiederzugeben, so wird sich niemand darüber wundern.

Ich fing an, vor Hunger ganz schwach zu werden, denn die Stunde des Mittagmahls war da, und ich hatte mich genug angestrengt, um einen recht gesegneten Appetit zu empfinden. Daß der Kapitän in der Kajüte bei Tische saß, roch ich nicht nur, sondern ich hörte ihn auch mit dem Steward sprechen, diesem einzigen Mann der ganzen Schiffsbesatzung, der ihm eine Art Anhänglichkeit zeigte. Ich versuchte zu hören, ob der alte Mann und das Mädchen mit ihm zusammenspeisten, aber es ließ sich keine andere Stimme vernehmen. Von Herzen wünschte ich, daß der Kapitän wenigstens mit den beiden freundlich und fürsorglich sein möchte; bei der Kaltherzigkeit und Selbstsucht dieses Schurken stand aber meine Hoffnung auf sehr schwachen Füßen.

Nach einer Weile hörte ich ihn die Kajütentreppe hinaufgehen und fast gleichzeitig Ducklings laute Stimme den Steward rufen und fragen:

»Was für Futter soll der eingesperrte, meuterische Hund bekommen?«

Der Steward sprach zu leise, als daß ich ihn hätte verstehen können.

»Das ist dem Burschen recht,« fuhr der Maat höhnisch auflachend fort, »eine bessere Kost gibt es ja gar nicht für ihn, hätte ich nur ein paar Handschellen, die sollte er auch noch haben. Schlägt mir die Kanaille solche Beule! Ist sie noch sehr groß?«

Die Antwort des Steward konnte ich wieder nicht verstehen, Duckling aber sprach gleich weiter:

»Es schien mir, als ob der Kerl am Rade grinste, als ich vorbeiging, aber er soll sich in acht nehmen, er steht bei mir auf dem Kerbholz. Das ist ja die heimtückischste, niederträchtigste, meuterischste Bande, mit der ich je gesegelt bin, lieber möchte ich die ganze Schiffsarbeit allein mit vier Laskaren verrichten, als mit solchem Gesindel; und was diese Ratte dort im Loch betrifft, diesen unter der Maske eines Gentlemen versteckten, dreimal destillierten Verschwörer, wahrhaftig, wenn es nicht der Flagge wegen wäre, unter der wir segeln, diesen Lump wollte ich mit wahrem Vergnügen eigenhändig an der Oberbram-Raanocke des Großmastes aufschlingen, als Warnungszeichen für alle etwaigen Gelüste seiner Spießgesellen.«

Dies alles wurde zu meiner Erbauung mit sehr lauter Stimme gesprochen, aber ich gestehe, daß es mich ziemlich kalt ließ. Unangenehm war mir dabei nur das eine, daß wenn die Schiffbrüchigen diesen rohen Wüterich gehört hätten, sie entsetzliche Schlüsse ziehen mußten über die Bande, unter welche sie geraten waren.

Kurz darauf kam Duckling an meinem Fenster vorbei und mich an diesem bemerkend, schrie er nach dem Zimmermann. Als dieser kam, deutete er auf mein Fenster und gab ihm irgendeinen Befehl. Darauf ging der Mann wieder weg. Zu derselben Zeit war ein junger Leicht-Matrose, ein Ire, Namens Dricoll damit beschäftigt, ein Tau mit einer Pinne am Großmast zu befestigen, Duckling trat an ihn heran, deutete nach oben und sagte etwas. Ich sah wie der Matrose leicht mit dem Kopfe nickte, dann aber ruhig in seiner Arbeit, die übrigens, wie ich erkennen konnte, gleich beendet sein mußte, fortfuhr. Ob nun dies, oder etwas anderes den Zorn des Maats reizte, weiß ich nicht, jedenfalls versetzte er aber auf einmal dem armen Menschen einen groben Stoß in den Rücken, drehte ihn herum, packte ihn am Halse und schleuderte ihn an die Steuerbord-Schanzkleidung, indem er dabei schrie: »Schere dich hinauf, wenn ich es dir befehle, infamer, fauler Lümmel! Rauf mit dir, oder ich will dir deinen Schädel klopfen, daß du denken sollst, Ostern und Pfingsten fällt auf einen Tag.«

Gleich nach dieser rohen Szene sah ich den Zimmermann wieder erscheinen, bewaffnet mit einem Hammer und mehreren Brettern. Er legte dieses Gerät vor mein Fenster nieder und begann es zu vernageln. Mit einem hämischen Lächeln auf dem häßlichen Gesicht überwachte Duckling diese Arbeit. Als sie beendet war, befand ich mich in verhältnismäßiger Dunkelheit. Das noch vorhandene kleine Schlitzfenster nach der See zu, ließ nur wenig Licht ein. So war ich nun vollständig regelrecht eingekerkert, denn wie ich bei einem Gehversuch mit meinen Fesseln bemerkt hatte, war nunmehr auch meine Tür verschlossen. Da ich von dem Verschluß gar nichts gehört hatte, mußte er sehr behutsam bewirkt worden sein, und ich zweifelte keinen Augenblick, daß Duckling es getan hatte und den Schlüssel in seiner Tasche trug.

Ich war so hungrig, daß ich für einen Zwieback dankbar gewesen wäre, ich nahm aber Abstand, nach dem Steward zu rufen, weil ich fürchtete, von diesem Menschen nur eine höhnende Antwort zu erhalten. Infolge dieser Erwägung beschloß ich, mich niederzulegen. Ich zog also mit Mühe die Matratze aus meiner Hänge-Bettstelle und legte sie auf die Pritsche, denn meine gefesselten Beine erlaubten mir nicht, in mein bisheriges Lager zu steigen. Bald, nachdem ich mich gelegt hatte, schlief ich ein.

Als ich wieder erwachte, war es fast ganz dunkel, ich mußte also den größten Teil des Nachmittags verschlafen haben. Durch mein Schlitzfenster blickend, sah ich die Schatten des Abends auf dem Wasser liegen, es blies ein starker Wind und das Schiff legte sich schwer über.

Nach einer Weile richtete ich mich auf und bemerkte dicht an der Tür, auf der Diele stehend, einen Krug und eine Zinnschüssel. »Gott sei Dank,« dachte ich, »endlich etwas zu essen und zu trinken.« Das gab mir neuen Mut. Mit einem Ruck stellte ich mich auf meine Füße, klemmte dabei aber meine Knöchel so heftig mit den Eisen, daß sofort Blut kam. Unter Schmerzen erreichte ich die Tür, fand aber nichts weiter vor, als Wasser und solchen Zwieback, wie ihn die Leute erhielten. Richtiger Hunger überwindet aber eben alles. Trotz Schimmel und Würmern aß oder vielmehr verschlang ich mehrere Stücke dieser fürchterlichen Kost und trank Wasser dazu. Darauf zog ich meine Pfeife hervor und fing an zu rauchen; ich kümmerte mich sehr wenig darum, daß der Kapitän diesen Genuß im geschlossenen Raum untersagt hatte, und wünschte von Herzen seinen Besuch, damit ich ihm meine Meinung über seine Handlungsweise sagen könnte.

Ich begann wieder über meine Lage zu grübeln. Wie lange würde ich hier als Gefangener schmachten müssen? Würde die Mannschaft den Kapitän zwingen, in einem nahen Hafen anzulegen? In diesem Fall wurde ich dort vermutlich dem Gericht übergeben, und das wäre mir unter den obwaltenden Umständen noch das liebste gewesen. Aber die Aussicht hierfür war doch nur gering, denn die Einleitung der Untersuchung über mich mußte gleichzeitig das Schiff festhalten, und eine weitere Verzögerung der Fahrt war gerade das, was der Kapitän unter allen Umständen vermeiden wollte. Ganz sicher hatte er die Absicht, direkt nach Valparaiso zu steuern. Ich war fest überzeugt, daß auch selbst die inständigsten Bitten der von uns Geretteten ihn nicht bewegen würden, sie an passender Stelle an Land zu setzen. So hieß es also für mich: Ausharren. Im übrigen dachte ich, was die Anklage gegen meine Person betraf, nicht ängstlich. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß irgendein Gerichtshof mich streng dafür bestrafen würde, daß ich Coxon gezwungen hatte, ein Boot nach dem Wrack zu schicken. Mir standen die Aussagen der Leute zur Seite, um zu beweisen, daß ehe ich den Befehl zum Beidrehen gab, wir ein menschliches Wesen gesehen hatten, welches unsere Hilfe anrief, meine Handlungsweise also lediglich dem Impuls, Menschenpflicht zu üben, entsprungen war. Dies mußte, meiner Meinung nach, die Beurteilung des Falles wesentlich mildern.

Während ich in solchen Gedanken versunken dasaß, war es dunkler geworden und der Wind hatte zugenommen. Ich hörte, wie der Kapitän gerade über mir Befehle gab, und die Leute Segel kürzten. Das Schiff war in starker Fahrt. Das Knarren und Stöhnen der Spieren drang zu mir, ich hörte das Dröhnen der gegen die Schiffsseiten anschlagenden Wogen und das Brausen des Wassers, welches über das Deck stürzte. Nachdem die Leute aber eine Zeitlang gearbeitet hatten, holte das Schiff weniger über und kam auf einen gleichmäßigeren Kiel.

Es hatte 9 Uhr geschlagen, als plötzlich ein Klopfen an dem Schlitzfenster meiner Kajüte meine Aufmerksamkeit erregte. Ich wandte sogleich den Kopf dahin, da es aber nicht nur bei mir, sondern auch draußen ganz dunkel war, konnte ich nichts erkennen und glaubte, daß ich mich getäuscht hätte, und das Geräusch über mir auf Deck gewesen wäre. Nach einer kurzen Pause wiederholte sich aber das Klopfen und jetzt war es mir unzweifelhaft, daß mit einem harten Gegenstand, wie etwa dem Griff eines Messers, auf das dicke Glas meines Fensters vorsichtig gepocht wurde. Ich war erstaunt, da mir aber einfiel, daß sich die Püttingen unter dem Fenster befanden, so schloß ich, daß jemand in diese hineingestiegen sei und sich mir bemerkbar machen wolle.

Sehr begierig zu erfahren, was das zu bedeuten habe, schleppte ich mich bei dem ziemlich schräg liegenden Schiff mit vieler Mühe nach dem Fenster, drehte die Schraube desselben auf, und öffnete es. Der frisch einströmende Luftzug trieb mir das Sprühwasser ins Gesicht.

Besorgt, daß meine Stimme in der Kajüte gehört werden könnte, denn es war jetzt die Zeit, wo der Grog zubereitet wurde, und deshalb sehr wahrscheinlich, daß Coxon und Duckling schon beim Glase saßen, hielt ich meine Hand vor den Mund und fragte leise: »Wer ist da?«

Da erschien ein Gesicht in der Fensteröffnung und eine Flüsterstimme sprach:

»Stevens, der Zimmermann; ich komme im Auftrage der Mannschaft; Sie müssen aber einen heiligen Eid schwören, uns nicht zu verraten, wenn ich Ihnen sage, was wir vorhaben.«

»Ich befinde mich nicht in der Lage, einen Verrat begehen zu können,« antwortete ich, »und kann auch keine Versprechungen geben, ehe ich nicht weiß, um was es sich handelt.«

Der Mann blieb hiernach einige Zeit still, dann zischelte er: »Wissen Sie, wir haben die Geschichte hier satt; Tag und Nacht diese Schinderei, und dabei noch verfaulten Fraß, bei dem man verhungert, das ertrag der Teufel! Da haben wir gedacht, Sie sollen das Schiff übernehmen und uns dahin bringen, wohin wir Ihnen sagen werden. Wollen Sie das?«

Ich war zu verblüfft durch diese Frage, um sogleich antworten zu können. Hundert Gedanken schossen mir durch den Kopf: meine lange Gefängnishaft, wenn Coxon den Befehl über das Schiff behielt, die vielen Qualen, die mir während derselben von ihm und Duckling bereitet werden würden, die Sorge betreffs der Behandlung des alten Herrn mit seiner Tochter, mein lebhafter Wunsch, wieder frei zu sein usw., kurz, mein erster Impuls war, ›Ja‹ zu sagen. Dann aber kamen auch schnell die Erwägungen all der Gefahren, welche eine Meuterei mit sich führt: die unvermeidlichen Exzesse der jeden Zwanges ledig gewordenen Leute, ihre Disziplinlosigkeit, Roheit, Unüberlegtheit, ihre Gleichgültigkeit gegen alles, was nicht der Augenblick bringt, und die dadurch möglicherweise eintretende Gefährdung des Schiffes. Der Entschluß war schwer für mich. Indessen, als der Zimmermann mich ungeduldig anfuhr: »Antworten Sie mir endlich, ich habe keine Zeit, jeden Augenblick kann mich der Maat bemerken,« da sagte ich kurz entschlossen: »Ich kann nicht einwilligen; es tut mir leid der Mannschaft und meiner selbst wegen, aber es ist besser, es bleibt alles wie es ist.«

»Den Teufel auch, davon ist keine Rede, ob Sie nun wollen oder nicht,« zischte er heftig. »Wir haben nachgerade genug ertragen, und wir werden Mittel finden, Sie zu zwingen, uns zu Willen zu sein. Nehmen Sie sich aber in acht, nun Sie alles wissen, irgendeinen Versuch zu machen, den Kapitän und den Maat zu warnen, es könnte Ihnen verdammt schlecht bekommen. Ich sage Ihnen, so ein Leben ist schnell ausgepustet wie ein Licht. Daran denken Sie.«

Nachdem er diese Drohung ausgesprochen hatte, zog er seinen Kopf aus der Fensteröffnung zurück; ich merkte dies aus der jetzt wieder ungehindert einströmenden Luft. Eine Weile wartete ich noch, dann aber, als alles still blieb, schloß ich das Fenster.

Meine Aufregung war furchtbar, wie sollte ich nunmehr handeln?

Willigte ich ein, so beging ich ein Verbrechen, indem ich mich mit den Meuterern verband, willigte ich nicht ein, und warnte den Kapitän, so schlugen sie mich wahrscheinlich tot. Damit war aber für den Kapitän nichts gewonnen, denn wollten sie sich wirklich des Schiffes bemächtigen, so konnten sie dies, trotz einer von mir erfolgten Warnung, infolge ihrer Überzahl, jeder Zeit tun. Es war schwer für mich, zu einem Entschluß zu kommen.

Indessen, ich will mich nicht tugendhafter und besser machen, als ich wirklich war. Nachdem ich eine halbe Stunde über die Sache nachgedacht hatte, sah ich ein, daß es mir mehr Vorteil bringen müsse, wenn die Mannschaft meuterte, als wenn der Kapitän die Herrschaft auf dem Schiffe behielte. Ich beschloß also, die Entwicklung der Dinge abzuwarten und danach meine Entscheidung zu treffen. Das einzige, um was ich von Herzen betete, war, daß kein Mord verübt werden möchte. Im Grunde fürchtete ich das nicht, weil ich dachte, den Leuten sei nur daran gelegen, andere Lebensmittel zu erlangen, entweder aus den Kajütenvorräten oder durch erzwungenen Ankauf in irgend einem Hafen.

Die Nacht schlich mir sehr langsam hin, ich zählte jeden Stundenschlag. Der Wind minderte sich um Mitternacht. Ich hörte Duckling in die Kajüte des Kapitäns gehen und denselben wecken, denn natürlich hatte dieser meinen Dienst übernommen.

Hierauf gingen beide auf Deck, nach ungefähr 10 Minuten kam aber der Maat wieder herunter und begab sich zu Bett.

Nach ein Uhr duselte ich etwas ein, wurde aber bald wieder durch das Gemurmel verschiedener Stimmen auf Deck aufgeschreckt, welches mein durch die Aufregung verschärftes Gehör dicht an meiner Kojenwand vernahm. Nach einigen Augenblicken verstummte das unheimliche Geflüster allerdings wieder, statt dessen hörte ich aber leise Fußtritte in der großen Kajüte und es wurde auch auf die Klinke meiner Tür gedrückt. Dann war es wieder ganz still und wie sehr ich mein Gehör auch anstrengte, ich vernahm doch weiter nichts, als das Klopfen meines Herzens. Nach und nach geriet ich in eine fieberhafte Spannung. Alle möglichen Gedanken jagten mir durch den Kopf. Schließlich schalt ich mich einen Narren, denn das Gemurmel und Geschleiche, welches mich erschreckt hatte, konnte ja auch bei der Überreizung meiner Nerven reine Einbildung gewesen sein. Ich wurde darin bestärkt, als ich plötzlich über mir auf Deck den Kapitän rufen hörte: »Wache heran! Gieksegel aufgeien!«

Der Ruf war kaum verklungen, als ich auch schon mehrere Leute die Treppe hinaufstürmen hörte, welche dicht an meiner Kojenwand vorbei nach dem Hüttendeck führte; sie mußten also schon vor Erteilung des Befehls dort gestanden haben, sonst hätten sie nicht so schnell da sein können. Dies machte mich von neuem stutzig, indessen hörte ich sie bald an der Arbeit. Als diese aber beendet und wieder Ruhe eingetreten war, ertönte plötzlich ein gellender Pfiff und unmittelbar darauf vernahm ich ein heftiges Getrampel über mir, gefolgt von einem schweren Fall und kurzem Stöhnen. Im selben Augenblick polterten schwere Tritte eines ganzen Haufens in eiligem Lauf die Treppe herunter. Die Tür zu Ducklings Kajüte wurde aufgerissen, und ein furchtbarer Tumult, vermischt mit wilden Flüchen und Verwünschungen entstand: »Zerrt ihn an den Haaren heraus,« hörte ich heiser vor Wut verschiedene Stimmen durcheinanderbrüllen. »Was, du Schuft, du willst dich noch wehren? Hier, nimm das in dein verdammtes Schielauge! Und das, in deine bissigen Zähne! Du sollst uns nicht mehr schimpfen und verfluchen, du Schinderknecht! Laßt mich auch an ihn! Ha, siehst du, ich habe auch eine gute Faust! Ah! Hast du genug? Schade, das ging zu schnell!«

Dies alles schallte in wildem Toben durcheinander. Ducklings Stimme hörte ich nicht, daß er aber für sein Leben mit all der ihm zu Gebote stehenden Kraft kämpfte, erkannte ich an den schweren Stößen der Körper gegen die Wände, dem Klirren von Geschirr, dem Poltern umgeworfener Gegenstände und dem bis zu mir dringenden Keuchen der schwer miteinander Ringenden.

Trotz aller Gegenwehr Ducklings war der Kampf in Wirklichkeit doch nur kurz. Nach den letzten Worten, die gefallen waren, hörte ich den Koch heulen: »Nicht machen schon tot, warten pis es is hell«; dann vernahm ich rohes, grimmiges Lachen, und wie der Körper des entweder getöteten oder bewußtlosen, unglücklichen Maats, durch die Kajüte hindurch, die Treppe hinaus auf Deck geschleift wurde.

»Hüttendeck ahoi!« schrie einer, »wie steht's bei euch, Maats?«

»Die Schlinge hängt, es fehlt nur noch der Hals hinein,« klang die Antwort, begleitet von rohem Gelächter, zurück.

Wie ich so mit angehaltenem Atem, in banger Erwartung dessen, was weiter noch geschehen würde, dalag, vernahm ich ein leises hastiges Herumtasten an meiner Tür und dann eine vor Angst bebende, gedämpfte Stimme, welche sagte:

»Mr. Royle, sie haben den Kapitän und Mr. Duckling umgebracht, jetzt werden sie mich gewiß holen. Um Gottes Barmherzigkeit willen stehen Sie mir bei, sprechen Sie für mich, auf Sie werden sie hören. Retten Sie mein Leben!«

»Bist du das, Steward?« fragte ich.

»Ja, Sir, ich bin's.«

Gerade als er dies sagte, schrie einer oben: »Wo ist der Steward? Er hielt es immer mit den beiden Teufeln, das saubere Kleeblatt muß zusammenbleiben; schleppt ihn heran, den Hund!«

Schon bei den ersten Worten hörte ich, wie der Steward sich eiligst von meiner Tür entfernte. Bald darauf kamen einige Leute in die Kajüte, hätten sie ihn dort gefunden, wäre er unzweifelhaft verloren gewesen; aber einer der Kerle lenkte die Gedanken der andern Leute unabsichtlich ab, indem er rief:

»Da drin steckt der zweite Maat, wir wollen ihn herausholen.«

Es wurde heftig an meiner Tür gerüttelt und gestoßen.

»Sie ist verschlossen,« sagte einer, »wir müssen sie aufbrechen; Jim, hole einen Hammer und ein Brecheisen.«

In wenigen Augenblicken waren die Werkzeuge zur Stelle, das Schloß wurde gesprengt, die Tür flog auf.

In der großen Kajüte brannten zwei Hängelampen, die eine warf ihr Licht zu mir herein. Ich richtete mich auf und rief den Eintretenden, auf meine Fesseln deutend, zu: »Na, das ist schön von euch, daß ihr an mich gedacht habt, nehmt mir die Dinger ab.«

Ich glaube, es lag etwas in der Art, wie ich das sagte, was sie nicht zweifeln ließ, daß ich die Meuterei als eine Tat betrachtete, an der ich mich beteiligt hätte, wenn ich nicht eingesperrt gewesen wäre.

»Das wird schnell besorgt sein,« erwiderte der Kerl, der den Hammer trug; »kommen Sie runter und legen Sie sich auf die Diele, ich will die Fesseln samt der Kette verschlucken, wenn Sie nicht in der nächsten Minute imstande sein sollen, zu tanzen.«

Ich tat, wie der Mann gesagt hatte und legte mich hin; mit zwei Schlägen waren die Krampen in Stücken und ich sprang auf.

»Nun, Jungens,« sprach ich im Geiste der Rolle, die zu spielen ich mir vorgenommen hatte, »was habt ihr getan?«

»Was wir getan haben,« lachte der Mann, welcher mir die Eisen abgeschlagen hatte, roh auf; »was wir getan haben, wollen Sie wissen? Na, wir haben das Schiff genommen, weiter nichts.«

»Ja, ja, das ist so,« fügte ein anderer hinzu; »der Kapitän ist mausetot und wenn Sie sehen wollen, was wir mit Mr. Duckling gemacht haben, da kommen Sie hinauf.«

»Erst aber sagen Sie,« fuhr ein dritter dazwischen, »wie Sie sich zu uns stellen wollen. Wir sind jetzt die Herren hier, wie Sie vermutlich begreifen werden, und da werden Sie klug tun, sich danach zu richten.«

In diesem Augenblick kam der Zimmermann herein.

»O, da ist er ja!« rief er.

Er faßte mich am Arm, führte mich in die große Kajüte und forderte mich auf, an das Ende des Tisches zu treten, dann ging er an die Tür und schrie hinaus: »Alle Mann hierher!«

Ich hörte die auf dem Hüttendeck befindlichen Leute mit schweren Tritten langsam gehen, als ob sie eine Last trügen. Das war auch so, denn bald darauf schlug ein Körper schwer auf das Hauptdeck nieder. Wie ich später erfuhr, war es die Leiche des Kapitäns gewesen, die sie über das Hüttendeckgeländer geworfen hatten. Hienach kamen die Leute herunter. Die ganze Mannschaft war nunmehr versammelt und stellte sich zu beiden Seiten des Tisches auf, an dessen Ende ich stand. Es war eine Szene, die ich nie vergessen werde. Wie zu einem Gericht vereinigt, so stand diese Mordbande vor mir; ihr unheimlicher Anblick wurde noch gehoben durch die Verschiedenheit ihrer äußern Erscheinung. Bunt durcheinander mischten sich die tief im Nacken sitzenden Südwester mit Hüten und Mützen aller Art, schmutzige Wollhemden mit Ölröcken und Lotsenjacken, bärtige, sonnverbrannte Gesichter mit blassen, abgezehrten Wangen; nur in einem waren alle gleich und das war in dem Ausdruck des teuflischen Hohnes, mit welchem sie unter verzerrtem Grinsen ihre Blicke durch die Kajüte schweifen ließen.

»Nun, Mr. Royle,« begann der Zimmermann, »wir sind jetzt hier alle gleich, einer gilt so viel, wie der andere. Sie werden das hoffentlich verstehen, denn sehen Sie, der lange Kerl, der Johnson da, hat die Eigentümlichkeit, mit Vorliebe Scharfrichter zu spielen. Er versteht es, wie kein anderer, jedem Mißliebigen mit einem Ruck den Hals umzudrehen und wollten wir nun fragen, ob Sie mit uns halten wollen?«

»Ich stehe in allem zu euch, außer, wo es sich um Mord handelt,« entgegnete ich.

Diese Antwort erregte ein Murren, welches die Stimme des Zimmermanns unterbrach, der mir scharf erwiderte:

»Wir wissen nicht, was Sie Mord nennen; ein Mord ist hier nicht verübt worden, was geschehen ist, ist ganz zufällig geschehen, wie sich eben manchmal ein Unglück zuträgt. Das ist unsere Meinung von der Sache, verstehen Sie, und da Sie zu uns stehen wollen, wird es wohl auch die Ihrige sein.«

Die letzten Worte begleitete er mit einem sehr bedeutsamen Kopfnicken.

Mit verschränkten Armen, ihn fest anblickend, hatte ich zugehört, jetzt sagte ich:

»Hört, ich will ein offenes Wort mit euch reden. Es ist wohl keiner unter euch, der nicht empfunden hat, daß ich eure Partei nahm, seit ihr die erste Klage über die Lebensmittel führtet. Es wird euch wohl auch nicht verborgen geblieben sein, daß das für mich der Anfang des Zerwürfnisses mit dem Kapitän wurde. Meinen Streit mit ihm und Mr. Duckling, wegen der Rettung der Schiffbrüchigen, habt ihr angesehen und miterlebt. Ich hätte die offene Auflehnung, die ich infolge derselben beging, nicht wagen können, wenn ich nicht fest überzeugt gewesen wäre, daß ihr meine Ansicht teiltet und zu mir stehen würdet. Wir haben das Rettungswerk zusammen durchgeführt, und ich bin dafür als Meuterer in Eisen gelegt worden. Ihr habt mir diese jetzt abgenommen und frei stehe ich wieder unter euch, aber ich weiß nicht, was ihr mit mir vorhabt. Wollt ihr mein Leben nehmen, ich kann es nicht hindern, aber ich sage euch, wenn ihr das tut, werdet ihr einen Menschen töten, der es immer gut mit euch gemeint hat, der Mitgefühl mit euren Entbehrungen hatte, nie rauh mit euch verfahren ist und euch gern geholfen hätte, doch das stand nicht in seiner Macht. Nun sagt, was wollt ihr von mir?«

Alle hatten stillschweigend zugehört; jetzt schrien sie durcheinander:

»Wir wissen das alles.«

»Wir hegen keinen Groll gegen Sie.«

»Wir wollen nicht Ihr Leben, im Gegenteil, Sie sollen jetzt das Schiff übernehmen und uns dahin führen, wohin wir wollen; weiter verlangen wir gar nichts.«

Ich tat bei diesen Ausrufen, als wenn sie mich kalt ließen und hielt meine Augen unverwandt auf Stevens gerichtet, damit sie sehen sollten, daß ich diesen als ihr Sprachrohr betrachtete und nur mit ihm verhandeln wollte.

Er nahm auch gleich wieder das Wort und begann: »Gut, alles was Sie sagten, ist ganz richtig; wir haben Ihnen nichts vorzuwerfen. Was ich Ihnen diesen Abend durch das Fenster vorschlug, wiederhole ich jetzt: wenn Sie bereit sind, unser Schiff an den Ort zu führen, den wir Ihnen nennen werden, so können Sie sich die nötigen Maats zu Ihrer Unterstützung aus unserer Mitte wählen. Wir wollen Ihnen dann gehorchen, als wenn Sie unser rechtmäßiger Kapitän wären und Ihnen vertrauen. Aber das sage ich Ihnen vor der ganzen Mannschaft hier, wenn Sie uns hintergehen und nicht dahin segeln, wohin wir wollen, oder uns einem Kriegsschiff in den Weg bringen, oder überhaupt in irgend einer Weise versuchen, uns zu verraten, so gnade Ihnen Gott. So wahr ich William Stevens heiße, dann werden wir Sie töten und über Bord werfen. Das merken Sie sich.«

»Gut,« sagte ich, »ich will tun, was ihr wünscht, aber nur unter der Bedingung, daß ihr mir euer ehrliches Seemannswort gebt, kein Blut mehr zu vergießen, nachdem der Kapitän schon ein Opfer eurer Wut geworden ist.«

»Bei Gott, nein!« schrie der Koch, »jetzt nix verspreken.«

»Laßt euch von mir raten!« rief ich in Angst vor neuen scheußlichen Szenen, den schrecklichen Hintergedanken des Kerls verstehend. »Wie steht es mit dem alten Mann und seiner Tochter, sind sie sicher?«

»Ja,« antworteten sofort mehrere Stimmen, und auch der Koch, welcher wohl dachte, ich hätte seine Worte mißverstanden, stimmte ein.

»Und wie ist es mit Mr. Duckling und dem Steward?« fragte ich weiter.

»Tie sein meinige, tie ich mussen turchaus slachten,« kreischte der Koch. »Ich nich haben vergessen, daß Maat mich stoßen in Gesicht und treten in Rücken, und Steward uns vergiften. Nein, nix Gnad, nix Gnad, müssen beide sterben,« heulte der Unhold mit wild flammenden Blicken, und mehrere der wüsten Burschen stimmten ihm laut schreiend bei.

»Hört mich an!« fiel ich mit der ganzen Kraft meiner Stimme in diesen Lärm ein; »ich stehe allein gegen euch alle, aber ich fürchte mich nicht, meine Meinung zu sagen, denn ich bin ein Engländer und weiß, daß ich zu Engländern spreche mit Ausnahme dieses blutdürstigen gelben Wilden, der eben kein Engländer ist.« Bei diesen Worten wurde ich durch ein wieherndes Gelächter unterbrochen, in das sich Scherze und Neckereien mischten, die alle auf den Koch zielten. Als wieder Ruhe eingetreten war, fuhr ich fort: »Ich schwöre euch, alles zu tun, was ihr von mir verlangen werdet, nur laßt von jetzt ab eure Hände von Blut rein. Ihr habt die beiden Unglücklichen in eurer Gewalt, könnt ihr aber eure Lage dadurch verbessern, daß ihr sie tötet? Gewiß nicht; also seid barmherzig. Maats, ich kann nicht glauben, daß ihr sie mit kaltem Blute umbringen könntet. Gibt es einen Engländer, der einen wehrlosen Menschen hinzuschlachten vermöchte? Möchtet ihr dabei stehen und zusehen, wie ein Wehrloser gemordet wird? Denkt an den allmächtigen Gott über euch, er ist auch ein Gott der Rache. Ich bitte euch um der Gnade willen, die ihr selbst erwartet, hört auf mich!«

»Na, gut, da wollen wir den Steward laufen lassen,« ließ sich eine Stimme vernehmen, »aber an dem Maat müssen wir unsere Rache haben, den lassen wir uns nicht nehmen. Sparen Sie sich ihre Predigten, wir mögen davon nichts wissen.«

Und wieder erhob sich das unheilverkündende Gemurmel der erbitterten Leute. Plötzlich rief der Mann, der unterdessen am Rade geblieben war, durch das Oberlicht herunter:

»Es ist so schwarz wie Pech nach leewärts, kommt herauf, sonst wird das Schiff gegen den Mast geweht!«

»Was soll ich nun tun?« rief ich.

»Den Befehl des Schiffes übernehmen,« tönte es einstimmig zurück; »wir wollen Ihnen gehorchen.«

In wenigen Augenblicken war ich, gefolgt von allen Leuten, auf Deck. Auf den ersten Blick erkannte ich, daß das Schiff schon so gut wie gegen den Mast geweht war.

»Backbord das Ruder! Scharf backbord!« schrie ich. »Backbrassen vorn und hinten los! Herum mit den Raaen, rasch!«

Glücklicherweise war nicht nur das erste Kommen des Windes leicht, sondern die stehende Leinwand war auch verhältnismäßig nur gering. Ich befahl sofort das Einnehmen aller Segel mit Ausnahme der Fock und der Besan, in welche ich ein Reff binden ließ, und da ich nicht wußte, welchen Kurs ich steuern sollte, hielt ich das Schiff dicht beim Winde.

Der Himmel sah nach Süden drohend aus und die Nacht war sehr dunkel. Ich lief herunter, um am Barometer nachzusehen, und fand ihn nur wenig gefallen. Dies war eine Beruhigung für mich, denn ich muß gestehen, mir fehlte augenblicklich, unter dem Eindruck der Erlebnisse der letzten Stunden, die nötige Ruhe, um einem plötzlich hereinbrechenden schweren Wetter mit der erforderlichen Kaltblütigkeit zu begegnen.

An einem sonderbaren nervösen Zittern und einem fast schmerzhaften Gefühl von Schwäche, welches mich von Zeit zu Zeit überkam, erkannte ich, daß ich sowohl physisch wie moralisch einen schrecklichen Stoß erlitten hatte.

Das einzige, was ich bis jetzt seit meiner Einkerkerung genossen hatte, waren die beiden Zwiebacks gewesen, und ich fühlte deshalb das dringende Bedürfnis, mich durch Speise und Trank zu stärken. Ich suchte den Zimmermann auf und bat ihn, mich kurze Zeit auf Deck zu vertreten.

Als ich die Kajütentreppe hinuntersteigen wollte, bemerkte ich ganz in der Nähe der Tür zwei übereinanderliegende Gestalten. Die Kajütenlampen warfen genügendes Licht herauf, um mich sogleich erkennen zu lassen, daß die beiden Körper die von Coxon und Duckling waren.

Ich trat zu ihnen heran. Coxon lag auf dem Rücken und Duckling über ihm, das Gesicht nach unten. An keinem von beiden war Blut zu sehen. Coxon war offenbar von hinten über den Kopf geschlagen worden und augenblicklich tot gewesen; seine Züge waren ruhig und sein graues Haar gab ihm im Tode ein ehrwürdiges Ansehen.

Um mich zu überzeugen, ob Duckling auch tot wäre, nahm ich ihn am Arm und wandte ihn um. Dies sahen einige Leute, und einer derselben rief mir zu: »Das ist recht, rufen Sie den Lump ins Leben zurück, der Koch möchte ihn so gern noch einmal sprechen.«

Währenddem trat der Zimmermann zu mir.

»Er ist tot, denke ich,« sagte er.

»Tot oder nahe am Sterben,« erwiderte ich; »besser für ihn, er wäre tot. Der Kapitän muß, seinem Aussehen nach, sehr ruhig gestorben sein,« fügte ich hinzu. »Es wäre wohl gut, er würde nach vorn gebracht und zugedeckt. Was ist denn übrigens mit der Leiche des Matrosen geschehen, den ich an Bord brachte?«

»Sie wurde wie eine tote Ratte ins Wasser geschmissen, auf Befehl dieses Christen hier,« erwiderte er, mit einem Blick des Abscheus den Körper des Kapitäns mit dem Fuße stoßend. »Dieser fromme Herr hatte wirklich viel Gefühl, das muß man sagen. Wozu ihn erst zudecken? Lassen Sie ihn genau ebenso über Bord gehen wie er den Matrosen, er verdient es nicht besser. Heh! Maats!« rief er dann gleich den Leuten zu, die uns beobachteten, »kommt doch einmal hierher,« und als sie heran waren, fuhr er fort, auf die Leiche des Kapitäns weisend: »Hebt ihn auf, am Tage des jüngsten Gerichts mag er gegen uns zeugen; jetzt ins Wasser mit ihm.«

Während drei der Leute den Schiffer aufhoben, faßten andere Duckling an.

»Den auch?« fragte einer.

»Was meinen Sie dazu, Mr. Royle?« wandte sich Stevens an mich.

»Das geht Mr. Royle gar nichts an,« äußerte ein anderer im gröbsten Tone; »der Maat gehört dem Koch,« und sogleich rief er laut: »Koch! Koch! Komm schnell hierher!«

Inzwischen trugen die Leute die Leiche des Kapitäns nach der Leeseite. Zwei hatten die Schultern, einer die Füße gefaßt. Kurz vor der Schanzkleidung blieben sie stehen und fingen an, den toten Körper durch Wippen in Schwung zu versetzen. Dann zählten sie unter Lachen eins, zwei, drei, und in hohem Bogen flog die Leiche über Bord. »So fahr zur Hölle, wo du hingehörst,« das war das Gebet, mit welcher einer der Schurken die gräßliche Bestattung begleitete.

Jetzt wurde unter lautem Gejohle der Koch von einigen Leuten herangebracht; er war betrunken.

»Na, Köching, hier ist dein Freund,« sagte Stevens, indem er Duckling mit der Stiefelspitze berührte, »er wartet schon lange auf dich, um zu erfahren, was aus ihm werden soll.«

»Ah ter gutten Gentleman,« lallte der Koch, seine Mütze mit trunkener Schwerfälligkeit abnehmend und dem anscheinend leblosen Körper eine taumelnde Verbeugung machend; »abber gutten Gentleman noch slafen, mich wundervoll ansehn, mich nicht mit Faust slagen und Fuß stoßen, oh, müssen ihn wecken, ihm Haut abziehn, Augen ausstecken, Fuß und Hand absneiden. Bei Gott, ja!« heulte auf einmal der Trunkene, wie wenn er durch seine Rachegelüste plötzlich ganz ernüchtert worden wäre, »ja, tas wollen ich alles gleich tun.« Dabei stieß er den vor ihm liegenden Körper wütend mit dem Fuße, seine Augen funkelten wild und er gellte in unheimlichen Tönen: »Mir ein Messer geben, ein Messer!«

Einige Leute lachten, und einer der Unmenschen reichte ihm eins.

Zitternd vor Wut und Aufregung packte ich den Arm des Zimmermanns und zischte ihm ins Ohr:

»Mr. Stevens, wollen Sie solche Schmach dulden? Können Sie es mit Ihrer Mannesehre vereinigen, diesen betrunkenen Kannibalen derart hier wüten zu lassen? Sollen wir uns ruhig zu Zeugen solch unmenschlicher Taten machen? Lebendig oder tot, besser ist es, der Maat geht sofort über Bord. Ich bitte Sie, machen Sie dieser schrecklichen Szene ein Ende.«

Der Zimmermann gab mir keine Antwort, ich aber wandte mich, wie von Frost geschüttelt, ab, um nicht zu sehen, was ich machtlos war zu hindern. Ich sah nur noch, wie der Koch die Arme entblößt, das Messer in der Hand, niederkniete, um sein blutiges Werk zu vollziehen. Im nächsten Moment hörte ich einen furchtbaren Schlag, gefolgt von einem Schrei, gleichzeitig aber auch ein brüllendes Gelächter der Leute. Als ich mich daraufhin umwandte, sah ich den Koch gerade in die Speigaten rollen. Stevens kräftige Faust hatte also doch ihre Schuldigkeit getan und jetzt rief er:

»Nun über Bord mit dem Ding hier, und wenn Köching noch Rache an ihm nehmen will, dann werft ihn hinterdrein.«

Duckling wurde nunmehr aufgehoben wie vorher Coxon und ganz in der nämlichen Art über Bord befördert. Darauf sprangen mehrere Leute zu dem Koch hin und fragten (ob im Ernst oder Scherz, war unmöglich zu erkennen): »Soll er nach? Wir können doch die beiden Freunde nicht trennen.« Jedenfalls nahm der Koch die Sache ernsthaft, denn ein gräßliches Angstgeschrei ausstoßend, entwand er sich mit schlangengleichen Bewegungen den Händen derer, die ihn vom Boden aufheben wollten und stürmte wie eine Dampfmaschine davon. Alles lachte hinter ihm her, nur ich trat wie betäubt von all den Szenen des Schreckens noch einmal an den Zimmermann heran und bat ihn, mich zu vertreten, so lange ich unten wäre.

»Was wollen Sie denn da?« fragte er mürrisch.

»Mein Gott,« erwiderte ich gereizt, »etwas genießen; seit ich vom Wrack zurück bin, habe ich noch nichts als zwei verschimmelte Zwiebacks in den Magen bekommen.«

»Ja freilich,« entgegnete er, »da müssen Sie wohl Hunger haben, aber ehe Sie gehen, will ich Ihnen doch noch sagen, daß wenn Sie auch nun den Befehl über das Schiff haben, Sie doch mit mir und dem Hochbootsmann abwechselnd den Dienst auf Deck tun müssen. Das wird so am besten sein, meinen Sie nicht auch?«

»Gewiß, das ist billig.«

»Und dann denke ich,« fuhr er fort, »werden wir drei hier hinten die Kajüten bewohnen; die Mannschaft bleibt natürlich vorn. Die Verpflegung für uns alle miteinander wird aus den Kajütenvorräten entnommen; alles was diese an Speise und Getränke bieten, geht zu gleichen Teilen. Sie sollen die Kapitänskajüte haben, ich werde die Ihrige, und der Hochbootsmann wird die vom Maat nehmen; das haben wir alles so besprochen, bevor wir uns des Schiffes bemächtigten.«

»Gut, Mr. Stevens; so wäre ja alles in Ordnung. Ich kann Sie nur noch einmal versichern, daß ich alles tun werde, um mir das allseitige Vertrauen zu erwerben und hoffe, daß auch mir Treue gehalten werden wird, besonders in bezug auf das Leben des Stewards und der beiden Passagiere. Betreffs der letzteren möchte ich aber doch noch fragen, welche Behandlung sie genießen werden.«

»Nun, die sollen hier ganz ruhig und unbehelligt mit uns wohnen, sie können tun was sie wollen, niemand wird ihnen etwas zuleide tun, oder sie belästigen. Was aber den Steward betrifft, da bin ich doch nicht ganz sicher; ich habe Ihnen bis jetzt noch kein Versprechen gegeben, daß er geschont werden wird.«

»Hören Sie,« sagte ich ernst, »mit mir spielen lasse ich nicht; ich habe mich verpflichtet, alles zu tun, was man von mir verlangen wird, doch nur unter der einen Bedingung, daß kein Blut mehr fließt; hält man mir diese Bedingung nicht, so schwöre ich Ihnen, ist es mir egal was aus mir, Ihnen allen und dem Schiffe wird. Mehr als mich töten könnt ihr nicht, tut ihr es, so seht, wo ihr bleibt. Ich erkläre Ihnen jetzt: Ich rühre keinen Finger mehr, ehe mir nicht eine ganz bestimmte Versicherung in bezug auf den Steward gegeben ist. Wie lautet nun die Antwort?«

Er sah mich eine Weile groß an, dann sagte er ganz gelassen: »Ich werde mit den Leuten darüber sprechen.«

»Tun Sie das,« rief ich, »aber gleich.«

Noch einmal blickte er mich wie verwundert an, dann ging er, stieg aufs Hüttendeck und rief sofort die Leute zusammen. Inzwischen begab ich mich in die Speisekammer, wo ich kaltes Fleisch, Zwieback und eine Flasche Sherry fand. Diese Sachen trug ich mir in die große Kajüte und setzte mich dort an den Tisch. Ich fühlte keine besondere Unruhe wegen der Debatte, die über meinem Kopfe stattfand, denn ich wußte, daß ich den Leuten unentbehrlich war, auch hielt ich die Erbitterung gegen den Steward nicht für so stark, um befürchten zu müssen, daß die Mannschaft durch dieselbe verleitet werden würde, meine Dienste ihrer Rachsucht zu opfern.

Ich fiel über das Fleisch und den Wein so gierig her und war bei meinem Hunger so gänzlich in meine Beschäftigung vertieft, daß ich ordentlich erschrak, als ich plötzlich eine leichte Berührung meines Armes fühlte. Ich drehte mich schnell herum und sah das Mädchen vom Wrack mir gegenüber. Ihr Haar hing aufgelöst über ihre Schultern herab, ihr Gesicht war weiß wie Marmor, ihre blauen Augen aber leuchteten von Entschlossenheit und Mut. Sie sah bildschön aus, wie sie da im Schein der Lampe mit ihrem goldigen Haar vor mir stand.

»Sind Sie Mr. Royle?« fragte sie mit leiser, aber sehr wohltuender Stimme.

»Der bin ich,« erwiderte ich, mich mit einer Verbeugung erhebend.

Sie nahm meine Hand und küßte sie.

»Sie haben das Leben meines Vaters und das meine gerettet, und ich habe Gott gebeten, Sie zu segnen für Ihren Edelmut. Es bot sich mir noch keine Gelegenheit, Ihnen zu danken, man erlaubte mir nicht, Sie aufzusuchen. Der Kapitän sagte, Sie hätten gemeutert und lägen in Eisen. Mein Vater wünscht Ihnen zu danken, sein Herz ist so voll, daß er keine Ruhe findet, aber er ist zu schwach, um sich bewegen zu können; wollen Sie zu ihm kommen?«

»Jetzt nicht,« sagte ich; »Sie sollten schlafen, sich wieder stärken nach all dem Schrecklichen, was Sie erlebten und durchzumachen hatten.«

»Wie konnte ich schlafen,« flüsterte sie schaudernd, »bei dem Entsetzlichen, was hier vorgegangen ist? Ich hörte alles, hörte, wie dort in jener Kajüte gekämpft und gemordet wurde. Ach,« schluchzte sie, ihr Gesicht mit den Händen bedeckend, »es war so furchtbar, so schrecklich!«

»Ja, Entsetzliches ist geschehen,« erwiderte ich, sehr rasch sprechend, weil ich jeden Augenblick fürchtete, daß die Leute herunterkommen würden, »aber ängstigen Sie sich nicht, beruhigen Sie sich, das Schlimmste ist vorüber. Hörten Sie nicht, wie mir die Versicherung gegeben wurde, daß Sie und Ihr Vater sicher wären? Bitte, gehen Sie in Ihre Koje und versuchen Sie zu schlafen; glauben Sie mir, so lange ich in Ihrer Nähe bin und noch einen Finger rühren kann, soll Ihnen kein Haar gekrümmt werden. Es liegt eine schwierige Aufgabe vor mir, mit Gottes Hilfe werde ich sie aber lösen. Seien Sie überzeugt, das Bewußtsein, daß Ihre Sicherheit von meiner Handlungsweise abhängt, wird mein Sinnen und Denken schärfen, meine Wachsamkeit verdoppeln.«

Tief gerührt durch den Ausdruck ihrer Dankbarkeit und entzückt von ihrer Schönheit küßte ich ihr die Hand, wie sie vorhin die meinige geküßt hatte. Dann folgte sie meinem Wunsch und ging wieder in ihre Koje.

Ganz erfüllt von dem Eindruck, den das holde Mädchen auf mein Herz gemacht hatte, stand ich und blickte ihm nach. Es war mir, als ob ich neue Kraft gewonnen hätte in dem Gedanken, daß dieses Wesen meinem Schutz und meiner Obhut anvertraut war. Alle Gewissensbisse, die mich geplagt hatten, weil ich eingewilligt, das Schiff nach dem Gefallen einer Rotte Schurken zu steuern, lediglich aus Furcht für mein Leben, waren wie ausgelöscht. Mir stand jetzt einzig und allein die Aufgabe vor Augen, sie gegen jede Gefahr zu schützen. Von jetzt ab wollte ich den an mich gestellten Forderungen der Leute bereitwillig nachkommen, sofern sie nur zur Sicherheit und zum Besten dieses Mädchens dienten.

Die Stimmen der Mannschaft über mir, die mir die Erregtheit zeigten, mit welcher sie verhandelten, führten mich zum Bewußtsein meiner Lage zurück. Ich trank noch einen Schluck Wein und begab mich in die Kajüte des Kapitäns, um mich durch einen Einblick in das Loggbuch über die Lage des Schiffes am vorhergehenden Tage zu unterrichten.

Als ich die Tür geöffnet hatte und das Licht des Raumes, aus dem ich eintrat, in die Kajüte fiel, erschreckte mich der Anblick eines Mannes, der aus einem Winkel auf seinen Knien hervorkroch.

»O mein Gott, Sir,« wimmerte er kläglich, »soll auch ich jetzt umgebracht werden? Ach, Sir, in Ihrer Macht liegt es, mich zu retten; Ihnen werden sie gehorchen. Ich habe Frau und Kind zu Haus; ich bin ein elender Sünder und noch nicht bereit zum Sterben.«

Nach diesen Worten brach das erbärmliche Geschöpf in Tränen aus, rutschte dicht an mich heran und umschlang meine Beine. Es war natürlich der Steward.

»Zurück mit dir, verbirg dich, laß dich weder sehen noch hören,« stieß ich leise hervor. »Ich kann nichts versprechen, aber ich will mein Bestes tun, dein Leben zu retten. Schnell fort, zurück in deinen Winkel, jeden Augenblick können sie herunterkommen. Kerl, sei ein Mann und winsele mir nichts vor. Mit deinem Gejammer würdest du den Leuten nur Vergnügen machen. Zeige dich ruhig und mutig, wenn du ihnen gegenüberstehst.«

Er kroch eilig in seinen Winkel zurück. Darauf nahm ich das auf dem Tisch liegende Loggbuch, trug es unter die Lampe in der Kajüte und las dort die Messungen des gestrigen Tages nach; dann brachte ich das Buch zurück und stieg auf das Hüttendeck.

Die Dämmerung brach im Osten an, der Himmel sah noch trübe aus, aber weniger drohend. Die See ging ziemlich schwer, das Schiff aber hielt bei seinen wenigen Segeln ruhige Fahrt. Der Steuermann faulenzte am Rade; einen Arm durch die Spaken gesteckt und die Beine übereinandergeschlagen, saß er so recht da, wie einer, der zeigen will, daß Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit herrsche, und er nur aus Gefälligkeit seine Arbeit täte. Er beobachtete seine um das vordere Oberlicht versammelten Maats und rief ihnen manchmal etwas zu.

In der Mitte der rauchenden, schreienden, gestikulierenden Leute, befanden sich der Hochbootsmann und der Zimmermann, den Koch, diese Bestie, bemerkte ich aber nicht, woraus ich schloß, daß er durch den letzten Denkzettel, den er vom Zimmermann erhalten hatte, vorläufig zur Ruhe gebracht sei.

Es schien mir nicht klug, mich unter die Leute zu mischen und deshalb schlenderte ich nach dem Kompaß. Der Mann am Ruder richtete sich aus alter Gewohnheit des Respektes, welche zu stark war, um gleich vergessen zu werden, gerade auf, sah auf die Windrose, dann auf die Segel, gerade wie ein Mann, der beeifert ist, sich seine Pflichten recht angelegen sein zu lassen. Ich redete ihn nicht an, sondern überflog nur den Horizont, konnte aber nichts entdecken, außer die unruhigen Wogen.

Inzwischen hatten mich die Leute bemerkt; den Hochbootsmann und den Zimmermann an der Spitze, kamen alle miteinander auf mich zu.

Ein Zittern, welches ich nicht zu beherrschen vermochte, durchlief mich, doch schon im nächsten Augenblick hatte ich meine Ruhe wieder gewonnen.

Der Zimmermann redete mich an: »Die meisten von uns sind der Ansicht, den Steward laufen zu lassen, einige aber verlangen eine Strafe für ihn, weil er sich immer hämisch gezeigt hat, wenn er das stinkige Essen verteilte und dann auch wider besseres Wissen zu unfern Ungunsten frech log und dem Kapitän zu Munde sprach.«

»Also keiner von euch verlangt sein Leben?« fragte ich.

»Ach was, sein verdammtes Leben, mag er's behalten,« tönte es zurück, »uns ist daran nichts gelegen.«

»Gut, wer von euch fordert Strafe?«

Es entstand eine Pause, dann aber trat Fisch vor und sagte: »Na, ich bin einer davon.«

Ich mußte unwillkürlich lachen, denn er sagte das sehr komisch und mit einem gewissen Humor erwiderte ich: »Fisch, du hast eigentlich ganz recht, einen Denkzettel verdient der Bursche, er ist auch in meinen Augen ein ganz erbärmlicher Wicht, aber ich will es euch offen gestehen, ich habe ihn vorhin gesehen, er ist vor Todesangst ein heulendes, wimmerndes altes Weib geworden. Der Mensch ist so elend, daß es sich wahrhaftig nicht mehr der Mühe lohnt, an ihm Rache zu nehmen. Ihr alle werdet mir rechtgeben, wenn ihr ihn erst sehen werdet. Verachtung und höchstens noch einen Fußtritt dazu, das ist alles was der Lump meiner Meinung nach vertragen kann; Fisch gib ihm einen Fußtritt, aber keinen zu kräftigen und lasse dir daran genügen, ich bitte dich darum; sei ein guter Kerl.«

Meine Worte hatten die von mir erwünschte Wirkung erzielt, alles lachte, als Fisch selbst lachend zurücktrat und sagte: »Na, da will ich ein guter Kerl sein.«

»Übrigens,« begann hierauf der Hochbootsmann, »die Sache hat auch noch eine andere Seite. Der Steward ist der einzige, der mit den Kajütenvorräten Bescheid weiß; wird uns der Mensch vor Angst blödsinnig, finden wir vielleicht nicht die Hälfte von dem was da ist. Ich habe dafür gestimmt, daß er uns bedienen, selbst aber nichts anderes bekommen soll, als das, was er uns bisher austeilte. Die Strafe meine ich, wird eine ganz gesunde sein.«

Während der Hochbootsmann sprach, sah er mich fortwährend an. Aus seinem Blick las ich, daß ich in ihm einen Verbündeten hatte. Er war der einzige, der noch von der ersten Schiffsbesatzung stammte, und ich war überzeugt, daß er nur mitgemeutert hatte, um sein Leben zu retten. Mir erschienen seine Worte der Lage ganz angepaßt, und ich fragte deshalb:

»Genügt euch die vom Hochbootsmann vorgeschlagene Strafe?«

»Ja doch, die genügt,« wurde ungeduldig geantwortet, und eine Stimme rief: »Hol das dumme Luder der Teufel, sprechen wir jetzt endlich von uns selbst, ich frage, wohin soll unsere Fahrt gehen? Das scheint mir doch das wichtigste zu sein, ich mag nicht gehangen werden, wenn ich an Land komme.«

Diese vernünftige Bemerkung machte Johnson, und ich stimmte sehr erleichtert gleich bei: »Ja, das ist mir allerdings auch sehr wichtig, laßt uns davon reden. Mr. Stevens, Sie sagten mir, alle Ihre Pläne wären besprochen, wollen Sie mir dieselben mitteilen?«

»Gewiß,« entgegnete er, »damit Sie aber über alles Bescheid wissen, muß ich Ihnen zuerst erzählen, wie wir dahin gekommen sind. Sehen Sie, die ganze Geschichte, die sich heute nacht abgespielt hat, ist einzig und allein eine Tat der Selbsthilfe gewesen, gegen eine Behandlung, die nicht länger zu ertragen war. Hätte der Kapitän ehrlich und menschlich mit uns gehandelt, so würden wir gar nicht daran gedacht haben, zu rebellieren. Er hatte versprochen, anzulegen und andere Lebensmittel für uns zu beschaffen und sein Wort nicht gehalten. Länger hungern konnten und wollten wir aber nicht, es blieb uns nichts übrig, als uns unser Recht selbst zu verschaffen. Dabei hatten wir durchaus nicht die Absicht ihn umzubringen; wir wollten ihn bloß betäuben, um uns seiner zu bemächtigen und schlugen ihn von hinten nieder, weil wir fürchteten, er hätte einen Revolver bei sich. Daß der Schlag zu grob ausfiel, war ein Unglück, weiter nichts. Na und der andere, der wehrte sich, wie ein wildgewordener Stier, anstatt sich zu ergeben, wo so viele über ihm waren; da hat er eben auch zu viel gekriegt und ist durch seine eigene Schuld gestorben. So war es, das ist die reine Wahrheit. Was, Maats! Ist es nicht so gewesen?«

Ein beistimmendes Gemurmel lief durch den ganzen Haufen und einer schrie: »Ja, genau so war's, mir wollte er die Augen ausdrücken und die Zunge ausreißen; er hatte mich schön in der Mache und das litten doch die andern nicht. Da war es kein Wunder, daß ihm schließlich der Pust ausging.«

»Also,« nahm der Zimmermann wieder das Wort, »das wollte ich bloß vorausschicken, um Ihnen zu zeigen, daß wir uns rein nur in der Notwehr befanden und nicht morden wollten. Da das Unglück nun aber geschehen ist, müssen wir sehen, daß es uns nicht weiter schadet. Wir haben darüber gesprochen, wie sich das am besten machen ließe und sind darauf gekommen, irgend eine Küste anzulaufen. Einer schlug Florida vor, ein anderer den Golf von Mexiko, ein dritter die Südküste von Afrika, ein vierter Baffinsland usw., wir konnten aber nicht weiter einig werden, als darüber, daß Amerika doch wohl das gescheiteste sein würde, weil das ein großes Land ist, in dem es einem wohl gelingen könnte, sich zu verstecken.«

Hierüber lachten einige Leute, der Zimmermann ließ sich aber nicht stören und fuhr fort: »Um nun zu einem Beschluß zu kommen, wollen wir durch das Los bestimmen, nach welcher Küste Sie uns bringen sollen. Wenn wir noch eine Tagereise entfernt sind, besteigen wir die Boote und rudern ans Land; was wir dort tun und sagen, ist vorderhand noch nicht so genau durchgesprochen, jedenfalls sind wir aber Schiffbrüchige, hilflos und entblößt von allem. So ist unser Plan.«

»Ja, das ist unser Plan, aber nicht der ganze,« bemerkte einer. »Du hast noch nicht alles gesagt, Maat.«

»Höre Bill,« entgegnete der Zimmermann aufgebracht, »entweder führe ich das Wort, oder ich tue es nicht. Wenn du weiter sprechen willst, so brauchst du es nur zu sagen, damit wir wissen, woran wir sind. Aber entweder du oder ich, nur einer kann der Wortführer sein. Das ist meine Meinung, verstehst du mich?«

»Herrgott, ich will ja gar nichts sagen,« brummte der als ›Bill‹ angeredete Mann, »ich will dir ja gar nicht dreinreden; ich dachte nur, du hättest was vergessen und da fuhr mir das so raus.«

Was es war, was der Zimmermann verschwieg, ahnte ich nicht, aber neugierig wollte ich mich auch nicht zeigen und deshalb tat ich, als ob ich gar kein Gewicht auf die Auseinandersetzung zwischen den beiden legte. Meine Sache war es nur zu hören, wachsam zu sein und den Umständen nach zu handeln, um vor allem das Leben des alten Mannes, das seiner Tochter und das meinige zu erhalten.

Ich wartete ab, ob vielleicht noch irgend einer etwas sagen würde, da aber nunmehr alles still blieb, erwiderte ich:

»Ich weiß nun, was von mir gewünscht wird, und je eher eine Einigung über den Ort der Landung stattfindet, um so besser wird es für uns alle sein.«

»Können Sie uns keinen Rat geben?« fragte ein Mann. »Nennen Sie uns einen Punkt, der leicht zu erreichen ist.«

»Ich war niemals an der Küste von Nordamerika,« antwortete ich.

»Tut nichts, Amerika ist nicht der einzige Ort in der Welt,« meinte Fisch.

»Die meisten von uns wünschen aber in Amerika an Land zu gehen, und damit ist die Sache abgemacht,« entschied der Zimmermann mit scharfem Ton.

»Das meine ich auch,« rief Johnson, »und ich denke, das beste wird sein, südlich zu steuern. Wenn wir New-Orleans erreichen können, so finden wir da jeden Tag eine Menge Schiffe, die den Hafen verlassen und gute Heuer zahlen.«

»Ja, ja, so soll's sein, jeder kann dann tun, was er will,« stimmten mehrere ein.

»Ganz, wie ihr wollt,« bemerkte ich, »nur entschließt euch bald, damit ich das Schiff in seinen Kurs bringen kann.«

Mit diesen Worten stand ich von dem Gitter auf, auf welchem ich gesessen hatte, und schritt nach dem andern Ende des Hüttendecks. Nachdem ich die Stimmung der Leute erkannt hatte, war mir viel leichter ums Herz. Es stand außer Frage, daß sie erschrocken waren über das, was sie getan hatten, und hierin lag eine Bürgschaft, daß keine weiteren Untaten begangen werden würden. Ihr Plan, das Schiff zu verlassen und an Land zu rudern, sobald wir in die Nähe desselben gelangt sein würden, war ausführbar und daß sie sich für schiffbrüchige Seeleute ausgeben wollten, war schlau ersonnen, denn einmal erst am Lande, in alle Winde zerstreut, oder an Bord anderer Schiffe verheuert, wurde es schwer, wenn nicht unmöglich, des einen oder andern habhaft zu werden, falls ein durch irgend einen Umstand aufgetauchter Verdacht zu Nachforschungen Anlaß geben sollte.

Was mich betraf, so bezweifelte ich, daß sie mir erlauben würden, das Schiff zu verlassen, denn sie mußten befürchten, daß ich sie am Lande sofort zur Anzeige bringen würde. Indessen vorläufig zwang ich mich noch, alle Sorgen für die Zukunft zu verbannen. Meine Aufmerksamkeit mußte auf die unmittelbare Gegenwart gerichtet sein, um den Gefahren, die diese brachte, zu begegnen.

Die Tageshelle verbreitete sich mehr und mehr. Der aus Süden wehende Wind war stark. Das Schiff, welches kaum nennenswerte Fahrt machte, schaukelte auf den sich überstürzenden Wogen. Der Himmel verlor bald sein drohendes Aussehen und ließ mehr auf gutes Wetter schließen.

Der Zimmermann rief mich jetzt, und ich begab mich wieder zu den Leuten.

»Wir sind nun alle einig, Mr. Royle,« sagte er ziemlich höflich; »unsere Wahl ist auf New-Orleans gefallen. Im Golf von Mexiko scheitern eine Menge Schiffe, wie ich habe sagen hören, warum also wir nicht auch?« lachte er, »und wenn wir da also noch etwa fünfzig Meilen von der Küste ab sind, werden Sie uns das sagen und uns die Richtung auf den Mississippi zeigen. Wenn das geschehen ist, dann wollen wir Sie nicht länger bemühen.«

»Wie ist die Richtung?« fragte ich den Mann am Steuer.

»Südwest,« erwiderte er.

»Nimm Südwest bei West!« befahl ich.

»Wie ist unser direkter Kurs nach New-Orleans?« fragte der Zimmermann argwöhnisch.

»Warten Sie einen Augenblick, ich will es Ihnen auf der Karte zeigen,« antwortete ich und ging herunter, um dieselbe aus der Kapitänskajüte zu holen.

»Steward!« rief ich.

»Hier, Sir,« wimmerte der vor Angst halb Tote.

»Tröste dich; es wird dir nichts geschehen.«

»Möge Gott im Himmel Sie segnen!« schrie er wie toll vor Freude, indem er auf mich zusprang.

»Bleib mir vom Leibe!« rief ich, denn ich dachte, er wollte mich umarmen. »Komm wieder zu Verstande, Mensch, und laß dich nicht sehen, bis ich dich rufe.«

Etwas besseres hätte ich nicht sagen können, um seinem übermäßigen Freudentaumel Einhalt zu tun, denn er verkroch sich sofort wieder in seinen Winkel.

Da es hier unten noch dunkel war, machte ich Licht, und fand nach kurzem Suchen die Karte, auf welcher der Kurs des Schiffes bis zum Mittag des vorigen Tages durch Nadeln bezeichnet war. Ich nahm sie auf Deck, breitete sie dort auf dem Oberlicht aus und zeigte den Leuten die Stelle, wo wir uns jetzt befanden.

»Unser Kurs,« sagte ich, »ist Südwest bei West. Sind Sie nun befriedigt, Mr. Stevens?«

»O, ich denke, es ist alles richtig,« entgegnete er.

»Ruder auf! Fiert die Leebrassen!« rief ich. Beide Befehle waren kaum gegeben, als die Leute auch schon lustig davonsprangen und an die Arbeit gingen.

Nach wenigen Minuten hatten sich die stehenden Segel gerundet.

»Vor- und Groß-Bramsegel los!« befahl ich weiter, und während die Leute ins Takelwerk stiegen, die Segel zu lösen, wandte ich mich an den Zimmermann, der mit dem Hochbootsmann bei mir geblieben war, und sagte:

»Ich werde das Schiff nach Ihrem Wunsch bis auf fünfzig Meilen an den Mississippi heranbringen, erwarte aber, daß auch Sie und die Leute die mir gegebenen Zusagen halten.«

»Ja doch, ja,« brummte er mürrisch; »wir haben genug verbrochen, zu viel, schätze ich, wenn auch im Grunde nicht mehr, als die Lumpenhunde verdient haben, für Sie ist das aber die sicherste Bürgschaft uns gegenüber, denn natürlich ist unser einziger Wunsch, so schnell als möglich aus diesem verfluchten Schiff herauszukommen.«

»Das soll geschehen, wenn mir in allen Stücken Gehorsam geleistet wird.«

»In dem Punkt werden Sie sich nicht zu beklagen haben, so lange Sie uns Treue halten.«

»Auch über die Kajütenvorräte wollte ich noch mit Ihnen sprechen,« fuhr ich fort. »Wenn Sie meinem Rat folgen wollen, so lassen Sie den Steward dieselben in der herkömmlichen Weise verteilen, damit sie reichen, andernfalls könnte es sich leicht ereignen, daß sie verzehrt sind, ehe die Reise zu Ende ist. Betreffs der Spirituosen möchte ich bitten, mir die Verausgabung derselben zu überlassen.«

»Und auf welche Ration würden Sie gedenken uns zu setzen?« fragte er.

»Darüber würde mir Ihr Rat erwünscht sein,« entgegnete ich.

Dies hieß den Spieß umdrehen. Er kam in Verlegenheit, nahm die Mütze ab und kratzte sich hinter den Ohren.

»Na, drei Maß den Tag, was meinen Sie?«

»Sehr gut,« sagte ich, »aber wird es dabei bleiben?«

»Nun, ich schätze, daß wir damit den Tag schon auskommen können.«

»Und Sie verbürgen sich, daß der Steward vor jeder Gewalttätigkeit sicher ist, während er die Rationen verteilt?«

»Maats!« rief er da plötzlich den Leuten zu, die damit beschäftigt waren, die Bramsegel anzuholen, »werden drei Maß Rum täglich uns am Leben erhalten?«

»Sollen wir sie alle auf einmal bekommen?« fragte einer.

»Nein,« erwiderte ich, »in drei Porttonen.«

»Nun also, Jungens, laßt hören, wie ihr darüber denkt,« rief der Hochbootsmann.

Ein junger Leichtmatrose schrie: »Drei Maß sind nicht genug,« aber einer der älteren Matrosen drehte sich nach ihm um und fuhr ihn an: »Was, du Seekrebs, wo willst du denn all den Rum hinverstauen? Antworte nicht für Leute, die das besser verstehen, oder du kannst eins besehen, daß du Rad schlägst. Es ist genug!« rief er uns zu.

»Da hast du recht,« stimmte der Zimmermann bei. »Das meine ich auch.«

In diesem Moment fielen die Bramsegel nieder; ich befahl das Anholen derselben, und die Rumfrage war erledigt.


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