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Drittes Kapitel.
Unfreiwilliger Aufenthalt.

Ich hatte mir eine Hängebettstelle in meiner Koje aufgeschlungen. Kein vernünftiger Mensch wird sich auf See zum Schlafen einer Pritsche bedienen, wenn er über eine Hängematte oder Hängebettstelle verfügen kann; denn steht z. B. eine Pritsche quer zum Schiff und dieses holt über, während man schläft, so hat man beim Erwachen die Füße hoch oben in der Luft und jeden Tropfen Blut im Kopfe, falls man nicht, durch die Bewegung des Schiffes geweckt, sich mit dem Kopf an das Fußende bettet.

Die Wache hatte Befehl, den Kapitän zu rufen, sowie eine Änderung im Winde eintreten sollte. Außerdem wußte ich, daß der Lotse während der Nacht öfter nach dem Wetter sehen würde, deshalb zog ich mich auch vollständig aus und schlief fast bis um zwei Uhr. Um diese Zeit wachte ich auf, zog meine Beinkleider an, und ging auf Deck, wo ich Duckling in Unterhosen umherwandelnd fand; auch er war gekommen, um nach Wind auszuspähen. »Immer noch keine Spur von einem Lüftchen,« murrte er schläfrig und ging wieder hinunter.

Ich machte einen Gang nach vorn, um Ankerlaterne und Ausguck zu inspizieren. Das Deck war naß vom Tau; der Mond stand über Süd-Foreland; noch immer war der Himmel wolkenlos und nicht die geringste Veränderung zu bemerken. So ging auch ich nun wieder zurück in mein Bett.

Als ich darauf wieder erwachte, schaukelte meine Hängebettstelle gewaltig. Ich dachte im ersten Augenblick, wir wären unter Segel und es stürmte, da fiel mein Auge aber auf Duckling, welcher rief: »Heraus mit Ihnen, Mr. Royle! Eine gute Brise kommt von Osten; beeilen Sie sich und befehlen Sie dem Hochbootsmann, alle Mann aufzupfeifen.«

Im Nu war ich munter, sprang auf, zog mich an und eilte schon nach wenigen Minuten in das Deckhaus auf dem Vorderdeck, in welchem der Hochbootsmann und der Zimmermann ihr Logis hatten; ich fand sie in tiefem Schlafe, als ich eintrat. Beide lagen in voller Bekleidung auf ihren Pritschen. Das eine Bein des Hochbootsmannes hing herab, ich faßte es und rüttelte tüchtig daran; er erhob sein braunes, behaartes Gesicht, setzte sich mit einem Ruck aufrecht und fragte: »Alle Mann, Sir?«

»Ja, und zwar schnell,« entgegnete ich.

Es schien mir, als wollte er etwas sagen, er hielt aber inne und antwortete nur: »Ja, ja, Sir.« Darauf eilte ich wieder nach hinten.

Die Uhr in der Kajüte zeigte zwanzig Minuten nach fünf. Die Sonne war seit einer halben Stunde aufgegangen und erwärmte schon das Deck. Es wehte eine ganz hübsche Brise, aber nicht aus Osten, wie der Maat gesagt hatte, sondern aus Ost-Nordost, und frische Morgendüfte kamen mit ihr vom Lande herüber.

Der Kapitän und der Lotse standen beide auf dem Hüttendeck, und als ich näher kam, rief der erstere mir zu:

»Ist der Hochbootsmann geweckt?«

»Ja, Sir,« antwortete ich, schnell vorbeigehend, um noch rasch in meiner Koje meine nur eilig übergeworfene Bekleidung in Ordnung zu bringen. Ich hörte den Hochbootsmann auf seiner Pfeife trillern und die Leute zum Ankeraufbringen rufen. Als ich wieder auf Deck kam, begab ich mich nach der Mitte, wo mein Platz war, von der Mannschaft sah ich aber noch nichts; nur der Mann der Ankerwache stand auf seinem Fleck. Überall um uns her herrschte schon die regste Tätigkeit auf allen nach auswärts bestimmten Schiffen, um den günstigen Wind zu benutzen. Einige waren sogar schon unter Segel, andere holten soeben ihre Leinwand an; in jeder Richtung hörte man das Klirren der Ankerwinde; mehrere Boote von Deal fuhren mit vollen Segeln zwischen den Schiffen umher.

»Mr. Royle,« schrie der Kapitän ungeduldig, »sehen Sie nach, weshalb, zum Teufel, die Kerle nicht zum Vorschein kommen.«

Ich ging an die Vorderluke und rief: »Heda! Wird's bald! Wie lange sollen wir auf euch warten?«

»Geben Sie sich keine Mühe, Sir,« antwortete eine Stimme, »wir kommen nicht, wir werden kein Segel setzen, ehe wir nicht etwas Genießbares zu essen bekommen haben.«

»Oho, – wer war das, der da sprach?« fragte ich erregt; »laß dich sehen, mein Bursche.«

Sofort trat ein Kerl vor, sah mich frech an und sagte in herausforderndem Ton:

»Hier, ich war es, ich, Bill Marling, Vollmatrose.«

»So, du scheinst nicht zu wissen, was du tust, mein Junge; soll ich dem Kapitän melden, daß ihr den Gehorsam verweigert?«

»Jawohl, sagen Sie ihm das; sagen Sie ihm, daß wir lieber sechs Monate Gefängnis wollen als noch einen Mund voll von dem erbärmlichen Fraß, den er uns verabfolgen läßt,« erwiderte er grob, und unmittelbar nach diesen Worten brach ein wahrer Tumult unter der ganzen Mannschaft aus. Da ich hieraus erkannte, wie die Sache stand, ging ich fort, dem Kapitän Meldung zu erstatten. Ein wildes Durcheinander von Flüchen und Schimpfworten folgte mir, und ich glaubte hierbei besonders die Stimme eines Portugiesen und eines Mulatten zu unterscheiden, welche in gebrochenem Englisch ihrer Wut Luft machten.

Obwohl der Kapitän ahnen mochte, welche Nachricht ich ihm zu bringen hatte, wurde er doch erdfahl vor Zorn über die Antwort der Leute. Der Ausdruck seines Gesichts war wahrhaft teuflisch; seine Lippen waren blutleer, und als er umherblickte und sah, wie die andern Schiffe die schöne Brise ausnutzten und wegsegelten, schien er gänzlich der Sprache beraubt. Er hatte indessen Verstand genug, um sich, trotz aller Aufregung, zu sagen, daß im vorliegenden Fall Toben nichts helfen konnte, er packte nur zitternd und krampfhaft das Geländer, an dem er stand, mit beiden Händen, als wolle er es in Stücke brechen, und winkte mir mit dem Kopf, näher zu treten.

Als ich dicht vor ihm stand, keuchte er: »Wer war es, der so zu sprechen wagte?«

»Bill Marling, Sir.«

»Weigern sich die Leute, das Vorderkastell zu verlassen?«

»Sie weigern sich, das Schiff unter Segel zu bringen.«

»Gehört auch der Hochbootsmann zu den Meuterern?«

»Nein, Sir, ich glaube aber, daß er wußte, was unter den Leuten beschlossen worden war.«

Er wandte sich an Mr. Duckling:

»Wenn der Hochbootsmann zu uns hält, meine ich, müßten wir vier imstande sein, die Schurken zur Arbeit zu zwingen.«

Dies war nichts anderes als ein Vorschlag, uns in einen Kampf, Mann gegen Mann, einzulassen, und Duckling war so verständig, nur die Achseln zu zucken und zu schweigen. Der Hochbootsmann stand in der Nähe des Langboots; Coxon, sich eines besseren besinnend, rief ihm zu: »Schicken Sie die Leute hierher.«

Ich hielt es jetzt für angezeigt, mich auch auf das Hüttendeck zu begeben. Bald darauf kamen die Leute zu zweien und dreien heran. Es waren im ganzen dreizehn, mit Einschluß des Zimmermanns, des Kochs und dessen Gehilfen. Der Hochbootsmann war vorn geblieben.

Am Gangspill hinter dem Hauptmast blieben die Leute stehen; es war eine sonderbar gemischte Gesellschaft. Richtige alte Seebären waren darunter, Menschen, die ihr ganzes Leben auf der See zugebracht hatten; sie trugen leinene Hosen, Wollhemden und den unvermeidlichen Gürtel mit dem Matrosenmesser; trotzig standen sie da mit ihren nackten, verschränkten Armen, die mit Kruzifixen, Armbändern und anderen Zeichen tätowiert waren. Andere machten in ihrer vollständig zerlumpten Kleidung und mit ihren schmalen, blassen Gesichtern den Eindruck gänzlicher Verkommenheit, insonderheit fiel uns ein Portugiese auf, der mit großen silbernen Ringen in den Ohren vor Schmutz geradezu starrte und wahrhaft abschreckend durch seine Häßlichkeit war.

Wie ich die Leute so stehen sah, konnte ich mich doch eines gewissen Gefühls des Mitleids nicht erwehren. Ich habe immer gefunden, daß der Seemann in seiner Einfalt und kindlichen Art meist etwas Rührendes hat. Wer ihn gut behandelt, kann alles von ihm erreichen, er wird, ohne zu murren, viel ertragen, und sich nur selten beklagen; – wenn fortgesetzte Quälereien, rohe und harte Behandlung aber seine Widerspenstigkeit herausfordern, dann kann er auch gefährlich werden.

Der Kapitän, dessen Hände noch immer das Geländer gefaßt hielten, sagte: »Der Hochbootsmann hat euch aufgepfiffen, um das Schiff unter Segel zu bringen; weigert ihr euch, das zu tun?«

Wie vorher, so auch jetzt trat der Mann namens Bill Marling vor; augenscheinlich hatten die Leute ihn zum Sprecher erwählt; er erwiderte:

»Wir wollen auf diesem Schiff nicht eher wieder arbeiten, bis bessere Nahrungsmittel an Bord gebracht sind. Der Zwieback ist für Hunde zu schlecht, das Fleisch stinkt, und der Syrup ist mit verdorbener Grütze vermengt.«

»Ja, so ist es,« fielen mehrere Stimmen ein und der Portugiese nickte und gestikulierte lebhaft.

»Ihr Halunken!« brach der Kapitän jetzt los, alle Selbstbeherrschung verlierend; »was wißt ihr von Hundefutter? Kein Hund nimmt von euch ein Stück Brot; kommt ihr nicht aus den schmutzigen Spelunken, wo Fleisch, Brot, überhaupt alles, wie ihr es hier erhalten habt, Delikatessen für euch gewesen wären? Macht, daß ihr an die Arbeit kommt, ihr aufsässigen Lümmel, oder ich will euch Beine machen.«

»Wir rühren keine Hand mehr,« sagte der Sprecher, indem er einen Zwieback aus seiner Tasche zog und in die Höhe hielt, »ehe uns nicht besseres Brot als dieses hier geliefert wird; es ist schimmelig und voller Würmer, legen Sie es in die Sonne und Sie sollen sehen, wie sie herauskriechen.«

»Würden Sie etwa das Brot essen?« fragte eine Stimme; »Sie werden sich wohl hüten.«

»Und hier, sehen Sie mal das,« rief ein kräftig gebauter Mann, mit krausem, schwarzem Bart und Haar, ein Stück Fleisch auf der Spitze seines Messers emporhaltend, »nur einmal riechen sollten Sie daran.«

Der Kapitän blickte die vor ihm Stehenden einige Minuten sprachlos, mit blitzenden Augen an, dann drehte er sich um und ging mit Duckling nach hinten. Der Lotse trat zu ihnen, und alle drei blieben eine ganze Weile in lebhaftem Gespräch zusammen; ich schritt indessen auf und nieder. Die Leute flüsterten unter sich, ihre Mienen und Geberden ließen aber durchaus nicht auf irgendwelche Nachgiebigkeit schließen. Mir machte es den Eindruck, als wenn die Klagen über die Lebensmittel, so gerechtfertigt sie auch waren, doch nicht den eigentlichen Grund ihrer Aufsässigkeit bildeten. Wie mir schien, war ihnen nur daran gelegen, um jeden Preis von dem Schiffe fortzukommen, weil sie aus der bisherigen Behandlungsweise des Kapitäns und des Maats schlossen, daß ihrer die Hölle warte, sobald sie erst auf hoher See ganz in der Gewalt dieser beiden Männer wären. Ich hörte auch meinen Namen nennen und einige Bemerkungen über mich, diese waren aber nicht feindseliger Natur.

Der Maat verließ jetzt den Kapitän, kam zurück und befahl den Leuten, nach vorn zu gehen; dann, nachdem er den Hochbootsmann gerufen hatte, wendete er sich an mich und sagte, ich solle mit dem Lotsen den Befehl des Schiffes übernehmen, er und der Kapitän würden an Land gehen.

Der Hochbootsmann kam und erhielt Anweisung, das Kapitänsboot klar zu machen; als dies geschehen war, stieg er hinein, und Duckling und ich ließen es nieder; ich bugsierte es darauf an der Leine bis zur Fallreepstreppe, wo der Kapitän und der Maat einstiegen.

Da kein Signal gehißt war, ahnte ich nicht, wohin die Fahrt gehen würde. Duckling und der Hochbootsmann ergriffen jeder ein Ruder, und Coxon steuerte. Schnell flogen sie über die kleinen Wellen, welche die frische Landbrise kräuselte.

Bereits hatten alle nach auswärts gehenden Schiffe ihre Anker gehoben und segelten den Kanal hinab. Einige, welche sich sehr beeilt hatten, waren schon um Süd-Foreland herum; wir waren die einzigen, die noch auf ihrem Ankerplatz festlagen. Des Kapitäns Wut war ganz begreiflich, denn Zeit war für ihn nicht allein Geld, sondern auch Kredit. Ich meine damit, daß jeder Tag, um den er die Reise nach Valparaiso verkürzen konnte, ihn in der Achtung seiner Reeder heben mußte.

Die Leute standen an der Schanzkleidung, blickten dem sich entfernenden Boot nach und tauschten Vermutungen darüber aus, was der Schiffer wohl tun würde. Die Strömung war gerade südwärts, das Boot mußte deshalb auf Sandwich zu halten. Der Hochbootsmann war ein starker Mann und führte gewiß ein gutes Ruder, gegen Duckling aber kam er doch nicht auf; unter den Schlägen dieses Mannes bog sich in Wahrheit der Riemen; man mußte seine Riesenkraft bewundern.

Nachdem ich dem Boot einige Zeit nachgesehen hatte, trat ich zu dem Lotsen, der, seine Pfeife rauchend, auf dem Hackebord saß. Er nickte mir zu und schien, nun der Kapitän nicht dabei war, freundlich gegen mich sein zu wollen. Er machte einige Bemerkungen über die Niederträchtigkeit der Leute, gerade jetzt zu streiken, wo die Brise so gut sei.

»Ja, es ist allerdings zum rasend werden für den Kapitän,« sagte ich; »aber passen Sie auf, die Richter werden in diesem Falle zugunsten der Leute entscheiden. Die Schiffsvorräte sind in der Tat verdorbene Ware; solches Brot, wie es die Leute erhalten, hätte nicht an Bord kommen dürfen, und der Steward hat mir gestanden, daß alles andere ganz ebenso ist.«

»Der Kapitän hat gar nicht die Absicht, die Sache vor den Richter zu bringen,« antwortete der Lotse, mir zublinzelnd, während er seine Pfeife aus dem Munde nahm; »er will unbedingt fort, wird nach anderer Mannschaft telegraphieren und diese Bande hier wegjagen.«

»Wird er nicht andere Lebensmittel einnehmen?«

»Das weiß ich nicht; vielleicht denkt er, daß sie für die Leute gut genug sind, vielleicht ist er jetzt auch anderer Meinung geworden, er sprach sich nicht darüber aus.«

»Freilich, wenn die Polizei mit der Sache zu tun bekäme, würde die Abfahrt sehr verzögert werden; ich glaube wahrhaftig, er läßt es darauf ankommen und gibt der neuen Mannschaft dieselbe verdorbene Ware.«

»Wohl möglich.«

»Dann kommt es sicher zur Meuterei, ehe wir Valparaiso erreichen.«

»Na ja, passieren wird wohl etwas Derartiges, kalkuliere auch ich.«

Hierauf sahen wir beide wieder, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, dem Boote nach. Welcher Art die des Lotsen waren, weiß ich nicht; ich aber dachte, daß das Verhalten des Kapitäns in dieser Sache ebenso unmoralisch wie unklug und gewagt sei. Die neue Mannschaft, die er an Bord bringen wollte, mußte, noch ehe sie etwas von den Lebensmitteln erhielt, sofort alle Segel zusetzen und das Schiff in volle Fahrt bringen. Schwamm dasselbe nur erst auf offenem Meer, dann konnten die Leute schreien und sich beklagen, soviel sie wollten. So etwa dachte ich mir die Rechnung, die sich der Kapitän gemacht haben würde, sie blieb mir aber unbegreiflich, da ich von einem so alten und erfahrenen Seemann, wie er, erwartet hätte, daß er sich auch klar machen würde, wie er durch sein Verfahren alles, ja sogar unter Umständen sein Leben aufs Spiel setzte, und um was – um einer ganz gemeinen, schmutzigen Knauserei willen. Natürlich hütete ich mich, diese Gedanken dem Lotsen gegenüber auszusprechen, denn seiner Verschwiegenheit traute ich nicht über den Weg.

Wir unterhielten uns noch einige Minuten über andere Dinge, dann begab er sich in die Kajüte, und als ich nach kurzer Zeit bei dem Oberlicht vorbeiging, sah ich ihn auf einer der Bänke in festem Schlafe liegen.

Gleich nach acht Uhr rief mich der Steward zum Frühstück. Ich fand den Lotsen, wie er mit Behagen vor dem Kaffee und gekochtem Schinken saß. Als ich mich mit einem der duftigen Fleischstücke versorgte und all die andern guten Dinge sah, die außerdem noch auf dem Tische standen, mußte ich unwillkürlich an die abscheuliche Nahrung denken, die den Leuten geboten wurde. Weiß Gott, man konnte sich über die Auflehnung der armen Kerle nicht wundern.

Der Steward hatte mir mitgeteilt, daß kein Mann sein Frühstück auch nur angerührt hätte, und als er das unsrige über das Deck getragen, wären die Leute beim Anblick desselben so wild geworden, daß er jeden Augenblick gefürchtet hätte, sie würden ihn über Bord werfen. Dies erzählte ich dem Lotsen, als wir es uns schmecken ließen, und er erwiderte, auf beiden Backen kauend:

»Da haben Sie also wieder die alte Geschichte; wie ausgezeichnet treffend drückte sich doch gestern abend Mr. Duckling aus, als er sagte: ›Die Seeleute werden jetzt aus Orten geheuert, wo es nichts als Fusel und Lumpen gibt, nur Fusel und Lumpen; geben sie diesem Gesindel einen prächtigen Wohnraum, mehrere Pfund im Monat, jeden Tag Grog und gutes Essen die Fülle – was werden sie davon haben? Das Volk wird die Nase rümpfen über Essen, nach welchem es in den Höhlen, in welchen es am Lande hauste, auf den Knien gekrochen wäre; es wird stets nach Besserem verlangen, als es hat, und wenn es dies nicht erhält, faul, verdrossen und unzufrieden sein.‹ – Ja, so waren die vortrefflichen Worte Mr. Ducklings, und auch ich sage: Was wollen die Menschen eigentlich? Meiner Seele, sie würden noch murren, selbst wenn sie Hummer zum Frühstück, Geflügel und Pflaumenpudding zu Mittag und Koteletts mit Tomatensauce zum Abend erhielten. Verfluchte Ideen, Sir, diese neumodischen Ideen. Reeder und Kapitän möchten heutzutage rein des Teufels werden mit diesem Kroppzeug, und, zum Henker, es ist auch ein Schade für den Lotsen. Wie soll unsereins mit solch heillosem Pack seine Pflicht tun und seines Amtes ordentlich walten? Für mich speziell ist die Geschichte hier auch zum Tollwerden. Muß ich hier sitzen und Zeit vertrödeln, während ich weiß, daß man in Gravesend schon längst mit Schmerzen auf mich wartet, und bloß, weil diese Lumpenbande Pasteten und Lampreten verlangt. Da schlag doch gleich das Wetter drein.«

Da ich auf seine lange Rede nichts erwiderte, versorgte er sich mit einem neuen großen Stück Schinken und verschlang es mit widerlicher Gier.

Ich hätte wohl manches zur Verteidigung der Leute sagen können, doch mochte ich mir nicht den Mund verbrennen; er würde ganz sicher jede meiner Bemerkungen dem Kapitän brühwarm wieder erzählen, sie hätten keinerlei Nutzen gehabt und mir nur zum Schaden gereicht. Das erwägend bewahrte ich meine kluge Zurückhaltung, beendete mein Frühstück schweigend und scheinbar ganz benommen von der Weisheit meines Tischgefährten und ging dann sogleich auf Deck. Dort sah ich einen Kutter aus Deal auf uns zusteuern. Unter seinem großen Klüver näherte er sich schnell.

Diese Dealer Kutter sind herrliche kleine Fahrzeuge und ganz ausgezeichnet bedient. Schon nach kurzer Zeit konnte ich erkennen, daß der Ankömmling ein Quarterboot hinter sich her bugsierte, in welchem der Kapitän und der Maat saßen. Ich ging an die Fallreepstreppe, sie zu empfangen. Der Kutter fiel ab, beschrieb einen schönen Halbkreis, ließ den Klüver fallen und kam mittels des Gaffelsegels mit einer solchen Präzision längsseit, daß er unter der Fallreepstreppe anhielt wie eine Equipage vor einer Haustür.

Ich fing die Leine, welche mir zugeworfen wurde, auf, und Coxon und der Maat kamen an Bord. Sowie sie das Deck betreten hatten, rief der erstere den Leuten, welche auf dem Vorderdeck herumlungerten, zu:

»Nun vorwärts, holt eure Sachen und fort mit euch, wer nach fünf Minuten noch auf dem Schiff ist, wird über Bord geworfen.«

Mit dieser Drohung ging er in die Kajüte. Duckling blieb an der Fallreepstreppe stehen, um die Einschiffung der Mannschaft zu überwachen. Die armen Menschen waren alle schnell bereit. Ganz entschlossen, an Land zu gehen, hatten sie doch keine Ahnung, unter welchen Verhältnissen sie es betreten würden. Ich hatte bemerkt, wie sie sich an die Schanzkleidung gedrängt hatten, um in das Boot zu blicken, als es anlegte. Ohne Zweifel vermuteten sie die Uniform eines Polizeiinspektors darin zu sehen, der sie ins Gefängnis bringen würde, bis sie vor dem Richter erscheinen mußten. Das Verfahren des Kapitäns entsprach offenbar ihren Erwartungen nicht, denn als sie mit ihren Säcken und Kisten an die Fallreepstreppe kamen, fielen alle möglichen Bemerkungen, die ihre Meinung über die Sache ausdrückten.

»Der alte Schuft,« sagte einer, indem er seinen Sack in das Boot warf und vor Duckling und mir stehen blieb, damit wir ihn genau verstehen sollten, »hat keine Courage, uns vor Gericht zu stellen. Uns über Bord werfen wollte er, – wo steckt er denn? Mag er doch kommen und seine Hand an einem von uns versuchen! Ich wollte gern sechs Monate brummen und mich noch dafür bedanken, wenn ich ihm mit der Faust eins ins Gesicht geben könnte« und dergleichen mehr.

Duckling war klug genug, zu schweigen. Die Leute wären in ihrer Wut imstande gewesen, ihn zu massakrieren, wenn er die Lippen geöffnet hätte. Die älteren Matrosen stiegen ruhig ins Boot, von den jüngeren aber verließ keiner das Schiff, ohne seinen Gefühlen Luft zu machen: – »Ein Pfund will ich mit Vergnügen auf der Stelle zahlen für die Erlaubnis, diese alte Giftbude in Brand stecken zu dürfen; hoffentlich ist der Kasten morgen um diese Zeit schon auf den Grund gegangen, mit samt den Menschenschindern und ihrem Hundefraß«; solche und andere Verwünschungen trafen unsere Ohren. Jedes Unheil, welches Erbitterung und Bosheit nur ersinnen konnten, wurde auf das Schiff und uns herabgewünscht. In späteren Tagen dachte ich noch manchmal zurück an diesen Morgen und die hungrigen, übel behandelten Männer, welche sich mit ihren ärmlichen Bündeln in der Hand, unter grimmigen Flüchen einschifften.

Der Eintritt des letzten Mannes in das Boot, war noch von einem besonderen Vorkommnis begleitet:

Der Schleppkutter hatte das Tau schon losgeworfen und seine Spitze zur Abfahrt gewandt, als der Portugiese in seiner Wut sich plötzlich durch die im Boote stehenden Leute nach vorn drängte und mit aller Kraft seiner Lungen nach Duckling spie; sein Geschoß verfehlte aber das Ziel und traf das Gesicht eines alten Matrosen, welcher den Attentäter sofort niederschlug. Als Duckling dies sah, rief er: »Brav gemacht, mein Mann, wenn du zu deiner Pflicht zurückkehren willst, sollst du in mir einen Freund haben.« Ein höhnisches Gebrüll des ganzen Haufens war die Antwort. Der Wind füllte die Segel, das Boot schoß hinweg und nach wenigen Minuten war es schon außer Anrufsweite.


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