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Fünfzehntes Kapitel.
Vorbereitungen.

Ich sah Miß Robertson nur wenige Minuten am Morgen. Der Steward trug wie gewöhnlich das Frühstück an ihre Tür, und als sie ihm dasselbe abnahm, bemerkte sie mich und kam zu mir.

»Steht alles gut?« fragte sie lebhaft und gespannt.

»Alles gut,« erwiderte ich.

»Ist er also unbemerkt und glücklich in sein Versteck gekommen?«

»Ich vermute, daß er dort recht gut geschlafen hat und jetzt gemütlich seine Pfeife raucht.«

»Das wäre also ein guter Anfang; mir ist ein wahrer Stein vom Herzen.«

»Dank Ihrem Mut; Sie führten Ihre Rolle bewunderungswürdig durch.«

»Der abscheuliche Zimmermann belauert uns schon wieder durch das Oberlicht,« wisperte sie ohne die Augen zu erheben, »sagen Sie mir nur schnell noch eins: wann wird wohl das Schiff die Stelle erreichen, wo es anhalten soll?«

»Ich hoffe übermorgen nachmittag.«

»Schon übermorgen!« hauchte sie wie erschreckt von dem Gedanken. »Beten wir, daß Gott uns barmherzig ist und alles zu einem guten Ende führt!«

Als sie hierauf in ihre Koje zurückgegangen war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah ich ihr noch eine ganze Weile nach, Gottes Schutz für sie erflehend. Die Lage, in der wir uns befanden, war doch eine gar zu entsetzliche für ein so junges, hilfloses Mädchen. Selbst ich, der starke, kräftige Mann, erschrak jedesmal, wenn ich mir dieselbe so recht vergegenwärtigte. Ob wir leben oder elend umkommen würden, hing allein von meinem und des Hochbootsmanns Mut und der Geistesgegenwart ab, die wir im letzten Moment haben würden. Vorderhand waren wir nur darauf angewiesen, abzuwarten, denn wenn wir auch den allgemeinen Plan der Meuterer kannten, so hatten wir doch keine Ahnung, in welcher Weise sie ihn auszuführen gedachten. Sie konnten das Schiff anbohren und an Bord bleiben, bis es zu sinken anfing, sie konnten aber auch unter Zurücklassung eines Mannes, der die Arbeit verrichtete, sogleich die Boote besteigen, beigedreht warten, bis dieser sein grausames Geschäft beendet hatte und ihn dann aufnehmen. Beides war möglich. Im ersteren Fall waren wir verloren, im letzteren konnten wir auf Rettung hoffen.

Als ich auf das Deck kam, waren alle Mann beim Frühstück. Der Zimmermann begab sich in demselben Moment nach unten, als ich mich blicken ließ. Ich blieb allein, keiner von den Leuten war sichtbar, mit Ausnahme des Mannes am Rade.

Es wehte ein scharfer Wind, jedes Segel stand gespannt wie ein Trommelfell, das Schiff jagte dahin wie eine Yacht bei einem Wettsegeln. In dem ganzen weiten Umkreis des Horizonts war nichts in Sicht.

Ich dachte nicht anders, als daß der Zimmermann sich zu Bett legen würde, sobald er gefrühstückt hätte, statt dessen kam er aber nach ungefähr zwanzig Minuten wieder herauf, schritt über das Hauptdeck und verschwand in der Vorderluke.

Nach zehn Minuten kehrte er, begleitet von Johnson, dem Koch und noch einigen anderen Leuten zurück. Sie begaben sich zu den Hühnerkäfigen unter dem Langboot, und bald hörte ich das Flattern und Angstgeschrei der Hühner.

Ich trat näher, um zu sehen, was vorging, und fand die ganze Gesellschaft beschäftigt, den Tieren die Hälse umzudrehen. Nicht ein Huhn blieb verschont. Johnson und der Koch trugen sie dann in die Küche.

Alle beide kamen bald darauf, jeder mit einem großen Fleischermesser bewaffnet, zurück, stiegen zu den im Langboot untergebrachten Schweinen und stachen dieselben sämtlich ab. Das Gequieke und Geschrei war wahrhaft ohrenzerreißend; jedenfalls aber verstanden die beiden ihr Geschäft, denn in nicht länger als fünf Minuten war es abgetan.

Weshalb so plötzlich alles lebende Getier an Bord auf einmal abgeschlachtet wurde, verstand ich zuerst nicht recht, brauchte aber auf die Aufklärung nicht lange zu warten.

Jetzt erschien der Zimmermann wieder mit Johnson zusammen; beide hörte ich schon aus der Ferne auf den Steward fluchen. Johnson rollte ein Faß mit Schiffsbrot das Deck entlang, hinter ihm her ging der Steward mit mehreren Flaschen Rum in den Armen.

Diese Sachen wurden in der Nähe des Fockmastes untergebracht und demnächst noch weitere Lebensmittel ebendaselbst zusammengetragen. Als eine genügende Menge angehäuft war, wurde das Ganze mit einer Teerdecke bedeckt. Ich begriff jetzt, daß dies die Vorräte waren, welche in das Langboot verladen werden sollten, ehe dasselbe zu Wasser geführt wurde.

Diese Vorbereitungen führten mir die Nähe der Gefahr, in welcher meine Gefährten und ich schwebten, wieder in ihrem ganzen Umfange vor Augen, indessen ich bewahrte meine Fassung vollkommen und zeigte für alles, was vorn geschah, das lebhafteste Interesse.

Nach Beendigung der Vorratsansammlung schritt der Zimmermann zu dem Quarterboot, welches auf der Steuerbordseite hing, und untersuchte dasselbe, dann ging er zu dem andern Boot herüber und schließlich kam er zu mir.

»Wie viel Mann,« fragte er, »denken Sie, daß das Langboot bequem, ich sage bequem, tragen könnte?«

Ich maß es mit den Augen und sagte: »Ungefähr zwanzig.«

»Jawohl, einer dicht neben dem andern, wie die Heringe, das glaube ich schon,« entgegnete er spöttisch; »wo bleibt denn da die Bequemlichkeit?«

»Wollen Sie darin das Schiff verlassen?«

»Ja, darin und noch in einem von den beiden Seitenbooten.«

»Wenn Sie meine Ansicht hören wollen, so sage ich, daß wir alle zusammen nur das Langboot benutzen sollten. Es hat eine Menge Raum und wird uns alle gut tragen; dazu kommt, daß es ein Segel führen kann. Außerdem wird es natürlicher aussehen, falls wir etwa unterwegs von irgend einem Schiffe angehalten und aufgenommen werden sollten, denn Sie könnten erklären, daß die beiden andern Boote weggetrieben waren.«

»Nein, die Sache ist unter uns fest beschlossen und abgemacht,« antwortete er eigensinnig. »Wir wollen in einem Segelboot und in einem Ruderboot abstoßen, weil das Ruderboot das Langboot schleppen kann, im Falle Windstille eintritt. Ich habe Sie gefragt, wieviele das Langboot tragen kann, weil wir das andere Boot nicht überladen wollen, da es als Vorratsschiff dienen soll. Sehen Sie, wir müssen doch auch daran denken, daß wir nicht verhungern, wenn wir etwa an eine öde Küste kämen.«

»Ah so, ich verstehe.«

»Die beiden Boote werden also jedenfalls hinreichen?«

»Das meine ich; sie würden dreißig Personen aufnehmen können.«

Um sich zu überzeugen, ging er noch einmal zu den Booten, überlegte kurze Zeit und rief dann Johnson.

Sie sprachen eine Weile zusammen, währenddem sie öfter nach mir hinsahen; Johnson ging weg, kehrte aber schon nach wenigen Minuten mit einer eisernen Brechstange und einem Beil zurück. Beide Männer stiegen nunmehr in das Backbord-Quarterboot, und ich sah in ohnmächtiger Wut, wie sie einen Teil der Planken herausschlugen und ins Wasser warfen. Als es auf diese Weise unbrauchbar gemacht war, ging Johnson zu dem andern Boot. Dieses untersuchte er mit großer Sorgfalt.

Währenddem stellte sich der Zimmermann neben mich und sah Johnson zu. Er mochte wohl erwarten, daß ich ihn fragen würde, warum sie das eine Boot unbrauchbar gemacht hätten, aber aus Furcht mich zu verraten, wagte ich nicht zu ihm zu sprechen, denn der Zorn erstickte mich fast. Es war mir ganz klar, daß die Schurken uns nur des einzigen Rettungsmittels berauben wollten, welches wir gehabt hätten, wenn das Schiff sank.

Nachdem Johnson mit seiner Besichtigung fertig war, rief er den Leuten zu, die Vorräte in das Boot zu verstauen; man schaffte so viel Eßwaren und Getränk hinein, daß es meiner Schätzung nach vollständig überladen war.

Inzwischen beschäftigten sich eine Anzahl der Leute damit, das Langboot zum Segeln herzurichten und es ganz zur Fahrt fertigzumachen.

Der Morgen verging rasch, die Leute waren fleißig wie die Bienen; sie rauchten wie die Schornsteine, lachten und tauschten ihre Scherze bei der Arbeit aus.

Der Zimmermann sprach mich während der ganzen Zeit auch nicht einmal an; er lief unruhig von einem Ende des Schiffes zum andern, spritzte nach allen Seiten Tabakssaft und führte die Oberaufsicht.

Kurz vor Mittag, als ich mich vorbereitete, die Höhe der Sonne zu messen, unterbrachen die Leute ihre Arbeit, um mir zuzusehen, und auch Stevens kam heran.

Als meine Wache abgelaufen war und ich herunterging, um meine Beobachtungen auszuarbeiten, folgte er mir in die Kajüte, stellte sich hin und sah mir zu. Die Unwissenheit, welche sein Mißtrauen verriet, war beinahe lächerlich; ich glaube, er dachte, ich würde eine falsche Berechnung anstellen, wenn er nicht aufpaßte, und seine Gegenwart würde mich hindern, aus zwei und zwei fünf zu machen.

»Nun, Mr. Royle,« sagte er, als ich den Bleistift beiseite legte, »wo sind wir?«

Ich entrollte die Karte und zog an einem Lineal eine Linie von dem imaginären Punkt, bis zu welchem ich das Schiff am Mittag des vorhergehenden Tages gebracht zu haben vorgab, bis zu neunundzwanzig Grad Breite und vierunddreißig Grad dreißig Minuten Länge. »Hier ist die Stelle, an welcher wir uns diesen Moment befinden,« antwortete ich, mit dem Finger zeigend.

»Dies hier ist also Floridy?« erkundigte er sich, indem er mit seinem schmutzigen Daumen um die ganze Halbinsel herumfuhr.

»Ja, das ist Florida.«

»Ach was, ich nenne es Floridy.«

»Gut, also Floridy,« lachte ich, »mir kann es gleich sein.«

»Und Sie wollen uns noch bis übermorgen an diesem kleinen Stückchen segeln lassen?«

»Es sieht freilich auf der Karte nicht weit aus, in Wirklichkeit ist es aber doch noch eine recht hübsche Strecke.«

»Ja, ja, das ist leider so, lassen Sie uns also wissen, wenn es so weit ist, daß wir die Boote zu Wasser führen können, wir sind bereit.«

»Bitte, setzen Sie sich doch, Mr. Stevens, und machen Sie mich genau mit ihren Anordnungen bekannt,« sagte ich, als ich merkte, daß er gehen wollte, »es ist wirklich schwierig für mich, meinen Teil an der Sache zu tun, wenn ich nicht genau Bescheid weiß, wie Sie alles haben wollen.«

Er sah mich mit seinen schurkischen Augen von der Seite an, setzte sich jedoch, schob seine Mütze ganz nach dem einen Ohr, kratzte sich den Hinterkopf und murrte: »Ich dachte, Sie wären mit unseren Plänen ganz bekannt.«

»Allerdings,« entgegnete ich, »weiß ich ja so ungefähr Bescheid, möchte aber doch noch mehr Klarheit haben.«

»Nun, worüber denn? Unsere Pläne sind doch klar, sollte ich meinen, klar wie der Schmutz in einem Glas Wasser, wenigstens sind sie allen Leuten klar.«

»Das mag sein, mir aber noch nicht, zum Beispiel weiß ich mir nicht zu deuten, weshalb Sie diesen Morgen mehrere Planken aus dem Quarterboot schlugen.«

»Ach so, ich dachte nicht, daß Sie gerade das erklärt haben wollten.«

»Sehen Sie wohl, das ist also gleich etwas, von dem Sie selbst zugeben müssen, daß es mir unklar sein muß.«

»Na, wir brauchen doch nur zwei Boote, und es würde dumm aussehen, das dritte fest und stark, mit dem Namen ›Grosvenor‹ groß und breit darauf geschrieben, umhertreiben zu lassen.«

»Warum?«

»Weil ich es sage.«

»Aber wie könnte es umhertreiben, wenn es an seinem Platze hängt?«

»Was weiß ich? Um das, was geschehen könnte, kümmere ich mich nicht, das zu erklären ist nicht meine Sache.«

»Sehr gut, nun weiß ich ja, weshalb Sie es taten, und bin ganz zufrieden.«

»Noch was, Mr. Royle?«

»Ja. Sie gaben mir zu verstehen, wir sollten das Schiff in der Nacht beidrehen.«

»Gewiß, sobald es dunkel wird, damit wir die ganze Nacht vor uns haben, um gut wegzukommen.«

»Wollen Sie den ›Grosvenor‹ mit stehenden Segeln zurücklassen?«

»Gerade so wie er ist, wenn er beigedreht hat.«

»Aber nehmen Sie mir's nicht übel, das scheint mir denn doch etwas sehr unvorsichtig; es könnte ihn ein Schiff in Sicht bekommen, und wenn es ihn verlassen findet, Mannschaft an Bord setzen und ihn in den nächsten Hafen schicken.«

Ich dachte ihn hierdurch zu verleiten, mir seine Absicht, das Schiff anbohren zu wollen, zu bekennen. Er hätte dies ganz gut tun können, da seine Mitteilung durchaus nicht einzuschließen brauchte, daß ich und die andern zurückgelassen werden sollten. Aber der Kerl war zu schlau, um darauf reinzufallen. Er sagte nur:

»Mögen die, die ihn finden, ihn behalten. Noch mehr Fragen?«

»Nur noch eine. Werden wir unsere Sachen mitnehmen?«

»Nein,« lachte er sonderbar. »Diejenigen, die Wertsachen haben, mögen sie in die Taschen stecken, sonst aber wird nichts mitgenommen. Bedenken Sie doch: Wir sind arme schiffbrüchige Seeleute, wie es in den Zeitungen steht, kommen von einem Schiff, welches uns unter den Füßen sank, ehe wir uns entschließen konnten, es zu verlassen; hatten gerade nur noch Zeit, die Boote zu Wasser zu führen; wir vertrauen der christlichen Barmherzigkeit, daß sie uns beistehen wird. Und wenn uns ein Missionar in den Weg kommt, dann verlassen Sie sich auf mich, ich werde schon machen, daß er unsere Frömmigkeit preisen soll. Der Schiffer wurde verrückt und sprang über Bord, der erste Maat verlor sein Leben als er ins Boot springen wollte, der arme Mensch sprang fehl und ertrank und der zweite Maat, der hielt mannhaft an dem Schiffe fest, aus Liebe zu den Reedern und ging dabei wahrscheinlich mit ihm zugrunde.«

»Teufel auch,« rief ich mit erzwungenem Lachen, »dann darf ich also nicht bekennen, daß ich der zweite Maat bin, wenn ich gefragt werde?«

»Sie?« schrie er, mich anglotzend, als wenn er betrunken wäre, brach dann in ein schallendes Gelächter aus, versetzte mir einen scherzhaften Klaps auf den Rücken und rief dann nochmals: »Sie? Ja da haben Sie recht, natürlich werden Sie nicht als zweiter Maat ans Land gehen.«

»Als was denn?«

»Ei nun, als Passagier, Schiffsdoktor, Pfarrer, wir sagen Ihnen das noch. Machen Sie nur, daß Sie uns bald an die gesegnete Küste bringen; wir sind schon alle ganz schwach vor Sorge und Angst um unsere Hälse. Der Teufel soll mich holen, wenn wir nicht zwei Monate brauchen werden, um durch ein gutes Leben uns wieder zu Männern zu machen, sobald wir nur erst am Lande sind.«

Nach diesen Worten verließ er, noch einmal laut auflachend und mir listig zunickend, die Kajüte.


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