Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.
Vor Anker in den Downs.

Ich muß hier abschweifen, um zunächst das Schiff, als Hauptschauplatz meiner Erzählung, so getreu wie möglich zu beschreiben.

Der ›Grosvenor‹ war ein kleines, vollgetakeltes Schiff von 500 Tonnen, schwarz gemalt, mit nur einem einzigen weißen Streifen unter seiner Schanzkleidung. Die Schönheit seines Rumpfes, seine hohen Masten, sein zierlich geschnittenes Schiffsbild und sein wohlgerundeter Stern, hatten mich entzückt, als ich es das erstemal sah. Das Deck war weiß und gut gehalten; es hatte ein Hüttendeck und ein erhöhtes Vorderkastell, was sich der Schiffsbauer meiner Meinung nach hätte sparen können, da das Schiff für solche Anlagen nicht groß genug war. – Sein schön geschnitztes Rad, sein messingenes Gangspill, das mit dem gleichen Metall reich versehene Kompaßhäuschen, die hübsch verzierten Oberlichter und anderer Deckschmuck machten, daß es mehr einem glänzenden Vergnügungsfahrzeug, als einem nüchternen Kauffahrer glich. Die innere Ausstattung der großen Kajüte, ebenso wie die der fünf Kojen war dagegen sehr einfach: – das Wandgetäfel der großen Kajüte bestand aus unechtem Mahagoniholz; ein langer Tisch reichte vom Besanmast bis beinahe an den Kajüteneingang und an jeder Seite dieses Tisches stand eine plumpe gepolsterte Bank. Zwei breite Oberlichter, wohl geschützt durch starke Gitter von Messingdraht, erhellten den Raum; an der Decke hingen einige Gestelle mit Geschirr und ein paar Lampen; rote Vorhänge, die über die Oberlichter gezogen wurden, wenn die Sonne zu heiß brannte, vollendeten die Ausstattung. Hinter dem Besanmast lagen die beiden Kajüten, welche der Kapitän und Duckling bewohnten; meine Koje befand sich am andern Ende des Hüttendecks, so daß ich von meinem Fenster den Ausblick auf das Hauptdeck hatte und nur durch einen Schlitz gleich einer Schießscharte seitwärts auf die See sehen konnte.

Wir hätten sehr gut einige Passagiere an Bord nehmen können, und ich habe nie erfahren, weshalb das nicht geschehen war; mag sein, daß gerade niemand unsers Wegs reisen wollte, als wir absegelten.

Unsere Ladung bestand aus Stückgütern: – Spielzeug, allerlei Metallwaren und einem Lager Pianofortes; – unser Bestimmungsort war Valparaiso. – Das Schiff ging meiner Ansicht nach zu tief, es kam mir vor, als ob die Reeder den Ausfall an Passagiergeld durch eine übermäßige Ladung hätten ersetzen wollen. Dies ließ mit Sicherheit erwarten, daß wir ein nasses Schiff und bei schwerer See gewaltiges Stampfen haben würden. – Der Raum vor der großen Kajüte war mit leichten Gütern, wie Vogelkäfigen und dergleichen, angefüllt, im Zwischendeck jedoch war noch Raum übrig.

Wenn aber auch entschieden überladen, so hatte der ›Grosvenor‹ doch heute schon gezeigt, daß er ganz vortreffliche Fahrgeschwindigkeit besaß, denn manches vor ihm segelnde Schiff hatte er überholt.

Als ich, den Zwieback in der Tasche, den Koch verließ und nach dem Hinterdeck schritt, war der Kapitän mit dem Lotsen nach unten gegangen, um Tee zu trinken. Duckling traf ich fluchend und wetternd bei ein paar Matrosen stehen, welche er angestellt hatte, Taue flämisch rund zu legen, aus keinem andern Grunde, als um ihnen so viel Arbeit aufzubürden, als er nur irgend ersinnen konnte; denn es dient lediglich zum Putz und ist nur eine zeitraubende Spielerei.

Da mich die Art, wie der erste Maat mit den Leuten umging, anwiderte, ging ich schnell an ihm vorbei in die Kajüte. Duckling folgte mir bald nach.

Im Innern der Kajüte waren die Lampen angezündet; der Kapitän saß in der Nähe des Besanmastes und rührte in seinem Tee. Seine hohe Stirn und das eisengraue, in der Mitte gescheitelte Haar, welches nachlässig über seine Ohren fiel, gaben ihm ein würdiges Ansehen; der Lotse dagegen sah schon von Natur gemein aus und die Gefräßigkeit, mit der er sein Abendbrot verschlang, machte ihn geradezu widerlich.

Duckling und ich setzten uns an den Tisch, so daß er neben den Lotsen kam; sein roter Borstenschädel und sein vertracktes Schielauge, von dem man niemals wußte, wohin es sah, paßten prächtig zu seinem Nachbar; es war schwer zu sagen, welcher von beiden der häßlichere war.

»Es kommt eine Brise aus Südwest,« sagte der Maat zum Kapitän, »das Wasser wird nach jener Seite dunkel, ich glaube aber nicht, daß sie stark genug ist, um das Schiff ins Schaukeln zu bringen.«

»Wenn Sie uns günstig kommt, wollen wir gleich unter Segel gehen,« antwortete Coxon. »Ich möchte nicht wieder so reinfallen wie voriges Jahr, beinahe hier auf derselben Stelle. Erinnern Sie sich noch, Duckling, da kam auch so ein kleines Lüftchen; wir dachten, es würde keine zehn Minuten anhalten, taten nichts, um es auszunützen, und dann saßen wir plötzlich mit konträrem Wind mehrere Tage hier fest. – Mr. Royle, was haben eigentlich die Leute? Ich hörte sie vorhin bei der Arbeit ziemlich ungeniert räsonnieren.«

»Sie sind mit den ihnen verabreichten Lebensmitteln unzufrieden, Sir,« erwiderte ich; »der Koch gab mir soeben einen Zwieback, den ich versprach Ihnen zu zeigen.«

Dabei nahm ich den Zwieback aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch. Der Kapitän zog seine buschigen Augenbrauen zusammen und starrte mich zornig an, ohne dem Gebäck auch nur einen Blick zu schenken.

»Hören Sie, Mr. Royle,« sagte er mit funkelnden Augen und einem nichtswürdigen malitiösen Ton, »ich gestatte keinem Offizier, der unter mir segelt, ein Vertrauter der Mannschaft zu werden; verstehen Sie mich?«

Ich errötete vor Ärger, als ich erwiderte, daß ich durchaus kein Vertrauter der Mannschaft wäre, sondern nur die Klage des Kochs im Vorübergehen angehört, und demselben versprochen hätte, die Sache zur Sprache zu bringen. Das sei alles.

»Das Brot ist doch sehr schön, was wollen Sie denn?« sagte der gegen den Kapitän stets willfährige Lotse.

»So essen Sie es!« brauste ich auf.

»Hölle und Verdammnis, essen Sie es selbst!« schrie Coxon mich an. »Sie müssen wohl an diese Art Zwieback gewöhnt sein, sonst würden Sie ihn nicht hierher gebracht haben.«

Ich gab ihm keine Antwort, denn als ich einen Blick auf Duckling warf, erkannte ich sofort, daß dieser ganz in das Horn des Kapitäns blies, und die Aussichten für mich sehr schlimm werden konnten, wenn ich mich gleich zu Anfang der Reise in einen Streit einließ.

»Ich bitte sehr,« fuhr der Kapitän aufgebracht fort, »daß Sie dem Schurken, der Ihnen den Zwieback gab, denselben wieder zurückbringen und ihm dabei sagen, daß, wenn den Leuten das Schiffsbrot nicht schmeckte, es ihnen freistände, ihre Mahlzeit mit den Schweinen im Langboot einzunehmen, der Fleischer würde sie dann dort bedienen.«

»Mr. Royle erzählte mir, sie fänden das Fleisch noch schlechter als das Brot,« sprach Duckling. »Ich vermute, die Hunde, die am meisten schimpfen, sind Leute aus Arbeitshäusern, deren Mahlzeit zweimal am Tage aus angebranntem Haferbrei bestand, mit einer Messerspitze Schwefel darin, um ihn verdaulich zu machen.«

Er brach über seine Worte in ein unmäßiges Lachen aus, in welches der Lotse sofort wiehernd einstimmte und, sich vor Vergnügen die Hände reibend, schwor, daß er lange keinen so guten Witz gehört hätte.

Ich beendigte rasch mein Abendbrot, um der Gesellschaft dieser beiden widerlichen Menschen und der üblen Laune Coxons zu entfliehen. Übrigens schien dieser sich jetzt seines Benehmens zu schämen, denn er blickte mit viel sanfterem Ausdruck zu mir hinüber und setzte die Unterhaltung mit dem Lotsen fort. Unter anderem kam er darauf zu sprechen, wie der Reeder von ihm erwarte, daß er Valparaiso in acht Wochen erreiche. Ich hatte auf der Zunge, zu bemerken, daß dies ein unsinniges Verlangen sei, da selbst im glücklichsten Falle zehn Wochen kaum genügten, ich war aber lieber still, stand auf und machte Coxon meine Verbeugung, die er etwas steif und befangen erwiderte. Ich holte nun meine Pfeife aus der Koje und ging auf Deck, um dort den schönen Sommerabend etwas zu genießen.

Es ist mir immer so vorgekommen, als wenn der Tabak am Lande nicht denselben Duft hätte, wie auf der See. Gleich die ersten Züge wirkten wie Öl auf meine Erregung. Ich ging nach dem Vorderdeck, um zu sehen, ob die Ankerlampe in Ordnung und der Auslug auf seinem Posten wäre. Hierbei bemerkte ich, daß die Leute im Kastell versammelt waren und leise miteinander sprachen. Als ich das Hüttendeck wieder erreichte, setzte ich mich auf das Geländer und lehnte mich an eine Pardune.

Die Sonne war seit einiger Zeit ganz untergegangen, nur ein schwacher heller Streifen hob sich noch vom westlichen Himmel ab. Der Leuchtturm auf Süd-Foreland warf einen schönen hellen Schein. Die Laternen der Feuerschiffe glitzerten längs der Godwin-Sandbänke und ihnen gegenüber funkelten die Lichter von Deal und ließen das umliegende Land nur um so dunkler erscheinen. Der Mond konnte erst nach 9 Uhr aufgehen; vorderhand leuchteten nur die Sterne, mit denen der Himmel übersät war und die sich in dem ruhigen Wasser wiederspiegelten. Mitunter fielen blau leuchtende Sternschnuppen vom Himmelsgewölbe nieder.

Ein kleines Lüftchen zog jetzt von Süden her, aber so schwach, daß niemand als ein Seemann, der sehnsüchtig auf eine Veränderung wartet, es bemerkt hätte. Die Umrisse der vor Anker liegenden Schiffe schimmerten durch das Düster, – Lichter bewegten sich auf ihnen; – da und dort hörte man Gesang, untermischt mit den Klängen einer Harmonika oder Fidel, – zwischendurch das Poltern niederfahrender Raaen an Bord neu angekommener Schiffe, oder das taktmäßige Plätschern der Ruder vorbeifahrender Boote.

Kapitän, Lotse und Maat saßen noch ruhig in der Kajüte; ihre Stimmen drangen durch die offenen Oberlichter; es lag mir ganz fern, zu lauschen, meine Aufmerksamkeit wurde aber doch erregt, als ich den Kapitän sagen hörte:

»Ich möchte wohl wissen, was der Reeder mir da für einen Burschen zum zweiten Maat gegeben hat, der Mensch scheint mir den feinen Herrn spielen zu wollen. – Was denken Sie denn über ihn, Duckling?«

»Sie haben ganz recht, mir macht er auch den Eindruck so einer feinen Pflanze, seinen Dienst scheint er aber zu verstehen,« erwiderte der Maat. »Ich vermute, für mich ist sein Blut mit zu viel Syrup gemischt, um meinem Geschmack zuzusagen. Ihm fehlt noch etwas New-Orleans-Erziehung, wie mein alter Kapitän es nannte. – Wissen Sie, was das heißt, Sir?« wandte er sich hierbei, wie es mir schien, an den Lotsen. »Nun, das bedeutet: – ein Messer in die Rippen, wenn einer nicht aufgelegt ist, flink zu sein, und einen Schlagring in Gestalt eines Splißeisens in die Gurgel, wenn einer es wagt, sich zu verantworten.«

»Ho, ho,« lachte der Lotse roh auf; »auf Ihre Gesundheit, Sir; – leider fehlt es heutzutage an Männern Ihres Schlages.«

Aus diesen Worten entnahm ich, daß der Lotse seinen Tee mit einem stärkeren Getränk vertauscht hatte. – Jetzt fing der Kapitän an zu sprechen, ich konnte aber seine Worte nicht mehr verstehen, obgleich ich mir nunmehr alle Mühe gab, zu horchen.

Von seinem Wohlwollen hing ja meine ganze Zukunft ab, denn in seiner Macht lag es, mir zu schaden und vielleicht alle meine Aussichten zu ruinieren. Im Leben des Seefahrers hängt alles von Zeugnissen und Empfehlungen ab und heutzutage, wo bei uns in England die Nachfrage nach Offizieren der Handelsmarine ganz außer Verhältnis zu dem massenhaften Angebot steht, sind die Reeder meist geneigt, den Wünschen und Vorschlägen des Kapitäns ihr Ohr zu leihen.

Weder der Kapitän noch der Maat erschienen wieder auf Deck. Der schwache Südwestwind erstarb und völlige Windstille trat ein. Die größeren Sterne leuchteten mit auffallendem Glanz, und ich hielt es für möglich, daß wir Ostwind bekommen könnten. Dieser Gedanke ließ mich länger auf Deck verweilen, als ursprünglich meine Absicht war. Ich dachte, es würde doch einen guten Eindruck machen, wenn ich der erste wäre, der dem Kapitän den günstigen Wind meldete. Es war möglich, daß der Mond den Wind mitbrachte, und da er 20 Minuten nach 9 Uhr aufgehen mußte, stopfte ich mir noch eine Pfeife und erwartete sein Kommen.

Als ich mir ein Zündhölzchen anstrich, kam der Steward, um mir zu sagen, daß die geistigen Getränke auf dem Tisch ständen.

»Hat der Kapitän Sie geschickt?« fragte ich.

»Nein, Sir,« antwortete er, »ich dachte nur, ich wollte es Ihnen mitteilen, denn sie werden nach 9 Uhr abgeräumt, und ich habe Befehl, sie nicht wieder herauszugeben, wenn sie erst einmal für die Nacht weggestellt sind. – Das ist Regel beim Kapitän.«

»Ich danke Ihnen,« sagte ich. – Zu anderer Zeit würde ich gern hinuntergegangen sein, um mein Glas Grog zu trinken, aber heute hielt ich es für klüger, mich vom Kapitän fernzuhalten, um erst den Zorn verrauchen zu lassen, den ich durch mein unglückliches Vorzeigen des Zwiebacks bei ihm erregt hatte.

Kurz nach 9 Uhr wurde eine Lampe in der Kajüte ausgelöscht, und als ich durch das Oberlicht blickte, bemerkte ich, daß die drei Männer den Tisch verlassen hatten. Ein Matrose schritt auf dem Vorderdeck auf und ab, ich konnte seine Gestalt gegen die Sterne erkennen, die hinter ihm am Horizont flackerten. Die übrige Mannschaft war jedenfalls schlafen gegangen, denn ich hörte keine Stimme mehr und tiefer Frieden hatte sich auf das Schiff herabgesenkt.

Endlich ging der Mond auf, aber er brachte auch nicht den leisesten Hauch mit sich. Die See glänzte in seinem milden Silberscheine und gespenstisch ragte das Spierenwerk, von seinem Glanz getroffen, hinaus in die Nacht.

Ich hätte noch die ganze Nacht warten können, ohne etwas zum Melden zu finden und darum klopfte ich die Asche aus meiner Pfeife und begab mich ebenfalls zur Ruhe.


 << zurück weiter >>